Regierungschef Josef Ospelt informiert den Churer Bischof Georg Schmid von Grüneck über die Beschlüsse des Landtags zu dessen die Verfassungsrevision betreffenden Forderungen


Maschinenschriftliches Schreiben von Regierungschef Josef Ospelt, gez. ders., an Georg Schmid von Grüneck, Bischof von Chur [1]

27.8.1921

Euere bischöflichen Gnaden, Hochwürdigster Herr Bischof!

Als ich am letzten Montage [2] nach meiner Rückkehr aus dem Urlaub die zwei hochgeschätzten Schreiben Euer bischöflichen Gnaden vom 17. und 18. August betr. die neue Verfassung erhielt, [3] habe ich nicht ermangelt, sofort auf Dienstag Vormittag das Landtagspräsidium zu einer Besprechung der Vorschläge und Wünsche Euerer bischöflichen Gnaden einzuladen. [4]

Bei dieser Besprechung wurden alle für und wider soweit als möglich erwogen und ich habe sodann das amtliche Schreiben Euer bischöflichen Gnaden dem Landtagspräsidium offiziell mit dem Ersuchen übermittelt, den Gegenstand noch vor der auf Mittwoch vormittags anberaumten Landtagssitzung mit der Verfassungskommission bezw. den Landtagsabgeordneten einlässlich zu behandeln. [5]

Der Landtag hat dann am Mittwoch die Verfassung durchberaten und einstimmig angenommen. [6]

In der vom Landtage beschlossenen Fassung sind nun infolge der Vorstellungen des hochwürdigsten bischöflichen Ordinariates folgende Änderungen gegenüber dem früheren Entwurfe [7] enthalten:

Der erste Absatz des Art. 16 wird nun lauten: "Das gesamte Erziehungs- und Unterrichtswesen steht unbeschadet der Unantastbarkeit der kirchlichen Lehre unter staatlicher Aufsicht."

Weitere Änderungen an diesem Artikel 16 waren nicht zu erreichen.

Der erste Absatz des Art. 37 bleibt unverändert.

Der zweite Absatz hingegen wird lauten: "Die römisch-katholische Kirche ist die Landeskirche und geniesst als solche den vollen Schutz der Staates;". Der übrige Teil des Satzes bleibt unverändert.

Der letzte Satz des Art. 38 lautet nun: "Die Verwaltung des Kirchengutes in den Kirchgemeinden wird durch ein besonderes Gesetz geregelt; vor dessen Erlassung ist das Einvernehmen mit der kirchlichen Behörde zu pflegen."

Bezüglich des Art. 16 war für den Landtag bestimmend, das bereits der Art. 14 dem Staat die Sorge für das religiöse und sittliche Interesse des Volkes auferlegt, der Art. 15 vorschreibt, das Erziehungs- und Unterrichtswesen sei so zu verwalten, dass aus dem Zusammenwirken von Familie, Schule und Kirche der Jugend eine religiös-sittliche Bildung und vaterländische Gesinnung zu eigen wird.

Da nach Absatz 4 des Art. 15 der Religionsunterricht (wie selbstverständlich) durch die kirchlichen Organe erteilt wird, diese Organe diese Aufgabe selbstverständlich nur nach den Weisungen und im Sinne der Kirche erteilen können, widrigenfalls ihnen doch gewiss von den kirchlichen Obern die Erlaubnis zur Erteilung des Religionsunterrichtes entzogen würde, glaubt der Landtag den Wünschen des hochwürdigsten bischöflichen Ordinariates bezüglich des Art. 16 vollkommen entsprochen zu haben und ich möchte nur noch dem beifügen, dass sowohl im Landesschulrate als im Lokalschulrate Seelsorger sitzen müssen und dass der Ortspfarrer zugleich auch der Lokalschulinspektor ist.

Bezüglich des § 37 glaubt der Landtag in der neuen Fassung seine kirchentreue Gesinnung ebenfalls hinlänglich zum Ausdruck gebracht zu haben, und von mir befragte katholische Juristen der Schweiz und aus Vorarlberg, Männer von besten Namen und bestem Ansehen, finden die Fassung vollkommen entsprechend und dem Interesse und der Stellung der katholischen Kirche voll Rechnung tragend.

Die neue Fassung des Art. 38 trägt den Wünschen des hochwürdigsten bischöflichen Ordinariates unseres Erachtens vollkommen Rechnung, weshalb ich hiezu nichts zu bemerken habe. -

Für mich ist nun der Weg in der Richtung gezeichnet, dass ich die Verfassung in der vom Landtage beschlossenen Form Seiner Durchlaucht dem regierenden Herrn [Johann II.] zur Höchsten Genehmigung beantragen werde. [8] Bei der Gesamtbeurteilung der Angelegenheit sind für mich unter anderem auch folgende Erwägungen massgebend:

Seit bald 3 Jahren schwebte ein zeitweise heftiger Kampf im ganzen Lande um die Verfassung. Wie Euer bischöflichen Gnaden zur Genüge bekannt ist, nahm dieser Kampf mitunter ziemlich scharfe Formen an. Wie ich die Stimmung sowohl unter den Abgeordneten als auch sonst in der Bevölkerung kenne, weiss ich vollkommen sicher, dass es ein Leichtes gewesen wäre selbst dann, wenn der Landtag mit Dreiviertel-Mehrheit schliesslich für die vom hochwürdigsten bischöflichen Ordinariate vorgeschlagenen Formeln sich entschieden hätte (was aber nie zu erreichen gewesen wäre), die Volksstimmung derart in Aufregung zu bringen, dass eine Durchführung der Verfassung einfach ausgeschlossen geschienen hätte.

Nachdem das Dazwischentreten Seiner Durchlaucht des Herrn Prinzen Franz sen. [von Liechtenstein] hinsichtlich einiger staatspolitischer, den besonderen Zankapfel zwischen den Parteien bildender Punkte, besten Erfolg hatte, [9] die vom hochwürdigsten bischöflichen Ordinariate gemachten Vorschläge von den Abgeordneten weniger vom parteipolitischen Standpunkte behandelt wurden und sich nun eben nach fast dreijährigem Kampfe endlich geeinigt hatten, hielt ich mich im Gewissen verpflichtet, diese Einigung im Hinblicke auf das meines Erachtens immerhin nicht unwesentliche Entgegenkommen des Landtages gegenüber den Wünschen Euer bischöflichen Gnaden nicht weiter zu gefährden.

Ich gebe mich der Hoffnung hin, dass Euer bischöflichen Gnaden und das hochwürdigste bischöfliche Ordinariat die Stellungnahme sowohl des Landtages als der Regierung vollkommen würdigen werden und dass unter der Wirksamkeit der neuen Verfassung die altüberlieferten guten Beziehungen zwischen dem Stuhle des heiligen Luzius und der Regierung des Fürstentumes nicht nur erhalten, sondern noch vertieft werden. Die fürstl. Regierung ihrerseits wird nicht ermangeln, in diesem Sinne zu wirken.

Genehmigen hochwürdigster Herr Bischof die Versicherung meiner ausgezeichnetsten Hochverehrung, womit ich zeichne als

Euer bischöflichen Gnaden

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[1] LI LA RE 1921/3693 ad 963. Eine Abschrift des Schreibens sandte Ospelt am 27.8.1921 an Landesvikar Johann Baptist Büchel (LI LA SF 01/1921/ad 141).
[2] 22.8.1921.
[3] LI LA RE 1921/3690 ad 963, bischöfliches Ordinariat Chur an Ospelt, 17.8.1921; LI LA SF 01/1921/141, Schmid von Grüneck an Ospelt, 18.8.1921.
[4] Vgl. LI PA Paul und Judith Kaiser-Eigenmann, Nachlass Josef Ospelt, Ospelt an Kabinettsdirektor Josef Martin, 24.8.1921.
[5] LI LA RE 1921/3690 ad 963, Ospelt an Landtag, 23.8.1921.
[6] LI LA LTA 1921/S04/2, Protokoll der Landtagssitzung vom 24.8.1921.
[7] LI LA RE 1921/0963, Regierungsvorlage von Josef Peer, 12.1.1921.
[8] LI LA RE 1921/4017 ad 963, Regierung an Fürst, 10.9.1921; LI LA RE 1921/4017 ad 963, Ospelt an Kabinettsdirektor Josef Martin, 10.9.1921.
[9] Am 2.8.1921 traf sich Prinz Franz mit zwölf der 15 Landtagsabgeordneten. Dank seiner vermittelnden Rolle konnte bei diesem Treffen eine Einigung bezüglich der Frage der "Qualifizierung des Landesverwesers" gefunden werden. Anschliessend führten die Abgeordneten die Diskussion unter sich weiter und einigten sich dabei über den Wahlmodus für den Landtag (LI LA SF 01/1921/125, Prinz Franz an Kabinettskanzlei, 2.8.1921).