Martina Gstöhl an ihre Schwester Balbina Gstöhl über die zwischenmenschliche Verrohung als Folge des Ersten Weltkrieges, über Eheschliessungen und Todesfälle in Eschen, die wirtschaftliche Lage, die Lebensmittelpreise sowie den Wunsch nach Rückkehr der Schwester aus Amerika


Handschriftliches Originalschreiben (Fragment) der Martina Hartmann [-Gstöhl], Ludesch (Vorarlberg), an ihre Schwester Balbina (Marie Balbina Öhri [-Gstöhl]), Spencer (Nebraska) [1]

o.D. (um 1919), o.O. (Ludesch (Vorarlberg))

(…) [2]

welchen ich im Mai geschrieben,
u. von euch Antwort erhalten habe,
folgedessen [3] müsst‘ ihr die 2 ersteren
Briefe nicht erhalten haben. Ich
wusst auch nicht von wem ich das
Geld erhalten, denn es war gar nichts
angeführt. Ich musste nur annehmen,
dass es von euch komme, wer würde
mir sonst Geld gesendet haben zu
dieser Zeit.

Hier sind die Leute seid dem
Kriege gar nicht mehr wie vor, beten
thun sie noch waker, aber einander
hinterlisten u. betrügen u. betrügen
wo sie nur können. Gegenwärtig
ist es gewiss schwer hier ein Fortkommen
zu schaffen, wenn man nichts eigenes
hat u. alles kaufen muss. Von [4]
Lichtenstein kann ich Dir nicht gar
viel berichten, den ich war seid dem
Frühjahr nicht mehr draussen.
Von der Klara eine Tochter hat ge-
heiratet, hat sie mir eben geschrieben
mit (Theiesles) die andern 2 Kinder
wo sie noch hat ein starker Bua u.
a Mädle die sind nichts zum Arbeiten
denn sie haben so den Nervenschuk.
Klara muss Alles selbst schaffen,
es ist wirklich eine arme Haut, das
ist das gute für sie, sie hat überall
Hilfe. Gstöhls sind alle auseinander
der Adolf [Adolf Gstöhl] ist auf der Wirtschaft hat ein
Sohn u. 4 Töchter, Cila [Cäcilia Schächle [-Gstöhl]] hat der Schächle [Wilhelm Schächle]
aufm Struba hat 1 Sohn [Emil Anton August] u. eine Tochter [Elwina Helena]
gehen beide in die Schule, 1 [Johann Adolf] ist letztes
Jahr geboren u. mit einem halben [5]
Jahre gestorben, Sefa [Maria Josefa Speckli [-Gstöhl]] ist in Tisis
verheiratet, ich weisst nicht hat sie
3 od 4 Kinder, Karlina [Maria Karolina Schweigkofler [-Gstöhl]] ist in Feldkirch
die hat ein Sohn auch schon im Krieg
ghabt, hat auch noch eine Tochter
ob noch mehr weiss ich nicht, Sepp [Josef Cyrill Gstöhl]  ist
in Eschen hat auch etwa 5 od 6 Kinder,
der Hans [Johann Paul Gstöhl] wird auch bald 2 Jahre
verheiratet sein, Klara schreibt
mir auch dass er einen Sohn habe.
Brendles Kathrile hat 4 Kinder.
Sepplunzis Ferdinand [Lukas Ferdinand Kranz] ist auch gestorben
im Februar ano 17. Martina [Maria Martina Matt [-Kranz]] hat
geheiratet, vom Teli Albert [Albert Matt] in
Mauren einen Sohn [Oskar Emil Matt], sie haben
auch schon einen Sohn [Emil Matt]. Vom Schächle
Bernhard [Bernhard Schächle] der Engelbert [Josef Engelbert Schächle] ist auch schon [6]
verheiratet mit einer Tochter [Maria Bertha Schächle [-Batliner]] vom
Kapfbur [Franz Josef Batliner] u. Sepmarxers Angelina [Maria Angelina Batliner [-Marxer]].
Vom Dominie ist ein erwachsener
Sohn gestorben, vom Josepa Seple
auch, dort waren letztes Jahr alle
schwer krank an der Grippe. Von
Nazitonis Senz der jüngere Bua ist
auch verheiratet hat schon 5-6 od 7 Kinder
ich weiss nicht mal recht wieviel.
Vielleicht bis nächstemal weiss ich mehr
von Lichtenstein zu schreiben.
Wir könnten die Schinken, welche Du
schreibst schon brauchen u. das Fett
auch, den wir haben so keins u. zum
kaufen ist es für uns fast zu theuer,
auch die Hühner könnten wir brauchen,
aber nicht zum schlachten, sondern
zum Eier legen, hier kostet Stük 3 Kronen [7]
Ich kaufe zwar keine, kannst Dir denken
aber die, welche verkaufen, sagen es.
Wir wollen hoffen, dass es bald besser
kommt, sonst gehts solchen, welche nichts
eigenes haben noch schlecht, denn mit
diesem Lohn kann man doch nicht alles
so theuer einkaufen, u. man würde
gewiess alles brauchen, was man auf
Karten bekommt. Bin neugierig wie
es kommt, was es für Krach absetzt
wenn das Mehl 12 Kr. die einen sagen
gar 20 Kr. kostet. 5 Kr. kostet es schon
lange her das Kochmehl. Reis 20 Kr. Kilo.
Jetzt wollen wir schliessen mit diesem
u. wollen hoffen es komme doch wieder
besser.

Schreibe mir einmal von Euch ob
ihr od ob Deine Söhne [Edward, Frank, Joseph] u. Deine [8]
Tochter [Beatrice] auch Deutsch schreiben,
lesen u. sprechen könnt. Wären
selbe nicht Willens hieher zu kommen
wenigstens nach Deutschland u. hier
bleiben, das würde uns schon sehr
freuen, könnten hier auch farmen wie
in Amerika. Wir wären dann doch näher
beisamen u. könnten doch hie u. da
plaudern mitsamen. Auch möchten
wir eure Kinder kennen lernen,
pakt alles zusamen u. kommt alle
mit einander, o das wäre was.
Berichtet daher recht bald wann ihr kommt,
wann wir euch erwarten können
Wir wünschen Euch viel Glük u. Segen
nebst vielen tausend dankbaren Grüssen
von uns Allen u. hoffen baldige Antwort.
Nochmals viele Grüsse u. ein herzliches
lebe wohl aufs Wiedersehn Deine

Schwester Martina.

______________

[1] LI LA PA 016/3/11/20. Brief in Kurrentschrift.
[2] Der vordere Teil des Briefes fehlt.
[3] Ursprüngliche Fassung: „folgedeẞen“. Das Eszett wird im Folgenden zu „ss“ umgewandelt.
[4] Seitenwechsel.
[5] Seitenwechsel.
[6] Seitenwechsel.
[7] Seitenwechsel.
[8] Seitenwechsel.