Elias Wille schildert seine Auswanderung nach Amerika im Jahr 1806 (7. Folge: Rückkehr nach Antwerpen, Zwischenaufenthalt in Basel)


 Reisebericht im Liechtensteiner Volksblatt, gez.Elias Wille[1]

26.4.1907

Reiseerinnerungen und Erlebnisse einiger Liechtensteiner.

(Erzählt von Elias Willi.) (Fortsetzung.)

Diese zweite Reise war, wie die erste, vom schönsten Wetter begleitet, nur dass diesmal unsere Stimmung eine gedrückte war. Wären zehn Jahre zwischen den beiden Seereisen gelegen, da wär's freilich was anderes gewesen, so aber wars halt eben so; wir trösteten uns jedoch mit dem Gedanken, nach Amerika kommen wir doch, das stand nun einmal fest, nach Amerika wollten wir. Gegen Ende unserer Reise begegnete uns wieder der „Vaderland" auf der Fahrt nach New-York. Den 22. Mai, als dem letzten Tag dieser zehntägigen Fahrt, blieb plötzlich der "Kroonland" stille stehen, mit ihm alle, dem Auge erreichbaren Dampfer und grösseren Segler. Es war Ebbe und dauerte mehrere Stunden, bis die Flut dieselben wieder flott machte. Drei Uhr nachmittags erfolgte die Landung in Antwerpen. Vor derselben wurden den Passagieren die Anweisungen für die Billets zur Weiterreise zugestellt; uns wurde gesagt, wir hätten uns auf das Kassabureau der „Red Star Line" zu begeben, wo uns die unbenützte Reisetaxe New-York-Pittsburg rückvergütet würde. Also zunächst auf dieses Bureau. „Warum seid Ihr deportiert worden," fragte uns der Beamte am Schalter. „Wegen Kontrakt." — „Hat Euch Euer Agent denn nicht aufgeklärt." — „Doch." — „Und da könnt Ihr noch so dumm sein, wo wollt Ihr jetzt hin." — „Wieder nach Amerika." — „Die Red Star Line befördert Euch nicht mehr, Ihr ..." — und ein Name klang an unser Ohr, der gewiss in keinem Komplimentierbuch zu finden ist, ein Name aus dem Tierreich. Sprach's und schlug den Schalter zu. Wir hätten nun in Antwerpen bleiben und von hier aus von neuem unsere Angelegenheiten ordnen können; aus gewissen Gründen zogen wir‘s aber vor, bis Basel zurückzukehren. Hiezu benützten wir den neun Uhr morgens fälligen Schnellzug. Die Kosten hatten wir natürlich selbst zu tragen. Diesmal durchfuhren wir Lothringen bei Tag, konnten uns also die Gegend ansehen mit Schnellzugsgeschwindigkeit.

Gleich beim Eintritt ins Land, also in der Richtung Luxemburg-Metz, wohl auch schon in Luxemburg, boten sich seinerzeit dem Bahnbau nicht unerhebliche Schwierigkeiten, eine Menge Viadukte und Tunnels, etliche von beträchtlicher Länge durch das felsige Terrain gehauen, ebnen der Bahn den Weg.

Die Höhen sind mit Eichenwaldungen besetzt, wie wir denn auch keine andern wie Eichenwaldungen durch Lothringen zu Gesicht bekamen. Dem Bahnkörper entlang windet sich ein Fluss, auf dem Holzflösser ihr Wesen trieben. Mit Verschwinden dieser Höhen gestaltet sich die Gegend wieder durchwegs eben, wie durch Elsass. Das freie Reichsland, Elsass-Lothringen, zählt nebst Belgien zu den industriereichsten Ländern Europas, und da ist es ganz besonders die Gegend um Metz, Aldringen, Rombach und bis Saarburg, in der die verschiedenen Industriewerke wie Pilze aus dem Boden schiessen. Ein Mitreisender bezeichnete uns selbe als die Goldgruben des Landes. Von Metz bekamen wir auch diesmal nichts zu sehen, weil der Bahnhof sich ausserhalb der Stadt und diese selbst sich hinter Hügeln befindet.

Acht Uhr abends langten wir in Strassburg, elf Uhr in Basel an, am Vorabende des Festes Christi Himmelfahrt. Die nächsten Tage brachten Besuch aus der Heimat, uns verkrachten Amerikanern Trost und Hilfe bringend. Mit derselben Firma schlossen wir denn auch sofort den zweiten Reisevertrag, diesmal mit der „Allan Line" und nach Kanada. Vor der Deportation von Ellis Island waren wir gemessen, gewogen, beschrieben und photographiert worden; durften es also nicht wagen, in irgend einem Hafen der „Vereinigten Staaten" zu landen, ohne Gefahr zu laufen, signalisiert und nochmals deportiert zu werden. Indessen gabs einen einwöchentlichen Aufschub der Reise; der Emigrantenzug, der uns befördern sollte, ging erst folgenden Donnerstag, den 31. Mai von Basel ab. Während dieser Zeit besuchten wir zweimal den zoologischen Garten; wer Gelegenheit hat, Basel zu sehen, soll diese nicht vorübergehen lassen, ohne dem zoologischen Garten ebenfalls einen Besuch abzustatten. Es ist wirklich interessant und sehenswert; fast alle Tiere der verschiedenen Erdteile, tropischer und nordischer Zonen sind hier vertreten, eine Raubtierkolonie aus Löwen, Tigern, Bären, Panthern, Leoparden, Jaguaren, Hyänen u. s. w. bestehend, dann ein mächtiger Elephant, Gorillas, Zebras, Lamas, dann Kühe, Ziegen, Schweine u.s.f. aus Indien und Südafrika, Südamerika, an kriechenden Wesen Schlangen aller Art und Grössen und oft der prächtigsten Farben, von der gewöhnlichsten bei uns vorkommenden Kreuz- und Ringelnatter bis zur Riesenschlange, ebenso verschiedene Eidechsen, Salamander, Skorpione, Leguane, Alligatoren, Riesenschildkröten, dann Vertreter der Vogelwelt aus allen Teilen der Erde, wetteifernd an Schönheit und mannigfaltigstem Gefieder: kurz die ganze Tierwelt. Wer sich ein Bild von Auswanderung machen will, komme ebenfalls nach Basel; wir hatten einigemale Gelegenheit dazu; nach Hunderten, Tausenden zählen die Menschen, die bereits täglich in Basel zusammenströmen, von hier aus ihren Weg in überseeische Länder nehmend. Beim Anblick dieser Massen, die einen nicht selten ganz verwahrlosten Eindruck machen, Männer, Weiber und Kinder, ihr Hab und Gut in Lumpen gehüllt, mit sich schleppend, kam uns wohl der Gedanke der lieben Heimat Valet zu sagen. Wie vielen von ihnen mochte auch unser Los beschieden sein.

Die Tage vom Sonntag bis zur Abfahrt arbeiteten wir dann noch auf einem Bauernhof im benachbarten St. Ludwig im Elsass.

4. Wieder nach Amerika.

Unsere zweite Amerikareise führte über Paris-Havre. Abends, den 31. Mai traten wir dieselbe an. Wir machten also die Route Basel-Paris des Nachts. In Delle an der französischen Grenze war Umsteigen; von hier weg beförderte uns die französische Bahn. In Belfort gabs längeren Aufenthalt; morgens 9 Uhr trafen wir in Paris ein. Die Umgebung von Paris ist sehr reich an Gärtnereien, ebenso an Obstgärten und Weinbergen. Zahlreiche stattliche Villen ausserhalb der Stadt oder der Vorstädte, jedenfalls Landsitze der bemittelten Pariser, zieren oder verunstalten dieselbe.

(Fortsetzung folgt.)

______________

[1] L.Vo. 26.4.1907, S. 1 f.