Liechtenstein wendet sich gegen die Anwendbarkeit des deutsch-schweizerischen Verrechnungsabkommens von 1935 auf den liechtensteinischen Kapital- und Zinsverkehr


Note der Regierung an das Eidgenössische Politische Departement, nicht gez. [1]

3.2.1936

Dem Eidgenössischen Politischen Departement beehrt sich die fürstliche Regierung von einem Schreiben einer hier domizilierten Aktiengesellschaft [2] mit dem höflichen Ersuchen Kenntnis zu geben, auf die darin erwähnte Angelegenheit neuerdings zurückzukommen.

"Wir gestatten uns, Ihnen folgende Anfrage zu unterbreiten: Artikel VI des deutsch-schweizerischen Verrechnungsabkommens vom 17. April 1935 (SHABL [3] 1935, S. 1104) lautet:

"Gemäss dem Zollunionsvertrag vom 29. März 1923 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein [4] findet das gegenwärtige Abkommen in gleicher Weise Anwendung auf das Gebiet des Fürstentums Liechtenstein."

Die Folge dieser Bestimmung ist, dass die im Fürstentum Liechtenstein domizilierten Holdinggesellschaften ihre Zins- und Dividendenzahlungen an deutsche Gläubiger über das Clearing leisten müssen, ohne dass sie die Möglichkeit haben, solche Zahlungen aus ihren eigenen Zinsguthaben in Deutschland oder aus anderen ausländischen Guthaben zu leisten. Das bedeutet für unsere Gesellschaft mit ihren weit verzweigten internationalen Beziehungen eine sehr grosse Erschwerung ihres Zahlungsverkehrs, mit der wir uns nicht ohne weiteres abfinden können. Es interessiert uns deshalb, ob die fürstlich-liechtensteinische Regierung sich mit der Anwendung des ganzen Clearingabkommens auf das Fürstentum Liechtenstein ausdrücklich einverstanden erklärt hat.

Der Hinweis im zitierten Artikel VI auf den Zollunionsvertrag vom 29. März 1923 ist u.E. nicht zwingend. Denn weder Art. 4 noch Art. 7 des Zollunionsvertrages [5] können auf Clearingverträge bezogen werden, die den Kapital- und Zinsenverkehr betreffen; höchstens insoweit das Clearingabkommen den Zahlungsverkehr aus dem Warenverkehr betrifft, können wir die automatische Verbindlichkeit für das Fürstentum Liechtenstein einsehen."

Die fürstliche Regierung bittet um ehestmögliche Verständigung, ob nicht eine Änderung des gegenwärtigen Zustandes herbeigeführt werden könnte. Sie benützt auch diesen Anlass, das Eidgenössische Politische Departement erneut ihrer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

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[1] LI LA RF 136/459/135. Siehe die Antwortnote des Eidgenössischen Politischen Departements an die Regierung vom 26. Februar 1936 (LI LA RF 136/459/138).
[2] Schreiben der Montana AG, Vaduz, an die Regierung vom 14. Jänner 1936 (LI LA RF 136/459/133).
[3] SHABL: Schweizerisches Handelsamtsblatt.  
[4] Vertrag vom 29. März 1923 zwischen der Schweiz und Liechtenstein über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet, LGBl. 1923 Nr. 24.
[5] Art. 4 des Zollanschlussvertrages behandelt die in Liechtenstein anwendbare schweizerische Bundesgesetzgebung; Art. 7 sieht vor, dass die mit Drittstaaten abgeschlossenen Handels- und Zollverträge der Schweiz in gleicher Weise in Liechtenstein Anwendung finden.