Urban Marock an seinen Onkel Wilhelm Marock über den Jahreswechsel 1898/1899, die Erhabenheit des liechtensteinischen Vaterlandes, das Befinden der Verwandten sowie sein Theologiestudium am Priesterseminar St. Luzi in Chur


Handschriftliches Originalschreiben des Urban Marock, Chur, an Wilhelm Marock, Hammond (Indiana) [1]

16.12.1898, Chur (Graubünden)

Theurer Vetter [2]!

Nimm hin heute, lieber Vetter,
meine schwachen Worte des Glückwunsches zum neuen Jahr.
Wieder sind wir an einem Zeitpunkte angelangt, von
wo aus wir mit Recht einen Blick auf unser zukünfti-
ges und vergangenes Leben werfen. Vergiss [3], lieber Vetter,
allen Kummer und alle Sorge des vergangenen Lebens,
blicke fröhlich dem neuen Jahre entgegen, das Dir recht
viele Freuden und Zufriedenheit bringen möge. Nicht wird
es vorüber gehen, ohne dass es auch Dir Leid und Kummer
bringen wird, aber dann vergiss auch das Gottvertrauen
nicht. Möge der liebe Gott Dir nicht blos im neuen
Jahre, sondern noch recht viele Jahre die vollste Gesundheit
schenken. Mögest Du recht viele Freuden auch von Deinen
Kindern und Angehörigen erleben. Und wenn Du einmal
die irdische Laufbahn vollendet hast, möge der himmlische
Vater Dich aufnehmen in die Wohnungen der ewigen
Glückseligkeit, wo Du für alle Deine Mühen im
reichlichsten Masse belohnt wirst. [4]  

Das sind lieber Vetter, die Wünsche, die ich Dir am Neujahrstage,
über den weiten Ocean hin, entgegen bringe.
Das sind auch die Gebete, die ich für Dich und für
alle meine Anverwandten täglich zu Gott empor-
sende.

Nicht habe ich jenen leichten Flug der Gedanken und
jene reiche Phantasie, wie Du lieber Vetter; ich
würde Gott danken, wenn ich das auch hätte. Dein letzter
Brief hat mich herzlich gefreut. Ich erwarte sobald
als möglich wieder einen Brief von Dir. Ich möchte
Dich bitten, dass Du mir darin einige schöne Gedanken
über die Vortheile und Erhabenheit unseres Vaterlan-
des (Liechtenstein) schreibest, die ich zu einem Vortra-
ge in der Akademie brauchen könnte, den ich in einigen
Wochen halten muss. Deine Mutter [Genofeva Marock [-Meier]], meine Eltern [Andreas Marock, Katharina Marock [-Kieber]]
und alle Deine Anverwandten sind, wie mir ge-
schrieben worden ist, gesund; ich bin schon 2 Monate
in Chur im Priesterseminar, wo ich ganz fröhlich
und heiter Moraltheologie und Dogmatik studiere,
ja selbst die hebräische Sprache, kann mich von
meiner Fröhlichkeit nicht verdrängen; obwohl sie
anfangs Schwierigkeiten zu bieten scheint. [5]

Verzeihe mir, wenn ich keinen langen Brief geschrieben
habe; denn ich bin schon sehr beschäftigt mit meinem
Studium.

In der zuversichtlichsten Erwartung, dass ich recht
bald einen Brief aus America bekomme, schliesse ich
nun mit einem herzlichen Glück- und Segens-
wunsch zum neuen Jahr und ich werde verbleiben

Dein Vetter Urban Marok
stud. theol.

Herzliche Grüsse an Deine Frau [Maria Marock [-Hauser]] und Deine Kinder.

Addresse: Marok Urban stud. theol.
bischöfl. Priesterseminar
Chur, Schweiz
.

______________

[1] US PA Donna Delph. Brief in Kurrentschrift.
[2] In lateinischer Schrift. Auf weitere einschlägige Fussnoten wird verzichtet.
[3] Ursprüngliche Fassung: „Vergiẞ“. Das Eszett wird im Folgenden zu „ss“ umgewandelt.
[4] Seitenwechsel.  
[5] Seitenwechsel.