Das Eidgenössische Politische Departement fordert Liechtenstein vor dem Hintergrund der Verhandlungen über ein fremdenpolizeiliches Abkommen dazu auf, aussenpolitisch eine klare und loyale Haltung einzunehmen


Protokoll von Regierungschefstellvertreter Alois Vogt, ungez. [1]

o.D. (15.10.1940)

Gedächtnisprotokoll

über die am Dienstag den 14. Oktober 1940 [2] zwischen Legationsrat Dr. [Peter Anton] Feldscher, [Eidgenössisches] Politisches Departement, Bern, und Dr. A. Vogt, Regierung, Vaduz, stattgefundene Besprechung. Dieses Protokoll gibt eine kurz zusammengefasste Darstellung der über eine Stunde dauernden Besprechung.

Dr. Vogt: Ich habe Sie um diese Besprechung gebeten, um mich über den Stand der zwischen unserer Regierung und dem Bundesrat schwebenden Verhandlungen betreffend eine Erweiterung des Zollvertrages [3], hauptsächlich betreffend die fremdenpolizeiliche Behandlung [4] der Liechtensteiner in der Schweiz [zu informieren].

Dr. Feldscher: Ich freue mich, dass Sie gekommen sind, um sich über den Stand der Angelegenheit zu erkundigen. Die Prüfung der Materie ist durch die Fachreferenten ziemlich beendet, wir haben gerade heute eine Konferenz in dieser Angelegenheit. An der Konferenz werde ich als Vertreter des politischen Departements teilnehmen, dann Direktor Jaubin [Albert Jobin] von der Biga (Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit), Dr. [Max] Ruth für die Polizeiabteilung (Departement des Innern), ein Vertreter der Armee und vielleicht noch, drei andere Herren. Dr. Ruth hat den Auftrag, einen Vertragsentwurf vorzubereiten und dürfte damit fertig sein. Wie er mir mitteilt, ist er zu einem durchaus positiven Ergebnis gekommen. Es handelt sich dabei hauptsächlich um eine bessere fremdenpolizeiliche Behandlung der Liechtensteiner in der Schweiz und vor allem um die Zusicherung freier Arbeitsannahme.

Dr. Vogt: gibt seiner Genugtuung Ausdruck über den Stand der Angelegenheit und ersucht um Mitteilung, in welche Form der Vertrag gekleidet werden soll, er hätte Bedenken, den Vertrag der Bundesversammlung vorlegen zu lassen, da in diesem Fall unnötige Diskussionen entstehen könnten und Widerstände auftauchen, die nicht im Interesse des beiderseitigen Verhältnisses liegen könnten.

Dr. Feldscher: Wir haben uns dies auch überlegt und fürchten auch Widerstände im Nationalrat, besonders deswegen, weil für den Winter eine ansteigende Arbeitslosigkeit zu befürchten ist. Wir haben uns deshalb entschlossen, uns auf ein fremdenpolizeiliches Abkommen zu beschränken, und dieses durch ein zwischen dem Bundesrat und der fürstlichen Regierung abzuschliessendes Übereinkommen zustandezubringen. Wir fürchten vor allem den Widerstand der Kantonsregierungen und zwar sind es zunächst die Regierungen von Thurgau und St. Gallen, die ständig gegen Liechtenstein Stellung nehmen. Auch im Bundesrat sind beachtenswerte Widerstände zu überwinden. Vor allem aber kommt in jüngster Zeit der Widerstand aus der Zollverwaltung.

Dr. Vogt: Wie erklären sich diese Widerstände und welcher Natur sind sie?

Dr. Feldscher: Wir kommen damit zu einem Punkt, wo ich sehr offen zu Ihnen sprechen muss, gleichzeitig muss ich Sie ersuchen, mir ebenso offen zu antworten.

Dr. Vogt: Ich glaube, Herr Legationsrat haben keine Ursache, meinen Ausführungen zu misstrauen, ich habe nie die Absicht gehabt, Sie anzulügen und habe diese Absicht auch jetzt nicht.

Dr. Feldscher: Ich bitte, meine Worte nicht so zu verstehen, ich will nur sagen, dass wir offen miteinander reden müssen, Sie wissen, ich war immer der Anwalt Liechtensteins im Bundeshaus und will es auch jetzt sein, doch kann ich Ihnen nicht verhehlen, dass ich grosse Schwierigkeiten zu überwinden habe und zwar politischer Natur, ich kann sie nur überwinden, wenn ich selbst die Überzeugung habe, dass Liechtenstein ein ehrliches Abkommen mit der Schweiz will und nicht etwa einen Tag nach Unterzeichnung eines neuen Abkommens seine aussenpolitische Stellung wechselt.

Dr. Vogt: Ich kann Ihnen nur sagen, dass dies nicht in der Absicht des Landes steht, wir muten Ihnen gar nicht zu, mit uns ein Abkommen zu schliessen, das am anderen Tag durch einen Anschluss Liechtensteins an Deutschland überfällig werden müsste. Wenn wir Abschied von der Schweiz nehmen würden, würden wir es schon ehrlich tun. Derartige Absichten bestehen jedoch gar nicht. Ich muss vermuten, dass bei Ihnen Meldungen eingelaufen sind, die den Tatsachen nicht entsprechen. Darf ich Sie um nähere Auskunft bitten?

Dr. Feldscher: Wir waren die letzte Zeit tatsächlich in Sorge über die Entwicklung in Liechtenstein. Es wurden uns Flugzettel [5] zugeschickt, in denen eine eindeutige Anschlusspropaganda getrieben wurde. Eine neue Zeitung [6] wurde kürzlich mit denselben Ideen herausgegeben und auch sonst sind Meldungen bei uns eingetroffen, die einen baldigen Anschluss Liechtensteins an das Deutsche Reich befürchten liessen.

Dr. Vogt: Die Flugblätter und die neue Zeitung kann ich nicht bestreiten, ich möchte aber betonen, dass dies gar nichts sagt über die Haltung der liechtensteinischen Gesamtbevölkerung, der Regierung und des Fürsten [Franz Josef II.] und erlaube mir, darauf hinzuweisen, dass ähnliche Erscheinungen auch in der Schweiz zu beobachten sind, woraus man kaum auf eine Änderung der Haltung der Schweizerischen Bundesregierung schliessen dürfte.

Dr. Feldscher: Wir unterdrücken derartige Bestrebungen, während man von der liechtensteinischen Regierung zum mindesten den Eindruck bekommen muss, dass sie diese Bestrebungen duldet. Wie ist denn eigentlich die Stellung der liechtensteinischen Regierung und des Fürsten, ich ersuche Sie um offene Antwort.

Dr. Vogt: Die Haltung Seiner Durchlaucht des Fürsten und der Regierung hat sich nicht geändert. Wir stehen nach wie vor zum Zollvertrag mit der Schweiz, sonst würden wir nicht mit Ihnen verhandeln darüber, wie Liechtenstein im schweizerischen Wirtschaftsraum lebensfähig gemacht werden kann. Unsere Haltung der Schweiz gegenüber, muss ich betonen, ist durchaus loyal. Die politischen Verhältnisse des Landes, die Mentalität der Bevölkerung in Liechtenstein, ist zweifellos etwas anders gelagert als in der Schweiz, woraus sicherlich Missverständnisse entstehen können, diese sind aber zu klären und durchaus überbrückbar. Ich bitte Sie dringend, nicht in dieselbe Nervosität zu verfallen, wie unsere Herren Nachbarn in St. Gallen, die immer schon das Gras wachsen hörten und doch immer unrecht hatten.

Dr. Feldscher: Es sind bei uns genaue Meldungen über Umsturzversuche, die Ende September in Liechtenstein stattgefunden hatten und nur mühsam zurückgehalten werden könnten, es sind Meldungen da über grosse Versammlungen, die den Anschluss verlangten, nach anderen Nachrichten soll das liechtensteinische Landgericht heimattreue Liechtensteiner verfolgen und Nationalsozialisten freisprechen, es wurde ein spezieller Fall erwähnt, dann sind wir von einer unmittelbar bevorstehenden Regierungsumbildung zu Gunsten der Deutsch-Völkischen Bewegung, die ständig wachse, orientiert. Wie verhält es sich mit diesen Punkten?

Dr. Vogt: Diese Meldungen sind aus der Luft gegriffen. Von einer Regierungsumbildung war nie und nirgends die Rede, grosse Versammlungen haben keine stattgefunden, wir haben ein Versammlungsverbot, [7] das von der ganzen Bevölkerung, auch von der Deutsch-Völkischen Bewegung respektiert wird. Auch Umsturzversuche haben nicht stattgefunden. Ich habe auch davon gehört, aber nur aus der Schweiz. Entstanden ist dieses Gerücht durch eine Schlägerei feindlicher Schwäger, [8] also ein einfacher Familienstreit. Auch die Meldung über Verfolgung sogenannter heimattreuer Liechtensteiner stimmt nicht, in dem vorliegenden konkreten Falle handelt es sich um eine Schlägerei, die nicht durch Richterspruch, sondern durch einen Vergleich geendet hat. Auch die Meldung über ein ständiges Wachsen der deutsch-völkischen Bewegung stimmt nicht. Ich bin zwar über die zahlenmässige Stärke der Bewegung nicht informiert, man spricht von 300, 600 bis zu 1000 Mitgliedern, wobei zu betonen ist, dass Frauen und Minderjährige dabei sind. Ich glaube jedoch nicht an diese Zahlen, werde mich aber näher erkundigen. Massgebend ist jedenfalls festzustellen, dass die liechtensteinische Regierung keinerlei Veranlassung zu irgendwelcher Nervosität sieht und die Verhältnisse im Lande mit gutem Gewissen als stabil betrachtet, es wird jedoch wesentlich von der Haltung der Schweiz abhängen, wie sich die Dinge entwickeln.

Dr. Feldscher: Ich muss nochmals betonen, dass wir gerne bereit sind, Liechtenstein entgegenzukommen. Den Entwurf, den ich Ihnen nächstens übersende, bitte ich sofort zu behandeln. Die Angelegenheit eilt, weil wir für den Winter ein starkes Ansteigen der Arbeitslosigkeit in der Schweiz befürchten, wir können nicht mehr exportieren. Wenn die Verhandlungen über ein fremdenpolizeiliches Abkommen in die Zeit starker Arbeitslosigkeit hineinkommen, haben sie wenig Aussicht auf Erfolg. Es ist aber nicht möglich, das Abkommen in kurzer Zeit zu erledigen, wenn Liechtenstein nicht eine eindeutige Haltung einnimmt. Ihre Ausführungen haben mich nicht vollständig beruhigt. Liechtenstein muss sich entscheiden, ob es der völkischen Richtung folgen oder die Beziehungen zur Schweiz aufrecht erhalten und ausbauen will. Die Schweiz ist zweifellos auch in einer kritischen aussenpolitischen Lage. Von den Achsenmächten umgeben, bleibt ihr nichts anders übrig, als sich wirtschaftlich in dieser Richtung auszurichten, wir werden uns auch ideologisch umstellen müssen, wie weit und in welchem Sinne wollen wir aber selbst bestimmen, wir lassen da niemand hineinreden. Eine ideologische Umstellung müsste aus uns selbst herausgehen und der schweizerischen Eigenart Rechnung tragen. Im Augenblick ist unsere Lage so: Weder von Deutschland noch von Italien her läuft die Schweiz im Augenblick irgendwie in Gefahr, wie es später sein wird, wissen wir nicht, wir halten uns aber in jeder Lage durchaus selbständig und möchte Ihnen dieselbe Haltung nahelegen. Die blosse Tatsache, dass Liechtenstein zollpolitisch an die Schweiz angeschlossen ist, bietet ihm einen gewissen Schutz gegen Einwirkungen von aussen. Deutschland wird die liechtensteinische Frage nicht unabhängig von der Schweiz aufwerfen, wenn nicht Liechtenstein es unbedingt haben will. Will Liechtenstein diesen ideologischen und aussenpolitischen Schutz geniessen, muss es aber eine klare Haltung einnehmen. Ich verstehe eine gewisse Vorsicht der liechtensteinischen Regierung in der Behandlung aller aussenpolitischen und innenpolitischen Fragen, aber diese Vorsicht darf nicht zu weit gehen und darf nicht zu einer unklaren Haltung führen. Wir dürfen wohl in irgendeiner Form eine Loyalitätserklärung von der liechtensteinischen Bevölkerung und der Regierung erwarten, sonst bleibt das Misstrauen, das in der Schweiz entstanden ist, bestehen. Wir wollen Ihnen nicht vorschreiben, was Sie tun, es ist selbstverständlich Liechtensteins Sache, sich zu entscheiden, aber es soll sich klar entscheiden, sonst könnten wir ein weiteres Entgegenkommen kaum durchsetzen. Liechtenstein hat viele Gegner in der Schweiz, die gerade aus politischen Gründen zu weiterem Entgegenkommen nicht bereit sind. Wir können diese Widerstände nur bei einer baldigen und klaren Loyalitätserklärung überwinden.

Dr. Vogt: Ich nehme Ihre Auffassungen zur Kenntnis und werde dieselben in Liechtenstein zur Sprache bringen. Möchte aber noch einmal betonen, dass die Haltung der liechtensteinischen Regierung und des Volkes immer loyal war und es auch gegenwärtig ist. Ich würde es bedauern, wenn die Gespräche Liechtenstein-Schweiz abreissen würden durch die Initiative von der einen oder anderen Seite. Zu irgendeiner Schwarzseherei besteht unsererseits keinerlei Veranlassung. Ich bitte Sie, meine diesbezüglichen Erklärungen für ernst zu nehmen.

Dr. Feldscher: Ich glaube Ihren Erklärungen durchaus, Sie müssen aber bedenken, dass Sie nicht nur mich, sondern vor allem Ihre Gegner in der Schweiz überzeugen müssen, ich meine damit die Gegner Liechtensteins, die Liechtenstein bereits aufgegeben haben, auch wenn sie nicht zahlreich sind, so können sie doch Einfluss gewinnen, wenn man sich in Liechtenstein nicht eindeutig erklärt. - Glauben Sie, dass hinter der Deutsch-Völkischen Bewegung deutsche Propaganda steckt?

Dr. Vogt: Ich werde auch in dieser Richtung meine Nachforschungen anstellen. Persönlich bin ich durchaus der Meinung, dass dies nicht der Fall ist. Die Behörden in Berlin, Innsbruck und Vorarlberg haben sich immer durchaus korrekt verhalten und sich nie in unsere Angelegenheiten hineingemischt. Ich bin der vollen Überzeugung, dass diese Einstellung heute noch massgebend ist.

Dr. Feldscher: Ich weiss nicht, ob Sie die Verhältnisse im Reich kennen. Es ist aber durchaus möglich, dass die Behörden Liechtenstein nicht berühren wollen. Aber es gibt vielleicht doch Kreise in Deutschland und diese Kreise sind sehr mächtig, die ohne Wissen der deutschen Behörden Propaganda treiben und eines schönen Tages die deutsche Reichsregierung Liechtenstein wegen vor eine vollendete Tatsache stellen. Verfolgen Sie die Angelegenheit auch in dieser Richtung.

Dr. Vogt: Ich bin auch in dieser Richtung vollständig beruhigt, werde aber immerhin mein persönliches Augenmerk auch darauf lenken.

Dr. Feldscher: Ich hoffe, dass unsere Bemühungen zu einem gedeihlichen Ende führen. Noch einmal: Liechtenstein kann das Schicksal der Schweiz teilen, wohin seine wirtschaftlichen Interessen zweifellos gelagert sind, oder es kann seine eigenen Wege gehen, nur soll es sich klar entscheiden.

Dr. Vogt: Die heutige Besprechung war für mich wertvoll und interessant, ich hoffe, in Bälde wieder den Kontakt mit Ihnen aufnehmen zu können. 

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[1] LI LA RF 232/166 (c). Das Gedächtnisprotokoll Vogts - samt seinen Überlegungen für eine Antwort an die Schweiz - gelangte am 25.10.1940 über einen "VM" (Vertrauensmann) zum Sicherheitsdienst (SD) in Berlin und 2 Tage später in das deutsche Auswärtige Amt (DE PA AA, R 101.100, Berichte und Meldungen zur Lage in und über Liechtenstein und Luxemburg 1940-1943; Kopie in LI LA SgK 663). Eine unmittelbare Folge der Besprechung zwischen Vogt und Feldscher war die Thronrede von Fürst Franz Josef II. vom 2.11.1940, in welcher sich dieser vor dem Landtag zu den Verträgen mit der Schweiz bekannte (LI LA RF 201/043/005). 
[2] "Dienstag" und "14. Oktober" stimmen nicht überein. Die Besprechung fand wohl am Dienstag, den 15.10.1940, statt.
[3] Vertrag vom 29.3.1923 zwischen der Schweiz und Liechtenstein über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet, LGBl. 1923 Nr. 24.
[4] Nach langen Verhandlungen schlossen Liechtenstein und die Schweiz am 23.1.1941 eine neues Fremdenpolizeiabkommen (LGBl. 1941 Nr. 4).
[5] Angesprochen sind die Schulungs- und Mitteilungsblätter der Volksdeutschen Bewegung, die zwischen Juli und September 1940 erschienen, etwa LI LA V 005/1945/0610 (a) (Mitteilungsblatt, 24.7.1940) oder LI LA SgK 667 (a) (Schulungblatt Nr. 1, Sommer 1940).
[6] Es handelt sich um den "Umbruch", welcher vom Oktober 1940 bis zum Juli 1943 von der Volksdeutschen Bewegung herausgegeben wurde.
[7] Mit Verordnung vom 20.7.1940 wurde von der Regierung ein allgemeines Versammlungsverbot für politische Organisationen erlassen (LGBl. 1940 Nr. 15).
[8] Am 29.9.1940 kam es im "Bierkeller" ("Bierhüsle") in Schaan zu einer Schlägerei zwischen den Brüdern Anton, Arnold, Ferdinand und Lorenz Frick, alles NS-Gegner, und den nationalsozialistisch gesinnten Brüdern Kaspar, Gottfried, Toni und Hans Hilti (LI LA J 007/S 073/314, 315, 347, LI LA V 005/1940/1118).