Alois Rheinberger an Emma Rheinberger über die wechselseitige Zusendung von Fotografien, die Assimilation der Einwanderer in Amerika und den Verlust der deutschen Sprache, die kranke Hermine Rheinberger sowie den profitablen Eishandel seines Enkels Herold Rheinberger


Handschriftliches Originalschreiben des Alois Rheinberger, Nauvoo (Illinois), an Emma Rheinberger, Arosa [1]

22.03.1909, Nauvoo (Illinois)

Fräulein Emma Rhberger [2]

Liebe Emma [3]!

Ich habe Ihren lieben Brief und Karte erhalten.
Im Briefe fand ich die Bildnisse [4] Ihrer lieben
Eltern [Peter Rheinberger, Theresia Rheinberger [-Rheinberger]] und freute mich und danke Ihnen.

Damit sie mir nicht verloren giengen
und meinen Nachkommen zur Erinnerung an
Ihre Stammfamilie in Europa [5] erhalten bleiben,
liess ich sie hier vergrössern, für den Franz [Rheinberger] [6],
für mich und Sie, damit dadurch auch dorten
eine Erinnerung an eine verwandte Famielie [7] in
der Ferne erhalten bliebe. Der grösste Theil
der Nachkommen der Eingewanderten kann auch nicht
die geringste Auskunft über woher oder
Verwandschaft ihrer Eltern in Europa [8] geben.

Schon die Eingewanderten selbst verlassen
oft genug ihre deutsche Sprache so schnell als
sie sich das nöthigste English [9] eingeprägt haben
um sich verständlich machen zu können.

Ich sende Ihnen heute eine Photographie [10]
die den Franz gut darstellt, und auch die
Bildnisse Ihrer werthen Eltern, die meinen
Augen schon bald 60 Jahre entschwunden sind. [11]
Nehmen Sie es nicht übel. Ich kann mir wohl
denken dass diese, Ihnen so teuren Bilder, in
Ohl gemalt Ihre Wohnung schmücken.
Aber vorstehender Grund bewog mich dazu und
es macht mir Spass, wenn ich mir vorstelle die
Verwunderung bei Ihrem betrachten derselben, und
wie Sie am Ende laut lachen über mein Tun.

Zugleich lege ich meinem Brief 3 Ansichtskarten
bei, die mir vor einigen Tagen von der Superiorin [12]
Mutter Ottili [13] aus Tucson [14], der Hauptstadt Arizonas [15]
zugesandt wurden. Sie hat sich, um ihre Gesundheit
zu stärken, für den Winter dahin begeben.
Sie ist überaus erfreut über die Schönheit der
Gegend und die Annehmlichkeit des Klimas.
Fräulein Olga [Rheinberger] [16], Ihre Schwester wird sich ihrer
erinnern. Die Frau [17] besuchte Herr Rhbrger [Josef Gabriel Rheinberger] [18]
während ihres Aufenthaltes in München [19].
Sie erwähnten in ihrem Schreiben Ihre Schwester
als einer sehr gebildeten Dame [20].
Sie erwähnen in Ihrem Brief Ihres Besuches
bei Ihrer unglücklichen Schwester [Hermine Rheinberger]. Welche
schmerzlichen Gefühle [21] mögen Sie empfunden
haben bei Ankunft und Abschied. Auch ich teile
Ihre Trauer. Der gute Gott wird seiner Zeit
ihre Geistes Nacht hier – dorten mit ewigem Licht
erleuchten, und ihren Verlust an irdischem
Wohlergehen mit mit ewiger Glückseligkeit vergelten.
Ich und die Meinen sind zur Zeit gesund und in [22]
gedeichlichen Umständen.

Die Kinder dess Hans [Johann Rheinberger] wachsen kräftig heran.
Der Joseph [23] ist schon ein starker Mann. Still, nüchtern
und fleissig. Der Herold [24] läuft gut auf seinem
künstlichen Bein. Im Winter vorher legte er sich
Eis ein und verkaufte es während dess Sommers [25] zu
50 Cents [26] /: 2 Mark [27] ./ für 100 Pfund was einen guten
Profit [28] ergab. Diesen Winter hat er 250 Tonnen
eingelegt. Wenn auch der Verkaufspreis nicht so hoch
sein sollte, wird es doch ein lohnendes Geschäft sein.
Das Mädchen ist gross und von ansehnlicher Form.
Einstweilen hilft sie neben der Schulzeit der Mutter
und hat sonst vor, sich zum Lehrfach auszubilden.
Kein deutsches [29] Wort verstehen sie. –

Unser Winter war mild, stürmisch, meist dunkel
ganze Wochen keine Sonne und mehr Regen als Schnee.
Der ganze Monat Merz [30] kalt und trüb.

Ich wünsche von Herzen, dass der gute Gott
Ihnen volle Gesundheit gebe und dass dieses der
letzte Brief sei, den ich nach Arosa addressiren [31] muss.
Herzlichster Gruss für Ihre Geschwister.
Gruss der Bertha [Schauer] [32] und der Frau Rhbrger [Laura Rheinberger [-Wolfinger]] [33] im Löwen [34].

Halten Sie mich in freundlichem Andenken
und genehmigen Sie die Versicherung meiner
Hochachtung und meines regen Antheils an
Ihrem ferneren Ergehen.

A. Rheinberger [35]

______________

[1] LI LA AFRh Ha 17/14. Brief in Kurrentschrift.
[2] In lateinischer Schrift.
[3] In lateinischer Schrift.
[4] Ursprüngliche Fassung: „Bildniẞe“. Das Eszett wird im Folgenden zu „ss“ umgewandelt.
[5] In lateinischer Schrift.
[6] In lateinischer Schrift.
[7] In lateinischer Schrift.
[8] In lateinischer Schrift.
[9] In lateinischer Schrift.
[10] In lateinischer Schrift.
[11] Seitenwechsel.
[12] In lateinischer Schrift.
[13] In lateinischer Schrift.
[14] In lateinischer Schrift.
[15] In lateinischer Schrift.
[16] In lateinischer Schrift.
[17] In lateinischer Schrift.
[18] In lateinischer Schrift.
[19] In lateinischer Schrift.
[20] In lateinischer Schrift.
[21] Durchstreichung.
[22] Seitenwechsel.
[23] In lateinischer Schrift.
[24] In lateinischer Schrift.
[25] In lateinischer Schrift.  
[26] In lateinischer Schrift.
[27] In lateinischer Schrift.
[28] In lateinischer Schrift.
[29] Durchstreichung.
[30] In lateinischer Schrift.
[31] In lateinischer Schrift.
[32] In lateinischer Schrift.
[33] In lateinischer Schrift.
[34] In lateinischer Schrift.
[35] In lateinischer Schrift.