Emma Rheinberger an Alois Rheinberger über dessen Spende an ein Benediktinerinnenkloster, den Fortgang ihrer Tuberkulosebehandlung in Arosa und das Vertrauen auf Gott sowie die Kriegsangst wegen der Marokkokrise


Handschriftliches Originalschreiben der Emma Rheinberger, Arosa (Graubünden), an Alois Rheinberger, Nauvoo (Illinois) [1]

14.01.1906, Arosa (Graubünden)

Mein lieber Herr Vetter!

In tiefer Rührung u. Er-
griffenheit komme ich heute zu Ihnen u. fasse
nach Ihrer Hand um den Dank meiner ganzen
Seele, meines ganzen Herzens da hinein zu legen.
Was haben Sie für mich getan, Sie lieber, lieber
gutester Vetter! Darf ich denn so viel annehmen?
Sie haben ein Krankes Menschen Kind heute
glücklich gemacht – mit einer Woltat, die
so unaussprechlich woltut [2] – mit jenem grossmü-
tigem Geschenk d. Benedictiner Frauenkloster.
O diese Freude [3] jene guten Schwestern beten für
mich! Lange, lange war ich nicht so glücklich,
u. trotzdem Sie mir in Ihrem Edelmut verbo- [4]
ten zu danken, kann ich [5]kann ich [6] das nicht, –
nein Vetterchen, lassen Sie mich's sagen, wie un-
nennbar wol Sie mir getan haben. – Ach nur zu
gerne nehme ich das an, aber Himmelsmütterchen
muss es Ihnen doppelt lohnen, Sie alle Tage
[7] ihre Nähe, ihren Segen fühlen lassen. –

Und auch d. schönen, sinnreichen Bildchen darf ich
behalten? Und Ihr liebes, liebes Brieflein –
ich habe gelesen u. immer wieder gelesen, bald
dies u. bald d. Brief der gut. Schwester u. dabei
förmlich gestrahlt. – O Dank, Dank!
Wie gut ist doch der liebe, barmherzige Gott, der
einen solche Freude sendet!

Haben Sie doch einen guten, gesunden Winter? –
In d. Briefe der Schwester steht zwar so etwas
ähnliches Gutes, was mich gar sehr freuen tut. [8]

Der Zustand meiner Lunge wird mit Gottes – Gnade
hoffentlich immer ein besserer, heute wurde ich schon
zum 19., oder 20. Mal mit dem Tuberculin ge-
impft, – dessen Resultat bleibt abzuwarten –
etwas Sicheres gegen die Tuberculose giebt es
bis heute ja nicht – helfen kann da nur einer
– der Allmächtige – Das sehe ich alle Tage bes-
ser ein – die Kunst der Ärzte, o wie ist sie
bald zu Ende, wie ohnmächtig! – Desshalb, Sie
edler, lieber Vetter freue ich mich so unendlich über
die Woltat, die Sie mir heute getan. –

Arosa wird voll, immer voller von armen Leidens-
brüdern u. ach – wie [9] hoffen sie Alle! –

Schon bin ich 5 Monate hier u. noch muss ich
wahrscheinlich der 5 weiteren harren. – Ach
Vetter, – lieber, guter Herr Vetter, – wie, wie [10] [11]
schön muss der Himmel sein, der so [12] schwer erkämpft
werden muss. Über Weihnachten habe ich wol
gezittert in heimlichem Weh, fern, krank von
daheim sein zu müssen. –

Wir sind eingemauert in tiefem Schnee der Grau-
bündner-Berge, aber über Mittag haben wir
herrlich warme Stunden, so dass ich jetzt wieder
im Freien auf dem Liegestuhl schreibe. –

Dass uns Gott unser Herr doch vor Krieg nur be-
wahre, diese Woche, übermorgen wird es sich
über Maroko entscheiden. [13] In Angst u. Bangen
harren wir der Entscheidung, denn grässlich, –
all des unermesslichen Jammers, der dann kommen
würde! – Meine Lieben zu Haus sind Gott
sei Dank gesund. – O wie freue ich mich
auf die Photographien, liebes, liebes Vetterchen
u. – halt wieder auf ein Briefchen, – aber ich
bin ein frecher Kerl, nicht wahr? Eines täte mich
aber auch noch gar sehr erfreuen, lb. H. Vetter, wollen [14]
Sie mir das erbeten „Du“
denn nicht schenken? Es
genirt mich ganz, dass Sie
zu mir nichtsnutzigem Kerl-
chen Sie sagen. – Bitte,
bitte verwandeln Sie es in
Du [15], ich lasse dann einen
Jauchz in die Graubünd-
ner-Berge vor Freude.
Heute Abend will ich dem
lieben Heiland aber ganz
besonders danken für
den guten Tag, den er
mir heute in dem guten [16]
Briefchen v. Nauvoo
geschenkt.

Von ganzem Herzen
dankbar u. anhänglich / Ihr
Bäschen
Emma Rheinberger [17]

______________

[1] LI LA AFRh Ha 18. Brief in lateinischer Schrift.
[2] Unterstrichen.
[3] Unterstrichen.
[4] Seitenwechsel.
[5] Doppelt unterstrichen.
[6] Doppelt unterstrichen.
[7] Durchstreichung.
[8] Seitenwechsel.
[9] Unterstrichen.
[10] Unterstrichen.
[11] Seitenwechsel.
[12] Dreifach unterstrichen.
[13] Die sogenannte Erste Marokkokrise (1904-1906) war durch die Rivalität Frankreichs und des Deutschen Reiches um den Einfluss in Marokko bedingt.
[14] Seitenwechsel.
[15] Unterstrichen.
[16] Unterstrichen.
[17] Die Textpassage „Sie mir das erbeten … Emma Rheinberger“ auf der 1. Seite des Briefes hinzugefügt.