Gustav Ospelt ruft die Regierung zur Propaganda für die Selbstständigkeit Liechtensteins auf


Schreiben von Gustav Ospelt, Vaduz, an die Regierung [1]

14.4.1938

Ich habe die politische Entwicklung seit der Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich genau verfolgt und muss feststellen, dass diese Aktion für unser Land von nicht zu unterschätzender Gefahr ist. Es sind verschiedene Klassen in unserem Ländchen, die von der Begeisterung der Nachbarn mitgerissen werden, andere werben aus Überzeugung als Nationalsozialisten und wieder andere aus Hassgefühl und Missgunst für einen Anschluss nach Deutschland.

Meiner bescheidenen Auffassung nach bedeutet ein Anschluss mit Deutschland die Aufgabe unserer Selbstständigkeit und was damit verbunden ist, weiss wohl die Regierung am besten.

Umsomehr frägt man sich im Lager der bodenständigen Leute, die für die Erhaltung unserer Selbstständigkeit einstehen und werben, warum wird das Volk nicht aufgeklärt, warum werden die Vorteile unserer Selbstständigkeit nicht hervorgehoben, kurz, es geschieht nichts gegen die Propagandaarbeit der andern. Ich bin der festen Überzeugung, dass mit entsprechender Arbeit der gewünschte Erfolg nicht ausbleibt.

Ich bin der vollen Überzeugung, dass gerade von der fürstl. Regierung aus nicht die entsprechenden Gegenmassnahmen unternommen werden. Es wäre heiligste Pflicht der verantwortlichen Männer nichts zu unterlassen, um gegen diese Umtriebe Front zu nehmen.

Ich bin fest überzeugt, dass bald aus dem Volke heraus eine Partei für die Erhaltung der Selbstständigkeit gebildet wird, die natürlich aber auch verlangen wird, was die Regierung in diesem Sinne zu unternehmen hat. Vor allem ist Aufklärung und nochmals Aufklärung nötig.

Wir legen nochmals diese Bitte vor, man möge uns, die wir im Lande herum kommen, Gehör schenken. Wir sind nicht gegen den Nationalsozialismus, aber für eine Selbständigkeitserhaltung und nicht für den Anschluss an das Reich, sondern für den Ausbau der Beziehungen mit der Schweiz. Wir verlangen von den Behörden im Sinne dieses Briefes zu handeln, ansonst wir die ganze Verantwortung Ihnen überbinden werden.

Ich bitte Sie, mich nicht miss zu verstehen, wenn ich diesen direkten Weg und zwar ungeschminkt gewählt habe. Ich schreibe aus voller Überzeugung und im Namen vieler Mitgesinnten.

Hochachtungsvoll: [2]

 

 

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[1] LI LA RF 179/130/050. Im Briefkopf des Dokuments ist das Metier von Gustav Ospelt aufgeführt, nämlich der Bau von Zentralheizungen und sanitären Anlagen sowie der Betrieb einer Bau- und Kunstschlosserei.  
[2] Regierungschef Josef Hoop notierte im April 1938 auf der Rückseite des Schreibens, dass die Angelegenheit nach einer vertraulichen Besprechung überholt sei.