Ferdinand Marock an seinen Bruder Wilhelm Marock über die Rebenkrankheit, einen Zeitungsartikel über Liechtenstein, die Heirat der Nichte Wilhelmina mit dem „Tobelhocker“ David Bühler, die Lektüre der Illinois Staats-Zeitung, die Veröffentlichung einer liechtensteinischen Landkarte sowie eine strittige Vermögensausfolgung nach Amerika


Handschriftliches Originalschreiben von Ferdinand Marock, Mauren, an seinen Bruder Wilhelm Marock in Indiana [1]

11.06.1896, Mauren

Lieber Bruder Wilhelm!

Wenn es regnet an Barnabas, so schwimt
der Wein bis ins Fass [2]; sagt der Kalender-
man u. heute regnet es tüchtig aber ohne
Schaden dem Wein bei uns, den dieselben
sind grösstentheils verschwunden an der Reb-
krankheit. Da wir nun regnerisches Wetter
haben, so wil ich der heutige Tag zum
schreiben benutzen. Soeben habe ich ein
Schreiben an Josef [Marock] beendet, aber nicht
im brüderlichen sonder ganz im geschäft-
lichen Stile, den als ich den Schmirbogen
vom 12. Dez. 1887 (wie vileicht kein zweiter
den Ozean überschriten hat) hervor zog
u. wider gelesen hab sind alle meine
brüderlichen Gefühle erloschen genug
von dem. Das Famili Jouernal [3] habe
ich am 6. d. M. erhalten u. ist es wirklich [4]
bewunderungswürdig wie Dir alle einzelnen
georafischen Lagen Lichtenstein u. deren Um-
gebung noch scharf im Gedächtniss sind troz
Deinem jugendlichen Alter wo Du Lichtenstein
verlassen hast. Ich habe den Zeitungsartikel
über Lichtenstein meiner Mutter [Genofeva Marock [-Meier]] u. den Brü-
der Jakob [Marock] u. Andreas [Marock] im Familikreiss gleich
am Abend vorgelesen welche sich ebenfalls
recht freuten. Die Tobelhockergeschichte [5]
hat nicht allen recht gemundet, den Andreas
wird bald ein Schwigersohn aus jener Catigo-
rie bekommen ein gewiser David Bühler u.
da glaubte die Tochter Wilhelmina [Bühler [-Marock]] schon
den beschwerlichen Gang über den Guggerboden [6]
zu der verhängnissvollen Stelle hinaus machen
zu müssen und eine Ehrenstelle an der
Steinernen tafel einnehmen zu müssen.
Ebenso habe ich dem Theobald Kirchthaler
lessen lassen – welcher die vollste Zufridenheit
ausgesprochen hat, u. anlässlich dessen ersucht
Dich freundlich grüssen zu lassen u. er erwarte [7]
bald ein Schreiben von Dir welches er in
einem grossen Format zurück antworten
wolle. Die Zeitungen kommen jetzt regel-
recht an u. von meinem Standpunkte aus
gebe ich der Ill. Statszeitung [Illinois Staats-Zeitung] weit den Vor-
zug, weil sie ganz consequent u. zwar
mit Vorlibe die hochen Rosse reitet u.
die niedere Klasse in Schutz nihmt. In jüngster
Zeit ist eine Landkarte speziell über Lichten-
stein herausgegeben worden, obwohl nicht
ganz fehlerfrei ist sie für Lichtensteiner
doch sehr interessant, da alle Strassen, Wege
Bäche Kirchen sogar die Häuser mit Pünkte
ersichtlich sind. Wenn ich wüsste das dieselbe
Dich interesiren oder Dich einigermassen zu
recht finden würdest, so würde ich sie
ankaufen u. Dir zuschicken. Die Grüsse
habe ich an sämtliche Persönlichkeiten aus-
gerichtet welche sie alle in wärmster Weise
erwiderten. Jakob Kaiser verspricht selbst
an Dich zu schreiben, von Martin Matt
ligt es bei. [8]

Ich habe kürzlich mit Herrn A. Real [9] gesprochen
bezüglich wegen Kranz welcher mir mitheilte
dass, das Kranzische Geld von zirka 800 fl. [Gulden] am
10. Juni nach Amerika abgehe. Da sich Kranz
an das betreffende Consulat wendete
mit der Äusserung, Real weigere sich
hartnäckig ihm sein Vermögen ausfolgen
zu lassen. Von da ging es an die fürstl.
Regierung in Vaduz, welche dem Landgericht
die Weisung gab, wenn keinne gerichtlichen
Protest vorlige das Vermögen sofort
ausfolgen zu lassen. Reinhard Kieber
Dein Schulleidensgenosse welcher sich als
Krüppelhafter Invalide beim Bruder
Andreas auf hält wird ein Schreiben bei-
legen. Albert Marxer ist vor 4 Jahren
zurück gestorben in ärmlichen Verhältnissen. [10]  
Zum Schlusse recht herzliche Grüss von Mutter
Brüder meiner Frau [Wilhelmina Marock [-Marxer]] Kinder Schwigervater
aber vorzugsweisse von Deinem Bruder

Ferdinand.

(Schreiben nicht vergessen.)

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[1] US PA Delph Donna. Brief in Kurrentschrift.
[2] Ursprüngliche Fassung: „Faẞ“. Das Eszett wird im Folgenden zu „ss“ umgewandelt.
[3] In lateinischer Schrift. Wird im Folgenden kursiv gesetzt.
[4] Seitenwechsel.
[5] In den Gemeinden Triesen und Triesenberg bezeichnete man die frühneuzeitlichen Hexenverfolger bzw. Denunzianten sowie deren Nachkommen als Tobelhocker. Diese sollen laut einem Fluch nach ihrem Tod in das Lawenatobel gebannt sein. Vgl. HLFL, Bd. 2, S. 929 („Tobelhocker“).
[6] „Guggerboda“: Grosse Waldlichtung im Guggerbodawald in der Gemeinde Triesenberg, östlich oberhalb des Weilers Wangerbärg. Umfasst die Gebiete Obera und Undera Guggerboda. Vgl. Hans Stricker, Liechtensteiner Namenbuch, Bd. 2, S. 110-111.
[7] Seitenwechsel.
[8] Seitenwechsel.
[9] Möglicherweise der Geschäftsagent Anton Real.
[10] † 30.9.1891.