Peter Rheinberger berichtet seinem Vater in Vaduz über die wirtschaftliche Lage seines Bruders Josef und über die diesbezüglichen Prognosen für die nähere Zukunft.


Brief Peter Rheinberger an Vater Johann Peter Rheinberger
13. November 1855, München


Theuerster Vater!
Vorgestern wurde Josephs Gesuch nach Frankfurt gesendet. Hr. Prof. Maier that sein Möglichstes um es zu begünstigen. Das Paket bestand aus einer Menge bester Zeugnisse, ich wünsche nur, dass sie die gehoffte Wirkung machen mögen. Heutigen Tages gibt man aber für solche Papiere wenig mehr und von denselben wird, wie auch Maier glaubt, wenig abhängen; deswegen wird Hr. Lachner sich schriftl. beim Vorstande des Vereins für Josef verwenden.
Sollte Josef auch das Glück haben und das Stipendium erhalten, so wird es nach Maier's Dafürhalten, doch noch allerwenigstens 1/2 bis 3/4 Jahr gehen, bis es entschieden und verabfolgt wird. Er treibt daher eine andere Frage ein: Wie ist Josef's Existenzmittel bis dahin gesorgt? Seine Monatsgelder werden nicht mehr fliessen und was er sich durch seinen Privat=Unterricht etc. erwirbt, reicht kaum zu seinem Sakgelde und in dieser Hinsicht ist gar keine Hoffnung auf eine Besserung, den er hat jetzt schon so viel zu laufen, dass ihm die schönste Zeit geraubt und nur einige Lücken im Tage zu seinen Compositionen und Studien bleiben. Er fragt sich nun bester Vater ob es Ihre Kräfte vermögen seine Existenz bis dahin in München zu decken. Seine Anwesenheit hier ist eben sehr notwendig; von Vaduz aus würden seine Compositionen wahrscheinlich nie an's Tageslicht kommen, wären sie auch noch so gut. Hr. Maier würde es auch für kein grosses Glück Josef's ansehen, wenn er das Stipendium bekäme und München, wo er nun gekannt und von so vielen Musikern geachtet ist, verlassen müsste. Josef's Kleider sind sehr heruntergekommen, theils verwachsen und theils abgetragen. Hosen hat er nur eine, die Röcke sind ihm viel zu klein, bis auf einen, den er sich hier kaufte, der aber - schon sehr abgenutzt ist und seine einzige Weste ist auch nicht im besten Zustande. Da man hier etwas delikater im Tragen der Kleider ist, als zu Hause und Josef sich namentlich öfter in noblern Häusern und Zirkeln sehen lassen muss, so dürfte es nicht überflüssig erscheinen, wenn Sie ihm so viel Geld zukommen liessen, dass er sich einen ordentlichen Anzug machen lassen könnte und nicht genöthiget wäre, sein Geld, das bei Maier liegt und für einen anderen Zweck bestimmt ist, anzugreifen. Ich habe mich in München schon ziemlich eingebürgert und meine Lebensweise bald geregelt, so dass ich mich recht behaglich fühle. Morgens von 8 - 9 Uhr habe ich immer Mathemathik und von 9 - 12 Uhr wohne ich dem Ingenieur=Kurs bei und zwar in den Vorträgen über Strassen=Wasser=und Brückenbau, ferner in den Übungen vom Konstruieren und Entwerfen der Strassen, Brücken etc.
Nachmittags: Civil=bau nebst Zeichnen, Maschinenbau und
Maschinenzeichnen und Situationszeichnen. Leider kann ich nicht Physik hören, weil es mir die Eintheilung der Stunden nicht erlaubt. Übrigens habe ich. mit den gewählten Fächern genug zu thun, um mit ihnen zurecht zu kommen. Zu meinem Vergnügen bleibt mir daher wenig Zeit. Ich kaufte mir daher Bücher und 1 Klftr. Holz, der (nebenbei gesagt) nur 14f1 36kr kostete, lasse am Abend einheizen und studiere. Freilich vergisst man auch nicht, wenn's nicht mehr recht gehen will, mit einem guten Zug Bier sich's zu erleichtern. - Meine Vorkenntnisse leisten mir treffliche Dienste, so dass mir manches sehr leicht wird, aber um ein ganzes zu bekommen müsste ich nothwendig beide Semester die Anstalt besuchen. -Hr. Recktor machte grosse Augen und schüttelte den Kopf als ich den Ingenieurkurs beizuhören verlangte, da klopfte ich bei Hr. Schaffhäutl um Hülfe und - es ging wie geschmiert. Für meine 6 Fächer bezahlte ich. (für's ganze Jahr) 36 fl und die Herbeischaffung von Zeichnungsmaterialien, Büchern, Kleidern und andern nothwendigen Einrichtungen riefen bei meinem Geldbeutel dermassen eine Ebbe herbei, dass er ein betrübender Anblick gewährt und es mir erdenklich gruselt, wenn ich ihn zu Rathe ziehen muss.

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