Sally Isenberg weist die vom "Liechtensteiner Vaterland" gegen ihn verbreiteten Anschuldigungen zurück


Artikel im "Liechtensteiner Volksblatt" von Sally Isenberg [1]

16.6.1936

Erklärung zu den Anwürfen gegen Sally Isenberg

Herr Sally Isenberg gelangt an uns, ihm unsere Spalten zu seiner Verteidigung zu öffnen, da er nirgends Gelegenheit habe, sich ausser vor Gericht vor der Öffentlichkeit zu verteidigen. Vom Standpunkt der Gerechtigkeit aus öffnen wir deshalb hier gerne die Spalten. Es soll kein Mensch wehrlos sein!

Zu dem Stürmer-Artikel, auf den sich Herr [Carl] von Vogelsang bezieht, [2] erkläre ich Nachstehendes:

  1. Die Behauptung des Stürmers: ich hätte, bevor ich Bankdirektor war, mit Ziegenfellen gehandelt, ist eine aus der Luft gegriffene Unwahrheit, denn ich habe niemals einen solchen Handel betrieben.
  2. Die Behauptung des Stürmers: ich hätte die Bergleute an den Betrieben abgefangen, um ihnen die Franken in deutsche Mark umzuwechseln, ist ebenso unwahr wie lächerlich. Wenn diese Franken bei mir wechseln wollten, so kamen sie in mein Bankgeschäft u. wurden an den Schaltern von meinen Beamten bedient. (Ich hatte in diesem Privatbankgeschäft über 40 Beamte, in der Saarbank später über 120).
  3. Die Behauptung des Stürmers: ich sei am 15. Januar 1916 von Lyck in Ostpreussen nach dem Saargebiet verzogen, ist unwahr. Wahr ist, dass ich zu dieser Zeit nach meiner zweiten Verwundung im Weltkrieg zu dem Infanterie-Regiment Sr. Exz. General Feldmarschall [Paul] von Hindenburg Nr. 147 in Lyck zur Dienstleistung abkommandiert wurde und solange dort in Garnison stand, bis ich zum 3. Male wieder an die Front kam. Ich wohnte seit Oktober 1913, nachdem ich meine aktive Militärzeit beim Infanterie-Regiment Nr. 138 beendet hatte, in Saarbrücken und nie in Lyck. Als letzte Auszeichnung als Frontkämpfer erhielt ich im Namen des Führers und Reichskanzlers [Adolf Hitler], durch das Deutsche Generalkonsulat in Zürich, am 25. Februar 1935 das Ehrenkreuz nach hier übermacht.
  4. Die Behauptung des Stürmers: ich hätte 12 % Zinsen bezahlt und 25 % genommen, ist von A bis Z unwahr. Wahr ist, dass ich niemals in meiner Eigenschaft als Bankdirektor mit den Kunden betr. Verzinsung ihrer Einlagen persönlich verhandelt habe. Ich konnte an Zinssätzen auch gar nichts ändern, sie waren weder von mir noch von der Bank, deren Generaldirektor ich war, zu beeinflussen, denn die zu zahlenden Zinsen wurden von der Bankvereinigung des Saargebietes festgesetzt, deren Mitglied auch meine Bank war.
  5. Die Behauptung des Stürmers: ich hätte Wucherzinsgeschäfte getrieben, ist ebenfalls unwahr. Wir haben während der Inflation nur solche Zinsen genommen, die alle anderen Banken ohne Unterschied auch nahmen. Es gab zu jenen Zeiten Zinssätze, die mit den heutigen nicht vergleichbar sind. Ich erinnere mich, dass auch alle anderen Grossbanken selbst hohe Zinsen in jenen Zeiten zahlten. Auch das grosse Bankhaus Röchling in Saarbrücken hat zu diesen Sätzen Geld bei uns aufgenommen. Auch die deutsche Reichsbank hat während der Inflationszeit höhere Zinsen genommen als sonst üblich.
  6. Die Behauptung des Stürmers: ich hätte Monat um Monat hohe Summen ins Ausland verbracht, ist unwahr. Ich habe weder als Bankier noch als Bankdirektor jemals Gelder oder Geldwerte ausserhalb des Landes verbracht u. besessen; mit Ausnahme von nicht unbedeutenden Beträgen, die ich deutschen vaterländischen Vereinen im Kampf gegen den Kommunismus (die Kommunisten wollten deswegen Rache nehmen und beantragten deshalb voriges Jahr bei der Saarabstimmung, dass ich und meine Frau [Ernestine, geb. Marx] nicht abstimmen sollten, weil wir nicht Saarländer seien. Erst durch Vermittlung der Deutschen Front [3] wurde beim Abstimmungsgericht festgestellt, dass die Verdächtigung der Kommunisten auf Unwahrheit beruhte) zur Verfügung stellte oder verschämten Armen ohne Unterschied ihrer Religion durch jüdische, evangelische oder katholische Geistliche in erhöhtem Masse bedachte, wenn diese geistlichen Herren sich an mich wandten. Ich bin in d. Lage, viele viele Geistliche der drei verschiedenen Konfessionen und vaterländische Vereine (deren Mitglied ich heute noch bin) als Zeugen für meine Behauptungen zu nennen.
  7. Die Behauptung des Stürmers: ich hätte eine feudale Villa in Saarbrücken besessen u. anderes mehr, ferner wir hätten grosse Einladungen gehalten, sind Unwahrheiten und nichts als solche. Die pompöse Villa, die der Stürmer mir andichtet, war das kleinste Familienhaus in der Lessingstrasse. Ich habe solches voriges Jahr für 30'000.- Mark verkauft und zwar an den Friseur Karl Lott. – Was nun die gesellschaftlichen Einladungen anbelangten, so stelle ich fest, dass wir niemals eine derartige Einladung vollzogen haben, dazu wäre übrigens unser Haus viel zu klein gewesen.
  8. Auch die Behauptung: Ich wäre eine grosser Glücksspieler gewesen und hätte mit grossen Einsätzen gearbeitet, ist völlig aus der Luft gegriffen, denn ich habe während meines ganzen Lebens derartiges nicht getan.
  9. Die Behauptung des Stürmers, ich hätte eine eigene Fussball-Mannschaft gehabt, ist unwahr. Wahr ist, dass wie jede andere Grossbank auch unsere Bank die sportlichen Leistungen unterstützte. So hatten wir eine eigene Gesangs-Abteilung, einen Tennisclub u. auch einen Fussball-Club. Diese Fussballclubs der Banken spielten unter sich und besonders gute Sportabteilungen wurden zum Freundschaftsspiel von anderen Vereinen eingeladen. [4] Da nun die Mannschaft meiner Bank die beste Bankmannschaft im Saargebiet war, so kam eines Tages der Fussballclub Sparta DJK (Deutscher-Jung-Katholiken) [5] mit der Bitte zu mir, ich möchte doch erlauben, dass unsere Bankmannschaft mit ihrer Mannschaft ein Freundschaftsspiel halte. Selbstverständlich habe ich das nicht nur allein erlaubt, sondern ich habe sogar persönlich dem sehr interessanten und schönen Spiel, das 5:5 endete, von Anfang bis Schluss beigewohnt. Die Freude, dass es kein Sieger und Besiegter unter den beiden guten Mannschaften gab, bot Anlass zu einer photographischen Aufnahme des 22 Fussballspieler und des Führers der Sparta aus Nürnberg und meiner Wenigkeit. Dieser Aufnahme entnahm der Stürmer mein Bild und brachte es in Zerrbild als den grössten Gauner des Saargebietes.
  10. Die Behauptung: ich hätte mir ein Landhaus gekauft mit 50 Morgen Land und es gleich meiner Frau überschrieben, ist unwahr. Ebenso unwahr ist die Behauptung mit dem amerikanischen Juden, den ich dabei als Treuhänder verwandt haben soll. Wahr ist, dass meine Frau, die in die Ehe Grundbesitz mitbrachte, diesen verkaufte und sich für den Erlös einen kleinen Besitz bei Saarbrücken kaufte.
  11. Die Behauptung des Stürmers: die Saarbank hätte durch mich pleite gemacht, beweist, wie unwahr er informiert wurde. Diese Bank war eine Gründung v. drei französischen Grossbanken, von denen eine in Zahlungsschwierigkeiten kam. Da unter den drei Banken Uneinigkeit herrschte und Interessenlosigkeit an der Saar, so beschlossen sie, die Saarbank an eine deutsche Gruppe zu verkaufen. Die dann durch die Ereignisse, die hier nicht näher besprochen werden sollen, genommene Entwicklung führte zur Liquidation der Bank, nachdem ich mein Amt als erster Direktor im September 1928 freiwillig und ungezwungen niedergelegt habe.
    Die Gründe der Schwierigkeiten kamen daher, dass die Bank schon vor meinem Eintritt (Dezember 1923) in Zahlungsschwierigkeiten war. Sie hatte nur 2,5 Millionen Frs. Kapital, das auf 10 Millionen erhöht wurde. Wir nahmen dann ein gewaltiges Ausmass als Grossbank an (wir setzten jährlich über acht Milliarden um) u. gaben über 200 Millionen Kredit. Solange als diese drei Mutterbanken selbst flüssig waren, konnten wir grosse Kredite geben, denn von ihnen und von der französischen Grubenverwaltung bezogen wir - (was jeder weiss, der mit den Verhältnissen vertraut ist) – unsere Betriebsmittel. Wir hatten so viel Geld zur Verfügung, dass wir nicht nur Handel und Industrie mit Kredit speisen konnten, sondern auch anderen Banken gewaltige Beträge zur Verfügung stellten. Ja, sogar an die Kommune des Saargebietes haben wir über 30 Millionen Frs. Darlehen geben können. (Wir waren also auf Spareinleger überhaupt nicht angewiesen.) Erst als eine unserer Gründungsbanken, weil sie selbst in Schwierigkeiten kam (sie hatte später vom franz. Staat 900 Millionen zur Verfügung gestellt bekommen) innerhalb 4 Monaten von uns mehr als 60 Millionen zurückbekam, konnte unsere Kundschaft nicht so schnell zurückzahlen als dieses die Mutterbanken "gewünscht" hätten, und so entwickelten sich innere Kämpfe zwischen den Mutterbanken und mir. Sie strengten auch einen Prozess gegen mich an von 10 Millionen Frs. wegen Schadenersatz. Dieser Prozess begann im Oktober 1928 und wurde im Februar 1936 (also nach 7½ Jahren) wie folgt zu meinen Gunsten vor den Saarbrücker Gerichten beendet:
    a) Die Bank zieht den Prozess zurück.
    b) Die Bank trägt alle ihre Anwaltskosten u. einen Teil zu meinen.
    c) Die Bank zahlt alle entstandenen Gerichtskosten
     usw.
    Dieses Ergebnis wurde mir Anfang dieses Jahres von meinen Saarbrücker Anwälten in einem Telegramm von ca. 170 Worten nach Vaduz mitgeteilt. Es ist also unwahr, dass ich 40 Millionen Verluste verursacht hätte oder Schulden hinterlassen.
    Ebenso unwahr ist auch die Behauptung, ich hätte mit Gefälligkeitswechseln gearbeitet, wie es unwahr ist, dass ich geflohen sei. Mein Austritt aus der Bank geschah im September 1928, währenddessen mein Wegzug erst im April 1929 vor sich ging.
    Allerdings ging ich von Saarbrücken fort wegen Differenzen und Massnahmen, die das franz. Mitglied der Saar-Regierungs-Kommission gegen mich veranlasste und durchführte, woran ich zum Teil selbst schuld bin, denn ich hatte mich unbeliebt bei ihm gemacht, aber nicht etwa allein wegen meiner Steuer-Differenzen, sondern wohl hauptsächlich deswegen, weil ich einen franz. Redakteur aus Paris, der mich erpressen wollte, in Saarbrücken verhaften liess und der dann mit drei Monaten Gefängnis bestraft wurde.
  12. Ich komme nach wie vor nach Deutschland und lasse mich auch durch gehässige Artikel davon nicht abhalten.
    Die Behauptung des Stürmers: dass deutsche Geschäftsleute durch mich schwer geschädigt worden sind, dass der Inhaber eines Cigarren-Geschäftes aus Kummer gestorben sei, ist unwahr. Wahr ist, dass durch mich Hunderte von Gewerbetreibenden Existenzen er- und gehalten wurden und viele viele tausend Arbeiter an Brot. Ich kann mit Dutzenden von Dankbriefen die unsinnigen Behauptungen des Stürmers zu jeder Zeit widerlegen.
  13. Dass man mit Lebendigen kämpft, weiss ich, aber die Toten sollte man doch in Ruhe lassen. Mein Schwager [Benno Süsskind] hat keinen Selbstmord begangen, er erlag einem Herzschlag im August 1929 im Beisein seiner Frau [Henriette, geb. Marx] und seines Hausmädchens und des hinzugezogenen Hausarztes, und deshalb ist die Behauptung des Stürmers absolut unwahr.
  14. Auch mit meiner Frau befasst sich der Stürmer. Aber aus Gründen der Verehrung zu meiner Frau versage ich es mir, sie mit in die Debatte zu ziehen. Nur eins kann ich sagen, die Darstellungen im Stürmer sind unwahr. 
  15. Bei seiner Darbietung bezieht sich in seinen antisemitischen Betrachtungen der Stürmer auf den Talmud. Obzwar ich den Talmud nicht kenne, erkläre ich mich bereit, 1000 sFrs. für irgendeinen wohltätigen Zweck im Fürstentum Liechtenstein zur Verfügung zu stellen, wenn das, worauf sich der Stürmer bezieht, im Talmud steht, wie es der Stürmer vorträgt. Genau so unwahr wie die Gerüchte über mich, genau so sind die Begebenheiten, die er dem Talmud in die Schuhe schiebt.
  16. Tiefbewegt bedauere ich, dass ich zu dem Stürmer-Artikel Stellung nehmen musste. Ich dachte immer, dass alle Menschen vor Gott gleich seien und wir alle nur einen einzigen Gott hätten, zu dem der Evangelische, der Katholik, der Jude, oder wer es auch sonst sei, nach seiner religiösen Erziehung betet. Ich kann gegen den Stürmer mich nicht wehren als durch obige Darlegungen.
    Dass aber Herr Karl Freiherr v. Vogelsang in einem Artikel in Nr. 48 vom 10. Juni in seiner Zeitung mich so furchtbar beleidigt u. kränkt unter Bezugnahme auf den Stürmer, kann ich als Mensch und Jude mir nicht gefallen lassen. Und weil ich mich gegen diesen Herrn in keiner Beziehung wehrlos fühle, habe ich gegen ihn Strafverfahren eingeleitet. [6] Ich kann es mit meinem Gehirn nicht fassen, mit welcher Rechts- und Moralbegründung Hr. v. Vogelsang über anständige, fremde Menschen herfällt, die ihm und niemandem im Land irgendein Leid oder Unrecht zugefügt haben, hier aber ihre Abgaben zahlen. Beleidigt Herr v. Vogelsang die Menschen, die in Liechtenstein wohnen, nur deshalb, weil sie Juden sind? Will er damit bezwecken, das wir wieder von Liechtenstein weggehen? Das kann er haben. Weiss er nicht, dass die Juden, die in Liechtenstein wohnen, zu Handels- und Holdinggesellschaften Beziehungen haben – direkt und indirekt – jährlich viele hunderttausend Franken im Lande lassen?
     Was tue ich hier Unrechtes? Ich verzehre hier nur mein Geld und benehme mich in jeder Beziehung anständig und korrekt. Wenn das Herr von Vogelsang nicht glauben will, dann kann er sich ja einmal erkundigen. Er kann sich nicht alleine erkundigen darüber, sondern er kann sich auch einmal erkundigen bei den Gewerbetreibenden, Handwerkern u. Arbeitern. Er wird hören, dass das gegenseitige Einvernehmen das allerbeste ist. Er kann aber auch einmal die armen Leute aus dem Lande nach uns fragen und wird sich ein Bild machen können von unserer "Herzlosigkeit". Auch die Tochter des Herrn Bürgermeister [Josef] Marxer aus Gamprin, die bei uns ist, ist in der Lage Auskunft über uns zu geben.
  17. Ich erkläre deshalb im eigenen und im Namen eines engeren Kreises:
    "Wenn die unberechtigten antisemitischen Angriffe weiter zunehmen, wird man sich im Fürstentum Liechtenstein bald davon überzeugen können, dass die meisten Juden und Holdinggesellschaften wegziehen. Wir sind nicht gesonnen, uns noch weiters unseres jüdischen Glaubens wegen
     mit Schimpf u. Schande bedrücken zu lassen. Wir hofften, hier in Frieden und Ruhe mit unseren Familien wohnen zu können, ohne uns um die innere u. äussere Politik zu kümmern. Wir verlangen gar nichts, als dass man uns in Ruhe und ob unseres Glaubensbekenntnisses nicht leiden lässt."
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[1] L.Vo., Nr. 69, 16.6.1936, S. 2.
[2] L.Va., Nr. 48, 10.6.1936, S. 2 ("Eine andere Rotter-Affäre?").
[3] 1933 geschlossene Vereinigung der NSDAP und der meisten bürgerlichen Parteien des Saargebietes.
[4] Im Original sind die Zeilen "der Banken spielten unter sich und besonders" sowie "gute Sportabteilungen wurden zum Freund-" vertauscht.
[5] Die Abkürzung DJK steht für "Deutsche Jugendkraft - Reichsverband für Leibesübungen in katholischen Vereinen".
[6] Isenberg reichte zwei Klagen gegen Vogelsang ein (LI LA J 007/S 069/169, 172). Zu einem Prozess kam es nicht, da Vogelsang 1937 im Zuge der "Spitzelaffäre" nach Deutschland floh.