Schulgesetz


[Schulgesetz][1]
vom 5. Oktober 1827

Wir Johann Joseph souverainer Fürst von und zu Liechtenstein etc. etc. etc.

In der Uiberzeugung, dass innere Geisteskultur und Vervollkommnung des Menschen überhaupt eine der wichtigsten Angelegenheiten des menschlichen Geschlechts sey und auf die Wohlfahrt der Menschen einen wesentlichen und sehr günstigen Einfluss habe, und in der weiteren Erwägung, dass die Mittel zu dieser Vervollkommnung, insoferne sie in dem Vermögen anderer Menschen liegen, nur Erziehung und zwekmässiger Unterricht seyn können, haben Wir aus väterlicher Fürsorge für das Wohl Unserer Unterthanen bei dem bisherigen Mangel eines vollständigen Gesetzes in Schulsachen zur künftigen Richtschnur in Beziehung auf die Vervollkommnung des Unterrichts der Schuljugend mit Berüksichtigung der Zeitumstände nachstehendes zu verordnen befunden.

§ 1
Arten der Schulen

Da das Fürstenthum Liechtenstein zum grösten Theile von einer solchen Menschenklasse bewohnt wird, welche ihren Unterhalt beinahe blos durch Anstrengung ihrer phisischen Kräfte erwerben, so wollen Wir, dass der Unterricht der Jugend den Bedürfnissen Unserer Unterthanen angemessen seyn solle, und befehlen in dieser Rüksicht, dass es wie bisher auch für die Zukunft bei den Trivial- oder Dorfschulen verbleiben möge.

§ 2
Lehrgegenstände

Damit aber der Schulunterricht bei gleichen Verhältnissen auch gleichförmig und zwekmässig sey, ist in allen Schulen Unseres Fürstenthumes dahin zu arbeiten, dass den Kindern die geoffenbarte Religion Jesu Christi gut und herzeindringlich gelehrt werde und dass sie über die Dinge, mit welchen sie umgehen, und über die Verhältnisse, in denen sie sich befinden, die richtigen Anweisungen bekommen. Lesen, Schreiben und Rechnen sind nebst der Religionslehre die einzigen eigentlichen Gegenstände deren sie als Mittel zu ihren Zweken bedürfen und in dieser Rüksicht werden als Schullehrgegenstände bestimmt.

a.) Die geoffenbarte Religion Jesu Christi, verbunden mit der christlichen Sittenlehre, welche Gegenstände nach dem Leitfaden des in den oestreichschen Erblanden vorgeschriebenen kleineren Katechismus und zwar soviel möglich, wenigstens in ein und der nämlichen Schule, nach einer und der nämlichen Auflage und nach Schmids kurzem Auszuge der Religionsgeschichte, dann Jais Sittenlehrbüchel, vorgetragen werden sollen.

b.) Vorläufig das Buchstaben kennen, das Buchstabiren nach dem gewöhnlichen Namenbüchel, sodann das fertige Lesen der gedrukten und geschriebenen Schriften, wobey die im vorigen § genannten Werke gebraucht werden können.

c.) Das Schön- und Rechtschreiben, insoferne dass die Jugend eine gewisse Fertigkeit sich bei nothwendigen Anlässen schriftlich, und zwar fehlerfrey, auszudrüken erlanget, wobei die Sprachlehre, und zwar eine für alle Lehrer gleichförmige, nur über die nothwendigsten Vorschriften zu benützen ist und wozu auch noch die praktische Anweisung, einige Aufsätze zu machen, hinzu kommen darf.

d.) Die Rechnungskunde nach den gewöhnlichen vier Spezies und der Regula de tri, wobei jedoch alle Rechnungen mit übertriebenen ungewöhnlichen Zahlenreihen zu vermeiden und so viel möglich das sogenannte Kopfrechnen geläufig zu machen ist.

§ 3

Diese vorbenannten Lehrgegenstände müssen überall von dem dienstfähigen Schullehrer selbst vorgetragen werden und derselbe hat bei der Methode seines Unterrichtes auf die Natur der Kinder und auf ihr Fassungsvermögen Rüksicht zu nehmen und die in dieser Hinsicht erhaltenen Anweisungen der Lokalgeistlichkeit, auf deren thätige Mitwürkung gerechnet wird, zu befolgen. Einen Gehülfen darf sich der Schulleher nur nach einer vorläufig bei Unserem Oberamte eingeholter Bewilligung und nachdem der Gehalt für ihn ausgemittelt sein wird, halten.

§ 4
Eintheilung der Schuljugend

Die Schuljugend ist in zwey Klassen zu theilen und sind in der ersten die Anfangsgründe von allen gedachten Lehrgegenstände[n] nach Beschaffenheit der Kinder und in der zweiten Klasse das vollständige Lesen, Schreiben und Rechnen zu lehren, übrigens bleibt die wochentliche Eintheilung der Lehrgegenstände dem Ortsseelsorger gemeinschaftlich mit dem Schullehrer und der Genehmigung des Schuloberaufsehers vorbehalten.

§ 5
Anfang des Schulljahrs

Das Schuljahr soll seinen Anfang mit dem Monate November nehmen, und der Unterricht soll jeden Tag durch vier Stunden - nämlich 2 Stunden Vormittag und 2 Stunden Nachmittag - ertheilt werden, nur soll an denen Sonn- und gebothenen Feyertagen, in der Charwoche und an denen Bitttagen, an welchen die Schuljugend dem Bittgange beiwohnt, keine Schul gehalten werden, so wie auch als Ferialtag, zur Erhohlung des Schullehrers, der Donnerstag bestimmt wird, an welchem jedoch auch Schule gehalten werden soll, wenn in einer Woche ein Feyertag auf einen andern Tag trifft.

§ 6
Schulstunden

Der Anfang der täglichen Schulzeit kann von dem Ortsseelsorger einvernehmlich mit dem Schullehrer und Gemeindvorstehern, dann mit Vorwissen und Genehmigung des Schuloberaufsehers[2] nach Erforderniss der jedes maligen Umstände auf frühere oder spätere Stunden festgesetzt werden und wird gestattet, dass in jenen Gemeinden, wo die sämtliche schulfähige Jugend in dem Schulzimmer nicht Platz findet, der ersten Klasse Vormittag und der zweiten Klasse Nachmittag der Unterricht ertheilt werden könne.

§ 7
Verpflichtung der Ortsseelsorger

Wo es ausführbar ist, soll die gesammte Schuljugend täglich vor der vormittägigen Schule unter Aufsicht des Schullehrers zur heiligen Messe geführt und ebenso zum wenigsten um Allerheiligen, Weinacht, Ostern und Pfingsten zur Beicht und Comunion angehalten werden. Es wird aber auch den Ortsseelsorgern zur Pflicht gemacht, die Schule fleissig zu inspiciren und wenigstens wochentlich zweimal in der Sitten- und Christenlehre selbst Unterricht zu geben.

§ 8
Ende des Schuljahrs, Prüfungen

Das Schuljahr soll in der zweiten Hälfte des Monats September mit einer Hauptprüfung geschlossen werden, mit welchem Schlusse die Ferien eintretten, die bis zum Anfange des neuen Schuljahres dauern.

§ 9

Der Tag der Endprüfung muss von dem Ortsseelsorger gemeinschäftlich mit dem Schuloberaufseher bestimmt werden und ist die Eintheilung so zu treffen, dass nicht mehrere Prüfungen an einem Tage abgehalten werden, damit es dem Schuloberaufseher möglich sey, dabei zu erscheinen und damit auch zu jeder dieser Prüfungen von Unserem Oberamte ein Comissaer bestimmt werden könne. Zu diesem Ende sind also auch die Tage der bestimmten Prüfungen Unserem Oberamte von dem Schuloberaufseher anzuzeigen.

§ 10

Der Schuloberaufseher und der Ortsseelsorger muss bei den Prüfungen von Amts wegen erscheinen, nebstbei sind aber auch die Ortsgerichte von dem Schullehrer hiezu einzuladen. Nebst dieser Hauptprüfung sollen aber auch halbjährige Prüfungen jedes Mal vor Ostern gehalten werden, bei welchen aber mit dieser Feyerlichkeit nicht vorzugehen ist und welche blos in Beisein des Schuloberaufsehers und des Lokalseelsorgers vorzunehmen sind.

§ 11
Fleisskatalog und Fortgangstabellen

Damit aber sowohl Unser Oberamt als auch der Schuloberaufseher und die Aeltern der schulfähigen Kinder von der Zwekmässigkeit der Lehrart als auch von dem Fortgange der Schüler Uiberzeugung erhalten, müssen bei den Prüfungen von den Schullehrer, nebst dem Fleisskatalog, welcher nach dem Formular 1 zu führen ist, auch eine Uibersichtstabelle über den Fortgang der Schüler nach dem Muster No. 2 und die Probeschriften vorgelegt werden.[3] Die Note über den Fortgang in der Religion hat aber nicht der Schullehrer, sondern der Ortsseelsorger zu machen.

§ 12
Praemien

Bei dem Schlusse der Prüfung sind diejenigen, welche den besten Fortgang bewiesen haben, öffentlich vorzulesen und zur Aufmunterung der Jugend und zur Regung des Ehrgefühles sind die zwei vorzüglichsten Knaben und ein Mädchen der zweiten Klasse mit Prämien zu belohnen, welche für die Knaben aus unseren Ehrenzeichen, für die Mädchen aber aus tauglichen, die Sitten befördernden Büchlein bestehen müssen.

§ 13
Schulzeugnisse

Schulzeugnisse, wenn sie verlangt werden, sind von dem Schullehrer unentgeldlich zu ertheilen und von dem Ortsseelsorger zu vidiren, in welchen der Schulbesuch mit den Worten sehr fleissig, fleissig, unbeständig oder selten, das sittliche Verhalten und der Fortgang aber mit den Worten: sehr gut, gut, mittelmässig oder schlecht zu bezeichnen ist. Am Ende des Zeugnisses wäre die Klasse zu bestimmen, welche entweder die 1te mit Vorzug, 1t, 2t, 3t ist.

§ 14
Bildung der Lehrer

Die Ferien sind von den Schullehrern nicht müssig zuzubringen, sondern es wird verordnet: dass durch die Dauer der Ferien an einem von dem Schuloberaufseher mit Vorwissen und Einwilligung des Oberamtes bestimmten Orte durch drey Tage in jeder Woche die Schullehrer zu dem Ende zusammen kommen müssen und sich unter dem Vorsitz und unter der Anleitung des Schuloberaufsehers im Schulunterrichte zu üben und die allenfälligen Kanditaten für den Schuldienst zu unterrichten. Auch sollen durch die Dauer der Ferien diejenigen, welche sich dem Schuldienste widmen wollen, zu den Lehrer-Prüfungen zugelassen werden, welche mit Beobachtung der weiter unten enthaltenen Bestimmung vorzunehmen sind.

§ 15
Eigenschaften der Lehrer

Als Lehrer können nur diejenigen aufgenommen und angestellt werden, welche das 24te Jahr erreicht haben und welche sich entweder durch ein glaubwürdiges Zeugnis ausweisen, dass sie innerhalb der oestreichschen deutschen Staaten nach den dortigen Erfordernissen die Lehrer-Prüfung mit gutem Erfolg gemacht haben, oder aber sich, wenn sie diesen Ausweis beizubringen nicht vermögen, einer solchen Prüfung vor der im nächsten § bestimmten Prüfungs Comission unterziehen.

§ 16

Für solche Fälle werden als Prüfungs-Comissaere bestimmt: der jeweilige Landvogt oder in dessen Verhinderung ein von ihm zu bestimmender Substitut, der Schuloberaufseher, ein von Unserem Oberamte zu bestimmender Pfarrer und Schullehrer. Von dieser Comission wäre der Canditat, nachdem ihm vorläufig über seine Bitte um Zulassung zur Prüfung von Unserem Oberamte Tag und Stunde bestimmt worden ist, mündlich und schriftlich über die im § 2 bestimmten Gegenstände zu prüfen und sodann über seine Tauglichkeit das Urtheil zu fällen. Sollte nicht Stimmenmehrheit vorhanden seyn, so soll dasjenige Urtheil gelten, welchem der vorsitzführende Landvogt beitritt.

§ 17

Die Prüfung selbst soll in der Oberamtskanzlei vorgenommen werden und, wenn ein solcher Canditat gut besteht, worüber ihm das Zeugnis von dem Schuloberaufseher auszufertigen und von ihm sodann von dem beigezohenen Pfarrer und Schullehrer zu fertigen, von Unserem Oberamte aber zu vidiren ist, so kann er gleich jedem anderen Tauglichen um einen Schullehrersdienst competiren, und wird er für untauglich erkannt, so darf er erst nach einem Jahre wieder zur Prüfung zugelassen werden. Die Wohlthat der Zulassung zu der gedachten Prüfung darf aber nur Unseren Unterthanen und keinem Ausländer zu Statten kommen.

§ 18
Besetzung der Schuldienste

Die Gesuche um Verleihung eines erledigten Schullehrerdienstes sind bei Unserem Oberamte einzureichen, welches sodann Unserer Hofkanzley hierüber Vortrag zu erstatten und die Entschliessung abzuwarten haben wird, welchem der Competenten der Schuldienst zu verleihen sey. Bei dem Mangel innländischer tauglicher Competenten sind auch oestreichsche Unterthanen zu den Schuldiensten zuzulassen.

§ 19
Gehalt der Schullehrer

Ein jeder Schullehrer darf nicht weniger als 150 fr empfangen, dort, wo es sonst leicht thunlich ist, und vorzüglich bei grösseren Gemeinden soll er aber bis 200 fr erhöht werden und ist, soweit der Schulfond hinreicht, nach dem bisher beobachteten Verhältniss aus diesem zu bestreiten, das Mangelnde aber sollen die Gemeinden zu ergänzen verpflichtet seyn, zu welchem Ende die Regulierung dieser Gehalte[4] Unserem Oberamte verordnet wird.

§ 20

Dieser Gehalt muss aber der Schullehrer rein empfangen und dürfen hieran um so weniger einige Abzüge gemacht werden, als sie neben diesen Gehalten sonst nichts mehr beziehen und Niemand ein Schulgeld oder sonst was zu bezahlen hat. Das zur Beheizung der Schule nöthige Holz und sonstige Schulrequisiten müssen also von der Gemeinde insbesondere beigeschafft werden. Dagegen aber dem Schullehrer die Säuberung des Schulzimmers obliegen soll.

§ 21
Vermehrung des Schulfonds

Da aber der Schulfond gegenwärtig noch nicht so bedeutend ist, dass die Gehalte der Schullehrer daraus gänzlich bestritten werden können, so verordnen Wir zum Behufe einer schleunigen Vermehrung dieses Fondes, dass nebst den bisherigen Beiträgen für die Zukunft auch aus dem Verlassenschaftsvermögen der Verstorbenen Beiträge nach folgendem Maasstabe und zwar:

            vom reinen Vermögen von 100 bis 500fr- 2fr,

            vom reinen Vermögen von 500 bis 1000fr - 3fr,

            vom reinen Vermögen von 1000 bis 2000fr - 4fr,

            vom reinen Vermögen von 2000 bis 5000fr - 5fr

            und über 5000 - 10fr

abgezohen und bis zum Wiederrufe dieser Vorschrift in den Schulfond einfliessend gemacht werden sollen.

§ 22
[Schulpflicht]

Uibrigens wollen und befehlen Wir, dass auf den Besuch der Schule von den schulfähigen und schulpflichtigen Kindern Sommer und Winter strenge gesehen werde und sind diejenigen Aeltern, welche ihre Kinder nachlässig zur Schule schiken, Unserem Oberamte anzuzeigen, welches nach Beschaffenheit der Umstände diese Nachlässigkeit entweder durch körperliche oder Geldstrafen, welche letztere ebenfalls in den Schulfond einzufliessen haben, ahnden wird.

§ 23

Als schulfähig und schulpflichtig werden aber diejenigen Kinder, Knaben und Mädchen angesehen, welche das 6te Jahr erreicht und das 12te noch nicht vollendet haben. Nach vollendetem 12ten Jahr und bis zum 20ten Jahr soll aber die Jugend die Sonntagsschulen zu besuchen, wie es bisher üblich war, strenge verpflichtet seyn.

§ 24
Schulgebäude

In Ansehung der Erhaltung der bestehenden Schulgebäude soll es bei dem, wie es bisher gehalten wurde, sein Verbleiben haben, nur muss nach reinen, lichten und gesunden Schulzimmern vorzüglich getrachtet werden.

§ 25
Aufsicht

Zur beständigen Schulaufsicht werden die Ortsseelsorger, deren Obliegenheit schon in den frühern §§ bestimmt sind, verpflichtet. Zur Oberaufsicht wird aber jedes Mal, wenn es nothwendig ist, Unser Oberamt einen von den Pfarrern Unseres Fürstenthums als Schuloberaufseher in Vorschlag bringen, den Unsere Hofkanzlei zu bestättigen haben wird. Die Pflicht des Letztern wird, nebst den schon oben bezeichneten Obliegenheiten, vorzüglich jene seyn: sich von der Zwekmässigkeit der Lehrmethode, von dem Fleiss der Schullehrer, von dem Fortgang der Schüler und von allen den auf den Unterricht und die Sitten der Kinder Bezug nehmenden Umständen von Zeit zu Zeit zu überzeugen, das Fehlerhafte zu bemängeln, zur Abschaffung der den Unterricht stöhrenden oder hemmenden Hindernisse Unserem Oberamt die Anzeige zu machen und überhaupt, zur Beförderung der Bildung und der Sittlichkeit der Jugend sein Möglichstes beizutragen.

§ 26

Uebrigens wird aber auch die strengste Wachsamkeit über die Befolgung des gegenwärtigen Schulgesetzes, welches vom Tage der Publication in volle Wirksamkeit zu tretten hat, Unserem Oberamt auferlegt.

Gegeben Eisgrub, den 5. October 1827

Johann, Souverainer Fürst von Liechtenstein

Theobald von Walberg

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[1] Kein Originaltitel. Original SGRV 1827/1.

[2] Gestrichen: "und Unseres Oberamts".

[3] Formulare 1 und 2 fehlen.

[4] Im Original folgt hier als Einschub "nach denen Gemeinden", die mit Punkten unterlegt sind. Dazu steht am Rande die Anmerkung: "die 3 punktirten Wörter müssen wegbleiben, weil ansonst der Satz undeutlich wäre."