Das Unternehmen Jenny, Spoerry & Cie legt der Regierung eine Fabrikordnung für die Spinnerei in Vaduz und die Weberei in Triesen vor


Maschinenschriftliche Fabrikordnung, gez. „Jenny, Spoerry & Cie“ [1]

23.6.1926, Vaduz und Triesen

Fabrikordnung

der Baumwollspinnerei und Weberei in Vaduz und in Triesen der Firma Jenny, Spoerry & Cie.

I. Arbeitsordnung

1./ Die Arbeitszeit beträgt wöchentlich 48 Stunden. In der Spinnerei beträgt die tägliche Arbeitsdauer Montag – Freitag 8 ¾ Stunden, an Samstagen 4 ¼ Stunden. In der Weberei beträgt die Arbeitszeit Montag – Donnerstag je 9 ½ Sunden, Freitag 10 Stunden, der Samstag ist gänzlich frei. An Vorabenden gesetzlicher Feiertage endigt die Arbeit um 5 Uhr. Die Einteilung der Arbeitszeit wird in einem Stundenplan festgelegt und der fürstlichen Regierung angezeigt. [2]

2./ Die Arbeitsräume werden 20 Minuten vor Beginn der Arbeit geöffnet und müssen 15 Minuten nach Schluss der Arbeit verlassen sein.

II. Fabrikpolizei

3./ Die Arbeit muss pünktlich begonnen werden. Das vorübergehende Verlassen des Arbeitsplatzes ohne zwingenden Grund und das vorzeitige Verlassen des Fabrikgebäudes ohne Erlaubnis ist nicht gestattet.

4./ Ohne vorausgehende Anzeige an den Vorgesetzten darf niemand von der Arbeit wegbleiben. In unvorhergesehenen Fällen ist der Grund für Verspätung oder Wegbleiben dem Vorgesetzten so bald als möglich zu melden. Bleibt ein Arbeiter ohne Einverständnis der Fabrikleitung mehr als 14 Tage von der Arbeit weg, so wird er als ausgetreten betrachtet und in der Arbeiterliste abgeschrieben.

Ist der Arbeiter erkrankt oder wird er von einem Unfall betroffen, so ist er verpflichtet, seinen Vorgesetzten im Betrieb so bald als möglich in Kenntnis zu setzen. Bleibt ein erkrankter oder verunfallter Arbeiter nach der ärztlichen Entlassung oder eine Wöchnerin nach Ablauf der gesetzlichen Wartefrist nach der Niederkunft, ohne Einverständnis der Fabrikleitung mehr als 14 Tage von der Arbeit weg, so wird das als Austritt aus dem Dienstverhältnis angesehen und in der Arbeiterliste entsprechend eingetragen.

5./ Grösste Gewissenhaftigkeit in der Ausführung der übertragenen Arbeiten, sorgfältigste Behandlung des Arbeitsmaterials, der Maschinen, Werkzeuge und der gesamten Fabrikanlage, Sparsamkeit bei der Verwendung von Materialien, Reinlichkeit, anständiges Benehmen gegen Vorgesetzte, Untergebene und Mitarbeiter, ist jedermans Pflicht.

6./ Änderungen an Maschinen dürfen nur von den hiezu bestimmten Personen vorgenommen werden. Für die Folgen, die aus eigenmächtigem Richten und Ändern von Maschinen hervorgehen, ist der Arbeiter verantwortlich.

7./ Die zum Schutze von Gesundheit und Leben der Arbeiter getroffenen Vorkehren sind gewissenhaft zu benützen, zu jenem Zweck erlassene Vorschriften pünktlich zu befolgen.

8./ Das Einführen fremder Personen und Kinder unter 14 Jahren in die Arbeitsräume (Art. 70 F.G. [Fabrikgesetz]) ist untersagt.

9./ Das Rauchen in der Fabrik und im umzäumten Fabrikareal und das Ausspucken auf den Boden sind verboten. Die zum Aufbewahren von Kleidern und anderen Gegenständen bestimmten Einrichtungen müssen benützt werden.

10./ Der Genuss geistiger Getränke während der Arbeitszeit ist verboten. Das Einnehmen von Zwischenverpflegungen während der Arbeitszeit ist nur dann gestattet, wenn dadurch weder die Aufmerksamkeit beeinträchtigt wird, noch die verlangte Reinlichkeit Einbusse erleidet.

11./ Übertretungen der Vorschriften über die Arbeitsordnung und die Fabrikpolizei sowie der genehmigten besonderen Reglemente und Vorschriften zum Schutze von Gesundheit und Leben der Arbeiter können nach einmaliger Warnung mit Bussen von 25 Rappen bis zu einem Viertel des Taglohnes im einzelnen Fall bestraft werden, unter sofortiger Mitteilung an den Gebüssten. Beschwerden über verhängte Bussen sind vom Gebüssten innerhalb zweier Tage seit der Ausfällung bei der Fabrikleitung vorzubringen. Verhängte Bussen werden der Fabrikkrankenkasse zugewiesen.

12./ Wenn der Zustand des Arbeiters ihn zur Erfüllung seiner Pflichten untauglich macht, sein Verhalten das Zusammenarbeiten stört oder die Sicherheit des Betriebes gefährdet, kann der Arbeiter vorübergehend von der Arbeit ausgeschlossen werden.

13./ Schwere oder trotz zweimaliger schriftlicher Warnung fortgesetzte Verletzung der Fabrikordnung sowie der genehmigten besonderen Reglemente und der Vorschriften zum Schutze von Leben und Gesundheit der Arbeiter kann im Sinne von Art. 41 Gew. Ordg. [3] geltend gemacht werden.

III. Lohnzahlung

14./ Die Auszahlung der Belöhnung erfolgt alle 14 Tage am Montag. Der Arbeiter hat den Betrag mit der Abrechnung zu vergleichen und allfällige Irrtümer unverzüglich bei der Zahlstelle anzuzeigen.

15./ Der Lohn von sechs Arbeitstagen bleibt als Decompte [4] bis zur folgenden Lohnzahlung ausstehen.

IV. Kündigungstermin

16./ Die Kündigung kann beidseitig auf jeden Zahltag erfolgen, sofern nicht in einzelnen Fällen längere Kündigungsfristen im Dienstvertrag vereinbart worden sind. [5]

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[1] LI LA RE 1926/2575 ad 0753. Ebd. auch ein gedrucktes Exemplar. Die Regierung bzw. Regierungschef Gustav Schädler genehmigte die Fabrikordnung am 5.7.1926. – Nach Art. 4 Abs. 1 des Vertrages vom 29.3.1923 zwischen der Schweiz und Liechtenstein über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet, LGBl. 1923 Nr. 24, fanden bzw. finden in Liechtenstein die gesamte schweizerische Zollgesetzgebung Anwendung, die übrige Bundesgesetzgebung, soweit der Zollanschluss ihre Anwendung bedingt. In diesem Sinne wurde in Anlage I zum Zollanschlussvertrag die eidgenössische Fabrikgesetzgebung aufgenommen, insbesondere das Bundesgesetz betreffend die Arbeit in den Fabriken vom 18.6.1914, abgeändert durch das Bundesgesetz betreffend die Arbeitszeit in den Fabriken vom 27.6.1919. Nach Art. 89 Abs. 1 des liechtensteinischen Einführungsgesetzes vom 13.5.1924 zum Zollvertrag, LGBl. 1924 Nr. 11, war mit dem Vollzug der Fabrikgesetzgebung die Regierung beauftragt. Sie hatte nach Abs. 2 legcit. der Abteilung für Industrie und Gewerbe des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements Bericht und Antrag vorzulegen, welcher Betrieb als Fabrik dem Gesetz zu unterstellen war. In der Folge hatten sämtliche dem Fabrikgesetz unterstellten Betriebe eine Fabrikordnung und einen Stundenplan zur Arbeitszeit zu erstellen, welche der Regierung zur Genehmigung vorzulegen war.
[2] Vgl. den Stundenplan für die Weberei Jenny, Spoerry & Cie in Triesen vom 1.4.1927 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 48 Stunden (LI LA RE 1927/2464 ad 0014/2069) bzw. den Stundenplan für die Spinnerei in Vaduz vom 4.8.1927 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von – allerdings – 52 Stunden (LI LA RE 1927/3639 ad 0014). Für die genannte Spinnerei hatte das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement (Abteilung für Industrie und Gewerbe) schon mit Schreiben vom 31.12.1926 für die Zeit bis Ende Juni 1927 eine wöchentliche Arbeitszeit von maximal 52 Stunden bewilligt (LI LA RE 1927/0014). Am 27.7.1927 wurde der Spinnerei neuerliche eine Überzeitbewilligung und zwar bis zum 31.12.1927 erteilt (ebd.).
[3] „A.B.G.B.“ durchgestrichen und durch „Gew. Ordg.“ ersetzt. Vgl. das Gesetz vom 13.12.1915 betreffend die teilweise Abänderung der Gewerbeordnung, LGBl. 1915 Nr. 14. Deren § 41 behandelte die sofortige Auflösung des Arbeits- und Dienstverhältnissen aus wichtigen Gründen vor Ablauf der ausdrücklich oder stillschweigend ausbedungenen Arbeitsdauer und ohne Aufkündigung.
[4] Décompte: Hier als Abzug zu verstehen.
[5] Vgl. auch die Fabrikordnung der Bau- und Möbelschreinerei Eugen Meier in Mauren vom 30.9.1926 (LI LA RE 1926/4226 ad 0753).