Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck (3)


Beitrag in den „Oberrheinischen Nachrichten", verfasst von Wilhelm Beck [1]

19.6.1920

Verfassungs-Entwurf des Fürstentums Liechtenstein

(Fortsetzung)

V. Hauptstück. 

Vom Landtage.

Art. 35. Der Landtag ist das verfassungsmässige Organ der Gesamtheit der Landesangehörigen und hat die Interessen des Landes und Volkes nach den Bestimmungen dieser Verfassung wahrzunehmen.

Die auf ergangene gesetzliche Einberufung erfolgte Versammlung der Abgeordneten bildet das verfassungsmässige Organ des Landtages.

Art. 36. Der Landtag zählt 20 Mitglieder.

Drei Mitglieder werden auf Vorschlag des Regierungskollegiums aus der wahlfähigen Bevölkerung des Fürstentums unter Berücksichtigung der beiden Landschaften und der Minderheiten vom Landesfürsten ernannt. [2]

Das Oberland als Wahlbezirk wählt 10 Abgeordnete und 3 Ersatzmänner, das Unterland 7 Abgeordnete und 2 Ersatzmänner.

Art. 37. Die Wahlperiode (Amtsdauer) des Landtages beträgt 4 Jahre.

Wiederwahl, bezw. Wiederernennung eines ausgetretenen Abgeordneten ist zulässig.

Wenn ein vom Fürsten ernannter Abgeordneter mit Tod abgeht, die Wahlfähigkeit verliert oder dauernd verhindert ist, den Sitzungen beizuwohnen, so erfolgt auf Vorschlag der Regierung durch den Fürsten die Ernennung eines neuen Landtagsmitgliedes. [3]

Das Wahlgesetz trifft auf Grundlage der Verfassungsbestimmungen die näheren Ausführungen.

Art. 38. Der Landesfürst beruft durch die Regierung den Landtag ein, schliesst ihn und hat das Recht, ihn auf zwei Monate zu vertagen oder aufzulösen.

Die Einberufung des Landtages hat auf Vorschlag von wenigstens fünf Abgeordneten oder von 400 Bürgern, deren Wahlfähigkeit durch die zuständige Ortsvorstehung bestätigt wird, innert einem Monat zu erfolgen, wenn sie in einer begründeten Eingabe an die Regierung verlangt wird.

Art. 39. Die Einberufung des Landtages hat am Anfang eines jeden Jahres durch eine landesfürstliche Verordnung unter Bezeichnung des Tages, der Stunde und des Ortes der Versammlung zu geschehen. Während des Jahres aber hat die Regierung den Landtag nach Bedarf, mindestens aber zu einer Frühlings- und Herbstsaison einzuberufen.

Nach erfolgter Auflösung des Landtages muss binnen einem Monat die Neuwahl angeordnet werden und es sind die gewählten Abgeordneten binnen zwei Monaten einzuberufen.

Nach Ablauf der Vertagungsfrist ist der Landtag binnen 14 Tagen einzuberufen.

Art. 40. Bei eingetretenem Wechsel in der Person des Landesfürsten ist der Landtag innerhalb 30 Tagen einzuberufen.

Ist die Auflösung vorhergegangen, so sind die Wahlen so zu beschleunigen, dass die Einberufung auf den 60. Tag nach eingetretenem Wechsel erfolgen kann.

Art. 41. Alle dem Landtage zukommenden Rechte können nur in der gesetzlich konstituierenden [!] Versammlung ausgeübt werden.

Der Landtag wählt nach gesetzmässiger Einberufung in der ersten Sitzung eines jeden Jahres unter der Leitung des Alterspräsidenten für das laufende Jahr und die Leitung seiner Geschäfte aus den vom Volke gewählten Abgeordneten den Landtagspräsidenten und seinen Stellvertreter mit absolutem Mehr.

Das jüngste Landtagsmitglied versieht bei der konstituierenden Sitzung die Stelle eines Schriftführers.

Mit relativem Mehr wählt er zwei Schriftführer zur Überwachung und Prüfung der von einem Angestellten der Regierungskanzlei verfassten Protokolle; in gleicher Weise werden Landtagskommissionen aus dem Landtage oder der Bevölkerung gewählt.

Art. 42. Die Abgeordneten haben auf die ergangene Einberufung persönlich am Sitze der Regierung zu erscheinen.

Im Falle gesetzlicher Verhinderung hat das betreffende Mitglied die Anzeige an die Regierung rechtzeitig zu erstatten.

Ist das Erscheinungshindernis bleibend, so muss ein Stellvertreter einberufen werden.

Art. 43. Der Landtag wird vom Landesfürsten in eigener Person oder durch ein bevollmächtigtes Regierungsmitglied in angemessener Feierlichkeit eröffnet.

Die neugewählten Mitglieder legitimieren sich durch ihre Wahlurkunden und legen dem Vorsitzenden folgenden Eid ab:

„Ich gelobe, die Staatsverfassung und die bestehenden Gesetze zu halten und in dem Landtage das Wohl des Vaterlandes ohne Nebenrücksichten nach meiner eigenen Überzeugung zu beobachten. So wahr mir Gott helfe". [4]

Die erst nach der Eröffnung eintretenden Mitglieder haben nach ihrem Eintritt den Eid abzulegen.

Der Landtag wird vom Landesfürsten in eigener Person oder durch ein Regierungsmitglied geschlossen. [5]

Art. 44. Kein Mitglied des Landtages darf während der Dauer der Landtagssitzungen ohne Einwilligung des Landtages verhaftet werden, den Fall der Ergreifung auf frischer Tat ausgenommen.

In letzterem Falle ist dem Landtage mit Angabe des Grundes von der geschehenen Verhaftung unverzüglich Kenntnis zu geben und er hat über die Aufrechterhaltung der Haft zu entscheiden. [6]

Wird ein Landtagsmitglied die letzten sechs Wochen vor der Eröffnung des Landtages in Haft genommen, so ist dem Landesausschusse mit Angabe des Grundes ungesäumt Kenntnis zu geben. [7]

Die Mitglieder des Landtages stimmen einzig nach ihrem Eide und ihrer Überzeugung, und sie sind für ihre in den Sitzungen des Landtages oder seiner Kommissionen geäusserten Ansichten und Behauptungen nur dem Landtage verantwortlich und dürfen hiefür nicht gerichtlich belangt werden.

Art. 45. Zur Giltigkeit der Landtagsverhandlungen ist die Anwesenheit von wenigstens zwei Dritteln der Mitglieder erforderlich und giltige Beschlüsse können mit relativem Mehr gefasst werden, soferne diese Verfassung nicht etwas anderes bestimmt.

Bei Stimmengleichheit entscheidet nach dreimaliger Abstimmung der Vorsitzende.

Art. 46. Der Landtag entscheidet über die Giltigkeit der Wahlen seiner Mitglieder.

Die Sitzungen sind in der Regel öffentlich; ausnahmsweise können auf Beschluss geheime Sitzungen abgehalten werden.

Mitglieder der Regierung wohnen, wenn sie nicht zugleich Abgeordnete sind, den Landtagssitzungen mit beratender Stimme bei.

Der Landtag gibt sich unter Rücksicht auf die Bestimmungen dieser Verfassung für die Behandlung der Gegenstände die Geschäftsordnung selbst.

Art. 47. Die Abgeordneten erhalten für ihre Teilnahme in Landtags- u. Kommissionssitzungen die durch das Gesetz bestimmten Taggelder. [8]

Art. 48. Die Wirksamkeit des Landtages hat sich vorzugsweise auf folgende Gegenstände zu erstrecken:

a) Die verfassungsmässige Mitwirkung bei der Gesetzgebung;

b) die Abschliessung von Verträgen mit fremden Staaten und kirchlichen Behörden;

c ) die Bestimmung des jährlichen Voranschlages und auf die Bewilligung von Steuern und anderen öffentlichen Abgaben;

d) die Beschlussfassung über Kredite, Bürgschaften und Anleihen im Namen des Landes, und über Verkauf von Staatsgütern;

e) die Beschlussfassung über den jährlich von der Regierung über die gesamte Staatsverwaltung zu erstattenden Rechenschaftsbericht;

f) das Recht der Anträge und Beschwerden bezüglich der Staatsverwaltung überhaupt, sowie auf einzelne Zweige; endlich auf das Recht des Antrages auf Anklage wegen Verfassungs- und Gesetzesverletzung der verantwortlichen Staatsdiener vor dem Staatsgerichtshof. [9]

Der Landtag wirkt ferner bei Errichtung oder Aufhebung öffentlicher Anstellungen, die nicht durch Verfassung oder Gesetze vorgesehen sind, mit und nimmt die ihm obliegenden Wahlen vor.

Art. 49. Der Landtag hat die Befugnis behufs Information, Kommissionen zur Untersuchung von Tatsachen zu bestellen.

Dem Landtag steht ein auf das ganze Gebiet der Verwaltung sich ersteckendes Kontrollrecht zu und er kann zur Ausübung dieses Rechtes Untersuchungskommissionen bestellen und ausserdem Petitionen oder Beschwerden an den Landesfürsten richten.

Die Landtagsmitglieder sind befugt, die Regierungsvertreter zu interpellieren und letztere haben zu antworten.

Der Landtag kann gegen die Regierung Resolutionen fassen oder an den Landesfürsten Adressen richten.

Art. 50. Das Vorschlagsrecht (Initiative) steht dem Landtage und dem Landesfürsten zu. [10]

Ebenso können vierhundert Bürger, deren Wahlfähigkeit durch die zuständigen Ortsvorstehungen ihres Wohnsitzes bestätigt ist, einen Gesetzesvorschlag im Landtage einbringen und es muss diese Initiative im nächsten Landtage behandelt werden.

Die Gesetzgebung kann hierüber nähere Vorschriften aufstellen.

Art. 51. Ohne Bewilligung des Landtages darf keine direkte oder indirekte Steuer, noch irgend eine sonstige Landesabgabe oder allgemeine Leistung, welchen Namen sie haben möge, ausgeschrieben oder erhoben werden.

Die erteilte Bewilligung ist beim Steuerausschreiben ausdrücklich zu erlassen. [11]

Auch die Art der Umlage und Verteilung aller öffentlichen Abgaben und Leistungen auf Personen und Gegenstände, sowie die Erhebungsweise erfordern die Zustimmung des Landtages.

Die Steuern- und Abgabenbewilligung erfolgt für ein Verwaltungsjahr.

Art. 52. Hinsichtlich der Landesfinanzverwaltung ist dem Landtage im Herbste für das nächstfolgende Verwaltungsjahr ein Voranschlag über sämtliche Einnahmen und Ausgaben mit möglichster Vollständigkeit zur Prüfung vorzulegen, womit der Antrag auf die zu erhebenden Leistungen zu verbinden ist.

Für das abgelaufene Finanzjahr ist ihm in jedem Frühjahr eine gedruckte Rechnung nebst Bericht über die nach Massgabe des Voranschlages geschehene Verwendung der bewilligten und erhobenen Ausgaben, bezw. Einnahmen von der Regierung mitzuteilen, vorbehaltlich der nachträglichen Genehmigung der gerechtfertigten und der Verantwortlichkeit der Regierung bei nicht gerechtfertigten Überschreitungen. [12]

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[1] O.N., Nr. 49, 19.6.1920, S. 1 ("Verfassungs-Entwurf des Fürstentums Liechtenstein"). Die Teile 1 und 2 des Entwurfes wurden abgedruckt in: O.N., Nr. 47, 12.6.1920, S. 1; O.N., Nr. 48, 16.6.1920, S. 1. Die Teile 4-6 des Entwurfes folgten in: O.N., Nr. 50, 23.6.1920, S. 1-2; O.N., Nr. 51, 26.6.1920, S. 1; O.N., Nr. 52, 30.6.1920, S. 2.
[2] Vgl. § 55 Satz 2 der liechtensteinischen Verfassung vom 26.9.1862.
[3] Vgl. § 100 Verfassung 1862.
[4] Vgl. § 103 Abs. 2 Satz 1 Verfassung 1862.
[5] Vgl. § 105 Verfassung 1862.
[6] Vgl. § 107 Verfassung 1862.
[7] Vgl. § 108 Verfassung 1862.
[8] Vgl. § 109 Verfassung 1862.
[9] Vgl. § 40 Verfassung 1862.
[10] Vgl. § 41 Satz 1 Verfassung 1862.
[11] Vgl. § 43 Abs. 1 Verfassung 1862. Art. 51 Abs. 2 des Entwurfes muss richtigerweise wohl heissen: „ Die erteilte Bewilligung ist beim Steuerausschreiben ausdrücklich zu erwähnen."
[12] Vgl. § 45 Verfassung 1862.