Martina Gstöhl an ihre Schwester Balbina Gstöhl über ihren Wunsch nach Rückkehr aus Amerika, den Dollarkurs, die Elektrifizierung der Eisenbahn, die Modernisierung Österreichs, die Inflation in Deutschland, den Besuch der Liechtensteiner auf dem Feldkircher Markt, die Stellung Liechtensteins zwischen Österreich und der Schweiz sowie das Aufkommen motorisierter Landmaschinen


Handschriftliches Originalschreiben der Martina Hartmann [-Gstöhl], Ludesch (Vorarlberg), an ihre Schwester Balbina (Marie Balbina Öhri [-Gstöhl]), Spencer (Nebraska) [1]

29.11.1923, Ludesch (Vorarlberg)

Werthe Schwester u. Famielie! [2]

Schon lange, sehr lange ist es
her, seit dem wir von Euch etwas
gehört haben. Wie geht es bei
euch, seid ihr alle gesund, wie
hats Ulrich [Öhri] mit dem Reumat-
tismus, wie geht es Dir mit
dem Gesicht bist Du jetzt wieder
hergestellt. Wie geht es den
Kindern, Deinen Söhnen [Edward, Frank, Joseph] u.
der Tochter [Beatrice], hat sie bald fertig
studiert, kommt sie bald nach
Österreich als Lehrerin. O wie
würde uns das freuen, macht [3]
diesen Spass [4] u. kommt alle
miteinander nach Österreich.
Wir erwarteten euch, wenig-
stens jemand von euch den
ganzen Sommer. Immer stand
in den Zeitungen wie viele
immer von Amerika nach Deutsch-
land reissen, immer glaubten
wir euch, auch dabei, aber immer
war es Täuschung. Ihr könnt
hier auch etwas anfangen, ein
Handelsgeschäft irgendwo, oder
eine Wirtschaft, od auch eine
Bauerschaft. Letzt hin wurde
hier das Bahnhofrestaurant [5]
verkauft, ist noch zimlich viel
Boden dabei um 1 ½ Milliarde
Ein Dollar ist 70‘000 Kronen
Es giebt hier jetzt anstatt der
Staadsbahn, eine Elektrische
Bundesbahn, sie ist schon bald
fertig, man sagt schon
der Tram, von einem Dorf
in das andere. Kommt nur
hier, ihr seht ja, dass es hier
auch noch modern wird. Wenn
man etwas Geld u. Schneid
hat, kann man hier Geld ver-
dienen, ohne Tag u. Nacht zu
rakern, nur der Taglöhner [6]
u. der Fabrikarbeiter die haben
nichts. Ihr würdet gewiss aus
der Farm so viel bekommen, dass
ihr hier ein gut gehendes Geschäft
anfangen od. kaufen könnt.
Wen ihr hier wäret in der Nähe
könnte man auch hie u da etwas
helfen, wenn ihr zuviel Arbeit
hättet. In Deutschland ist es sehr
bedenklich gegenwärtig, diese
müssen immer mit Millionen,
Milliarden, Billionen rechnen
Hier in Österreich ist es wieder
besser geworden, wenigstens
für solche die etwas besitzen,
u. etwas umtreiben können
diese können auch verdienen.
Darum wagt es u. kommt zu uns
nach Österreich. [7]
Ich hatte Dir vieles zu erzählen,
wenn man ja nicht grad am
gleichen Orte wäre, aber doch
könnte man hie u. da zusammen
kommen u. reden über alles.
Mann [Johann Josef Hartmann] u. Tochter [Katharina] gehen wahr-
scheinlich nächste Zeit nach
Eschen, sind schon viele Jahre
nicht mehr dort gewesen.
Werde Dir dann schreiben, wenn
sie [8] recht viel neues bringen,
was sich alles zugetragen.
Wir wissen gar nichts von
dort, nach Feldkirch komme ich
auch nicht, sonst dort würde man [9]
hie u. da noch etwas hören
können von Lichtenstein,
weil sie wieder auf den
Markt kommen dort hin.
Sie habens auch nicht mehr
ganz gut, sie gehören nicht
mehr nach Österreich u. mit
der Schweiz gehts auch nicht, u.
ohne Handel u. Verkehr ist für
Bauern auch nichts.

Hier haben die Bauern
auch Maschien zum Boden
bearbeiten, unser Hausherr
hat schon ein Motor zu den
Maschinen. [10]

Letzt hin hat bei uns einer
gesagt, Österreich sei der beste
Staad in Europa gegenwärtig,
er habe sich sehr heraus gearbeitet.
Ich glaube schon man zieht den
Fabrikarbeiter genug ab, nur
der wo Alles kaufen muss, nur
der muss herhalten. Wenn man
aber ein Geschäft hat seis Land-
wirtschaft od. sonst ein Handel der
kann Geld verdienen. Unser Haus-
herr hat nach dem Kriege nichts
gehabt als das Haus von daheim
u. Boden aber mit Schulden,
keine Kuh u. nichts, jetzt hat er [11]
4 Küh u. Kleinvieh auch noch, hatte
aber damals blos Boden für eine
Kuh winterung u. jetzt so grossartig
Denn das bei uns viel in dieser
Zeit, das wisst ihr auch u. dann
noch bei solchen Verhältnissen.
Kommt also zu uns noch Österreich,
dann könnte man auch noch hie u. da
zusammen kommen, ihr könnt gewiss
hier auch leben. Das andere mündlich.

Wünschen euch viel Glük zum
neuen Jahr. Der lb Herrgott
möge euch noch recht viele Jahre
gesund u. wohl erhalten, u. möge
euch Allen recht bald eingeben,
zu uns hieher zu kommen. Nochmals
viel Glük u. die herzlichsten Grüsse
von uns Allen besonders von
Deine Schwester Auf Wiedersehn

______________

[1] LI LA PA 016/3/11/14.
[2] In lateinischer Schrift.
[3] Seitenwechsel.
[4] Ursprüngliche Fassung: „Spaẞ“. Das Eszett wird im Folgenden zu „ss“ umgewandelt.
[5] Seitenwechsel.
[6] Seitenwechsel.
[7] Seitenwechsel.
[8] Durchstreichung.
[9] Seitenwechsel.
[10] Seitenwechsel.
[11] Seitenwechsel.