Die Untertanen formulieren in einer Eingabe an Fürst Alois ihre Wünsche und Forderungen betr. eine neue Verfassung und andere Reformen.


Eingabe der Untertanen an Fürst Alois von Liechtenstein [1]

o.D. (Frühjahr 1848)    

Durchlauchtigster Fürst!

Der Ruf nach Freiheit, der durch die deutschen Gauen so mächtig schallt, er ist auch in unser abgelegenes, armes Bergländlein gedrungen und hat einen freudigen Widerhall gefunden. Die Freiheit ist da nicht ein unbekanntes Gut; aber eine trübe Zeit hat sie uns verkümmert, sie schwand zu einem Schatten unter der Last eines neuen Bevormundungs- und Verwaltungssystems, das in unser Ländlein aus einem grossen Staate eingeschleppt wurde. Diesem System ist in dem Lande seines Ursprungs das Todesurtheil gesprochen worden.

Durchlauchtigster Fürst! Wir sind zu arm und zu klein, um eine Monarchie zu bilden, für uns passen allein einfache, patriarchalische Verfassungs- und Verwaltungsformen, wie sie zu unsren Väter Zeiten bestanden.

Durchlauchtigster Fürst! Es ist hohe Zeit ein zu lenken und zu einem einfachen, freien System zurück zu kehren. Wir gehen sonst ökonomisch und moralisch zu Grunde:[2] unsere Berge heben ihre Häupter gerade und frei zum Himmel und rufen uns zu, was unsere Vorfahren gethan und was wir thun sollen.

Darum sind die Vorsteher und frei gewählten Ausschüsse sämtlicher Gemeinden des Landes zusammen getreten, frei zu berathen, wie unseren betrübten öffentlichen Zustände abzuhelfen und welche Erleichterungen uns zu Theil werden müssten, wenn Ruhe und Ordnung und der gesetzliche Stand fernerhin soll aufrecht erhalten werden.

Durchlauchtigster Fürst! Es wurde von den Volksabgeordneten beschlossen, nachstehende Punkte an Ihre fürstliche Durchlaucht gelangen zu lassen unverzüglich und hochderselben ehrfurchtsvoll um Gewährung derselben zu bitten.

I. Die Verhältnisse zum deutschen Bunde betreffend

Bisher waren wir von Deutschland wie abgeschnitten und verstossen; denn gegen Norden und Osten breitet sich Österreich vor uns aus mit seinem undurchdringlichen Mauthkordon, seinen Zoll- und Finanzwächtern: so blieb uns nur freier Verkehr im Süden und Westen mit der freien Schweiz.

Vom deutschen Bunde selbst vernahmen wir nur, dass wir den Bundestaggesandten in Frankfurt, das Bundescontingent und ein Appellazionsgericht in Innspruck zu erhalten hatten. Darum bitten wir: Euer Durchlaucht möge geruhen, die Besoldung Höchst ihres Gesandten in Frankfurt aus höchst Ihrer Privatkasse zu übernehmen.

Was das Bundeskontingent anbetrifft, so wünschen wir nach dem Beispiele anderer Bundesstaaten Volksbewaffnung, überhaupt allgemeine Wehrpflicht. Hinsichtlich der Vertretung in einem deutschen Parlament glauben wir die Entwicklung dieser Sache nuhn abwarten zu müssen, behalten jedoch unserem Volke seine Stimme vor, und bitten Eure Durchlaucht solches durch Ihren Gesandten geltend zu machen.

Da in allen deutschen Bundesstaaten ein Gesetz, ein Recht eingeführt werden soll, in Verbindung mit Schwurgerichten, so ist unser Wunsch nicht anders als gerecht, dass wir dieser Rechte und allen andern Freiheiten, die die meisten Bundesstaaten erlangt haben oder noch erlangen, als der Pressfreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechtes ebenfalls theilhaft werden. Sollte aber die Einführung eines allgemeinen deutschen Rechts sich zu lange verzögern, so bitten wir, dass auf der Grundlage unserer alten Rechte ein neues Recht, wie es den dermaligen Bedürfnissen unserer kleinen Haushaltung entspricht und ein anderes Gerichtverfahren befirderlich (?) eingeleitet und eingeführet werde.

II. Die ständische Verfassung von 1818 betreffend

so bitten wir, dass dieselbe gänzlich abgeschafft und eine andere auf freien Grundlagen gebaute entworfen und eingeführt werde. Als Grundzüge dieser neuen Verfassung erlauben wir uns zu bezeichnen:

a) Freie Wahl der Volksvertreter, mit Ausschluss des österreichischen Rentmeisters zu Feldkirch und des geistlichen Standes.

b) Keine neue Gesetze sollen eingeführt und alte nicht abgeschafft werden ohne Beirath und Zustimmung der Stände. Es soll ihnen auch in solchen Fällen die Initiative zustehen.

c) Keine neue Abgabe soll eingeführt werden ohne Berathung [und] Zustimmung der Stände.

d) Die Stände wählen den Präsidenten frei.

e) Den Titel Landvogt, welchen bisher der erste fürstliche Beamte führte, soll für immer abgeschafft und dafür ein anderer, wie etwa Landrichter gewählt werden; da an jenen Namen sich nicht erfreuliche Erinnerung[en] knüpfen. Die fürstlichen Interessen sollen am Landtag durch den zeitigen Landvogt oder Rentmeister vertreten werden.

f) Das Beamtenpersonal soll vermindert werden. Auch wird Seine Durchlaucht gebeten, drei missliebige Beamte, welche aus höchst ihren Mediatbesitzungen zu uns gesandt wurden, abzurufen und inskünftig alle besoldeten Stellen mit Inländern zu besetzen oder in Ermangelung derselben mit Männern aus solchen deutschen Bundesstaaten, wo freisinnige Institutionen bestehen.

g) Es soll eine neue, freisinnigere Gemeinde-Ordnung eingeführt und die Wahl der Vorsteher frei sein. Jede Gemeinde verwaltet ihr Vermögen selbst und die Vorsteher legen der Gemeinde jährlich Rechnung ab.

h) Es wird jährlich über die Einnahmen und Ausgaben der kleinen Standeshalter öffentlich Rechnung abgelegt und das Ergebnis allen Gemeinden mitgetheilt. Die Aufsicht über den Schul- und Armenfond steht dem Landtag zu. Hinsichtlich des letzten so wie über die Armenpflege überhaupt soll, sobald sich der Landtag nach der neu zu entwerfende Verfassung versammelt, eine neue Ordnung gemacht werden.

i) Es wird um Herabsetzung der Taxen auf den möglichst geringen Betrag und die Einführung eines anderen Triebrechtes nach dem Muster des St. Gallischen oder unseres alten einheimischen Triebrechtes, wie es vor 1808 bestand, gelten.

 III. Besondere Wünsche der Gemeinden

  1. Die Gemeinde- und Privatwaltungen sollen ausschliesslich unter der Verwaltung der Gemeinden oder ihrer Eigenthümer stehen.
  2.  Jede Gemeinde soll das in ihren Marken befindliche Eigenthum, ohne Ansehen des Besitzers, zu allen Gemeindelasten, namentlich zu den Wuhrbauten, nach Verhältniss beizuziehen berechtigt sein.
  3. Die Gemeinde Eschen soll über die Inkammerierung und Verwaltung derjenigen Güter, welche vormals dem Kloster Pfäfers gehört, offiziellen Aufschluss erhalten und ihr ihre Rechte und Ansprüche auf dasselbe vorbehalten sein.
  4. Die Lehenkäufer in der untern Herrschaft werden von der sämtlichen Landschaft in ihrem Gesuch um Aufhebung des Laudemiums, als einer Sache der Gerechtigkeit, unterstützt.
  5. Hinsichtlich der Atzungsaufhebung auf dem Gemeindeboden, soll es jeder Gemeinde vorbehalten sein, das Geeignete zu verfügen.
  6. Inländisches Gewerbe, Handel und Handwerke sollen vor allem begünstigt und der Hausierhandel gänzlich abgeschafft werden.
  7. Es soll Gewerbsfreiheit sein, jeder Bürger Mühlen [und] Hanfreiben bauen und anlegen dürfen und alle monopolitisirten Gewerbe, wie z.B. Ziegelbrennen, sollen abgeschafft sein.
  8. Es soll neben den indirekten Steuern und der Grundsteuer Bedacht auf Einführung einer Vermögenssteuer genommen werden.
  9. Das Schulwesen, die Volkserziehung soll der Gegenstand besonderer Vorsorge sein. Heranbildung tüchtiger Lehrer, Einführung zweckmässiger Schulbücher ist ein dringendes Bedürfniss. Es soll daher eine Schulkommission für das ganze Land, die dies Geschäft eifrig in die Hand nimmt, und in jeder Gemeinde ein Gemeindeschulrath aufgestellt werden.
  10. Bei der Umtheilung der Au zu Vaduz im Jahr 1809 wurde der Landesfürst vom damaligen Landvogt als zugsberechtigten Bürger erklärt und eignete den landesfürstlichen Gebäuden und Wohnungen bestimmte Stücke zu, dass ihr Betrag nahe auf 10'000 Quadrat Klafter kam. In Berücksichtigung der durch den Rheineinbruch erlittenen schweren Beschädigungen wünscht sie Rückgabe des gedachten Bodens um so mehr, als die übrigen Gemeinden bei solchen Umtheilungen von den erwähnten Anmassungen der Herrschaftsbeamten verschont blieben. Die Gemeinde Vaduz wird in diesem ihrem Gesuch von allen Gemeinden unterstützt.

IV. Die Feudallasten betreffend etc.

Im Anbetracht, dass die Feudalgefälle einer ganz anderen Zeit und andern Verhältnissen angehören und dass wir neben den Staatslasten noch die Feudallasten getragen haben, glauben wir, dass endlich der Zeitpunkt gekommen ist, der uns einer freieren und schöneren Zukunft entgegen führt und uns von Leiden und Lasten befreit, die wir nach unserer festen Meinung nicht verschuldet haben und die so lange an unserem Marke nagten und unsere Kräfte lähmten. Unser Eigenthum ist über die Gebühr belastet. Obwohl wir Eigenthümer unseres Bodens sind, so müssen wir doch den Schweiss unserer Arbeit mit unseren Zehntherren theilen, wir müssen von unserem Boden die eigenen Bedürfnisse bestreiten, die Grundsteuer bezahlen, den Zehnten geben. Unser Ländlein ist übervölkert: es ist unmöglich, dass wir auf die bisherige Weise länger bestehen können. Es gelangt daher die dringende Bitte an Euer Durchlaucht

  1. Alle andern Zinsen herstammend [aus] Feudalabgaben sollen entweder verlassen oder billig ausgelöst werden. Dahin zählen wir: die Fastnachtshennen, den Zollsechser, die Frohnden, Schäffhaber, Vogelrecht, die Lieferung von Dünger in die Herrschaftsweingärten, die Lieferung von Bau- und Brennholz der oberen Gemeinden zur Herrschaftsmühle und den erst später eingeführte Zollsechser, den Wasserzins für die Mühlen im Land, den Weinzins, überhaupt alle derartigen seien sie gross oder klein.
  2. Jagd und Fischerei soll frei sein.
  3. Zoll und Weggeld, wie das Ohmgeld, soll[en] als Landesregal der Landschaft verrechnet werden.
  4. Alle Novalzehnten soll[en] gänzlich und unentgeldlich aufgehoben, die übrige landübliche Klein- und Grosszehnten nach einem billigen Masstabe ablöslich sein. Die hochwürdige Geistlichkeit soll durch einen fixen Gehalt besoldet werden.

Da unsere Landschaft durch Kauf an Ihr durchlauchtiges Haus gekommen ist, so behalten sich die Gemeinden vor, was für Veränderungen auch die Zeit über unserm grösseren Vaterland bringen mag, dass wir nie gegen unseren Willen uns vertauschen oder verschieben lassen, oder irgend einem andern Wechsel uns unterziehen. Wir nehmen alle die Rechte in Anspruch, welche zumal in ausserordentlichen Fällen, jedem Volke, sei es klein oder gross, unbestreitbar zukommen und behalten sie uns vor. Wir sehen uns um so mehr zu dieser Erklärung veranlasst, da unser Durchlauchtiges Fürstenhaus entfernt von uns wohnt und wir nicht wissen, was in dieser bewegten Zeit jeder neue Tag mit sich bringt.

Indem wir der Erfüllung unserer Wünsche vertrauensvoll entgegensehen, fügen wir noch die ehrfurchtsvolle Bitte bei, es wollen Eure hochfürstliche Durchlaucht geruhen, Höchst Ihre Entschliessung in der kürzesten Zeit und den bestimmtesten Ausdrücken kund zu thun, indem es sonst schwer hielte, die gesetzliche Ordnung und Ruhe aufrecht zu halten.

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[1]LI LA Schä U 265. Kein Originaltitel, nicht datiert (Frühjahr 1848), Handschrift von Peter Kaiser.
[2] Randbemerkung: „Das andere bringt unausweichlich ökonomischen und moralischen Ruin.“