Der Liechtensteiner Verband für Handel und Gewerbe entwirft ein Gesetz über die Aberkennung der Staatsbürgerschaft


Schreiben des Liechtensteiner Verbandes für Handel und Gewerbe an die Regierung, gez. Präsident Rudolf Jehle und die 15 Ausschussmitglieder [1]

4.4.1933, Schaan

Der Liechtensteinische Verband für Handel und Gewerbe stellt an die Regierung des Fürstentums Liechtenstein das Ersuchen, den im Folgenden ausgearbeiteten Entwurf eines Gesetztes betreffend die Aberkennung der Staatsbürgerschaft dem hohen Landtage zur parlamentarischen Erledigung zu überweisen. (Regierungsvorlage). [2]

Gesetz

vom ...

betreffend die Aberkennung der Staatsbürgerschaft.

Art.1

Solchen liechtensteinischen Staatsbürgern, die ihre liechtensteinische Staatsbürgerschaft durch Aufnahme auf Grund eines Gemeindebeschlusses erlangt haben, kann die in Liechtenstein erworbene Staatsbürgerschaft über Antrag der Fürstlichen Regierung vom Landesfürsten aberkannt werden, wenn der liechtensteinische Bürger zufolge eines innerhalb der Frist von drei Jahren seit der Aufnahme begangenen Deliktes, das nach den Gesetzen des Fürstentums Liechtenstein als ein Verbrechen anzusehen ist, im Inland oder im Ausland in Strafuntersuchung gezogen wurde.

Mit der Aberkennung der liechtensteinischen Staatsbürgerschaft werden alle Rechte und Pflichten, die durch die Aufnahme in einen liechtensteinischen Gemeindeverband entstanden sind, vom Tage der Aberkennung an aufgehoben.

Art. 2

Diese Gesetz wird als dringlich erklärt und gilt am ... in Kraft getreten.

Mit dem Vollzuge ist die Fürstliche Regierung beauftragt.

Zur Begründung des vorstehenden Entwurfes bringt der unterzeichnete Verband Folgendes vor:

Der Entwurf geht von der Tatsache aus, dass in den letzten Jahren durch gesetzwidrige Handlungen von liechtensteinischen Staatsbürgern, die sich im Fürstentum eingebürgert hatten, ohne hier auch ihren Aufenthalt zu nehmen, unserem Lande erheblicher Schaden zugefügt wurde. Abgesehen vom Schaden, der das Land in moralischer Hinsicht traf, ist der materielle Schaden nicht zu überblicken. Schon allzu oft haben ausländische Zeitungen in scharfer Form gegen Liechtenstein Stellung genommen und immer wieder hört man den Vorwurf vom Asyl der Verbrecher. Schon mehreremale entstanden ganze Pressecampagnen, die sich fühlbar zum Schaden besonders der liechtensteinischen Geschäftswelt auswirkten. Derartige für das Geschäftsleben unseres Landes so schädigende Erscheinungen sollen von uns so gut wie möglich verhindert werden.

Das Ansehen Liechtensteins muss wieder voll zurückgewonnen werden. Es darf nicht vorkommen, dass ausländische Geschäftsleute unser Land verachten und mit uns keinen Geschäftsverkehr unterhalten wollen. Fremde, die Liechtenstein besuchen wollen, dürfen nicht abgestossen werden. Es ist daher unbedingt, dafür Sorge zu tragen, dass Liechtenstein sein beeinträchtigtes Ansehen wieder voll zurückgewinnt und dazu ist nach Meinung des unterzeichneten Verbandes der vorgelegte Gesetzesentwurf ein, wenn auch kleiner, Beitrag.

Durch diese Gesetz wäre es möglich solche liechtensteinischen Staatsbürger, die durch Einbürgerung unsere Staatsbürgerschaft erlangt haben, wieder aus dem Staatsverbande zu entlassen, wenn sie wegen eines begangenen Verbrechens innerhalb der ersten drei Jahre nach Aufnahme in Strafuntersuchung gezogen wurden. Voraussetzung des Entzuges der Staatsbürgerschaft wäre natürlich, dass tatsächlich ein Verbrechen vom Betreffenden begangen wurde.

Es könnte so verhindert werden, dass sich Verbrecher nach unserem Lande flüchten und hier der verdienten Strafe entgehen. Durch den Entzug des Staatsbürgerrechtes wäre die Möglichkeit einer Auslieferung gegeben und der Delinquent hätte nicht mehr die sichere Gewähr, nicht an einen fremden Staat ausgeliefert zu werden.

Das Gesetz soll rückwirkende Kraft haben, um Leute, die sich als liechtensteinische Staatsbürger hier aufhalten, gegen die aber Strafverfahren wegen Verbrechens und Vergehens anhängig sind, endlich ausliefern und der verdienten Strafe zuführen zu können. Auch wäre die Rückwirkungsbestimmung im allgemeinen eine für die Vergangenheit zu schaffende wenigstens teilweise Sicherung.

Das Gesetz enthält keine Härte. Der Staatsbürgerschaft verlustig können nur Verbrecher gehen, aber auch nur, wenn sie das Verbrechen innerhalb der dreijährigen Frist begangen haben und zwar muss das Delikt, das sie begangen haben, nach unseren Gesetzen ein Verbrechen sein. Es hätten also die eingebürgerten quasi eine dreijährige Probezeit durchzumachen.

Im eigenen und im Interesse der ganzen liechtensteinischen Bevölkerung ersucht der unterzeichnete Verband nochmals dringend um rascheste Behandlung und aufrechte Erledigung seines Ansuchens. [3]

Mit vorzüglicher Hochachtung

f. d. Liechtensteinischen Verband für Handel und Gewerbe

Die Ausschussmitglieder: [4]

Der Präsident:

Rud. Jehle

 

 

 

______________

[1] LI LA RF 1933/53/005. Das Schreiben wurde von der Regierung am 18. April 1933 an die Finanzkommission weitergeleitet.
[2] Vgl. § 21 des Gesetzes vom 4. Jänner 1934 über den Erwerb und Verlust des Landesbürgerrechtes, LGBl. 1934 Nr. 1, wonach die Regierung einem Ausländer das ihm verliehene Landesbürgerrecht während 5 Jahren seit dessen Erwerbung anerkennen kann, wenn es sich herausstellt, daß die in diesem Gesetze für die Verleihung aufgestellten Bedingungen nicht erfüllt waren. Die Regierung kann ferner das Landesbürgerrecht jederzeit aberkennen, wenn dessen Erwerbung in betrügerischer Weise erfolgt ist. Diese Bestimmungen wurden aus dem schweizerischen Staatsbürgerrecht übernommen. Vgl. auch das deutsche Gesetz vom 14. Juli 1933 über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit, RGBl. 1933 Teil 1 Nr. 81.
[3] Die Regierung teilte dem Liechtensteinischen Verband für Handel und Gewerhe am 4. April 1933 mit, dass vorläufig jeder Einbürgerungsantrag abgewiesen werde. Sie arbeite an einem Gesetzesentwurf mit verschärften Einbürgerungsbestimmungen und sehe einstweilen von einer Beschlussfassung über den Entwurf des Verbandes ab (LI LA RF 133/53/007).    
[4] Zu den Unterschriften siehe den Scan.