Alois Rheinberger an Emma Rheinberger über die Todesfälle in seiner Familie zwischen 1852 und 1907, die Gottergebenheit nach dem Vorbild des französischen Priesters Jean-Marie Vianney, die Witterung und die Ernte in Amerika, den Dorfbrand in Vaduz vom Oktober 1907, die Feuerschäden in Kanada und den USA sowie die erhebliche Rückwanderung aus Amerika nach Europa wegen der angespannten Wirtschaftslage


Handschriftliches Originalschreiben des Alois Rheinberger, Nauvoo (Illinois), an Emma Rheinberger, Vaduz [1]

16.12.1907, Nauvoo (Illinois)

Fräulein Emma Rhbrgr. [2]

Meine liebe Emma [3]!

Dankend bestätige ich den Empfang
Ihrer Karte, und ihres Briefes.
Ich und meine Kinder sind stets
besorgt um Ihr Befinden, und oft werde
ich gefragt: hast Du nichts gehört von
der Emma [4]? Noch nicht.

Dank erfüllt empfange ich auch Ihre
Theilname für mich und die Meinen.
Es ist wahr, manche Stunde lebte ich
in Betrübniss [5], und manche heisse Thräne
floss, und fliesst zuweilen noch.
7 mal begleitete ich die Meinen zu
Grabe. Zuerst kam mein Vater [Josef Ferdinand Rheinberger],
dan mein Christinchen [Christina Rheinberger] [6] /: starb als Kind :/
dan kamen viele Jahre ungestörter
Gesundheit, und Wohlergehens. Im Jahre [7]
1889 an Weihnachten, noch eche die Weichnachts-
Glocken ausgeklungen, verschied mein Carl [Carl Wilhelm Rheinberger] [8]
auf den ich ehrgeizige Hoffnung setzte;
Ich hatte ihn auf der Universität Notre Dame [9]
in Indiana [10], war in den Juristen [11] Verband
aufgenommen und began seine Praxis [12] in New-braska [13].
Dan kam die Mamma [Margarethe Rheinberger [-Brasser]] [14], dan der Ferdinand [Josef Ferdinand Rheinberger] [15], dan
der Hans [Johann Rheinberger], und dan die Theres [Theresa Moffitt [-Rheinberger]] [16]. Diese aus-
genommen, alle nach Jahre langer Krankheit.

Wie ganz anderst dachte ich es mir einst. –
Aber ich fühle nicht unglücklich. Wesshalb
sich sträuben gegen Gottes Willen, oder
Zulassung? je mehr man sich auflehnt, desto
schwerer das Kreuz. Alle sind wohlgesinnt
und wohl versechen gestorben. Alles
Ungemach kommt von Gott, sagt der Pfarrer
Vianney [Jean-Marie Vianney] [17] von Ars [18] in Frankr. [19]. Fragt nicht:
warum, oder woher und wozu, tragt es mit
Ergebung, tragen müsset Ihr’s, ob willig
oder unwillig. Wozu sich ein hoches Alter
wünschen? Jeder Tag bringt seine Plage –
Wünschenswerth ist ein gottseliger Tod. –

Ich bin nach Möglichkeit gesund. [20]
Jeden Morgen, während der wärmeren Jahreszeit
erhebe ich mich um 4 Uhr, mache mein Frühstück
esse um 5 Uhr und um 6 kan man mich an der
Arbeit finden, Feld oder Keller, und verliere das
ganze Jahr keinen Tag. Zur Winterszeit bin
ich um 6 Uhr auch schon fertig. Ich wohne
und verpflege mich ganz allein, wie mein Vater
sel. [21] der war auch 20 Jahre lang einsam im rothen
Haus. Aber ich habe es schöner und bequemer
als er. Sollte ich krank werden, so wird die
Sepha [Josefa Rheinberger] [22] für mich sorgen, sie allein ist in der Näche –

Ende October war der Franz hier mit seinem
ältesten Mädchen /: ein Prachtmädchen :/.
Der Franz ist mein Herzensmann, gewandt,
zuverlässig und treu. Ich übergab ihm mein
Testament [23] und dessen Ausführung.

Die Maria [24] und ihr Mann werden im Januar [25]
zum Besuch hier sein.

Wir haben hinter uns den ungünstigsten
Sommer, den ich hier gesechen, und was Obst
jeder Art betrifft, durch die ganzen Ver. Staaten [26]. [27]
Dagegen Getreide und Korn mehr befriedigend,
doch lässt Qualitait [28] zu wünschen übrig.
Kartoffeln in manchen Feldern reichlich
in anderen mehr Kraut als Knollen.
Das Buschel [29] kostet 80 Cents [30] gegen gewöhnlich
35, 40 bis 50 Cents [31]. Apfel kosten $ 2. – pr.
Buschel, statt gewöhnlich 40 bis 50 Cents [32].
Trauben wenig und gering, viele halbreif.
Am 15t October [33] sank das Thermometer [34] auf 26 Grd
nach Fahrenheit [35], ungefähr 5 unter 0 Reamur [Réaumur] [36],
wobei alles Grüne erfror. – Nachher kam
schönes, trockenes, sonniges Wetter bis heute.

Sehr betrübend ist Ihre Mittheilung über
den dortigen Brand, und für die Betroffenen
ein schweres und unvergessliches Unglück.
Tröstlich aber ist es zu sechen, wie selbst aus entfernten
Gegenden Beiträge eingehen zur Linderung der Noth.
Sie selbst thun ein Werk der Barmherzigkeit,
100 heil. Messen versprechen Sie? Bei uns
hier würden diese Messen $ 100. – kosten.
$ 1. – für einmalige Darbringung dess heil. Opfers.

In Amerika [37] ist man gewöhnt an aller
Art plötzlichen Unglückes. [38]

Der in Canada  [39] und den Ver. Staaten [40]
angerichtete Feuerschaden für den Monat
October
[41] allein beträgt 13‘350‘250 $.
Thaler, für die Zeit vom 1t Januar [42] 1907 bis 31tn
October [43] 180‘765‘300 Thaler. Während dess Jahres
1906 wurde durch Feuer ein Werth von
$ 424‘460‘200 zerstört, dabei ist der Feuer-
Schaden von St. Franzisko [44] mit 280‘000‘000
Millionen [45] eingerechnet. Vieles verschuldet
amerikanische [46] Gleichgültigkeit.

Die Geldlage in den Ver. Staaten [47]
ist bös. Ohne Hilfe Deutschlands [48] und Englands [49]
und unserer eigenen Regierung, die 150 Milionen [50]
vorstreckte, würde unsere Geschäftswelt
einen erstaunlichen Zusammenbruch erlitten
haben. Zahlungs-Einstellungen, und Arbeiter
Entlassungen sind anhaltend, und in Folge
dessen eine zunehmende Aus und Rückwanderung.
Im Monat November [51] allein brachten 12
Dämpfer [52], 7 davon je 1000 und 5 je 2000
besonders – Ungar [53] und Italiener [54] nach Europa [55]
zurück. Die Listen der Dämpfer [56]-Gesellschafen
weisen für das Jahr 1906 – 341‘368 Zwischendeckler [57]
Rückwanderer von den Ver. Staaten [58] nach Europa [59]
auf. Nach möglichst genauen Zusammenstellungen
beträgt die Aus und Rückwanderung dieses
Jahres 1907 eine halbe Milion [60].

Die Einwanderung ist aber auch gross. Diesen
letzten October [61] landeten /: nach von Washington [62]
kommenden Statistiken [63] :/ an unseren Häfen 111‘513
Personen. [64] 101‘638 davon waren Europäer [65].
Gesamt-Einwanderung vom 1t Januar [66] 1907 bis
31t October [67] 1‘029‘168. 77 pro Cent [68] davon landeten
in New-Jork [69]. Es gibt aber eine Art
Auswanderer aus den Ver. Staaten, die man
nicht gerne sieht. Es [70] haben sich nach einer Zusammen
Stellung eines Steuerbeamten während 25 Jahren
356 Erbtöchtern an adelige Männer in Europa [71]
verheirathet, und haben 900 Millionen [72] Thaler
nachgezogen.

Sie machen Mittheilung
über die Brüder Nigg [Emil Nigg, Josef Nigg] [73]. Mir sind
sie unbekant, aber ihre Mutter, die Frau Nigg [Maria Anna Emilia Nigg [-Rheinberger]] [74]
schrieb mir einmal, dass 2 ihrer Söhne sich
in Seattel, Staat Washington [75] aufhielten.

Sie machen mir auch recht schöne und
erhebende Mitteilungen über einige [76]
Personen, und das Lob, das Sie Ihrer
werthen Schwester [Olga Rheinberger] spenden, ist ebenso ehrend
für Sie selbst, als für die geliebte Schwester.

Ich sende Ihnen einen schönen
Kalender nach Arosa [77], den Brief aber,
weil ich nicht bestimmt weiss, ob Sie in
Arosa [78] sind, sandte ich der Sicherheit
wegen in’s rothe Haus.

Auch 2 Photogr. [79] werden in wenigen
Tagen folgen. Sie sind nicht ganz fertig.

Meine freundlichsten Grüsse und
herzlichen Glückwünsche besonders für Ihre
Geschwister, und wer mir nachfragen mag.
Gottes Segen über Sie, er gebe vor
allem Kraft und Gesundheit Ihnen
wieder. Bewahren Sie mich in freundlichen
Gedanken.

A. Rheinberger [80]

______________

[1] LI LA AFRh Ha 17/09. Brief in Kurrentschrift. Vgl. das Schreiben der Emma Reinberger an Alois Rheinberger vom 20.11.1907 unter LI LA FRh Ha 18.
[2] In lateinischer Schrift.
[3] In lateinischer Schrift.
[4] In lateinischer Schrift.
[5] Ursprüngliche Fassung: „Betrübniẞ“. Das Eszett wird im Folgenden zu „ss“ umgewandelt.
[6] In lateinischer Schrift.
[7] Seitenwechsel.
[8] In lateinischer Schrift.
[9] In lateinischer Schrift.
[10] In lateinischer Schrift.
[11] In lateinischer Schrift.
[12] In lateinischer Schrift.
[13] In lateinischer Schrift.
[14] In lateinischer Schrift.
[15] In lateinischer Schrift.
[16] In lateinischer Schrift.
[17] In lateinischer Schrift.
[18] In lateinischer Schrift.
[19] In lateinischer Schrift.
[20] Seitenwechsel.
[21] In lateinischer Schrift.
[22] In lateinischer Schrift.
[23] In lateinischer Schrift.
[24] In lateinischer Schrift.
[25] In lateinischer Schrift.
[26] In lateinischer Schrift.
[27] Seitenwechsel.
[28] In lateinischer Schrift.
[29] In lateinischer Schrift.
[30] In lateinischer Schrift.
[31] In lateinischer Schrift.
[32] In lateinischer Schrift.
[33] In lateinischer Schrift.
[34] In lateinischer Schrift.
[35] In lateinischer Schrift.
[36] In lateinischer Schrift.
[37] In lateinischer Schrift.
[38] In lateinischer Schrift.
[39] In lateinischer Schrift.
[40] In lateinischer Schrift.
[41] In lateinischer Schrift.
[42] In lateinischer Schrift.
[43] In lateinischer Schrift.
[44] In lateinischer Schrift.
[45] In lateinischer Schrift.  
[46] In lateinischer Schrift.
[47] In lateinischer Schrift.
[48] In lateinischer Schrift.
[49] In lateinischer Schrift.
[50] In lateinischer Schrift.
[51] In lateinischer Schrift.
[52] In lateinischer Schrift.
[53] In lateinischer Schrift.
[54] In lateinischer Schrift.
[55] In lateinischer Schrift.
[56] In lateinischer Schrift.
[57] Seitenwechsel.
[58] In lateinischer Schrift.
[59] In lateinischer Schrift.
[60] In lateinischer Schrift.
[61] In lateinischer Schrift.
[62] In lateinischer Schrift.
[63] In lateinischer Schrift.
[64] Durchstreichung.
[65] In lateinischer Schrift.
[66] In lateinischer Schrift.
[67] In lateinischer Schrift.
[68] In lateinischer Schrift.
[69] In lateinischer Schrift.
[70] Durchstreichung.
[71] In lateinischer Schrift.
[72] In lateinischer Schrift.
[73] In lateinischer Schrift.
[74] In lateinischer Schrift.
[75] In lateinischer Schrift.
[76] Seitenwechsel.
[77] In lateinischer Schrift.
[78] In lateinischer Schrift.
[79] In lateinischer Schrift. 
[80] In lateinischer Schrift.