In Triesenberg werden drei Amerika-Auswanderer von der Gemeindevertretung und der Harmoniemusik feierlich verabschiedet


Bericht in den "Liechtensteiner Nachrichten", nicht gez. [1]

2.6.1927

Triesenberg

(Einges.) Letzten Mittwoch Abend fand zu Ehren unserer drei nach Amerika auswandernden Mitbürger [2] im Gasthaus Samina eine kleine Abschiedsfeier statt. Dazu hatte sich eine grosse Schar von Verwandten, Freunden und Bekannten eingefunden. Auch unsere allzeit rührige und dienstbereite Harmonie-Musik war auf dem Plan erschienen. Ihr vor allem ist es zu verdanken, dass das kleine Fest in so schöner Weise verlief. Wir konnten mit grosser Freude konstatieren, dass unsere Musiker auf dem Wege eines bedeutenden Fortschrittes begriffen sind. Schwere Stücke von Wagner, Verdi usw., die eine bedeutende Technik voraussetzen, wurden unter der taktsichern Leitung des Herrn Ortsvorstehers [Alois] Schädler meisterhaft vorgetragen. Hier ist unbedingt bedeutend gearbeitet worden; aber der Erfolg ist nicht ausgeblieben und der Schreibende betrachtet es als ein gutes Omen auf das kommende Musikfest in Vaduz. Wir alle Freunde einer guten Musik wünschen Euch deshalb ein „Glück auf" mit auf den Weg.

Im übrigen verlief die kleine Abschiedsfeier in sehr gehobener und würdevoller Stimmung, wie sie dem Ernst der Stunde angepasst war. Alle sind wohl unter dem Eindrucke der herben Abschiedsstunde gestanden, aber wir alle, die wir Euch nahe stehen, rufen Euch zu: Auf Wiedersehen! Am Schlusse der musikalischen Darbietungen hielt dann Herr Geometer Joh. Schädler noch eine kurze rührende Ansprache, die wir auf speziellen Wunsch einiger Teilnehmer hier wörtlich zum Abdrucke bringen:

"Meine lieben jungen Freunde!

Ihr seid im Begriffe, einen grossen Schritt zu wagen. Ihr verlasset Euer Vaterland, Eure Heimat, Eure Angehörigen, Eure Freunde und Bekannten.

Ihr verlasst unsere Berge, unsere Alpen und Triften, auf denen Ihr eine schöne und glückliche Jugendzeit verlebtet. So lebt denn wohl ihr Berge, ihr Alpen, ihr traulich stillen Täler!

Ihr tut dies alles, um drüben im fernen Amerika einem ungewissen Schicksal entgegen zu gehen. Aber ist dieses Schicksal denn so ungewiss? Ich sage nein; im Gegenteil! Was steht einem jungen Manne hierzulande bevor? Warum wohl sind die amerikanischen Konsulate in allen Staaten förmlich umlagert? Warum z. B. können die Schweizer bis zum Jahre 1928 kaum mehr ein Visum nach Amerika erhalten? Warum lassen sich die Italiener in den Kohlenräumen der Schiffe nach Amerika hinüberschmuggeln?

Diese Fragen sind leicht zu beantworten. Hier in Europa wird ein Wirtschaftskampf ohne gleichen ausgefochten. Nie in der Geschichte war eine so beispiellose wirtschaftliche Depression zu verzeichnen, nie war die Arbeitslosigkeit so riesengross. Und das Traurige dabei ist, dass auf Jahre hinaus keine Aussichten auf Besserung vorhanden sind. Infolgedessen ist es für einen jungen Mann kaum mehr möglich, hier auf einen grünen Zweig zu kommen. Und warum arbeiten wir denn eigentlich? Hat nicht jeder Mensch das Recht zu leben und es vorwärts zu bringen, damit er einstens im Alter in Ruhe seine Tage beschliessen kann, als Frucht seiner Arbeit und seiner ausgestreuten Saat. Und was wartet Euch drüben im Lande der unbegrenzten Möglichkeiten? Nun, soviel ist sicher, Ihr werdet sofort Arbeit finden und was die Hauptsache ist — gut bezahlte Arbeit. Drüben werden ganz andere Löhne bezahlt als hier. Freilich müsst Ihr vielleicht manches entbehren z. B. den Alkohol; aber das ist kein Unglück. Kleine Schwierigkeiten, die sich Euch etwa entgegenstellen werden z. B. das Erlernen der Sprache, die Gewöhnung an die klimatischen Verhältnisse usw. werdet Ihr mit Eurem jugendlichen Optimismus leicht überwinden. Also, nur mutig vorwärts, meine lieben jungen Freunde; dem Mutigen gehört die Welt und auch das Leben. Vergesset nie: Und setzest Du nicht das Leben ein, nie wird Dir das Leben gewonnen sein!

Und drüben findet Ihr auch Bürger unseres Landes und unserer Gemeinde. Sie werden Euch sicher in der ersten Zeit mit Rat und Tat an die Hand gehen. Im Namen aller hier Anwesenden bitte ich Euch, ihnen allen unsere herzlichsten Grüsse zu übermitteln.

So naht nun bald die Scheidestunde. Lasset keine Träne fliessen! Wir alle werden Euch mit unsern Wünschen begleiten. Also reiset mit Gott und unter dem Schutze der Maienkönigin!

Und zum Schlusse rufe ich Euch zu: Wenn Freunde voneinander gehen, so sagen sie: Auf Wiedersehen!"

______________

[1] L.N., Nr. 47, 2.6.1927, S. 1.
[2] Franz Josef Beck (1902-1964), Gottlieb Beck (1901-1989) und Eugen Gassner (1895-1978). Gottlieb Beck kehrte 1949 zurück, Eugen Gassner 1932.