Bauernberater Franz Beck tritt für eine verstärkte staatliche Unterstützung des Bauernstandes ein


Aufsatz von FranzBeck, Leiter der landwirtschaftlichen Beratungsstelle [1]

o.D. (zu 30.1.1934)

Agrarpolitisches

Unter Agrarpolitik versteht man den Inbegriff der Grundsätze, von denen der Staat bei der Pflege der Landwirtschaft sich leiten lässt.

Eine solche staatliche Pflege ist in allen Kulturstaaten wahrzunehmen und findet ihre Erklärung und Rechtfertigung in dem Interesse, dass der Staat an dem Wohlergehen der landwirtschaftlichen Bevölkerung hat. Dieses Interesse des Staates liegt nicht nur an der Person des Landwirtschaft betreibenden Staatsbürger, sondern in der Staatswirtschaft, d.h. in der Hebung der landwirtschaftlichen Produktion, um möglichst viel dieser Produkte im Inland zu erzeugen, um die Einfuhr der Nahrungsmittel zu verringern, ferner in der Hebung der Bodenkultur, als Träger der Kaufkraft des Innenmarktes, der Erzeugnisse anderer Gewerbe und der Industrie.

Die Landwirtschaft bedarf der staatlichen Hilfe, wenn sie im unaufhörlichen Vorwärtsdrängen in der landwirtschaftlichen Konkurrenz des Auslandes bestehen soll. Die Landwirtschaft kann die Meilenschritte der Industrie und der andern Gewerbe nie mitmachen. Vor allem ist es die Natur selbst, die der Landwirtschaft das alljährlich gleiche Tempo vorschreibt. Die Vorgänge der landwirtschaftlichen Erzeugung spielen sich im Freien, nicht wie die der Industrie in einer geheizten oder Tag und Nacht beleuchteten Fabrik ab. Die Jahreszeiten und das Klima sind die Faktoren, innerhalb deren Grenzen die Vorgänge ohne besondere Betriebsgeheimnisse sich abspielen müssen. Die Landwirtschaft hat sich von jeher immer etwas langsamer bewegt als andere Gewerbe. Die Begründung hierfür liegt:

a) In der psychologischen Eigenart des Bauern

Die durch die Natur gegebene Gesetzmässigkeit und Stetigkeit des Betriebes in den vier Jahreszeiten hat dem Landwirt eine schwere Anhänglichkeit an das Altgewohnte gegeben. Er hält sich an die Betriebsweise seines Vaters und die Gewohnheiten der Vorfahren. Dazu kommt noch vielfach die Abgeschlossenheit seines Lebens auf seinem Einzelhofe oder in dem Dorfe, weitab vom Betrieb der modernen Wirtschaft.

Er hält an den ererbten Bräuchen und Lebensweisen mit zähem Sinne fest und ist misstrauisch gegen Neuerungen. Dieses Beharren ist ein guter Zug unseres Bauern und es wäre bedauerlich, wenn der Bauer diesen nicht hätte.

Aber jede wirtschaftliche Neuerung des landwirtschaftlichen Betriebes muss ebenfalls diese Mauer des Konservatismus überschreiten. Dazu braucht es manchmal Sturm oder Zwang. So wurde der Kleebau in verschiedenen Staaten polizeilich eingeführt, der Kartoffelbau brachte erst eine Lebensmittelnot vorwärts. Heute noch bestehen für viele der Landwirtschaft nützliche Einrichtungen Zwangsbestimmungen, um ihnen Eingang verschaffen zu können (Italien).

Es ist zuzugeben, dass gerade im Widerstreben gegen zu viele wirtschaftliche Neuerungen etwas Gesundes in der Landwirtschaft gelegen ist. Anders zu beurteilen ist das Widerstreben gegen solche Neuerungen, die der eigenen Landwirtschaft die Existenzsicherung gegen die Konkurrenz geben oder erleichtern. Der Widerstand gegen solche Reform ist nun immer dort stärker, wo die Durchschnitts– und Fachbildung nicht vorangeschritten ist.

b) In der Mittellosigkeit eines grossen Teiles der Bauern

Wenn die Einsicht des Wertes der Einführung einer Neuerung auch vorhanden ist, so genügt gewöhnlich nicht bloss diese und ein Mehr der Betätigung der persönlichen Arbeitskraft, sondern die Neuerung hat wohl immer die Aufwendung von Geldmittel zur Voraussetzung. Je mittelloser der Bauernstand ist, umso schwerer wird es sein, ihn auf Wege zu führen, die ihn befähigen, dem von ihm bewirtschaftetem Boden höhere Erträge abzugewinnen, weil jene Wege eben nur gegen Vorauslagen an Geld gangbar sind.

Verschiedene Sachen z.B. die Verwendung besserer Bodenbearbeitungsgeräte, Dreschmaschine, Lagerschuppen für Gemüse, Konservenfabrik, Mosterei, Mühle, Futtersilo, Meliorationsarbeit, usw. wären geeignet, die Erträgnisse des Bodens und deren Ausnützung zu steigern, aber wegen der hier zu nötigen Geldmittel müssen derlei Sachen bei den meisten Bauern unterbleiben.

Diese Schwierigkeiten wachsen in dem Masse, je mehr die kleinbäuerliche Bevölkerung überwiegt. Da tut eine staatliche Hilfe der Landwirtschaft besonders Not.

c) In den allgemeinen wirtschaftlichen Hemmungen & Störungen

Der Fortschritt in der landwirtschaften Betriebswirtschaft bedarf fester Kapitalien oder langfristiger Kredite zu einem niedrigen Zinsfluss. Die Landwirtschaft hat die Zeit der Saat und der Ernte in der Natur und im Klima vorgeschrieben, sie kann ihre Waren nicht dauernd umsetzen, wie der Kaufmann, sie kann sie nicht dauernd erzeugen, wie manch anderes Gewerbe oder die Industrie.

Die Landwirtschaft hat sich sehr schwer der Geldwirtschaft anpassen können und sie leidet heute noch sehr darunter, da sie sich ausserhalb der Produktion erst zu einem kleinen Teile in die ihr in der Geldwirtschaft ausser der Produktion zugefallene Rolle des Unternehmers und Kaufmanns einfinden konnte. Das ist ein wunder Punkt unserer Landwirtschaft und es wird auch gerade hierin dieser Sache mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden müssen (Absatz).

Der Übergangsprozess von der Naturalwirtschaft zur reinen Geldwirtschaft ist in der Landwirtschaft noch nicht vollendet und wird auch nicht so rasch vollendet sein, weil in diesen Prozess sich die ungeheuer rasche Entwicklung des Verkehres eingedrängt hat.

Die Landwirtschaft muss für den Markt produzieren, d.h. die Erzeugnisse der Wirtschaft, die nicht im Eigenbedarf benötigt werden, in Geld umsetzen. Diese Anschmiegung an die Bedürfnisse des Marktes ist äusserst schwer, wegen der Anforderungen der Abnehmer und der Konkurrenz der landfremden Ware, die infolge der Entwicklung des modernen Verkehres überall hingebracht werden kann.

Die Agrarpolitik des Staates liegt also nicht allein in der technischen Unterstützung der Bodenverbesserung, sondern auch in der Anpassung der Landwirtschaft an den Markt und die Erziehung des Bauern in der modernen konkurrenzierenden Geldwirtschaft.

Staat und Bauernstand

Der Staat hat nicht nur ein Interesse am Bauernstand als denjenigen Stand, dem die Nahrungsmittelversorgung des Landes zukommt, sondern er hat ein Interesse am Wohlergehen des Bauern überhaupt. Der Bauernstand stellt bei uns den grössten Teil der Gesamtbevölkerung dar und als solcher wirtschaftliche Kraft, Kaufkraft des Innenmarktes und Steuerquelle. Jener Staat, an dessen Aufbau die Landwirtschaft einen wesentlichen Anteil hat, geniesst vielerlei Vorzüge gegenüber jenem Staatswesen, in dem der Industrie der Vorrang über die Landwirtschaft eingeräumt ist.

Die Landwirtschaft, darin selbst der Kleinbesitz, ist durch die Möglichkeit der Beschaffung der Nahrungsmittel aus eigenem in Zeiten der Not nicht so abhängig von der Geschäftskonjunktur wie der besitzlose Industriearbeiter, er ist daher gerade in Zeiten der Geschäftsflauheit das staatsruhige Element. Der Bauernstand ist heute der beste Abnehmer des Innenmarktes für Gewerbe und Industrie. Von jeher wusste eine Stadt ein wirtschaftlichkräftiges Hinterland, wie die durch günstige Ernten erhöhte Kaufkraft des Bauernstandes zu würdigen.

Der Bauernstand hat vermöge der ihm innewohnenden Lebensanschauungen, seiner Lebensweise in der Natur einen ausgeprägten Sinn für Religion. Er war von jeher eine der sicherste Stütze für Thron und Altar. Auch die neuen geltenden Verfassungen werden in ihm einen treuen Hüter finden, wenn sie den ererbten und erworbenen Besitz, das Eigentum nicht antastet und die Bedingungen seines Gedeihens wahrnimmt.

Alle diese Umstände bezeugen die Wichtigkeit der Erhaltung eines gesunden wirtschaftlich kräftigen Bauernstandes und begründen die Notwendigkeit der staatlichen Fürsorge für den Bauernstand in einer den bäuerlichen Interessen Rechnung tragenden und sie fördernden Agrarpolitik.

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[1] LI LA RF 143/186/003-004. Beck sandte den Aufsatz am 30.1.1934 der Regierung zu als Beilage zu einem Gesuch für einen Ausbau der von ihm geführten landwirtschaftlichen Beratungsstelle (LI LA RF 143/186/001-002).