Proklamation von Fürst Franz Josef II. an der Huldigungsfeier


Maschinenschriftlicher Text der Rede von Fürst Franz Josef II. mit handschriftlichen Korrekturen [1]

o.D. (zu 29.5.1939)

Liebe Liechtensteiner!

Von ganzem Herzen grüsse ich Euch alle, die Ihr heute an dem schönen Pfingstmontag hier zusammengekommen seid, um feierlich zum Ausdruck zu bringen, dass Ihr immerdar festhaltet an den Grundlagen unseres geliebten Vaterlandes am oberen Rhein, an der Liebe zur heimatlichen Scholle und an der Treue, welche Euch und mich und mein Haus gegenseitig verbindet.

Wenn auch das Fürstentum über keine besonderen Bodenschätze und keine Reichtümer verfügt, ihm infolge seiner Kleinheit nicht die Möglichkeit einer Teilnahme an der Weltwirtschaft zukommt, konnte es doch bei Euerem Fleiss und Euerem Biedersinn mit vereinten Kräften erreicht werden, dass wir in einem unabhängigen, freien Lande ein zufriedenes Leben führen können, in einem Kulturland, zwar klein, aber wie es nicht kann besser sein.

Bei diesem Anlasse gedenke ich dankbarst meiner beiden Grossonkel, Ihrer Durchlauchten Fürsten Johannes II. und Fürsten Franz I.

Fürst Johannes war im wahrsten Sinne des Wortes für uns alle ein gütiger Vater. In treuer Sorge um das Fürstentum hat er durch über 70 Jahre das ihm von der Vorsehung zugewiesene hohe Amt eines Landesfürsten verwaltet. In allen Gemeinden sind sichtbare Zeichen seines edlen Wirkens. Fast alle öffentlichen Gebäude, das mit seltenem Kunstsinn restaurierte Hochschloss, der vor über 4 Dezennien hergestellte und von den Alpinisten stets bewunderte Fürstensteig, viele Strassenbauten geben Zeugnis hievon. Den Armen und Bedrängten zu helfen, lag ihm besonders am Herzen. Als der unbotmässige Rhein unser Land durch eine fürchterliche Überschwemmung - wie Ihr ja leider habt selbst erfahren müssen - schwer heimsuchte, hat Fürst Johannes in ganz grossem Masse zusammen mit seinem Volk beigetragen, dass alles unternommen und eingeleitet werden konnte, damit der den braven Bürgern zugefügte Schaden tunlichst gutgemacht wurde und solche Katastrophen nach menschlicher Voraussicht sich nicht mehr wiederholen werden. In der langen Regierungszeit gab es manch schwierige politische Probleme zu lösen. In kluger Beurteilung hat Fürst Johannes immerdar den für das Fürstentum richtigen Weg eingeschlagen und ist auch stets dafür eingetreten, dass die Rechte des Volkes gewahrt werden und zur Geltung kommen.

Seine Durchlaucht Fürst Franz hat die Wirtschaft des Landes, für deren Aufbau sein Bruder so Grosses geleistet hat, zu weiterer Entfaltung gebracht. In hochherziger Weise hat Fürst Franz Summen gewidmet, um Herstellungen auf sozialem Gebiete zu fördern und um Wohltaten zu spenden. Ganz besonders gedachte er hiebei immer unserer Jugend und deren Heranbildung, wovon eine namhafte Stiftung des Fürsten bleibend Zeugnis gibt.

Ich bitte den Allmächtigen, dass er mir die Kraft und die Möglichkeit geben möge, im Geiste meiner Vorfahren das überkommene Erbe als erster Bürger von Liechtenstein zum Wohle und Gedeihen unseres Landes verwalten zu können.

Feierlich gelobe ich, wie ich bereits vor einem Jahre getan habe, meinem Lande ein gerechter Fürst zu sein, die verfassungsmässigen Freiheiten zu wahren, den Bedrängten und Armen ein Helfer und dem Rechte ein getreuer Hüter zu bleiben.

Liebe Liechtensteiner!

Ich danke Euch für Euere einzig schöne Kundgebung, welche mir unvergesslich bleiben wird. Der heutige Tage, den Ihr mir zu Ehren so festlich begeht, bestätigt neuerdings, dass Ihr alle - jeder nach seiner Art u. auf seinem Platze - mitarbeitet, um unsere schöne Heimat, so wie sie es heute ist, zu erhalten.

Es lebe unser teures Vaterland!

 

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[1] LI LA RF 186/036/179-180. Die Proklamation wurde abgedruckt in L.Vo., Nr. 61, 31.5.1939, S. 1, und L.Va., Nr. 43, 31.5.1939, S. 2.