Ein österreichischer Artillerieleutnant schildert in einem Feldpostbrief die Feuergefechte an der Ostfront und wie sich seine Einheit nach drei Tagen den Russen ergeben musste


Artikel im Liechtensteiner Volksblatt[1]

17./18./19. März 1915

Aus den letzten Tagen Przemysls.[2]

Ein Feldpostbrief der letzten Fliegerpost.

Artillerieleutnant Stefan Z. [3] sandte an seine in Marburg [4] lebenden Angehörigen folgenden hochinteressanten Feldpostbrief über die letzten Vorgänge in Przemysl, welches Schreiben am 28. März seinen Verwandten in Marburg zuging u. vom "Grazer Volksbl." veröffentlicht wird. Das Schreiben umfaßt drei Abschnitte und trägt die Daten 17., 18. und 19. März.

In dem Schreiben vom 17. März heißt es: „Heute nacht beobachteten unsere Vorposten eine äußerst rege Bewegung des Feindes. Einem unserer Vorposten, einem Unteroffizier, gelang es, weit an die feindlichen Fortlinien zu kommen, und bald spielte das Telephon eine wichtige Rolle. Es hieß zum Kampfe bereit sein. Es dauerte nicht lange, und schon ging es los. Erst leuchteten russische Leuchtgranaten auf, dann spielten ihre Scheinwerfer. Die langen Strahlenarme griffen über die Ebene und die Vorwerke. Es wurde uns etwas kühl, nicht, weil uns bange geworden wäre, sondern weil wir wussten, daß wir unsern letzten Rest der Kraft zusammennehmen mussten. Dann funktionierten auch bei uns die Scheinwerfer. Vor den Positionen fallen einzelne, sogenannte verlorene Schüsse, dann eine Pause. Waren es Sekunden oder Stunden? Dann eine Salve, sie klang nach schwerem Kaliber, dann folgte Schuss auf Schuss von beiden Seiten ununterbrochen, dass die Bastionen zitterten und bebten, als wären sie aus Holz und nicht aus Beton. Die Russen versuchten zwei Stürme, aber sie gelangten nicht einmal an die Außenbefestigungen der Vorwerke; dann schien es, als wollten sie einen Generalsturm wagen. Mit einem furchtbaren Getöse brach der ganze Kampf in unserm Feuer zusammen. Gegen Morgen hatten wir Ruhe. Wir waren furchtbar müde."

Dann folgt nachstehender Anhang vom 18. März:

„Ich schreibe am Sockel einer schweren Festungshaubitze. Jeden Augenblick erwarte ich das Signal zum Feuern. Das Geschütz ist geladen, die Richtung gegeben. Nur noch der nötige Druck und die Erde bebt uns wieder unter den Beinen. Der Festungskommandant erließ heute einen Armeebefehl, morgen gibt es einen Ausfall. Kusmanek will versuchen, sich durchzuschlagen. Wir haben den Feind irrezuführen. Ich muß mein Schreiben unterbrechen, wir gehen das Essen holen ... Viel wird es nicht sein!"

Und nun folgt ein neuer Anhang mit dem Datum vom 19. März, in dem sich der Schmerz über die Tragödie der Festung und seiner heldenmütigen Besatzung in wahrhaft erschütternder Weise widerspiegelt. Es heißt:

„Der Ausfall hat stattgefunden, einen wesentlichen Erfolg hatten wir nicht. Unsere Leute schlugen sich mit einer auch für uns seltenen Bravour, hatten aber einen viel zu überlegenen Feind vor sich, sie mußten sich zurückziehen. Das Feuer von uns hatte aber doch auch seinen Erfolg, und lange schien der Feind nicht zu wissen, wo und wie er bei der ganzen Sache steht. Unsere Geschütze haben eine enorme Arbeit geleistet, das letzte Mal, wie wir soeben erfahren… Der Kommandant hat schon seine Befehle erteilt, dann ... kommen die Pioniertruppen an die Arbeit. Bald, sehr bald! Aus dem Donner der Explosionen wird es nur Rauch und Feuer, Stein und Staub geben. Die Geschütze sind bereits zum großen Teil unbrauchbar gemacht. Wer unsere Artillerien dabei an der Arbeit sah, dem muß es schwer ums Herz  werden, und wann er noch so abgestumpft wäre durch die Leiden der letzten Tage ... Die Augen nass, das Gesicht verhärmt ... Es war bitter … Morgen kommt dann der Tag der Übergabe und dann die Reise. Wohin? Wohl nach Sibirien... Daß es so kommen musste und dabei noch keine Aussicht, die uns die Hoffnung brächte, bald nach Hause zu kommen. Weiter schreiben wäre zwecklos! ... Ob der Brief überhaupt noch an seine Adresse kommt? Die Flieger übernehmen ihn zur Weiterbeförderung ... Dass sie doch die Heimat wiedersehen möchten!"

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[1]L.Vo. 10.4.1915, Seite 2 f.
[2] Przemyśl (früher Galizien, heute Polen) war ein strategisch wichtiger Festungskomplex. Die Einnahme durch die Russen am 22.3.1915 bedeutete für Österreich-Ungarn eine schwere Niederlage, die auf die Moral der Truppe drückte. Die in Garnison befindlichen 110.000 Soldaten kamen in russische Gefangenschaft.
[3] Nicht identifizierbar.
[4] Maribor, Slowenien.