Aus meinem Leben - Wahrheit, nicht Dichtung, Tagebucheinträge von Fanny Rheinberger vom Herbst 1852 bis bis 11. Oktober 1864


Tagebuch Franziska von Hoffnaaβ


AUS MEINEM LEBEN

Wahrheit, nicht Dichtung 

[München, Herbst 1852]

"- Ah! Guten Morgen! Schön; dass Sie wieder da sind, junger Herr! Wie steht's zu Hause, Alles wohl?"

"Danke! Viele Grüsse. Und bei Ihnen?"

"Auch. Geben Sie Acht! Diesen Winter werden Sie bei uns nicht langweilig finden - Sie werden sehen!"

"So, warum denn?"

"Nun, unser Fräulein, die jetzt bei uns wohnt - was die lustig ist - und gescheidt - und hübsch - jetzt werden Sie gerne bei uns wohnen - jeden Abend kommt sie zu uns herüber, da wird Schwarz-Peter gespielt, geplaudert, gelacht bis neun, halb zehn."

"Nun, ich bin sehr begierig auf heut Abend."
So empfing mich die treue Duenna, als ich mit neuem Muthe aus den herrlichen Ferien zurückkam.

Im Grunde genommen interessirte mich das 'Fräulein' wenig, ich war noch zu voll von den Eindrücken der lieben Vakanzzeit, dem Wiedersehen der theuren Eignen - mit einem Wort, ich hing noch zu sehr am häuslichen Herd, zu schwer war dem jugendlichen Herzen noch der Abschied vom Heimathshause geworden, was ich aber um keinen Preis gestanden hätte. -
O gewiss, zu bemitleiden ist Jeder, der die Wonne des Wiedersehens nach längerer Trennung im holden Kindesalter nicht gefühlt; wie wichtig kommt man sich nicht vor, wenn man von den Seinigen mit etwas mehr Auszeichnung als sonst behandelt wird. Es wird der Koffer aufmerksam ausgepackt, die kleinen Geschenke vertheilt, Alles Neue aus der grossen Stadt genau betrachtet und für schön befunden. Endlich fragt Papa: "Wie steht es mit den Schulzeugnissen!" Das ist der grosse längst heimlich ersehnte Moment. Mit geläufigem Griffe werden sie präsentirt - drei auf einmal. Ja, schaut mich nur an, in dieser Minute wachse ich um einen halben Zoll. Papa setzt sich umständlich die Brille auf, nimmt neben dem Fenster Platz, um besser zu sehen; die Schwestern als neugierige Evastöchter machen einen, aber energisch vereitelten Versuch ihm über die Schultern zu gucken. Papa räuspert sich endlich, ruft der Mama, welche mit Wäscheauspacken sich beschäftigt, zu, und liest dann laut vor, während der Student ein wenig, aber freudig errötend am Ofen steht.

Siegel und Unterschrift als recht befunden, steckt nun Papa die Schriften zu sich, um sie im Lauf des Tags noch zehnmal wohlbehaglich zu lesen. Abends kann er sie auswendig - ich wette!

Ich übergehe die goldenen Monate August und September, es heisst in 8 Tagen wieder zur Stadt - bereits ist Abschied genommen, Mama gibt aus Versehen statt der üblichen 3 Küsse ihrer fünfe und wendet sich weinend ab. - Papa aber verzählt. sich nicht. "Sei brav, wie letztes Jahr! Schreibe alle vier Wochen - Gott befohlen!" Während die Pferde von der kräftigen Hand des Bruders angefeuert durch den Hof hinaustrotten, sehe ich, rückwärtigblickend noch Alle, Abschied winkend, das Weibervolk die Schürzen an den Augen und es macht Mühe dem nebenan Sitzenden im Wagen nicht merken zu lassen, dass auch ich Jucken in den Augen bekomme. Zwei Tage später - beim Schwarzen Peter. Felicia mir vis à vis. Sie war acht Jahre älter als ich, ungefähr einundzwanzig, schön gewachsen, von lebhaften Gesichtszügen, heiter und gesprächig und den fremden Buben als Kind und fremd behandelnd. Das verdross mich gewaltig, das war ich nicht gewohnt, indem ich etwa drei Jahre vorher in einer Landstadt [1] bedeutend verhätschelt wurde - das durfte nicht ungeahnt bleiben, und indem ich im Schwarzen Peter eine nie geahnte Virtuosität entwickelte, brachte ich es dahin, dass Felicia die stolze Stirne voll schwarzer Striche bekam, während ich unbemalt blieb.

Die kleine, aus sechs Personen bestehende Gesellschaft unterhielt sich lebhaft und es war schon spät, als ich von Felicia ein kurzes "Gute Nacht" bekam, das ich noch kürzer erwiderte. Mir träumte sodann noch von dem Abschied von Hause - und die Weiber hatten schwarze Striche auf der Stirne.

Hüte dich vor den Gezeichneten! -

Vierzehn Tage später waren Felicia und ich bei jedem Schwarzenpeterbereits Verbündete und bekamen gar bald die Oberhand in jedem Spiele; waren wir auch im Gespräch kalt und förmlich, so wurden doch die Striche redlich vertheilt; im Ganzen aber spielten wir nicht redlich, denn wenn der Schwarze Peter im Besitz meines rechten Nachbarn war, fühlte ich einen leisen Tritt auf meinem rechten Fusse, wenn beim Linken, so auf dem linken Fuss. Sollte ich mir ungestraft auf den Fuss treten lassen? Ich nicht. Beim Kartenwerfen war ich sehr ungeschickt. Jedesmal traf ich die Finger Felicias.

Sie war ein ungewöhnliches Mädchen, voll Geist und Energie und wunderbar selbstständigen Wesens. Durch eine böse Stiefmutter aus dem elterlichen Hause verbannt, lebte sie in fremdem Hause von dem Jahresgeld, welches sie aus ihrem mütterlichen Erbe zog unabhängig ihren Grillen; so erschien sie stolz und unnahbar. Doch empfand sie bald das Bedürfniss mit Leuten zu verkehren und sich offen auszusprechen, kurz, in einiger Zeit hatten wir so viel zu plaudern, dass wir nie fertig werden konnten und immer wieder einen neuen Abend herbeiwünschten. Dabei versäumte ich meine Studien nicht, von denen sie bisher durchaus keine Notiz genommnen, was mich nicht wenig verdross. Um so mehr überraschte es mich, als Felicia mir eines Tages ganz trocken erzählte, sie hätte meine Professoren aufgesucht, um sich nach meinem Lernen zu erkundigen. Sie sei mit dem Resultat zufrieden, sehr zufrieden. Nicht so sehr zufrieden war ich mit ihr, denn sie fing an mich zu hofmeistern - ich musste mich sorgfältiger kleiden; schrecklich: sie lehrte mich sogar mich besser zu frisieren, meine Notenhefte mussten schön geheftet sein (das that sie aber selbst), keine Tintenflecke wurden geduldet, auch das Schneeballwerfen wurde mir verwiesen, statt über das Stiegengeländer zu klettern musste ich über die Stiege gehen, alle Unarten wurden abgewöhnt; täglich erhielt ich eine strenge Schreibstunde, meine schlechte Schrift zu verbessern, wir studierten zusammen Französisch, gingen miteinander in Theater und Concerte, zur Kirche und Besuchen usw.

Einmal, es war, wenn ich nicht irre ein Weihnachtsabend ersuchte sie mich zum erstenmale ihr etwas vorzuspielen, ich spielte Webers Variationen über: Vien quà Dorina bella. Gegen Ende der Pièce hörte ich sie laut weinen und fühlte mich von rückwärts umarmt und heftig auf die Stirne geküsst; obschon noch halb Kind, wusste ich nicht, wie mir geschah; denn ich war ungemein ergriffen, Felicia, die mich sonst so stolz hofmeisterte, so weich und leidenschaftlich zu sehen - noch dreimal musste ich das Thema, vien quà usw. spielen und wurde zum Danke von Küssen fast erstickt. Felicia erzählte mir, dass sie sich an diesem Abend so sehr an frühere Weihnachtsabende erinnerte, an früheres, glückliches Familienleben und sich nun zum erstenmale so recht einsam fühle. "Du musst nun mein Bruder sein! Nein, du bist es schon längst!" -

Noch erinnere ich mich, wie ich das erste "Du" sagte, welches mir bald geläufig wurde. Vor der Welt Sie unter uns Du, volle 3/4 Jahr und nie eine Verwechslung oder ein Vergessen, das sich fatal genug ausgenommen hätte. Ihr Einfluss auf mich war wirklich unbegrenzt, ebenso konnte sie keinen Tag mehr ohne meine Gesellschaft zubringen, wir waren lustig wie Kinder - oder traurig wie die Kinder und doch studierte ich damals so fleissig wie nie, denn Felicia duldete kein Versäumen;- sie erinnerte auch, wenn es Zeit war, den Eltern zu schreiben, lehrte mich unter allen Verhältnissen meine Selbstständigkeit zu wahren, so da ich bald meine sämtlichen Kameraden (es waren zwar nicht viele) unter den Pantoffel bekam.

Anfangs Frühjahr [1853] (ich glaube, es war noch Februar) erkrankte ich ziemlich heftig. Mit starken Kopfschmerzen stellte sich ein Fieber ein, so dass ich bald irre redete. Felicia war untröstlich und wich nicht von meinem Kranken lager; sie pflegte mich Tag und Nacht und duldete eiferstichtig keine andere Pflege. Als es besser wurde, las sie mit Wilhelm Meister, wobei sie hofmeisternd bemerkte: "Eigentlich ist dieses Werk nicht für so junge Leute - doch mache ich eine Ausnahme." Mignon machte einen unauslöschlichen Eindruck auf mich, kaum genesen, versuchte ich zwei ihrer Lieder [2] "Kennst du das Land" u. "Nur wer die Sehnsucht kennt") musikalisch wiederzugeben. Mit der Genesung hatte ich auch die Kinderjahre abgeschüttelt und fing an reifer zu componiren. Wie vieles hatte ich Felicia zu danken - wie unermüdet hatte sie sich meiner angenommen und doch konnte ich ihr nicht dankbarer sein als sie es mir war.

So selbständig und energisch sie in ihren Handlungen war, so war sie doch nie unweiblich, liess sie es sich doch nicht nehmen an meinem Geburtstage mir meine Lieblingsspeise zuzubereiten. Stand ihr doch die weisse Küchenschürze gar zu allerliebst. (Liebster Leser, nimm es mir nicht übel, denn es war wirklich so).

Noch im nämlichen Frühjahr [1853] verliess Felicia unser Haus um bei Verwandten Wohnung zu nehmen - das war ein harter Schlag für mich, denn wenn ich sie auch täglich besuchte und ganze Nachmittage dort zubrachte, so fehlte mit dagegen zu Hause Alles - sie - der es übrigens nicht viel besser ging. Mit doppeltem Eifer erfasste ich mein Studium nur um ihr davon erzählen zu können - wie gerne hörte sie mir zu - obschon sie Alles nur halb verstand. Nach einiger Zeit fiel es mir auf, dass Felicia selten mehr heiter wurde, obschon ihre Herzlichkeit die frühere blieb, ja sich noch steigerte. Um die Ursache dieser Veränderung befragt, weinte sie heftig und verbot mir zu fragen. Diese Verschlossenheit kränkte mich nicht wenig, waren wir doch längst gewöhnt keine Geheimnisse unter uns zu kennen, alle kleinen Tücken, jede List, Schmeicheleien, nichts blieb von mir unversucht, doch ohne Erfolg, zeigte ich mich auch gekränkt, so konnte mich ein Blick von ihr besänftigen. Eines Sonntags gingen wir, statt wie gewöhnlich in den Kunstverein in den englischen Garten. "Wir gehen heute zum letztenmale miteinander, lieber Bruder" sprach Felicia mit erzwungener Heiterkeit, "und wenn du nicht weinst und muthig bist, so will ich nicht mehr verschlossen sein." "Ich. weine ja nicht Felicia, obschon mir jede Trennung näher geht, als dir, das weiss ich gewiss!"

"Wie trotzig! Ich habe dich aber so verzogen!"

"Du hast mich weder erzogen noch verzogen - ich bin kein Kind mehr, Felicia, ich werde lachen was du mir auch zu sagen hast!"

"Das wirst du nicht" - sie hatte Recht.

"Lieber, theurer Bruder, du gehst in zwei Tagen wieder zu deinen Eltern, du glaubst unsere Trennung daure nur zwei Monate - sieh mich nicht so an - nein! Sonst kann ich nicht weiter reden - wenn du zurückkommst bin ich nicht mehr hier - weit, weit von hier."

"Wo gehst du hin?" fragte ich -mit gepresster Brust. "Ich habe dir nie von meinen Familienverhältnissen gesprochen, habe dir verboten mich darüber zu befragen - du hast mir gefolgt, obschon es dir manchmal schwer wurde - bist eben mein lieber Bruder, das einzige, theure Wesen, das ich kenne, du bist die einzige Erinnerung, die ich aus Europa nach der neuen Welt mitnehme!".

Fast schrie ich laut auf.

"Still, sei ruhig! Dein Schmerz wird nicht lange dauern, du bist jung, deine Kunst erfüllt dich ganz - bist du erst in meinem Alter, oder etwas älter, so wirst du dein Glück im eignen Familienkreise suchen - und - finden - mich vergessen, die ich im fernen Westen täglich, stündlich an dich denken werde." -

Wir sprachen lange nicht mehr; bei den Wasserfällen setzten wir uns auf eine Bank. Felicia war ruhiger geworden und erzählte mir dass sie, durch. Familienereignisse gezwungen, nach America müsse - dort einem Manne, den sie kaum (oder nicht, sagte sie) ich weiss nicht mehr welches, denn ich war zu betäubt, -die Hand zu reichen und sehr unglücklich sein werde.
"Sollten wir uns in dieser Welt wiedersehen, so bitte ich, beschwöre ich dich, bleibe mir, was du mir warst - das soll meine einzige wenn auch schwache Hoffnung sein, die mich in der fernen Farm aufrecht erhalten soll - glaube mir, ich werde dich. in allen Verhältnissen wieder kennen. Küsse mich noch einmal - Nun Lebwohl für immer."

Wir trennten uns - wie ich den Weg nach Hause gefunden, weiss ich nicht mehr. Ich hatte Kopfschmerzen und legte mich früh nieder, nachdem ich zuvor meine Reiseeffekten gepackt hatte - ich schlief die ganze Nacht nicht, der Kopf brannte - weinen konnte ich nicht, ich musste aufstehen um nicht zu ersticken, immer sah ich nur Felicia zu Schiffe, das so liebe Gesicht dem Ufer zugewandt, auf dem ich trostlos stand. -

Früh 5 Uhr kam mein väterlicher Freund [3] mich mit dem Wagen zur Eisenbahn abzuholen. Der Empfang zu Hause war wie sonst, nur Vater war trotz der glänzenden Schulzeugnisse etwas strenger gegen mich. Aus neckenden Anspielungen der Geschwister erkannte ich mit Erstaunen, dass Vater schon seit Wochen durch einen böswilligen entstellenden Brief von meiner Zuneigung zu Felicia in Kenntniss gesetzt war. Ich wusste den Brief trotz seiner guten Verwahrung heimlich zu lesen - er war gut gemeint von dem Warner, aber voll Unwahrheit, wie hätte auch jemand uns verstehen können. Vater erwähnte keine Silbe gegen mich, nur vor der Abreise bekam ich ein scharfes Kapitel gegen das andere Geschlecht zu hören - wäre unnötig gewesen, denn ich trug Felicia als eine Heilige in der Erinnerung [4]; es bedurfte mehrere Jahre um den Glauben in mir zu stürzen, dass sie das vollkommenste Geschöpf gewesen sei. Wäre es doch so geblieben! Es war im November des Jahres 186-, ich lehnte an der Saule beim Eingang in den Od-Saal, um die zum Concerte kommende Schaar zu mustern und dachte so recht gar nicht, (wie man sagt) da stolzirt in elegantem Ballkostüm eine Dame am Arm eines höchst langweilig aussehenden Herrn an mir vorüber, ich sehe sie an und glaube vom Schlage gerührt zu werden! - Es ist - nein, es war Felicia - sie musste mich schon eher erkannt haben, denn an mir vorüberstreifend sah sie mich so ironisch fest an; kein Zug sollte Wiedererkennen zeigen - sie wäre genirt gewesen! "Sei unbesorgt, veränderte Hülle der einstigen Felicia, mein Wiedererkennen soll dir nicht lästig fallen," dachte ich und stellte mich so, dass ich sie ungesehen genau sehen konnte. Hätte ich sie lieber nicht gesehen, so wäre meine Erinnerung nicht getrübt. Felicia war ganz verändert, jeder sonst so liebe Zug ihres Gesichtes sah blasirt, moquant sorglos aus - doch wenn ich mich getäuscht hätte - wenn sie es nicht wäre, ich ging näher, sie war es doch, zum Überfluss hörte ich sie im Gedränge reden, es war der Ton der Stimme, nicht mehr so welch, schärfer und bestimmter - ich dachte an den Schwarzen Peter; um Gotteswillen sie hat ja noch wie damals die schwarzen Striche auf der Stirne - ich rieb mir die Augen - sah wieder hin - die Striche sind nicht schwarz, nein, es sind Zeichen der strafenden Zeit - drei moquante, hässliche Falten! –

… ich bin Melancholiker vom Fach, desshalb schreibe ich nie sentimental um nicht abgeschmackt zu werden - mit einem Worte um nicht ausgelacht zu werden, trägt man eine Larve! Ach, heut zu Tage ist Alles besser als lächerlich zu sein: man sei raffinirt, falsch, egoistisch - man sei schlecht und man wird bewundert, denn man kann Gross in all Diesem sein - ist man aber einmal lächerlich, so ist man unmöglich, unwiederbringlich verloren. Daraus lässt sich so viel erklären! Ich hatte einen Freund, welcher sich im Ernste jeden Tadel gefallen liess, ja dafür dankbar war und mir Feind wurde in Folge einer höchst unbedeutenden ketzrischen Bemerkung, ohne dass meine Reue half. Dass vorstehende Träumerei auf alles Folgende nicht Bezug hat brauche ich dich kaum zu versichern, kann dir aber auch nicht Rechenschaft geben, warum ich es geschrieben - vielleicht war es nur ein Bild, eine blasse Photographie meines liebenswürdigen Gemüthszustandes durch kränkliches Lampenlicht auf Rosapapier geworfen! Ein schönes Ensemble. Träumte mir letzthin ich sei fünfzig Jahre alt - ach, ich fand mich ganz zu Hause in dem Besitze eines halben Jahrhunderts und fühlte doch kaum anders als jetzt! Mir träumte von einer Jugend, die unendlich weit hinter mir ware - zwischen meiner Jugend und meinem Alter eine trostlose öde und vor mir Nacht - ach! während dieses Traumes war ich wach! Wie war damals alles hell als ich bei meinem ersten Abschied vom Vaterhause frisch und muthig in die Welt hinaussah und mir ahnte von einer zwar fernen aber doch erreichbaren Kunstvollendung - ja! Damals war ich ein guter Mensch! Fähig der höchsten Treu war Wille und Fleiss. Ich staunte die erste Täuschung an, wie ein junges Füllen, das sich zum erstenmale im vollen Sonnenschein ergeht und mit Schrecken seinen eignen Schatten gewahr wird, es muss sich an den Schatten gewöhnen, er war ja der treueste Begleiter, mir war er es auch. Genug und mehr als genug! Warum schreibe ich dir das, dem du so ferne stehst, nur um dir zu beweisen dass ich gewiss nicht fähig bin dein kleines Buch zu beurtheilen. Glaube ja nicht, dass es mir dazu an Interesse fehle, das würde mich tief kränken, warst du ja doch in meiner Phantasiewelt seit langer, langer Zeit mein treuester Freund. (Warum soll ich es nicht gestehen) obschon in der Wirklichkeit so ferne. Vielleicht ist es Unrecht von mir, dir es zu schreiben, vielleicht wusstest du's - gleichviel vielleicht bist du dadurch beleidigt oder nur erzürnt, weisst du ja doch, wie leicht es ist meinen kleinen Briefwechsel aufhören zu machen. Ich muss mich hier gewaltsam unterbrechen sonst komme ich vor der zwölften Stunde und der zwölften Seite nicht über die Vorrede hinaus! …

Heute erhielt ich deine lieben Zeilen - da befindet sich unter denselben eine kleine Frage, die all meine Philosophie zu Schande macht - tausendmal hätte ich dieselbe ungefragt beantwortet, wenn nur die Gelegenheit dazu nicht gefehlt - nun ich direkt befragt bin, komme ich in Verlegenheit - wenn ich sage dass du nach dem Schein urtheilst, glaube ich Alles zu sagen, denke, ich sei in einer Träumerei befangen (seit Jahren) von der sich der vernünftige Mensch in mir losmachen will und nicht kann indem Herz und Gemüth stärker sind als Kopf und Wille. Ach! Das schreibt sich so hart, ich werde es lieber einmal sagen! –

Gespräch. [1861]

Meine kleine Schwester [5] sah mir beim Schreiben zu, sie hat so gute Augen und kann Alles verkehrt und von ferne lesen. Ich bat sie in ihr Zimmer zu gehen.
"Wenn du mir ein Offertorium schreibst, das ich zu Hause in der Kirche singen kann." Ich versprach es gerne, und sie ging schweigsam und störte mich nicht mehr. "Im Jahre 57 ging ich gar nicht nach Hause, nur um Sie sehen zu können - lachen Sie mich nicht aus!"
"Rührend!"
"Das habe ich am ersten Tag kommen sehen, ich habe gewusst, dass es so kommen wird - nun bin ich ruhiger und will nach Hause gehen!"
"Werde ich nicht sinken?"
"Nein nie!"
"Werde ich nicht in Ihren Gedanken sinken, wenn Sie zu Hause bei den Geschwistern sind."
"Nie, nie!"
"Auch bei den Eltern nicht?"
"Nein!"
"Auch im Walde nicht, wenn Sie die Bäume rauschen hören?"
"Gewiss nie!"
"Auch in der Kirche nicht?"
"Sie haben ja Vertrauen in mich und glauben mir! Nie nie!
Es wird nie wieder vorkommen!"
"Bin ich ein Irrlicht?"
"Seit fünf Jahren?! Ach! Wie rührend und reizend erschien mir stets Ihre Persönlichkeit - ich habe eine unendliche Hochachtung vor Ihnen! Was ich bin, bin ich nur durch Sie."
"Ach nein, Sie waren ja als Knabe schon selbständig." ° Er stand auf und ging!
"O Gott wie viel glücklicher sind Sie als ich!"
"Warum? !"
"Sie sind jung und ein Künstler - ich bin nichts - gar nichts!"
"Mir sind sie Alles!"
Er ging!

10. July Du glaubst nicht, wie sehr mich deine rasche Antwort auf meine letzten Zeilen freuten, obschon der Inhalt deines mir so werthen Briefes eigentlich wenig erfreuliches hat. Wie gerne glaube ich dass dein Vetter so schwer aus deiner Familie ging, wem möchte es da anders gehen? -
Wirst du böse sein, wenn ich dir recht gebe, dass deine Logik falsch war? Wem habe ich denn gesagt, geschrieben oder bemerkt, dass ich je daran denke aufzuhören dein Freund zu sein?! - das könnte ja nur in Folge einer von dir gegebenen Ursache sein, wenn ich nicht ganz charakterlos sein wollte. Wenn ich auch daraus ersah, dass du meine Bemerkungen von letzthin nicht verstanden, so ist es vielleicht nur um so besser - oder aber du wolltest sie nicht verstehen - so darf ich dir nicht böse darum sein, vielleicht müsste ich dich darum nur noch höher achten. Während ich hier schreibe siehst und hörst du Figaro

[Notenbeispiel 1]

habe ich nie besser gehört als letzthin - wäre ich im Theater, würde ich mehr rechts als auf die Bühne sehen, ist es darum nicht besser dass ich zu Hause blieb? Gewiss - überdiess endigen meine liebenswürdigen Tags-Geschäfte erst um 1/2 8 Uhr. Wenn ich so selten ins Theater gehe, so geschieht diess gewiss nicht aus Theilnahmslosigkeit, nichts weniger, denn wenn ich einmal dort bin so gibt es keinen theilnehmenderen Zuhörer, aber ich habe lange zu thun ein eben genossenes Kunstwerk zu verdauen. Der Eindruck einer Oper bleibt mir z.B. bis Ich die nächste Oper höre, und wenn ein halbes Jahr vorüber geht - doch nun verzeihe mir dass ich dich mit dem unausstehlichsten Geschwätze, dem Theatergeschwätze belästige und langweile - ich werde es so bald nicht wieder thun. Ähnlich geht es mir mit Bildern - sehe ich im Jahr zwei oder drei schöne Bilder so verlangt mich nicht zwanzig oder dreissig mittelmässige zu sehen, kann man daraus Mangel an Kunstsinn hieraus demonstriren, so lasse ich mich gerne als Barbaren schelten. -

Wie weit bin ich von meinem Thema abgekommen! Heute schrieb ich ein viertes Lied - wäre es deiner werth! In Liedern dürfte ich mit dir sprechen, wie's mir ums Herz ist, und doch gelingen sie mir nicht mehr so, da ich Genüge daran fände - hoffentlich dauert es nicht lange. …
Nun ist ein Winter vergangen und ein Sommer gekommen, ich bin um viele Erfahrungen reicher und um noch mehr Hoffnungen ärmer, das Leben wird mir immer prosaischer, die lebendig warmen Jugendidole der Kunst treten immer blasser in die Dämmerung der Vergangenheit und winken immer leiser und wehmüthiger - guter Gott! ist das das Geschick, das jedem sterbenden Künstler zu Theil wird, oder ist es ein poco a poco crescendo, das mit der grossen Fermate endigt? Dann gute Nacht mit all den schönen Träumen der Zukunft - und auch der Vergangenheit - wirklich (dir darf ich es schon sagen) wenn ich daran denke, dass ich in Allem zu frühzeitig war, so möchte ich bald an dem Letzten nicht mehr zweifeln - immer ich und ich - ich abscheulicher Egoist. -
Es thut mir weh, daran denken zu müssen, dass die Ferienzeit so lange dauert, nachdem du erst nach langer Abwesenheit so kurze Zeit hier warst - scheint mir doch der kleine Verkehr mit dir die Quintessenz meines Daseins zu sein und doch konntest Du schreiben, Du hättest keine Berechtigung mir zu sein, was du wolltest - das thut weh! Kein Wort mehr! - 

3.7.62 11. July 

- Wenn ich mich genau entsinne, so habe ich bei meinem kurzen Abschiedsbesuche auf den in Deinem letzten Schreiben ausgesprochenen so freundschaftlichen Wunsch noch nicht erwidert, dem Grundsatz treu auf Mündliches mündlich, auf Schriftliches schriftlich zu antworten, was sich begreiflicherweise bis heute hinauszögerte. Es ist nicht leicht Dir so zu antworten wie ich wollte - was man spricht, verfliegt, was man schreibt, bleibt unerbittlich stehen. So viel aber kann ich Dir mittheilen, dass dein Wunsch von meiner Seite mit Dank, tausend Dank erfüllt sei. Ich kann Dir sogar sagen, dass dein Wunsch der Erfüllumg desselben um Jahre erst nachkommt, mir bewusst stets als dein Freund gehandelt zu haben wenn nicht Neutralität durch Rücksichten erzwungen war. Um auf Obiges zurück zu kommen kann ich dir sagen, dass dein letzter Brief mir der Erfreulichste war, den ich seit Jahren erhielt, umsomehr, da (es sei diess kein Vorwurf) ich ihn nicht mehr erwarten konnte, denn du wirst begreifen, dass es im Laufe eines halben Jahres Fälle geben konnte, in denen ich mich fremd fühlen musste. Sei mir desswegen nicht böse, denn es ist naturgemäss, dass man Persönlichkeiten gegenüber, die einem nicht gleichgültig sind empfindlich ist, empfindlicher noch, wenn man (verzeihe den prosaischen Ausdruck) den Maulkorb tragt. Ich habe mich darüber in einem längeren Briefe, der beinahe schon fertig geschrieben und den ich dir bei meiner Abreise zustellen wollte, gerechtfertigt, was glücklicherweise durch deinen letzten Brief unnöthig wurde.
Ich finde dass sich auf die Entfernung leichter mit dir korrespondirt. Wäre ich doch in China! Nun noch etwas, was ich dir nicht schenken kann, lieber Freund! Warum hast du In letzter Zeit mir nie mehr vorgeungen? Wolltest du mich damit für irgend ein Vergehen strafen, nun, dann hast du deinen Zweck erreicht, obschon ich mich nicht erinnern kann in meinem Urtheil je verletztend gewesen zu sein, trotzdem ich immer die Wahrheit sagte.

18. 7. 62

Hat dich heute das Aveverum auch so wunderbar gepackt und ergriffen wie mich? Mir wurde ganz anders zu Muthe. Da ich dich nicht ansehen konnte, weil du hinter einer spanischen Wand von lebendigen Menschen verpflanzt warst und gar nicht in meine Nähe kommen wolltest, sah ich zum Fenster hinaus und sah die letzten Wolken über das zarte Himmelsblau wegziehen. Diese Musik! O du lieber, reizender Mozart - du Entzückender! Das war ein schöner Schluss deines Hierseins und wenn ich dich wirklich nicht mehr sehen soll vor deiner Abreise, so werde ich mich mit dem gemeindschaftlichen stummen Hochgenuss trösten, der uns zu Theil ward. Goldene Kunst! -

Warum sprachst du eigentlich nicht mit mir? Es that mir doch weh. Du bist so schwer zu verstehen - so schwer wird es mir, dir zu folgen, well ich viel ungestümer und ungewandter in der Selbstbeherrschung bin: Was sprichst du von Einfluss, den ich auf dich ausübe? - Du imponirst mir und thust, was du willst. Niemals gabst du nur nach! - Du bist heute und gestern in Künstlergesellschaft. Gott segne dich und dein Haus, das ich heute Abend mit den dunklen Bäumen und dem dahinterstehenden Vollmond wehmüthig grüsste. Gute Nacht! Gute Nacht! Dona nobis Pacem.
Wie angegriffen fühlte ich mich heute den ganzen Tag. Sehe ich dich doch morgen! Einen Augenblick lang sahst du mich mit dem Gesicht von gestern an! O Gott! -

2. July 62

[Hier ist ein Blatt des Manuskriptes herausgeschnitten]

… blühte Alles, die Sonntagsgänger spazirten wie in einem Garten umher - ich ging zum Grabe meines Bruders - da strotzte Alles von Rosen. "Tief betrauert, viel beweint" steht auf dem Stein - ich musste zu dem "viel" noch mehr" geben. Eine alte Frau kam und bot mir Weihwasser und als ich ihr einen Groschen gab, sagte sie: "In der andren Welt wirds Ihnen schon vergolten!" Ich konnte mich gar nicht trennen. Der Blick auf die fernen Frauenthürme über all die Trauermonumente hinweg ergriff mich. Als ich mich endlich losreissen wollte, fingen sich die Rosensträucher in meinem Kleid als wollten sie sagen "bleib da!" Wer weil - vielleicht komme ich bald - und mein armer lieber Josef und Bertha [6]! … Ein Röschen im Immergrün gepflückt - noch eine Weile dem Windesrauschen in den Bäumen zugehört, dann mit wunden Augen fort! Maestro [7] mit dem Plaid auf der Schulter begegnet - er sprach mich an - hatte die Nacht nicht geschlafen - wir sagten uns wenig, aber doch noch Lebewohl und gaben uns die Hand. Es war mir doch leichter, ihn noch gesehen zu haben. Sei glücklich, sei heiter.
Während du bei Julius Maler warst, war ich bei D - V -. Rosalie Schorn begleitete mir drei Lieder[8] "Ihr Bild", "Auf Flügeln des Gesanges" und "Suleika" - auch sie war überrascht über meine Stimme. Wie froh bin ich, dass ich sie ohne gepresste Brust ansehen kann. Das waren stürmische Jahre.
Wie wird es mit M. gehen?! [9] Ich wollte, ich hätte den ersten Brief schon! Himmlischer Mondschein! -

14. July

Sie werden eine himmlische Nacht zum Reisen haben - ich kann mir nichts Schöneres denken als in den frühen Morgen hineinzufahren, wenn Mond und Sterne blasser werden und der Tag andämmert.
"Ich hoffe, ich werde schlafen" war deine schnöde Antwort auf meine Bemerkung und die Andern lachten mich aus. Schläfst du heute Nacht wirklich? Siehst du den göttlichen Mond nicht und die blassen geliebten Sternbilder? Ich habe ihn mit innigster Rührung hinter den dunklen Koppeln der Wegburg angesehen und ihm laufend Grüsse an dich und für dein wohl aufgetragen. Ahntest du's? Ich wollte ich wäre in dieser Nacht auf einem Schiffe und führe Quartett singend über das glatte Meer weg. Das wäre ein Stück Leben. "Vielleicht würden Sie seekrank" hör ich dich sagen. Als um 6 Uhr die Lokomotive den langen Abschiedspfiff zu uns ins Gärtl schickte - (nur von mir gehört) ging ich zur Esche und wünschte dir in Cedanken eine glückliche Reise. Es ist so schön diese Nacht, dass ich meinen möchte still im Zimmer zu sitzen. Ich sang heute Abend wieder. Es ist doch schön, dass wir eine Kunst treiben und ist es mir wegen Mozarts Persönlichkeit ein Reiz, beim Spielen seiner Compositionen in seine Individualität hereinzudenken, so ist diess bei deinen Sachen noch mehr der Fall. Wie oft ahnen die Compositionen nicht von der Begeisterung und dem Glück, das sie einer empfindenden, fernen Seele bereiten. So jeden Ton nachzuspielen mit jedem Crescendo und Decrescendo mit agitato und Adagioempfindungen, gerade wie es der Künstler hingeschrieben - das ist herrlich. So habe ich gestern wieder dein D-moll Menuett mit inniger Freude durchgespielt und dabei der fernen Zeiten gedacht.

[Notenbeispiel 2]

Auf der Lind ... ergreift mich wieder wie das erste Mal.

[Notenbeispiel 3]

Wenn ich das hübsche Bild [10] ansehe, auf welchem Mozart einer kleinen Gesellschaft in Paris seinen Don Juan vorspielt, da freudt es mich ganz besonders, die eine Frauengestalt zu beobachten, die ganz versunken in sein Spiel ist - sie hat ein Müffchen auf dem Schosse. Die versteht ihn unter Allen am besten - diese bin ich dir gegenüber. Die Erzählung von Kaulbachs [11] gedruckter Jugend machte mir einen grossen Eindruck. Es ist als ob die grossen Männer die schwersten Kämpfe kämpfen müssten. Das beruhigt mich zuweilen, wenn es auch schmerzt, dass ich dich nicht von Innen heraus glücklich weiss.
Nur Muth! Denke an Schiller und strebe vorwärts - immer vorwärts. Gute Nacht! schlafe, schlafe!

15. July Abends

Während Maestro seiner Heimath zurollte und seinen Eltern in die Arme stürzte beim tiefsten Himmelsblau, lag ich in Ottiliens Garten auf der Bank und sog die Wonnen eines Sommermorgens ein. Es war so wundervoll da aussen. Mir wurde das Herz weit - und ich fühle, dass sich allmählich der furchtbare Sturm in meinem Innern legt und dass ich wieder Hoffnung habe, die sichern einzigen Pfade nicht zu verlieren. Es geht nicht, es geht nicht, dass der Mensch mit kühner Hand sein Glück fassen und verbotene Früchte erobern will. Die Blumen, die wir selbst aufblühen machen wollen, wie wenn wir eine festgeschlossene Rosenknospe gewaltsam zur Offenen Rose entfalten wollen, welkt in unserer Hand. Es gibt nur einen wirklichen Weg zum Glück und Frieden - die Pflicht! Wie schwer doch dieser Weg ist, wie dornenvoll! Aber ich will ihn finden und gehen, nicht nur für mich, auch für dich, du junges, nobles Künstlerherz. Durch mich sollst du nicht sinken, durch mich soll kein Schatten in deinen sonnenklaren Lebenswandel kommen - und das willst du auch nicht, warst du doch in den letzten Tagen tausendmal besonnener als ich selbst! Freudig muss ich dich wissen - brav und dadurch kühn und glücklich - Verlass uns nicht o Herr, Dona nobis pacem! -
Auf meinem Wege sah ich heute ein reizendes Bildchen [12]: Jephta's Tochter Abschiednehmen. Ich will es dir schicken. Das Bild ergriff mich. Der edle, unschuldsvolle Gesichtsausdruck der jungen Heldin hat etwas Begeisterndes. Gibt es was Schöneres als die Unschuld, selbst wenn der grösste Entsagungsschmerz ihr Theil ist? -
Ich athme heute wieder leichter, ich kann mich jetzt hinknien und beten - für dich will ich beten wie für meinen nächsten Angehörigen - schlafe auch du und leuchte mir muthig auf der schweren Bahn. Gute Nacht! Gott, ich danke dir!! -
Nessun maggior dolore che ricordarti del tempo felice nella miseria! Nessun maggior conforto che ricordarti di Dio nella miseria! Muth! Muth!

16. July

Im Theater ein Stück gesehen, das mich in meinen guten Vorsätzen bestärkte, begeisterte. Wenn nach langen Missethaten ein Mensch endlich weich wird und dem besseren ein Opfer bringt, wie begeistert ist das. Ich will auch Opfer bringen und kämpfen. Gib mir die Kraft dazu, o Gott! Wie oft kämpfe ich, unterliege ich! Wie's wohl meinem M[aestro] geht? Er wird mich hoffentlich recht verstehen, wenn ich ihm schreibe. Verlass mich nicht o Herr!

Gute Nacht.

18. July

Viel aus früheren Zeiten verbrannt - einen herzigen Brief von M[aestro] noch gerettet. Ich sehne nach Nachrichten von ihm und bin doch bange davor. Der heilige Franz von Sales bestärkte mich wieder in meinen guten Vorsätzen. Nur standhaft. Aber wie schwer ist der Weg und wie viele Opfer muss ich noch bringen, die ich noch stets umgehe.

19. July

Leonhard [13] besuchte mich heute mit Frau. Gediegene Leute. Diese beiden macht das Glück immer besser - ein seltener Fall. Freilich haben sie sich das Glück durch schwere Kämpfe erkauft. Er spricht so lieb und gescheudt, sieht aber immer seine Frau dabei an, als wollte er sagen: "Nicht wahr, Du meinst doch auch so?" Sie sind fromm und gut, friedevoll. Pflichterfüllung leuchtet aus ihren Zügen. Wohl dem, der eine süsse Pflicht zu erfüllen hat - wie leicht wird es ihnen, brav zu sein. "Eine vortreffliche Frau, und wie sehr sie ihrem Manne anhängt", sagt man, aber ihr Herz treibt sie dazu an - Und doch machte mich ihr Anblick kräftig zu den besten Entschlüssen.
Warum mir M[aestro] nicht schreibt?

Heute sang ich die Vesper mit, welch frivoles Orgelspiel! Ich blieb auch beim Rosenkranz und betete für meinen Nächsten im Geiste. Himmlische Sternennacht. Wir waren bei Ottilie im Garten. Ihr Schwager ist gestorben. Ihr hübsches, inniges Verhältnis zu ihren 3 Brüdern rührt mich immer. -

Sonntag 20 July

Morgen will ich länger schreiben - heute Dir nur ein Zeichen danken für Deinen lieben-lieben Brief. Ob Du mit meiner Antwort zufrieden sein wirst? Gott wird über Dir thronen und Dir Deine zerrüttete Gesundheit wieder gut machen! Morgen schreibe ich mehr, gute Nacht.


Lieber Freund [14]!
Es wäre mir sehr unlieb gewesen, wenn ich Dich nach dem Abend bei S. [15] nicht mehr gesehen hätte, da es mir dort kaum möglich war, Dir ein Lebewohl zu sagen. Umsomehr war ich erfreut Dich zufällig auf der Strasse, wenn auch nur für ein paar Sekunden sprechen zu können, fast durfte ich sagen, sprechen zu wollen, da ich mich kaum einiger Worte entsinnen kann. Beim Abschiednehmen spiele ich immer eine ungeschickte, traurige Rolle, da hilft einmal alles Verstellen nichts, da sage ich Alles, nur gewiss das Rechte nicht, da sehe ich mich immer nur nach der Thüre um, um möglichst bald durchbrennen zu können, doch dauert das Abschiednehmen dafür in Gedanken um so länger, da ist es mir eine Wonne mich selbst zu quäien. Es ist lächerlich, aber wahr, ein Abschied auf zwei Monate macht mir momentan den Eindruck als gelte es auf Lebenszeit. Genug!

Sonntag Abend waren M[ali] und ich bei J[uiius] M[aier] und freuten uns noch einmal an der konsequenten Herzlichkeit dieser lieben Leute. Montag wurde gepackt und Briefe verbrannt, wohl an hundert Stuck! Das machte mir den Eindruck als sei nun Manches abgethan für alle kommende Zeit, nun sei wieder Raum gewonnen in Kisten und Kasten für die nächstes Jahr kommenden Boten von Freud und Leid, von Hoffnung und Täuschung, von Lieb und Unlieb, nur wenige wurden auserwählt bis zum nächsten Autodafé leben zu bleiben um sich dann auszuweisen ob mir auch wichtig genug länger zu warten. Da fand ich Namen, die mir vor einem Jahre noch geläufig und interessant waren, heut waren mir die Handschriften schon fremd - o! ich werde so schnell alt! -

Abends 6 Uhr fuhren wir fort, da hatte ich bis früh 5 Uhr Zeit ungestört meinen Gedanken nachzuhängen (sollte besser heissen meinem Gedanken) denn entweder ist mein Denkvermögen nicht sehr elastisch, oder der letzte Donnerstag hatte ein besonderes Anrecht auf mein armes Gehirn - kurz meine Augen verfolgten im Westen die glühenden Wolken, welche den Sonnenuntergang verhüllten - die Wolken thaten hierin recht, denn man soll etwas Liebes nicht sterben sehen - der purpurne Saum wurde blasser und blasser, matter und matter, bis kein Streifchen Licht mehr die Spur des Sonnenabschieds verrieth. Darüber war es Nacht geworden. Der Mond (- der Mond kümmert mich nichts, mich Prosaiker - nein ich dachte nur an die Sonne, und legte mich resignirt auf die östliche Seite des Coups - wir waren allein im Coup) und stierte geduldig zum Himmel hinauf - lange - lange Zeit, his um 2 Uhr ungefähr ein leiser, leiser Schimmer aufzitterte. Ich glaube, dieser schlechtgewählte Ausdruck kam mir in die Feder, weil um diese Morgenzeit erst die Schwüle der Nacht einem empfindlich kühlen Morgenthau wich und mich zwang, mich fester einzuhüllen. -

M[ali] als Beherrscherin des Westens (im Waggon nehmlich) versuchte zwar einige Male mit dem Beherrscher der vier östlichen Plätze eine Conversation anzuknüpfen, die aber immer meinerseits mit der Aufforderung zum Schlafen schnell endigte - und so sah ich das Licht sich verbreiten und röthen bis auf dem See die Sonne selbst mich anlächelte, mich mit ihrern Glanz erwärmte, aber nicht mehr erlaubte meinen Blickck zu ihr zu erheben.

[Notenbeispiel 4]

Das war die poetische Seite der Fahrt, Abschied, Sonnenuntergang und Willkomm, dazwischen eine lange, schlaflose Nacht.

Die prosaische Seite will ich kürzer berühren: zuerst ein petit souper im Waggon mit einem Dessert zum Guterle [16], welche M[ali] aus einer kleinen Schachtel hervorholte, mir grossmüthigst einen Theil davon anbot, aber nicht ohne zu bemerken, dass dieselben eigentlich ihr ganz allein gehörten.

Zu Hause fand ich alles wohl, nur mein Bruder war zum Frankfurter Fest geeilt, wahrscheinlich um sich den ersten Preis zu holen.

Heute (Mittwoch) regnet es den ganzen Tag. Die Wolken verschleiern die Berge vom Scheitel his zur Sohle - ein zum Sterben langweiliger Tag - wenn man nicht an der Erinnerung zehren könnte, zudem steckt mir noch die ständige Fahrt in den Knochen, sodass mein Zustand gerade nicht sehr behaglich ist'. Mein altes Clavier thut mir keine Dienste mehr, es ist nachgerade invalid geworden, deswegen stieg mir der geniale Gedanke auf, heute Nachmittag meine Claviermusik auf die Orgel zu nehmen.

Wie werde ich diese 8 Wochen überdauern - so frage ich am zweiten Tage meines Hierseins! Keine Seele im Umkreis von zehn Meilen, die mit mir sympathisiren könnte. Während der Leib sich erholt, leidet die Seele - so in den Ferien und umgekehrt in München, nun - wenn dieser Wechsel in gehöriger Ordnung wiederkehrt, so wird es doch zum Aushalten sein. Mein Zustand in M[ünchen] war mir fast räthselhaft - in den letzten Tagen war ich so reizbar und empfindlich geworden, dass der Knall einer abreissenden Klavirsaite, ein zu Boden fallender Gegenstand, oder sonst eine unerwartete Kleinigkeit mich momentan fast lähmte! Ich bitte Dich nun beiliegendes Lied durch Deine Stimme, Deinen Vortrag lebendig zu machen - ich glaube kaum, dass ein anderer Sänger das Rechte herauszufinden im Stande wäre.
Mit den herzlichsten Wünschen für Dein Wohlergehen und den besten Grüssen an Deinen [..]
Dein getreuer Freund.

16. - 19.7.62

 21 July

Wie es oft meine Gewohnheit ist, sah ich auch gestern Abend zum Fenster hinaus und betrachtete die verschiedenartigen Menschen, die durchs enge Gässchen gingen. Nachdem alle möglichen Gestalten lachend, scherzend, flüsternd, zankend vorübergegangen waren, bogen zwei ältere Herren um die Ecke des Gässchens - ich hörte wie sie von einem Dritten Abschied nahmen, dann gingen die beiden schweigsam unten vorbei, doch einer davon rief nach einer Weile aus: "ein braver Ken, der. . (den Namen hörte ich nicht) "ja wohl, und so gediegen", antwortete der Andere, "wirklich gediegen" riefen alle beide aus und gingen dann schweigend weiter. Mit thaten diese wenigen Worte so wohl, denn ich dachte an M. und wie gewiss Jeder dasselbe über ihn sagen würde - so muss es auch bleiben. -

Die Nacht brachte ich in Zahnschmerzen zu und sah gegen 1/2 3 Uhr langsam den Tag grauen. Wie grossartig das ist, wenn das Licht so allmählich kräftiger und starker wird und die Finsternis verdrängt - so muss es auch im Menschenherzen sein - Licht muss es werden - Licht nach all der furchtbaren Finsterniss der Leidenschaf ten. Ich schlief gegen 7 Uhr ermattet ein von den Schmerzen - einen stürmischen Traum von M. gehabt, der mich wieder verworren machte beim Erwachen. -

Heute schon mit Andacht seine Lieder gespielt und in Gedanken auf die Notenfrage geantwortet: die weisse Blume hats verstanden. –

Theurer Freund!

Ich eile, meine erste freie Zeit zu benützen Deine Zeilen zu beantworten - nach bestem Wissen und Gewissen, insofern es sich thun lässt. Vor Allem theile ich aus vollem Herzen Deine Gedanken wenn dieses oder jenes unbesprochen blieb - theile dieses Bedauern weil eine sichtliche, anfangs kaum bemerkbare Entfremdung Platz greifen muss, wo früher offenes Vertrauen und lebhaftes Interesse herrschte - ich theile dieses Bedauern um so sehr, als ich mir bewusst bin, dass mich kein Vorwurf mit Grund treffen kann.

Als ich vor vier Jahren das Glück hatte Dich kennen zu lernen fühlte ich bald den Einfluss, den Deine Ermuthigung auf mich als produktiven Menschen hatte - es war in einer Zeit als durch eine Reihe von Ereignissen, die ich besser nicht berühre, nicht nenne, mein Muth zu sinken begann, nein, aber in Schlimmeres umzuschlagen drohte. Zudem stand ich meiner Familie zu fern - man hielt mich nahezu für einen unpraktischen Träumer, da Alle, die mir sonst so nah und theuer, mir in meinem Felde doch nur Barbaren waren. Oft verwünschte ich damals den Tag, an welchem ich einen Beruf mir erwählt der mich den Meinen unverständlich machte. Lach nun darüber, wie ich auch heute anders darüber denke - damals aber kam ich mir zu Zeiten als überflüssig vor. Ich hatte keinen Freund mehr - wohl deren gehabt, möge ihnen Gott verzeihen, denn manche Erfahrung habe ich zu theuer erkauft. So war ich fremd und freudlos als ich zum erstenmale aufgefordert wurde Dein Haus zu betreten.

Ich kann Dir nicht sagen wie sehr ich bewegt war als Du damals meine Lieder sangst. Zwei davon hatte ich geschrieben, als mir noch die volle Glückessonne geschienen, und ich noch im Glauben und vollster Lebenswärme von Menschen und Kunst nur die schöne Seite kannte - das dritte war ein etwas gereifterer Commentar der anderen. Als ich diese Lieder von Dir hörte, war mir als wie etwas längstvergessenes und gestorbenes erwachte - ich bekam Muth auszuharren. Doch warum hole ich so weit aus? -

Nur um Dir zu zeigen, wie sehr ich Dir dankbar bin und dankbar sein muss, dass Du, wohl unbewusst mir Muth und Selbstvertrauen einflösstest - ich hatte nun einen bestimmten Zweck Noten zu schreiben, es Dir recht zu machen, dann müsste es wohl recht sein. Ich habe Mühe so zu schreiben, daf Du mich nicht für einen Phantasten haltest und werde mich desshalb des Trockensten befleissen. Aber ungestraft gewähren die Götter kein Glück, denn das Feuer, welches sie dem Menschen senden kann denselben ebenso erwärmen, als ihn brennen; doch der Frierende, wird er das rechte Mass sogleich erkennen? Gewiss - aber erst, wenn es zu spät. Wer will aber an das zu spät glauben? Ich nicht - wollte gut machen, was eigentlich nicht verbrochen war in dem eitlen Wahne, dass der verständige Mensch in mir der stärkere sei. -
Ein anderes Kapitel; nein, noch bin ich nicht fertig, sollte Dich aber Obiges nicht interessirt haben, so bitte ich auch nicht weiter zu lesen und den Brief jetzt schon zu vernichten.
In Deinem letzten Briefe sprachst Du den Zweifel aus ob ich auch Alles lesenwerde - hoffentlich war es nur Redensart - im andern Falle ist es ein Vorwurf, den ich nie verdiente, den Du nicht rechtfertigen kannst - ich will lieber davon abbrechen.

Du fragst, theurer Freund, ob ich in Deiner Kunst nicht einen Rückgang beobachtete? Wie kann ich es beurtheilen da Du mir gegen früher so selten Gelegenheit zum Beobachten gibst. Du sagst, es sei Dir unangenehm, dass ich meine früheren Lieder schlecht fände. Wann sagte ich so? Was erlebt und empfunden in Kunstform gegeben ist, kann nicht schlecht sein, doch gehört zum geistigen Reproduziren eine Stimmung - die Situation, daher gefällt uns dieses heute mehr oder weniger als gestern.

Du beklagst Dich, dass ich Dir keine Lieder mehr bringe. Hierauf kdnnte ich Vieles antworten - ich hatte Dir viele gebracht - konntest Du nicht ermüden - überdiess hast Du mir das Letzte nicht gesungen - diess soll aber kein Vorwurf sein - und so hast Du nach dem Sprichwort auch nicht das letzte Wort. Der Bogen geht zu Ende und doch ist es mir, als hätte ich Dir noch gar nichts gesagt und ich sehe Dich missmuthig und enttäuscht. Ist es recht von mir, dass ich so viel geschrieben? Du fragst ob ich Donnerstag kommen könne. Mit Ausnahme Freitag Abend bin ich jeden Abend bereit. Du weisst ohnedem, dass ich seit Jahren ein paar Stunden in Deiner Gesellschaft allem Andern vorzog. Nun theurer Freund, zürne nicht der kühnen Länge dieses Briefes, dessen Autor Dir treu ergeben ist.

5.11.61 Abends.

26. July

Sterben ist ein Wort, das die grössten Helden, die grössten Philosophen - Kaiser und Könige aufs tiefste erschrecken und in kleinliche Wesen verwandeln kann, indessen oft unbedeutende Menschen grossartig werden und tiefere Lehre durch Todesverachtung geben können als 100 Bände von Gelehrsamkeit und Philosophie. Ich habe es heute erfahren an einem ganz schlichten, ungebildeten Manne, dem Braumeister von Valley. "Es scheint Ihnen wieder gut zu gehen, Sie sehen ja herrlich aus", sagte ich zu ihm. "O nein", verwunderte er, "ich komme eben vom Doctor, den ich aufrichtig gebeten habe, mir die volle Wahrheit zu sagen und so weiss ich jetzt, dass sich mir die Gicht aufs Herz geworfen hat und dass es jeden Augenblick mit mir aus sein kann". "Warum nicht gar", rief ich aus, "wer wird denn ans Sterben denken - ans Allerschlimmste!"- "Warum denn nicht"?! erwiderte er mit wehmtitigem Lächeln - "ich hab mir ja nichts zu fürchten"

Ob dieser Mann nicht bewundernswerth ist - ja ja, das alte Sprichwort: ein gut Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen! -
Alle haben Hochachtung vor M[aestro]. Das freut mich so und thut mir so wohl! Sogar die kühle Schwester von F. v. P. [17] sprach ganz begeistert von seinem herrlichen Charakter "er imponirt durch seinen Takt und weiI einen so gut zurückzuweisen, wenn man eine Frage stellt, die ihm nicht genehm ist", sagte sie -"hoffentlich trifft er dereinst keine schlechte Wahl, es ist gar so traurig, wenn so ein junger Künstler Haushaltungssorgen oder eine Frau hat, die in Allem, in seiner Kunst hindernd wirkt und ihn herunter zieht".
Wenn es so wundervoll Wetter ist, die Abende so lau und balsamisch, so denke ich mir, wie reizend das wäre, wenn wir ein Gut hätten und liebe Freunde einladen könnten, so dass wir, sicher vor lästigen Besuchen, ein rechtes Künstlerleben führen könnten - M[aestro] ware der erste, der geladen würde - Bui natürlich lebte ohnedem bei uns. Immer sehnt man sich aus der Gegenwart hinaus durch Phantasiegebilde und wird enttäuscht.
Oft habe ich Sehnsucht nach Venedig und dem welchen Gesang der Gondoliere, "vien la barcaè pronta" - ich meine so ein neues Stück Welt müsste auf M[aestro] gut einwirken - ich möchte ihn einmal aus dem Alltagsleben herausreissen und ihm ein Stück Süden geben.

Wie es ihm wohl geht mit seinem Schwindel? Oft habe ich plötzlich eine heftige Angst um ihn - weil die Besten immer von dieser Welt müssen!

Zürich 2. September.

Da könnte nun Allles so schön sein für Josef [18]. Schönes freundliches Zimmer, herrliche Aussicht, liebe Hausleute, fesches Geschäft mit schöner Einnahme - wenn er gesund wäre. Ich finde ihn furchtbar verändert. Seine Stimme ist ganz verfallen - matt und müde kommt er vom Geschäft heim und schläft fast stehend ein. Es ist furchtbar. Er hat gar keine Hoffnung mehr und ich habe nur den einen Wunsch, möge Gott ihn bald von diesem Elende befreien. Heute fand ich in seinem Gedichtbuch folgendes Gedicht:

Grabgesang.

Herrlich war der Sieg,
Tod, den du errangst
Sicher traf der Speer
Den du zürnend schwangst,
Nach dem Herzen, das so hoch geschlagen
Sich und einer Welt zur Freud und Lust -
Ach, zum Grabe müssen wir es tragen,
Tod, sei stolz und hebe Deine Brust.
Senkt den schweren Sarg
Sanft zur Erde hin.
Offen war und frei
Dieses Mannes Sinn -
Immer vorwärts hat sein Geist getrachtet
Wenn ihn auch der Zeiten Stürme oft
Seines Lebens rauhen Pfad umnachtet
Vorwärts rief er stets und neu gehofft
Nimm, o Erdenschoss
Unsern Helden auf
Dessen Geist sich schwang
Zu der Sterne Lauf
Mög im Reich des Lichts er Alles finden
Was als Höchstes stets er hier gedacht
Und, was nicht verdient die Welt der Sünden
Freiheit lichten seines Grabes Nacht.

Ob ich wohl M[aestro] sehen werde? Er ist stark, ich glaube nicht, dass er kommt. Wenn ich seine Heimath sehen könnte ohne ihm zu begegnen. Ich möchte gar zu gerne die Spuren verfolgen, die zu den Stellen führen, an denen meine Lieder [19] entstanden. Ich stelle mir das ganze Land so schön, so poetisch vor.
Der arme Bui [20] sitzt fest, er sitzt fest - er nennt sich selbst einen Sklaven. Und Niemand kann ihm helfen - Niemand!
Sonst hat mir der Aufenthalt in einem grossen luxoriösen Hotel Spass gemacht - jetzt ist es nur lästig unter diesen reichen geputzten Menschen zu sein und es zieht mich mit Gewalt in die Einsamkeit. Diess stille Zimmer bei der einfachen Frau Henssy ist mir lieber als alle Kellner und Engländerwirtschaft. Aber immer drehen sich die Gedanken zunchst um das Leiden meines armen Bui. Oft geht mir Tierquälerel durch Mark und Bein, aber was sind sie alle gegen die Qualen des unglücklichen Josef!! Ich bin heute wieder unter seinem Fenster auf der Creditanstalt vorbei - wenn er doch von diesem Elend erlöst würde. Ich hoffe fest, dass Gott ihm eine bessere Zukunft geben wird nach so endlosem Leiden. - Ich habe heut ganz allein eine Wanderung durch die fremde Stadt gemacht, vorerst die Heimath Nuschelers aufgesucht - das alte Haus wetteifert mit dem Fingergäβl, es ist aber doch poetisch...


1. September Abends Zürich.

Josefs glühende Hände, seine erloschenen Augen, sein kurzer mühseliger Athem sind furchtbare Zeichen seines Zustandes! …


3. September

M[aestro] kommt nicht und schreibt nicht!

Wenn nun Josef gesund wäre und meine Bertha lebte [21], würde ich dann auch so viel an den Tod denken …

Einsam bin ich in einer fremden Stadt umhergeschlendert - es zog mich in die Höhe und bald befand ich mich auf einem schattigen Berge, deine Heimathberge. Ich dachte recht innig an dich und wünschte dich an meiner Seite. Keiner hätte so gut zu mir gepasst als du und doch wären wir gewiss ein stummes Paar gewesen. Links die Gräber zwischen Rosen und Eschen, rechts der glitzernde See mit den Villabesäten Ufern, vor mir die gewaltigen Berge. Schon wieder kommen mir Todesgedanken - ich denke gern an 200 Jahre später, wo wir sicher alle nicht mehr sein werden. "Die Freiheit, sie lebe hoch!" Wo bist du jetzt - 10 Uhr Abends - welche Uhren hörst du schlagen? Mich grüsst das alte Münster, Gute Nacht! Gute Nacht! -

"Leb wohl du schöner Sonnenschein", Chor aus Fidelio von Beethoven - und "O welche Lust in freier Luft" das ist Ausdruck meiner unsäglichen Empfindungen. ... Wie herrlich ist auch das Quartett - Canon: "Mir ist so wunderbar". immer und jeden lag fühle ich, wie lieb mich der allgütige Gott hat, dass er mir ein Herz gab, so die Kunst zu empfinden! Ich danke dir aus Herzensgrund dafür. Recht viel dabei an Maestro gedacht. ---

Er schreibt nicht - ich sehe noch immer seine Heimath wie ein Traumbild liegen. Das Schweigen ist so geheimnissvoll - wenn er nur nicht krank ist.

19. September 62

Acht Tage sind es, dass ich an M[aestro] geschrieben, seit dem 19. August keinen Brief von ihm gehabt - entweder ist er krank oder es ist ein Missverständnig vorgefallen und Beides finde ich gleich schlimm. Wenn er zurückkommt, werde ich dann nach St. Martin gehen müssen.

M[aestro] wieder da gewesen - 31 Lieder und eine grosse Arie. Alles schön - Alles gut. Lieber Winteranfang - schöne Stunden des noblen Aufschwungs und der innern, wahren Begeisterung liegen vor uns. Dankbar erkenne ich es, dass mir noch viel Schönes geblieben. Gestern schon eine grosse Menge mit ihm gesungen. Ein unvergleichlicher Genuss. So herzlich, innig und edel. Auch in anderer Richtung ist er so vorzüglich. Wie gut die Auffassung über Kaulbachs Carton[22], dass Palestrina auch ein ehrenvoller Platz gehört hätte als Reformator der Musik.

Ich glaube, dass wir treue Freunde bleiben können und werden, da wir den hohen Berg zusammen bestiegen ohne zu stürzen.

Gott geleite und schirme uns auch ferner! --
Wenn nur der schwarze Gedanke an meinen armen elenden Josef nicht wäre!

25. September 62

Es sind die letzten Tage des scheidenden Sommers - weiche Lüfte - blaue Himmel umfangen noch einmal das nimmer ruhende, nimmer rastende Herz mit der bewussten Sehnsucht nach ... nach - ja nach was? Nach Glück? Dass man ewig Sehnsucht hat, ist der sicherste Beweis, dass es ein Jenseits gibt - denn, dass wir nur fortdrängen, weil die Vögel auch nach dem Süden wandern, ist doch kein genügender Grund. Ich war den ganzen Tag zu Haus, - habe M[aestros] Lieder gesungen, auch das mit Ottiliens Text [23]. Viel an ihre Vergangenheit gedacht. Dass das arme Mädchen unter der seligen und doch grenzenlosen traurigen Last ihrer verzehrenden Leidenschaft nicht körperlich und geistig erlegen, sondern das sie dieses Streben, dieses Hoffen gerettet hat und an der Seite dieses Mannes, der aber so himmelweit davon entfernt ist sie zu verstehen und ihr das Geringste zu bieten - das ist ein Wunder. Aber sie ist auf dem schönsten Wege - wenn auch auf hartem, felsigen! -

Dieses jahrelange Heer von Hoffen, Enttäuschtwerden - diese weichen Frühlingslüfte, Sternennächte, Herbsteswehen, dieses Thauen des Eises, dieses Vogelsingen, diese Spaziergange im engl. Garten, umringt von Menschen, unter denen immer und ewig der "wahre" fehit, dieser Buck auf ferne blaue Bergeslinien, diese Concerte mit den herrlichen Synfonien - die aber alle nichts sind, wenn die suchende, wie zum Suchen verurtheilten Augen die ersehnten Züge nicht finden, diese Macht der Glückseligkeit und des Jammers, wenn man diese Züge endlich sieht, sie aber nicht in der Nähe haben - nicht mit ihnen sprechen kann, diese Vorwürfe der Umgebung, diese Martern des Gewissens, diese Gänge durch die Stadt, die auch nicht eine Strasse halt, in der man nicht sein Elend und seine ewige Sehnsucht mit sich herumgeschleppt, dieses Fortreisen und Heimkehren mit dem Gefühle - nun trennen uns Meilen - und - nun sind wir wenigstens wieder in einer Stadt und hören die nehmlichen Uhren schlagen, dieser Mondschein, dieses sich immerwährend drehende Rad der Gedanken und Empfindungen - Ottilie - wie kenne ich das Alles - Du, mein armer, lieber Schatz - hast das Alles durch Jahre und zehn Jahre getragen - und was hat dir geholfen - Gott allein! - Aber noch sind wir nicht fertig - nicht sehnsuchtsfrei.

Gestern Abend war wieder so ein lauer Tag! Ich sass bis gegen Abend auf dein Balkon unter dem Castanienbaum - zwischen 4 - 1/2 5 Uhr kommen immer regelmässig Mengen Spatzen, die sich mit Geschrei und Geflatter in die Zweige der Hecke und der Bäume verstecken und nach langer Jagd und Conversation sich endlich zur Ruhe begeben. Wenn die lustigen Gäste kommen, dann ist mir immer heimlich [24]. Es thut mir wohl, da sie alle so zu mir kommen und sich da heimisch fühlen - habt Recht, möchte ich da immer sagen - nicht wahr hier ist es gemüthlich. -

Es dauert aber nicht lange, so seh' ich zwischen den fahlwerdenden Blättern den blauen Hinimel durchscheinen - und da haben wir wieder die alte, dumme Sehnsucht - wenn noch obendrein der idealistische Nachbar die welche Melodie mit tremolirenden Lippen pfeift - Gretchen ich liebe dich –

[Notenbeispiel 5]

Von der Mutter in schöner Sternennacht durch die Sonnenstrasse heimkehrend, seh ich zu den Plejaden empor, die so dicht an einander gedrängt herunterglitzern - da plötzlich klang ein ferner Männerchor mit dem deutlich wiederkehrenden Worte: „Heimathlandt" - wie das in die Höhe zog. Lange musste ich lauschen. Eine Stimme sang vor, dann fiel der ganze Chor abwechselnd forte und piano ein - so bebend, so innig - und immer die Sterne - herrlich. Wieder musste ich an den armen Josef denken - o Sterne - werdet ihm ein Heimathland - empfangt ihn, wenn seine Seele zu Euch fliegt mit dem Chore der Freiheit - der ewigen.

Josef hat mir geschrieben. Es geht nun zu Ende mit ihm - er wird kommen - wenn ihn nur der gütige Gott bald befreien möchte - es ist trostlos!

Ich war in der Kirche. Mein Maestro spielte wieder herrlich - mir ist es als spräche er zu mir - tiefer und umfangender als es Worte vermögen. Lebe ich in einem Traum?

Frau Hasenclever aus Düsseldorf war hier. Endlos plaudernd - pikant und geistvoll - aber ich glaube "Vergnügen" ist auch bei ihr ein dreifach unterstrichenes Wort - wie es bei so vielen und besonders bei den Norddeutschen. Nur immer den geraden Weg fort, Fanny! Lasse Dich nicht irre machen, schaue weder rechts noch links, sondern strebe und denke an Menschen, die noch weit unglücklicher sind als Du! -

Marie Arco führte mich auf meine Bitte in das Kloster Suben [25] am Inn, wo gute Hirtinnen eine weibliche Strafanstalt überwachen. Schon der Eintritt in das Sprechzimmer machte mir einen grossen Eindruck. An den Wänden sind lauter sinnige Sprüche eingerahmt - Mahnungen für verstockte Herzen, Tröstungen für gebeugte Gemüther, die nach langer Finsterniss allmählich einen Lichtstrahl in die Brust bekommen. Wir mussten lange warten, bis hinter dem doppelten Gitter die Gestalt der Oberin erschien. Sie bat uns einzutreten und führte uns in einen Saal, wo fünfzig Sträflinge gleichwie in einer Schule hinter und nebeneinander sassen. -
Ich stand mit einer hübschen aber sehr blassen jungen Klosterfrau am Fenster. Sie war vor Kurzem erst aus Angers gekommen - ferne von ihrer Heimath - ihren Angehörigen und vielleicht dem einzigen Herzen, zu dem es sie in tiefer Sympathie gezogen hatte und von dem sie nun getrennt war - stand sie neben mir und schaute ernst und nachdenkend in die Abendgluth. Ein lebendes Geheimniss. Soll ich sie bedauern oder beneiden? ... Meine Zuflucht wäre die Orgel, wenn ich im Kloster leben müsste - aber auch da dürfte ich nur mit Erlaubniss der Oberin spielen. Eine der begleitenden Schwestern sprach mit Begeisterung von dem innern Glücke - der Seligkeit ihres schweren Berufes und wie sie Gott täglich danke, dass Er ihr diese Gnade verliehen. Ich kann es begreifen - aber ein solcher Sonnenuntergang, der fortziehende Strom, die fernen blauen Hügel würden mich mit grenzenloser Sehnsucht erfüllen - und dann die Qual niemals allein zu sein - oder ist das ein Segen?! Muss es nicht gerade in einem so schweren Berufsleben, das täglich, stündlich die grösste Beherrschung seiner Gefühle mit sich bringt, Stunden geben, in denen die Spannung nachlässt, in denen man sich unbewacht ausweinen oder zurückerinnern darf - oder ist es besser, gar nie diesen Empfindungen nachgehen zu können? Freilich - wer mit sich im Reinen ist - wer Gott schon ganz in sich trägt, der bedarf dieser Einsamkeit nicht - aber wie Wenige haben sich schon durchgekämpft?!! -

Ich nahm schweren Abschied von der Schwester aus Angers, die meine Begleiterin war - und doch, als ich wieder im weichen Wagen sass und durch die wohlbekannte - seit Jahren heimathliche Gegend nach St. Martin zurückfuhr - da pries ich mich glücklich keine Nonne zu sein und genoss in vollen Zügen die rasche, abendliche Fahrt! War es Thorheit? Ware ich nicht besser im Kloster? -

Zu Hause fand ich einen Brief Maestro’s, durch den ich einen Besserungsversuch an mir anstellen wollte - ihn nehmlich bis nach Tisch uneröffnet zu lassen - der Versuch misslang - der Brief war lieb, wenn auch zurückhaltend.

18.10.62

Nach dem Rosenkranz in der dunklen Schlosscapelle ein Salve Regina gesungen und dann auf dem Aeolodicon [26] präludirt - als ich aufhörte war tiefe Stille - von der Sternennacht tönte das Ave Marialäuten herein - dicke Thränen fielen mir auf das Kleid - wie ein Gruss vom fernen, kranken Bui!

St. M. 19.10.62

Glückliche, glückliche Stunden sind es wenn ich mit Deiner Begleitung Deine Lieder singe. Es ist ein Flug über das Alltagsleben weg - gegen eine geistige Welt empor. Du hast viel nüchterne, schwere Stunden in Deinem Berufe - Du sagst es selbst - es thut mir weh wie Du neulich sagtest ausnahmsweise gäbe es Momente in denen Du nichts. Anderes sein möchtest als ein Künstler. Ich schäme mich, dass ich so leichten Kaufes die Blüthen Deiner Kunst, aber auch Deiner Mühen wegnehme und doch bin ich so egoistisch, froh zu sein, dass Du bist, was Du bist. Wärst Du wirklich lieber ein trockener Assessor? Gib Antwort? …

Da höre ich plötzlich erinnernd die Orgeltone rauschen

[Notenbeispiel 6]

durch alle Tonarten und zuletzt mit dem Pedale - wie das hinaufzieht zum Himmelsblau. Hab Dank - hab Dank Du liebe, noble Künstlerseele!

Weile auf mir du dunkles Auge - du ernstes, tiefes, geistvolles. Macht eines solchen Blickes - wo ist die kleinliche Sorge bin - wo der enge Gesichtskreis des materiellen Menschen - wenn ein solcher Blick trifft? ist es eine zu fliehende Versuchung?! Lass mich nicht sinken! An Deinen gediegenen Schöpfungen habe ich mich nach den verlockenden Träumen der letzten Nächte gestärkt - Du bist gross - ernst, gediegen, charakterfest - achte mich - erhalte mir Deine Freundschaft - gefahrvoll ist der Weg - aber nur so lange wir leben ist Gott mit uns langmüthig - nach dem Tode kommt Seine Gerechtigkeit. Verlass uns nicht, o Herr!

Nach dem Concerte 10.10.62

Wie kommt es, dass ich die meisten Menschen, wenn ich. sie länger nicht gesehen, in ihrem Gesichte unangenehm verändert finde? Freilich macht das Älterwerden weniger hübsch - aber dann sollte ein geistiger Ausdruck die Züge veredeln und das findet sich selten. Gewöhnlich sinken die Menschen im Alltagsleben und in dem Materialismus unter. Wie fand ich mich neulich Abend bei Dürck so einsam unter den gemein lachenden auf der Erde kriechenden Menschen - auch Perfall kam mir so niedrig vor - freilich war vorher M[aestro] bei mir gewesen, hatte mir sein Fugenwerk [27] zum grossen Theile vorgespielt und nachher schwelgten wir in einem Mozart'schen Quatuor; da freilich war der Abstand etwas gross. Wenn M[aestro] mit Josef spricht hat seine Stimme einen ganz veränderten, welchen Klang - wem sollte aber auch das Herz nicht weich werden bei jenem Anblicke. Wie er heute schluchzte als Papa kam und Josef sich so unglücklich fühlte, dass er dem guten Onkel so gar keine Freude machen könne! Armer Bui. Deine physischen und moralischen Leiden sind grenzenlos! -
Ich habe der Frau Hasenclever doch Unrecht gethan, als ich schrieb - Vergnügen spiele eine Hauptrolle bei ihr. Die arme Frau ist auch durch schwere Leidenstage gegangen - sie hat mir viel erzählt von dem Riesenopfer, das sie gebracht. Hat sie es aber auch ganz gebracht? Habe ich ein Recht das zu fragen? Habe denn ich ein Opfer gebracht. Ist es mir denn nicht unfreiwillig entrungen worden - und wie habe ich gejammert und geklagt! 0 hätte ich es freiwillig gebracht - hätte ich es gebracht! - Es stände anders um mich und meine Ruhe. Ich habe es Ihr neulich geschrieben - es gibt nur eine Strasse, die zum ewigen Heile und zum innern Frieden schon hinnieden führt - den Weg der strengen Wahrheit! O glücklich, wer ihn immer gefunden. Wie gut ist ihre Anmerkung über Shakespeare - wie grauenvoll er uns zeigt wohin die bunde Leidenschaft führt. - "Oft kann ich die Sehnsucht kaum ertragen", sagte sie - frei - "doch wenn ich dann das offene, liebe Gesicht meines Jungen wieder sehe, dann ist Alles gut". - Wie viel ist ihr geblieben! -

Fanny, Fanny - wanke nicht - grolle nicht!

Was sind deine Leiden und Schmerzen Im Vergleich zu denen die Er, der Höchste für dich gelitten - Weichen körperlichen und geistigen Schmerz hat Er ertragen -! Verfolgung - Misshandlung - Hohn und wie gut war Er! Sei stark meine Seele.

Behind the claud’s [sic] [28] the sun still shining [sic]
Be still sad heart an [sic] cease repining - [sic]
Suffer and be strong! [sic]

Mögen sie sich vergnügen - mögen sie dich vergessen - wenn nur Er dich nicht vergisst - sei stark und muthig kleine Seele. Verlass mich nicht o Herr!

Sonntag 16.11. Morgens.

 

November 36 [1863]

Mein Freund! Ich gestehe, dass mir Deine gestrige Aufregung und die so rasch darauf erfolgten Zeilen grossen und tiefen Eindruck machten, deswegen war ich auch gestern Abend nicht im Stande zu schreiben. Dein Brief ist mir räthselhaft. Soll ich Gott danken kein Ödipus zu sein? Nein und immer wieder nein. Vertrauen muss unaufgefordert, muss entgegenkommen. Du schreibst mir, dass ein sonderbares Geheimniss sie zu Boden drücke, dessen Mittheilung nicht in Deiner Macht stände - das muss mir genügen - kann ich aber nicht irgendwie ihr helfen (vielleicht einfältige Frage) dienen, beistehen, versöhnen? Ich weiss nicht, wie ich sagen soll - von meiner Ergebenheit weisst Du, aber Du kennst sie nicht. Du sagst, sie macht sich Vorwürfe darüber, mir meine Jugend getrübt zu haben - möge ihr dieser Kummer keine Minute trüben! Allerdings hing ich, seit ich mich des ersten Tones ihrer Stimme entsinne, mit aller Begeisterung der Jugend an ihr - mit all jener Begeisterung, der man nur einmal im Leben fähig ist, und welche ich statt sie im Entstehen zu bekämpfen, für um so edler hielt, als ich mir kein schlechtes Ziel vorstellen konnte. Ich Thor! Zu spät allerdings erkannte ich meinen Irrthum und war selig in meiner Qual. Ein stren-. ger Blick, ein kühles Wort von ihr konnte mir die Ruhe von Wochen rauben. Ich gestehe, ich kam mir gedemütigt vor, ich war so Nichts und sie so Alles. Dazu liess mich unser häufiger Verkehr nie zu Athem kommen - alle guten (?): Vorsätze schwanden - so oft ich sie sah. Da ging sie fort von hier. Jetzt oder nie, dachte mein Kopf, während das. Herz nicht folgen wollte. Und nun lache mich gehörig aus, wenn Du das Kommende liest. Ich dachte ernstlich daran, mir einen eigenen Herd zu gründen, um meine Ruhe, wenn auch nicht mein Glück zu finden, als sie zurückkam und mein kluger Kopf sogleich den Kampf auf gab. Sie hat sehr wahrscheinlich damals meine Jugend gerettet. Doch für was ist es gut, all das Dir zu schreiben? Sie ahnte wohl damals schon längst meinen Seelenzustand und war zu gut, zu mitleidig, demselben ein rasches Ende zu machen. Ich glaubte Anhaltsgründe gefunden zu haben, dass sie wünschte, nach und nach unsern kleinen Verkehr aufzuheben! O mein Freund! Ich war namenlos unglücklich ohne mir es ankennen zu lassen. Du hast keine Ahnung, wie sehr ich mich nur mit ihr beschäftigte. - So verging Jahr um Jahr. Die Unwandelbarkeit meiner Gefühle wurde mir Überzeugung, und ich stritt nicht mehr in dem vergeblichen Kampf; ich wollte an Freundschaft glauben und glaubte - ich fand nicht nur Trost in der Arbeit; nein, noch mehr: ich empfand den Segen der zum Leben nothwendigen Arbeit und fand Erholung und Ermuthigung in dem Gedanken an sie; ich konnte frei zurückblicken in die Vergangenheit mit dem Bewusstsein redlich gekämpft zu haben und spreche meine innerste Überzeugung aus, wenn ich Dich versichere, dass ihr Umgang allein veredelnd auf mich eingewirkt.
Die Erinnerung an sie wird deshalb auch für immer mein theuerster Schatz sein, der mir in andern Verhältnissen dass namenloseste Glück hätte bereiten können. Sage desshalb nicht, sie hätte das Glück meiner Jugend geraubt! Wo hätte ich dasselbe kennen gelernt, wenn ich sie nie gesehen hätte? Ich bin kein Egoist aber ich glaube daran, dass ich ihr nicht gleichgültig bin, und es würde mir unendlich wehe thun, mich darin betrogen zu haben. Wie lange konnte und wollte ich nicht daran glauben!! Und wenn es mir auch versagt bleibt, den Segen des Lebens - Sommers und Herbstes zu geniessen, so empfand ich den Thau des Frühlings und lernte jenen ahnen und will darum nicht klagen.

Müsste es nicht auch sein Schreckliches haben, wenn man auf dem verträumten Gipfel seines Glückes um dessen fortdauernden Besitz bangen müsste? -

Auf Deine so oft wiederholte Versicherung, Du seiest meiner nicht werth (meine Feder sträubt sich, es zu schreiben) will ich nicht eingehen, wohl aber beunruhigt mich ihr erstes Geständnis, welches ich eingangs berührte. Was kann sie beunruhigen? Sie ist schuldlos, oder es lügt die Natur. Hätte ich vielleicht irgendwie beigetragen, dass sie sich so unglücklich fühlt - dann habe auch ich meinen Halt verloren. Erst wollte ich diesen Zeilen noch einen früheren Brief beilegen, aber ich kam davon zurück und bin schliesslich froh, das ich gestern nicht schon geschrieben. Nun - war ich heute nicht auch aufrichtig? aber ach - meine Aufrichtigkeit macht Dich nicht froh - ich sehe Dich noch immer wie gestern - und bin noch wie betäubt - ach, ich bin doch recht unglücklich - im Kampfe mit mir, unruhiger als je und Du glaubst, ich sei gut! –

 

November 36 Abend [1863]

Noch habe ich nicht auf Deinen letzten Brief geantwortet, Du wirst Dir keine Antwort erwarten, wenigstens so bald noch nicht. Es drängt mich wohl zu schreiben, wenn auch noch nicht den Brief abzusenden, denn wo sollte das hinaus. Heute fast drei Stunden bei Dir zu Besuch und jetzt sitze ich am Schreibtisch Dir zu schreiben, zürne nicht, denn ich muss es thun. Mich ein wenig mitzutheilen, ja nur ein wenig zu plaudern ist nur Erholung - und da die heutigen Meister zu reich an Schwierigkeit und Schönheit waren, so konnte das bischen Conversation nicht genügen, wenn Du bedenkst, dass ich nun acht lange Tage mich damit zufrieden geben muss. Acht Tage, für das Leben verlorene Tage. Ich bin ein Kind - denke nur von heute auf morgen und rufe der Zukunft, welche unerbittlich näher tritt ein einziges "Noch nicht" entgegen - und doch verkennst Du mich so sehr, mu diess als Charakterstärke auszulegen! Ich will nicht besser sein, als ich bin - und diese offenherzigen Zeilen sollen, indem sie die Fortsetzung meines letzten aufrichtigen Schreibens bilden, Dich überzeugen, dass meine obige Behauptung leider wahr ist. Ich muss zuvor auf Deinen letzten Brief eingehen. Du schreibst, meine Mittheilung habe Dich erschüttert - war Dir wirklich all Jenes so unerwartet. Nein gewiss nicht, es war Dir nicht unerwartet, was ich schrieb, sondern dass ich es schrieb, hätte ich nicht Charakterstärke nur dann gezeigt, wenn ich geschwiegen, ach, dann könnte ich jetzt zufrieden mit mir sein - jetzt wo ich so sehr fühle, dass jeder Schritt vorwärts ein Schritt abwärts ist. Hätte ich nicht damals stärker gegen mich sein sollen als ich mir klar wurde? Statt Dein Haus zu meiden suchte ich mich mit Sophismen zu beruhigen und wollte an Freundschaft glauben.
Im vergangenen Juli war ich eines Abends mit einigen gut Bekannten auf einem Keller [29]. Ich war so heiter wie seit langem nicht mehr und war wie gewöhnlich der Moralist der kleinen Gesellschaft, und als die guten Leutchen ihre leichtsinnigen Affäiren erzählten, fühlte ich mich mit Stolz besser als sie - aber nicht lange. Einer der leichtsinnigsten von uns führte seit einer Stunde das grosse Wort. Ich hörte nur mit halbem Ohre. Er hatte, so viel ich weiss, eben eine Geschichte erzählt und schloss mit der Bemerkung: So leichtsinnig ich bin (das wissen alle) halte ich es denn doch für einen grossen nie zu verantwortenden Frevel, das Glück einer Familie zu stören oder auch nur das Interesse einer Frau zu erregen. - Alle debattirten laut, nur ich schwieg. Die Dämmerung war mit Macht herangezogen und Ich wehrte mit Milbe, als man Lichter holen lassen wollte. Träumend hatte ich zugesehen, wie die Stadt erst von Abendroth erglühend nach und nach sich in Nebel hüllte. Über den Thürmen war ein tiefrotes Wölkchen geblieben und ich suchte in dem Dunkel dort die Stelle ihres Hauses zu finden - eben dachte ich ob Du jetzt dort oder im Garten wärst, dachte heiter an froh verlebte Stunden, als das eben zitirte Ende jenes Sermons meine Aufmerksamkeit weckte und Ich gestehe, mich eiseskalt traf. Ich fühlte mich vernichtet, wer war ärmer als ich.
Alles, was ich mit dem wärmsten Herzen umschloss, was meinem Geiste Antrieb zum Schaffen verlieh, und mit meiner Seele in langjährigem Traume verwachsen war, All diess (und mehr hatte ich ja nicht) war verurtheilt, und aus solchem Munde! Möchte ich nur solche Beschämung nicht mehr erfahren! Ich sah jene dunkle Wolke über den zwei Thürmen mit andern Augen und das Empfinden meiner Vereinsamung überkam mich mit einer Gewalt, wie ich annähernd nur einmal zuvor erlebt hatte. Diese kleine Episode, welche ich hier so breit schilderte, war bald vorüber, und bald vergessen; erst, als ich im August einen Brief von Dir empfing und Du mir schriebst, was Du auf jener nämlichen Anhöhe beim Anblicke der Stadt empfandest, da erwachte in mir die Erinnerung an jenen Abend, und ich war so egoistisch, in meiner Antwort meine Schadenfreude darüber erkennen zu geben. Verzeih es mir heute, lieber Freund, wenn Du auch längst nicht mehr daran dachtest.
Wohin bin ich gerathen - ich wollte über Deinen Brief schreiben. Wie vieles darin ist mir räthselhaft. Dass Du mein offenes Vertrauen eben so offen erwidern könntest, hatte ich ja nicht erwartet und nicht erwarten dürfen, warum also sich deswegen entschuldigen? Auf Lösung jenes Räthsels werde ich nicht dringen, nur werde ich Dich vielleicht einmal um Anhaltspunkte darüber bitten, damit ich mich nicht auf falscher Fährte verirre. Kannst Du mir verzeihen dass ich schon wieder an Dich schreibe? Meine Gedanken beschäftigen sich so oft damit, ob es Unrecht von mir sei, Dich immer wieder zu schriftlichem Verkehr zu veranlassen - erst denke ich mir es ist nicht Unrecht, denn sonst würdest Du nicht darauf eingehen - dann denke ich wieder: dürfte das, was ich Dir schreibe, ja auch nur, dass ich Dir so oft schreibe, alle Welt wissen? Nein! - Also? (Ei wie das Alles so kindisch klingt).
Da wäre nun noch so viel schöner Raum zu schreiben - aber der so und sovielte Brief in kurzer Zeit. Bitte um Revanche.

[Notenbeispiel 7]

Der wusste, wie einem Manchmal zumuthe ist, und nun gute Nacht!

 

3. Dezember 36 [1863]

Beiliegender Brief ist schon seit Sonntagabend geschrieben, wie Du aus dem Datum ersehen kannst; ich war erst unschlüssig, ob ich ihn übergeben soll. Nun da ich Deine häufigen liebenswerthen Zeilen erhalten, zögere ich nicht länger mit demselben, Dir meinen Dank für die Übersendung des Buches auszusprechen. Warum ich nichts von meiner Anstellung gesagt? Weil es für mich weder ein freudiges noch ein trauriges Ereignis war und mir in Deiner Gegenwart dergleichen gar nicht einfällt. Wenn Dich aber mein Stillschweigen beleidigte, so bitte ich Dich mich recht zu zanken.

[Notenbeispiel 8]

Dein heutiger Brief enthielt wieder eine dunkle Stelle. Es ist nicht gut mir dergleichen zu schreiben, ohne meiner Unruhe durch bestimme Anhaltspunkte vorzubauen. Warum hast Du kein Vertrauen zu mir, der ich gewiss eines Missbrauchs gar nicht fähig bin? Doch ich vergesse leider zu leicht die eigentliche Stellung, welche Dir nicht erlaubt, mir unbedingtes Vertrauen zu schenken. Darob darf ich Dir nicht zürnen und sollte es mir noch so wehe thun. Bin ich nicht kindisch? Ist es Dir nicht lästig, dass Du mein Vertrauen in so unbegrenztem Grade besitzest. Manchmal bin ich Fatalist und glaube, es müsse Alles so sein, dann wieder möchte ich (wenn möglich) mit dem Schicksal rauf en, nichts macht mir Vergnügen, die Stunden schleichen mir so freudlos leer vorüber, dass ich glaube, den Fröhlichen hassen zu mtissen. Unsinn! Dergleichen sollst Du von mir lesen? Es kam mir letzthin so sonderbar vor, dass ich Vormittags in Deinem Hause war - ich glaube, ich war noch nie zu dieser Tageszeit dort. Das klingt so einfältig und mir war doch so eigenthümlich, fast schüchtern zu Muthe; es hatte Alles ein anderes Ansehen. Du schriebst, dass Du ein Aufhören unseres kleinen Verkehrs befürchtest? - Wodurch, das schriebst Du nicht. Soll ich daran schuld sein. Ich weiss vor der Hand von keiner Veränderung meiner Lage. Wohl wollte ich mich früher mit diesem Gedanken vertraut machen, aber nur aus Rücksicht für ... genug.
Lieber Freund, Du schreibst mir nur ein paar Zeilen. Nun sind es 1 1/2 geschlossene Bogen und so oft ich einen Brief an Dich schliesse möchte ich glauben, doch die Hauptsache vergessen zu haben. Was es doch von einem Feiertage zum andern so lange währt!
Als kleines Kind frug ich einstmals bei Tisch den Vater, warum es denn nicht alle Tage Sonntag sei; da wäre es doch schöner und alle Leute wären braver, weil sie alle Tage in die Kirche gingen - heimlich aber dachte ich an die schönen Schulvakanztage, jetzt hätte ich bessere Gründe. - Nun geht der Raum zur Neige und ich habe noch nichts geschrieben, was mich, viel weniger Dich zufrieden stellen könnte! Einen neuen Bogen zu beginnen wäre grausam und somit sage ich Dir, mein theurer Freund ein herzliches Gutenacht!
(Du bekommst aber den Brief erst am Morgen)

Dein G. [30]

 

Mein Freund!

Hatte ich es gestern und vorgestern über mich gebracht keine Feder anzurühren, so drangt es mich heute um so mehr, meine liebe (gute?) Gewohnheit, Dir Rechenschaft zu geben, wieder anzuknüpfen. Ich muss mit Sonntag beginnen. Kann ich Dir schildern, wie es da in mir kämpfte und tobte? Du warst ganz Du und doch lerne ich, Dich immer wieder neu kennen! Wer wäre Dir zu vergleichen? Ich kam mit bangem Herzen zu Dir und ging getröstet und geheilt fort. Dein Herz ist ein Quell der Güte, zu dem ich immer wieder zurückkehren möchte um mich nie mehr von ihm zu trennen, es ist mein Hort, dem ich meine Freuden mittheilen, meine Schmerzen klagen darf, ohne da! es ermüdet, mich zu stärken und aufzurichten, habe darum tausendfältigen Dank - mache Dir meinetwegen keine Vorwürfe - nie mehr - verspreche mir das, wenn Du mich nicht empfindlich kränken willst, und Du wirst mich nicht kränken wollen, da Du meine Anhänglichkeit an Dich kennst. Freut es Dich nicht, dass Dich jemand so lieb hat?
Kindische Frage, - wenn ich bedenke, welche Gewissensqual Du Dir darüber machst. Alle die Dir nahe sind, lieben Dich, warum soll ich da eine Ausnahme machen? Wer mit Dir verkehrte, denkt mit Freuden daran, warum sollte mein Herz nicht höher pochen, wenn ich Dich erblicke? - Es ist nichts Arges in unserm Verkehr, nur könnte das Niemand begreifen, nicht wahr, so ist es? Das ist mir kein kleiner Trost, und dass ich nur alle acht Tage einmal zu Dir komme, ist dann doch auch ein Verdienst, und dass ich nie über die festgesetzte Zeit bleibe ist meinerseits gewiss anerkennenswerthe Selbstüberwindung. Da haben aber die Franzosen ein Sprichwort: Qui s'excuse, s'accuse! fatal - aber die französische Sprache ist ja ohnedem eine Sprache der Lüge!

Du hast in meinem Innern lesen gelernt, sonst hättest Du die Lieder nicht so singen können - jeder Ton vibrirte in meinem Herzen. Ich kann Dir nicht sagen, welch hinreissender Zauber in Deiner Stimme lag, wo das dis in ais fällt - ach, ich werde das nie wieder so hören. Und da gibt es Leute, welche sagen Musik sei ein Vergnügen - nein, sie ist das Leben, mehr als jede andere Kunst! Fühlst Du das auch wie ich? Dann hast Du auch Augenblicke des vollen, unverkümmerten Glückes. Deine letzte Composition ist ein Triumpf für mich, sie ist innerlich fertig, so fertig, dass die paar kleinen äusserlichen Mängel dagegen ganz verschwinden. Glaubs nur aufs Wort, denn in musicis bin ich nicht partheiisch.Wie hat mich das gefreudt! Dann Deine liebenswürdigen Zeilen! Ich konnte mich nicht satt daran lesen - aber verbrannte sie doch mit blutendem Herzen. -

Heute war ich nach 4 wöchentl. Pause wieder einmal in meiner Gesellschaft, aber ich hielt es nicht lange aus - ich musste nach Hause eilen, um im Geiste mit Dir plaudern zu können. Du warst heute bei mir! Habe Dank dafür! Du gönntest mir Deinen Buck, den Ton Deiner Stimme, Indem Du wusstest, dass ich nur davon lebe. Ach, Du bist so gut gegen mich - so unaussprechlich gut! Montags nanntest Du mich Du, es klang wie Musik - aber so flüchtig - ich muss es noch einmal hören, aber mit mehr Musse. Nicht wahr! Ich habe nicht den Muth sie "Du" zu nennen - warum? ich weiss es nicht. Zwar hatte ich mir vorgenommen, ihr nicht mehr von meiner Liebe zu erzählen - aber noch einmal sei es mir vergönnt ihr zu sagen wie unaussprechlich ich sie liebe, wie Ich nur in ihr lebe, nur ihrer gedenke - wie sie mir Alles ist, wie unnennbar mein Sehnen ist bei ihr, ach bei ihr zu sein! O könntest Du es nur ahnen wie mein Herz bebt, wenn ich ihren Namen höre, wie ich ihn nenne, wenn ich allein bin! Ware sie mir auch so unendlich lieb, wenn ich sie lieben dürfte? Ich weiss es nicht, denri ich kann mich nicht in die Lage denken. Ist wahre Liebe ohne Schmerz denkbar? Ich weiss es ebenfalls nicht, denn ich hab es nie erfahren! Ich weiss nur, dass sie ist und ich sie liebe - ich will nicht mehr wissen. Schilt mich nicht närrisch - ich bin bei vollstem Bewusstsein und gegen meine andere Umgebung so nüchtern und verständig als je. Lass mir die Freude, dass ich Dir jeden Abend, bevor ich zur Ruhe gehe, sage, wie so theuer sie mir ist - ich glaube darin nicht genug thun zu können. Ach könnte sie doch in mein Inneres blicken, es würde sie doch freuen sich so ausschliesslich und herzlich geliebt zu wissen. Habe doch ein wenig Freude daran und blicke nicht immer so ernst mit Deinem wunderbaren Auge. Soll ich denn gar nicht der Gegenwart leben dürfen, mich des wärmenden Sonnenblickes erfreuen! Sei nicht grausam gegen mich, der ich für sie stürbe! Ich will keiner Zukunft gedenken - sie mag sein wie sie will - ich sinne nur, Tag für Tag sie zu sehen, sie zu hören - mit ihr zu sein, mit ihr zu leben. - Mehrere Tage Pause.
Heute muss ich mit Dir plaudern, von Herzen plaudern wie immer. Du warst Donnerstag in der Oper - wie gefiel es Dir? Dachtest Du auch ein bischen daran, wie Du mich dort das letzte mal so glücklich machtest. Ich vergesse das nie! Heute sah ich Dich nicht und gestern nur so flüchtig. Tag für Tag geht vorüber - Woche um Woche und immer meine ich, sie sei mir noch theurer geworden - wo soll das hinaus! Gibt es auch dafür eine Grenze? Muss es Dir nicht endlich lästig fallen? Man liebt die Veränderung - und ich bin so unveränderlich, heute wie vor sieben Jahren. Ich denke nur der Vergangenheit und Gegenwart und des morgigen Tages, denn da ist mein Feiertag... Die Gesellschaften erinnern mich lebhaft an jene von früher, wo ich nicht immer glücklich war, und wo ich versuchte mich zu verstellen- ich armer Kerl, das war mir bitter genug; jetzt freilich lache ich darüber, und Du auch! Es war damals eine kurze Zeit, wo ich Dir recht zuwider sein musste - gesteh mirs nur, jetzt denke ich ohne Harm zurück. Damals merkte ich erst, dass ich nicht mehr nach Wunsch zurück konnte ohne mir weh zu thun - bis dahin hatte ichs nicht versucht - endlich gelang es mir, sie vier Wochen lang nicht zu sehen, da zitirte sie mich mit einigen Zeilen - ich wollte recht frostig sein - aber es half nichts - es ging eben nicht - lache nur - obschon Du damals sehr ernst warst - und hatte meine unglückliche, erkünstelte Ruhe wieder verloren! Du warst auch recht launenhaft - und das ists eben, was einen Menschen in meinem damaligen Falle zur Verzweiflung bringen kann. Ich schreibe Dir diess nicht etwa als nachträglichen Vorwurf - Gott bewahre, nur so zur Unterhaltung. Wenn Du jetzt launenhaft wärst, so würde ich viel entschlossener sein, weil es jetzt eine tiefe Beleidigung wäre, was es damals ja nicht sein konnte. Lasse ich lieber dieses Thema aus Dis moll fallen - nicht schade darum.
Letzten Donnerstag hätte ich mich an Maly's Stelle gewünscht, aber das Wünschen hilft eben nichts - gar nichts - es macht nur schlimmer. Oft denke ich daran, wie mir zu Muthe sein müsste, wenn ich Dich nach jahrelanger Trennung wieder sehen würde - ob Dich die Erinnerung an unsre vertraute Correspondenz geniren würde - ob Du mit mit der alten Herzlichkeit begegnetest. Was ich aber immer nur denke - es bezieht sich beständig auf sie, mein Theuerstes, mein Alles! ist das Liebe - oder fixe Ideen? Oder Beides? Nicht wahr, ich frage Dich so Vieles? Ich meine eben Du müsstest Alles wissen, Alles fühlen, Alles heilen und lindern können, was Andere nicht verstehen und nicht begreifen. Es muss Dir lästig werden immer und immer wieder meine vertrauensvolle Klage zu hören. Schelte mich einmal recht tüchtig in einem Briefe - von Dir nehme ichs am ehesten an - denn von Andern lasse ich mit nichts gefallen. Das letzte Mal waren es zehn Seiten, heute nur vier - was schliessest Du daraus? Nur nichts Falsches! Denke Dir: der (?) hat diessmal meine Zeit und Ruhe zum Schreiben gehabt, er dachte aber desto mehr und inniger an Dich und (erschrecke nicht) - wird es seiner Zeit schon nachholen. ist es so recht! ja? Nun, dann gehe ich beruhigt zum Lager um dem ersehnten Tage entgegenschlummernd von ihr zu träumen. Gute Nacht. - Denkt sie vielleicht in diesem Augenblick an mich? Ich Egoist - ich Abscheulicher! Aber dennoch von Herzen gute - gute Nacht.

 

10.12.36 [1863]

Mein Freund!

Es ist mit nicht mehr im Gedächtniss bei welcher Gelegenheit es war, als mit einer meiner ehemaligen Freunde sagte: "Wenn Du einmal Jemanden lieb gewonnen, so hängst Du mit solcher Ausdauer ihm an, dass ich nicht unterscheiden kann, ob Deine Anhänglichkeit lächerlich oder rührend ist". Wie abgeschmackt kam mir diese Behauptung vor und - wie hat sie sich in neuester Zeit bewährt! (Würde ich sonst diese Zeilen schreiben?) Noch übersehe ich nicht vollständig die Grenzen meines unseligen, langjährigen Irrthums - noch ist die mir geschlagene Wunde zu neu, als dass ich Unbefangenheit genug hätte ihr Arzt zu werden - noch kann ich nicht glauben, dass das Endresultat meiner (wohl darf ich so sagen) rückhaltlosen unbegrenzten Hingebung ein so vernichtendes sei! Leider kann ich mir nicht sagen: du bist nicht verstanden worden - o das wäre noch Wonne!- Ich soll zu der Überzeugung gelangen, dass alle Erwiderung Schein, nichtiger Schein war - meine besten und heiligsten Gefühle Zeitvertreib waren, was ich für ewig glauben mutate, war für Minuten, für elende Minuten! Während ich mich anklammerte an den Glücksstrahlen eines Blickes, eines Wortes, einer Zeile von theurer Hand - konnte ich ahnen, dass all das nicht mir gelte. O genug! Sollte ich nicht vielmehr Gott danken dass ich damals vor einem Halbjahr im Fieber meiner Krankheit keine Ahnung von diesen Vorgängen gehabt habe - es hätte mich unrettbar getödtet. - Darf ich daran denken, wie ich lange Stunden, tagelang auf dem Sofa oder Bette lag, ohne anderes Gefühl als das der Sehnsucht nach dem Schall der Hausglocke, welche mir Botschaft von F[anny] bringen sollte! O Traum und Wirklichkeit! Und als es dunkelte waren meine Gedanken bemüht, die Ungeduld auf den kommenden Tag zu vertrösten - zu entschuldigen und beschwichtigen! Am kommenden, ersehnten Morgen sab ich wieder (wie Tags zuvor) Stunden lang zum Fenster hinaus - wie sich die entfernten schwarzen Pünktchen im Näherkommen zu gleichgültigen vorüberwandelnden Menschen gestalteten und ich mich vereinsamt fühlte.
"Dazu dieser heitre, tiefblaue Himmel". Traum und Wirklichkeit! Welch ein Glück, da! der Mensch nicht allwissend ist, die geistige Marter hätte mich im Vereine mit der körperlichen besiegt, aber ich blieb aufgespart den ganzen Kelch zu leeren, dargereicht von welcher Hand! - Den ganzen Kelch?! Wenn er es wäre! Aber Ungewissheit ist noch schrecklicher - ich soll nicht zwischen den Zeilen lesen, heisst das nicht dazu auffordern? -

Heute ist der vierte Tag seit mir Klarheit wurde, und noch bin ich nicht im Stande klar zu schreiben - und Du verlangest das schon am ersten Tage, fügest aber bei, ich werde nicht gut schlafen, Du hattest recht, ich habe seit 4 Tagen nicht gut geschlafen und bin wohl heute recht müde aber nicht schläfrig, Du hattest auch darin recht, dass ich Sonntag Abend nicht mehr componiren würde - auch das traf ein! Du schienst zu wissen, dass der Pfeil tief eindringen würde, woher wusstest Du das? Mir ist, als träume ich - muss ich denn alles glauben was ich gelesen - es ist zu unglaublich - habe ich doch Briefe von F[anny] aus jener Zeit, welche im Widerspruch damit stehen - erst heute sah ich ihr Antlitz, hörte ihrer Stimme Ton, das alles kann nicht trügen. Auch kann ich recht heiter sein, ich versuchte es gestern Abend und musste über mich selbst lachen, nur schlafen kann ich noch nicht, aber auch das muss wiederkommen, denn die Zeit kann so Vieles heilen! Mein Freund! Du hast mir so weh gethan! Nicht wahr? Du thust es nicht mehr! Ich will Dir wieder vertrauen - ich habe Niemand als Dich! Du wolltest mich nur strafen - wofür weiss ich freilich nicht, lass mir den Wahn, das Alles nur ein Traum gewesen und sei mir wieder der freundlich waltende Schutzgeist meiner Seele, meines seltsamen Vertrauens; der Mensch muss Jemanden haben, den er liebt! Eine uneigennützige Liebe ohne Gegenliebe muss sich verzehren, wie ein Feuer, das nicht genahrt wird, lass mich an diesem Feuer noch erwärmen, bis es verglommen und nur das kalte Leben bleibt, habe so lange Geduld mit mir! Unmöglich kann es ihr eine wahre Befriedigung sein jenes Feuer auf einmal zu löschen, nachdem sie versäumt, es zur rechten Zeit zu dämmen! Und wenn Du jetzt kein freundliches Gesicht machst und den ersten Satz des Brief es nicht für wahr hälst, so hast Du kein Herz und das ware doch sonderbar! -

 

Sonntag 12.12. Abends

Heute bin ich viel ruhiger und gefasster, wenn ich bedenke welches Opfer es F[anny] gewesen sein musste jene Beichte abzufassen, so ist es mir nicht möglich zu übersehen, dass sie immer Reue fühlt - denn ohne dieselbe hätte sie in Wahrheit meine Jugend vergiftet - so aber kann ich gottlob verzeihen, wenn auch nicht vergessen! Welch ein Glück, dass ich jenes Ereigniss nicht aus Zufall durch dritten Mund erfahren! ich wage nicht mir die Folgen auszumalen. - Erst in dieser Feuerprobe lernte ich die Allgewalt meiner Liebe zu F[anny] kennen, jene dämonisch zwingende Macht, welche alle Vernunft unterjocht, welche umso verzehrender glüht, als sie sich verbergen muss. Warum habe ich diese Stadt nicht geflohen als ich noch Kraft dazu in mir fühlte und jede Gelegenheit mit Füssen von mir stiess - jetzt fliehe ich nicht mehr! Ich kann nicht leben ohne F[anny] zu sehen - jede Entfernung ist Marter - jetzt noch mehr als früher - ich muss mich mit Gewalt unterbrechen - Du möchtest ermüden dies alles zu lesen!
Elf Uhr! Aussen heult der Sturm und hier im warmen Stübchen brennt die Lampe schon röthlich - ich mag und kann nicht zur Ruhe gehen, es kommt mir vor, als ob mich alles hasste und ich bin doch freundlich zu jedermann - ich hasse niemand auf der Welt und soll das Glück geliebt zu werden nur ahnen können! Und wenn ich diese Ahnung habe, vertraue ich sie meinem Instrumente, dann bemitleide ich Alle, welche der Ehre und dem Beifall nachlaufen und glücklich sind so schreiben zu dürfen wie das Publikum es wünscht und bezahlt - bezahlt = pfui! -

O ich wünschte die Gabe zu haben Grosses und Unvergängliches zu schaffen und statt eines Publikums einen einzigen Lieblingsschüler, den ich nur mit Verschwendung aller Aufopferung und Zärtlichkeit dazu erzogen - der mir Alles verdankte - er müsste mich dann lieben, wenn ich nicht mehr wäre! Vielleicht erfüllt sich der letzte Theil meines Wunsches noch, es werden ja doch nicht alle meine Wünsche scheitern müssen!
Der Sturm hat nachgelassen, ich gehe nun doch zur Ruhe und träume dem kommenden Tage, dem Sonntag entgegen - die Lampe ist ausgebrannt - ich sehe auf dem dunklen Papiere fast nichts mehr - aussen ist alles so still - in wenig Minuten ist diese Woche geschieden - gute Nacht! Auf Wiedersehen!

 

15.12.36 [1863]

-- So! nun wären jetzt (um 1/2 10 Uhr Abends) alle Tagesgeschäfte abgethan - nun kann ich ich sein - d.h. meinen lieben Träumereien nachhängen ohne Rücksicht auf Vergangenheit und Zukunft - ohne gestört zu werden von irgend Jemand. Sogar das leidige Kopfweh, welches mich den ganzen Tag verdriesslich machen wollte hat sich in sein Malepartus zurückgezogen - hoffentlich für längere Zeit.
Ich bin so ruhig und glücklich wie seit langern nicht mehr. F[anny] ist mir durch den Sturm der letzten Tage womöglich noch theurer geworden - wo möglich! - Gäbe es noch eine Steigerung! O ich möchte ihr beichten und ihr immer das Nehmliche sagen ohne ein Ende zu finden, damit nur das Glück recht lange währen möchte; wenn uns eine Sprache bestände, die Niemand als sie und ich verstehen, die Niemand sonst sprechen könnte - eine Sprache, die hunderte von tiefen, lieben Worten besäIe, welche keine jetzige Sprache ausdrücken kann - ach! Wer könnte sich vorstellen was ich fühle! Glück, Liebe, Leben - Alles das sagt zu wenig

[Notenbeispiel 9]

das ists. -

Der göttliche Sänger allein wusste das Unaussprechliche. Und warum bin ich so glücklich? Es ist mir, als ob die Stürme, welche uns drohten, nach langer, langer Dauer dem tiefblauen Himmel gewichen wären - als ob mich nichts mehr von ihr trennen könnte. Ihr Antlitz war in letzter Zeit so klar und leuchtend, dass ich nie müde ward in ihr Auge zu sehen - sehe ich doch ihren Blick immer noch vor mir, so ruhig mild, so segensvoll! Ich werde das nie vergessen - O würdest Du auf immer so bleiben, so vertrauensvoll, so gütig! Bei Tage denke ich an Dich - Nachts träume ich von Dir und so wird mir das Leben zum Traum, zum herrlichen Traum! Ach das Du nur ein Phantasiegebilde wärst, das nur mir gehörte. -

 

16. Abends

Als ich ein Kind war, las ich eines Tages ungefähr folgendes Märchen:
Ein Knabe ging zum Walde und als er weit gegangen war, wurde er müde und legte sich an einer Quelle nieder. Er hörte nun aus der Tiefe der Quelle einen wunderbaren Gesang, weicher sein Herz mit ungeahnten Wünschen und Empfindungen erfüllte; und wie er selig und selbstvergessen in die Tiefe starrte, schien der Ton der Zauberstimme auf der Oberfläche des Wassers daherzukommen - er verfolgte den Lauf des Quellenbaches in eine wunderbar grünverwachsene Schlucht - dort sass. am Ufer die Fee der Quelle in weisse Schleier gehüllt und sang mit so zauberischer leiser Stimme, dass der Knabe wünschte zu ihren Füssen sterben zu können. Sie winkte ihn näher zu sich heran und der Knabe, welcher anfangs ihr gegenüber sich so schüchtern fand, wurde nach und nach zutraulicher und liebte sie mehr als je eine Sterbliche geliebt wurde, er durfte alle Tage zu ihr zur Quelle kommen, nur jeden siebten Tag nicht, das verbot sie ihm strenge. Und als er einst, von unnennbarer Sehnsucht getrieben, dennoch zur verbotenen Zeit hinkam und ihren Namen nannte, sah er sie, ihm von fern traurig Abschied winkend, wie sie in ihrem weissen Schleier immer mehr im Grunde des Waldes verschwand und sich in Luft auflöste - so hatte er sein Glück zerstört, denn sie kam nicht wieder, so heiss er auch ihren Namen rief -

Dieses Märchen, fast ohne Inhalt, doch (im Originale nicht hier) mit allem Zauber der Poesie geschrieben, machte in meinen damals so jung-empfänglichen Herzen einen unauslöschlichen Eindruck, und da es in meinen Heimathbergen an ähnlichen, lauschigen Quellen nicht fehlte, so brachte ich dort meine freie Zeit zu und mied die Spiele der Altersgenossen. In endlosen Träumereien hing ich dort meinen Gedanken nach und glaubte sicher, auch einmal eine Fee - wenn auch in langen Jahren und weiter Ferne zu begegnen - einer Fee, in deren Augen mit zauberischer Kraft geschrieben stehe, dass sie die geträumte Fee und keine andere sei. Jahre vergingen, eine Kette von Unglücksfällen hatte den heimischen Herd heimgesucht und auch mir in ferner Stadt die Nachwirkungen nicht erspart - die geträumte Fee der Jugend war längst vergessen - da sah ich in ein Auge, welches mich unlösbar fesselte, dessen Buck sich mir ins Herz gegraben. Was ich in früher Jugend unklar ahnte, war heiler Sonnenschein; der Wendekreis jenes Jahres war es auch fürs Leben. Ich fühlte den Frühling im Herzen tauen und gab mich ihm ganz und rückhaltslos, ich fühlte die Pein der Sehnsucht im furchtbarsten Grade und gewahrte den Abgrund zu spät - kämpfte ich auch redlich so war es nur, meiner Ohnmacht inne zu werden. Mein einziger Sporn (sage ich lieber: ) meine einzige Tugend war die Furcht durch Verrath meines Seelenzustandes dir lächerlich zu erscheinen - auch fühlte ich mich namenlos unglücklich! War ich nicht in Allem recht ungeschickt? Bitte, sag ja, ich zürne dir darum nicht - (Unterbrechung!)

 

Samstag Abend

Gestern, wie vorgestern zur Mittagszeit bei umwölkten Himmel ein Sonnenblick - ich danke dir! Und Morgen - wie freue ich mich! Wie will ich jede Minute, die mir in Deiner Gegenwart gegönnt ist, ausnützen - ach! wenn sie wüsste, nur ahnen könnte, wie ich so ganz nur in ihr lebe! Und Morgen Abend sitze ich vielleicht um die nehmliche Zeit am selben Fleckchen - traurig und vereinsamt, wie so oft nach Stunden scheinbaren Glücks.
O ich bin weit - weit von ihr entfernt - ihr Bild ist für mich nur ein Traumbild - selbst wenn ich den Ton ihrer Stimme einathme, darf ich nicht der Wirklichkeit glauben! Wie glücklich war J[osef], er durfte dir angehören, er war es werth, seine Erinnerung in mir ist fleckenlos - er konnte wie ich dir schon geschrieben von den Augen eines Engels bewacht hinüberschlummern. Das Durchlesen seiner Zeilen drückte mich tief nieder - jede gute Meinung, die man empfängt, ohne sie zu verdienen, thut weh! Ich soll sie nicht lieben, denn vor den Augen der Menschen ist es ein grosses Unrecht! Aber was kann ich dafür, dass das Eis Kälte, das Feuer Wärme ausströmt? Wie glücklich muss der sein, dem deine Liebe angehörte, war er ihrer werth? Närrisches Geplauder! zürne nicht. - Was du über die Sommertage auf dem Lande sagtest, thut mir wieder recht weh - denn es wird nicht zur Wahrheit werden können, ob ich gleich Alles darum gäbe! Niemals aber werde ich jenen Sommertag vergessen - wie wir im Waggon sassen und ich hie und da einen Blick von dir erhaschte - hätte es eine Ewigkeit gewährt! Mir war ganz unbeschreiblich zumute und du hattest so gar keine Ahnung davon! Sah ich aber deinen Buck, so schienst du allwissend zu sein, und das machte mich wieder unruhig. Das war ein voller Tag in deiner Gegenwarth, vielleicht der einzig meines Lebens!! Damals schrieb ich dir einen langen Brief darüber, der aber natürlich (kaumgetrocknet) schon in den Ofen wanderte. Wie ich nur dir gegenüber so kindisch bin, bei Andern gewiss nicht, das glaube sicher. Jenes Blatt deines letzten Briefes habe ich vernichtet, sonst besitzte ich noch alle Blätter deiner Hand. Ein wahrer Schatz der Erinnerung Quäle ich dich, wenn ich dich bitte, mir bald wieder zu schreiben? Doch was soll ich dir schreiben - was du willst - wenn ich nur die theuren Schriftzüge sehen und denken darf: sie sind an mich. Du musst mir einmal aus den Jahren deiner Kindheit erzählen, ich möchte dich auch als Kind gekannt haben. Warst du damals ernst oder heiter? Jetzt höre ich auf - aber nicht weil Mittenacht naht, sondern well der Bogen zu Ende ist; umsomehr als ich enger schreibe als Jemand, den ich herzlichst grüsse.

 

20.1.46 [sic]

Was bin ich in Verlegenheit, wenn ich dir den Eindruck schildern soll, den dein Riesenbrief mir gemacht. Ich weiss nicht wie es kam, dass er mich noch mehr erschütterte als jener, welcher den Reigen unserer vertrauten Correspondenz eröffnete. Du vernichtest mich mit jenem wie mit diesem wenn du dich dort hauptsächlich nur anklagtest, so zeigtest du hier vielmehr den ganzen Himmel, den deine Liebe über einen Unwürdigen ausgoss - nein - nicht über einen Unwürdigen - ich bin ungerecht - über einen Unglücklichen. Ist es nicht eigenthümlich, dass so viele dich lieben mussten. Sei stolz darauf, aber vergesse nicht, dass diess kein Glück für dich ist noch war - doch - das weisst du besser als ich. Du scheinst C's Handlungsweise zu missbilligen, weil sie dich schmerzen musste - ich verdamme sie nicht, obschon ich wenn ich so weit gegangen wie er, nicht so gehandelt hätte. Deine Bitterkeit liest sich zwischen den Zeilen - hat die Zeit noch nicht geheilt? Du ahntest wohl nicht dass ich schon längst darum gewusst; auch deine Rede, so oft sie auf ihn kam, verrieth dich mir nur zu sehr. Über deinen grossen Brief kann ich dir nicht viel schreiben, es wäre mir zumuth, als wenn ich mich selbst seziren müsste, und das wäre doch zu grausam. Eines ist mir aufgefallen: Du wirfst mir vor, dass ich dir nicht schon vor einem Jahr Vertrauen geschenkt - indem deine Reue über P. dann nicht möglich gewesen wäre. Wie unchronologisch - hast du den 10.6.26 ganz vergessen? Ja könntest du seit Jahren je über meinen Herzenszustand im Unklaren sein? Unmöglich! Aber ich verzeihe dir diesen Vorwurf.

 

21.1

Heute sah ich dich in voller Angst und Unruhe; ich kenne den dir drohenden Verlust zu wenig, aber da du darunter leidest, so empfinde ich vollkommen mit dir. Möchte dir doch die Versicherung, dass ich hierbleibe und nicht nach M. gehe ein wenig Trost geben, ich gehe nicht fort, ja ich bewerbe mich nicht einmal um die Stelle, ich bleibe hier - und ich bleibe dein treuer Freund, ist es so recht? Es kommt mir nun wie ein Traum vor, das ich fortgewollt - ich wäre ja doch gestorben vor Sehnen nach dir - ich hätte vor einem Jahr oder noch früher fortgehen müssen - jetzt ists zu spät. Wo wirst du eben jetzt sein? Am Krankenlager leidend - indem du leiden siehst - nicht wahr - und Niemand kann helfen! -
Deine heutigen Zeilen haben mich wieder innig gefreut, ich habe sie wiederholt gelesen. Wenn du mich gestern gar so resigniert gefunden, so schliesse daraus nicht falsch; glaube nicht an eine Änderung meiner Gefühle gegen dich, ich bin keine Wetterfahne. Was ich aus deinen letzten Briefen unter anderm entnahm erfüllt mich mit wahrer Hochachtung gegen D.G., dessen Zartheit und Noblesse gegen dich in der C Angelegenheit vollste Anerkennung von dir erforderte und als ich das weiter in Gedanken verfolgte, kam ich zu der Erkenntniss, welches Unrecht ein fortgesetzter Briefwechsel enthalte - wieviel edler sich C in ähnlichem Falle benahm - ich wurde wankend, ich wollte dir nicht mehr schreiben, so weh es mir auch thun würde - da kamst Du gestern und machtest meinen Entschluss zunichte. Daher das Dir fremdartige - und nun daher, sei mir also nicht böse. Dass du mich auf dem Balle vermuthest, machte mich lächeln - und doch dachte ich einen Augenblick daran, es wäre aber meinen Bekannten gar zu auffallend gewesen und so blieb ich glücklicherweise zu Hause und schrieb N. und spielte Walzer und Todtenmärsche und las dann Caravaggio, der mir in seiner genialen Narrheit gar nicht schlecht gefiel. Abends bin ich so gerne zu Hause, da gefällt es mir in meinem Nestchen ganz gut. Da können mir so viele Melodien, dass ich sie gar nicht mehr aufschreiben mag und nur die bessern im Kopfe behalte, bis sie neuen Ankömmlingen Platz machen. - Verzeihe dass ich von meinem Zwecke so ganz abkomme. Muss ich darauf verzichten Dich morgen im Kränzchen zu sehen. Natürlich. C... Das ist nicht zu ändern. Wir hatten glückliche Stunden, die nicht immer sein können, aber wiederkommen werden; bin ich doch viel ruhiger seit ich weiss dass ich hierbleibe - denn ich hatte schon begonnen, die wenigen Sonntage bis Ende März zu zählen. Besser so!

 

23.1. Abends 11

Fast ists, als sollte dieser Brief nicht fertig werden. Gestern war Kränzchen, da kam ich zu spät nach Hause. Heute abend musste ich erst in die Ottostrasse, verspätete mich und traf dann bei mir einen alten Freund, mit dem ich Ausgehen und Billard spielen musste und jetzt ists nahe an Mitternacht - inzwischen schrieb ich an Dich einen Postbrief. Als ich gestern vom Kränzchen heimging warf ich noch einen Blick nach Deinem Hause. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie ich mich nach Dir, nach Dir sehnte! Ach das Du mir so theuer bist! Du main Himmel, mein Sehnen, meine Qual. Ich sah Dein Haus und es sah so finster auf mich herunter - nein - Du begreifst mich nicht - nie - es ist nicht möglich. - In Deinen Briefen spricht sich ein Mitleid für mich aus - das ertrage ich nicht - lieber hasse mich. Behandle mich lieber gleichgültig. Du bist so ganz eigen, in Sprache, Gang, Haltung, im Singen, in Allem - gäbe es nur irgend etwas auf der Welt, das Dir die Innigkeit meiner Liebe zu ihr versinnlichen könnte, aber Alles ist so kalt, so abgenützt - verbraucht - ungenügend - nur die Musik nicht, die himmlische Sprache! - und da soll ich etwas lehren von dem ich mir selbst keine Rechenschaft geben kann, und könnte ichs, mir zu heilig wäre es mitzutheiien - ist das nicht ein unglücklicher Beruf?
Ich bin nicht dazu berufen - der Kopf thut mir weh, das Herz, Alles, glaube mir, ich bin recht unglücklich - sage lieber närrisch! Morgen darf ich Dich nicht sprechen - Du wirst meinen Postbrief lesen und mir Unrecht thun. N. werde ich vergebens nach Deinem Plätzchen sehen - gehe - wir sind uns doch recht fremd. Ich muss für heute aufhören, es geht auf 1 Uhr - Gute Nacht! Du ruhst jetzt, wie gönne ich Dir die Ruhe! mit meinem Leben wäre sie nicht zu theuer erkauft.

 

24. 1 Abend

Wie sich manchmal Alles anders gestaltet, als man sichs denkt - ich sollte Dich heute dennoch sehen - habe Dank für den Besuch. Schon war mir der Nachmittag unerträglich lang geworden! Um 4 Uhr hörte ich das Gottesaveglöckchen läuten - erst wollte ich hinaus gehen - dann aber wurde ich scheu - ich hätte mich zu fremd unter den Trauernden ausgenommen - ich blieb zu Hause und war mit mir recht zerfallen und unzufrieden, ich versuchte zu schreiben - es ging nicht - dann spielte ich Clavier - es läutete. Das ist gewiss Herr E. dachte ich (Herr E. Ist ein unerträglich langweiliger Mensch, der manchmal Abends kommt) zögernd ging ich öffnen - welche Überraschung! Was hätte ich Dir Alles zu sagen gehabt! - Du warst sehr bewegt - das Lied sagte mirs und wie singst Dus - ich danke Dir von Herzen. Es war so freundlich von Dir mich melancholischen Einsiedler aufzusuchen, dass ich Dir gar nicht genug danken kann. O! wäre ich nie von Dir getrennt - wenn ich (lache nur) doch wenigstens ein (wenn auch weit) Verwandter von Dir wäre - wie war doch Josef so glücklich, es that mir fast weh als ich las wie ihr so innig befreundet aufwuchst und wie Du Dich trenntest und er so weinte - o ich kann das auch fühlen!

 

27.1.

Nicht wahr, es freut Dich auch, dass ich nun hier bleibe! Mich freut es nur Deinetwegen, es ist als würdest Du mir täglich theurer - wo soll das hinaus? Ich muss mich zusammennehmen, mein bischen Verstand nicht zu verlieren. Täusche mich nicht, es wäre zu schrecklich. Das Vertrauen, das Du, wie mir Deine Briefe zeigen, in mich setzest ist gross - es rührt mich auf s Tiefste wenn ich unsre so verschiedene Lebensstellung bedenke. Du darfst Niemand mehr ein solches Vertrauen schenken und wenn es ein Engel vom Himmel wäre.
Ich lebe wie in einem Traum, aus dem man nicht wach werden kann; wie sehr mich der Inhalt Deines grossen Briefes schmerzte, ahntest Du wohl nicht - und doch hättest Du mir wohl nicht das Alles nicht geschrieben, wenn ich Dir nicht Viel gölte. Wie musstest Du in jener Zeit gelitten haben, wenn ich aus dem resignirten und bittern aber leidenschaftlichen Ton Deines Briefes auf Deine damaligen Gefühle schliesse. Aber noch so Vieles über Dich ist mir unaufgeklärt - doch wird es besser sein, es ruhen zu lassen, was liegt am Ende daran? Du hast ein reiches, wenn auch nicht glückliches Leben gehabt und nicht Viele dürften ein richtiges Verständniss dafür haben, wenn sie Dich nicht Jahre lang genau beobachteten und da man gewohnt ist, sich nur zu rasch ein Urtheil zu bilden, ohne auf die tausend kleinen aber im entscheidenden Momente zwingenden Ursachen und Zufälle Rücksicht zu nehmen, so war es gut von Dir gethan mir nicht zu früh Vertrauen geschenkt zu haben, ich hätte mich mit Kälte von Dir abgewendet und Dir unbewusst Unrecht gethan. - Jetzt aber kann ich Dich verstehen ohne Gefahr zu lauf en Dich zu verlieren; ich habe Dich ganz kennen gelernt und Du wurdest mir dadurch nur noch theurer und anziehender. Diess also das Résumé meiner Gedanken nach Durchlesung Deines Briefes. Lese es aufmerksam aber lese nicht mehr hinein, als wirklich darin ist.
Letzthin in ... vermisste ich Dich sehr - ich begreife gar nicht wie ich es damals dort aushalten konnte, als Du zwei Jahre abwesend warst. Wie Du in der ersten Reihe sitzest, so bist Du mir eine Königin, der die andern nur als Folie dienen müssen, Du hast auch dies Bewusstsein schon öfter gehabt, ich kannte Dirs an - nicht wahr? Du siehst, als Phisiognomiker kann ich es bald mit Lavater [31] aufnehmen, ich habe viel Phisiognomie studirt, wenn auch nur in einem Buche! Das weisst Du und lachst mich herzhaft aus! Du wirst Dir früher oft genug gedacht haben: Nein, der könnte mein Gefühl jetzt doch schon auswendig gelernt haben? - nicht wahr, das dachtest Du? Ach, ich poverino wäre stundenweit gelaufen Dich zu sehen - ganz ohne andern Zweck - (ja, ich würde es jetzt noch thun). Du hast mir ein wahres Wort geschrieben: ich liebe Dich so, wie Du eben jetzt seist - es ist nicht anders. Jede, auch die kleinste Veränderung an Dir wäre zu Deinem Nachtheile.

 

30. 1.

Donnerstag Abend war ich, wie Du weisst nicht zu Hause, Freitag auch nicht - aber heute kann ich fortsetzen. Was soll ich Dir über D. berichten? immer das Nehmliche! Dass ich mich unglücklich fühlte wie je, und doch war sie so gütig, so liebreich wie immer. Du glaubst nicht, wie so ein verstohlener Blick von ihr durchs Herz geht - wie sie in engerer Familiengesellschaft so ganz unnennbar liebenswürdig ist - und da muss ich mir immer denken: wäre ich doch schon todt - vergessen und verschollen - denn so etwas blüht nicht wieder! Sieh, all mein Streben und Schaffen kommt mir so ziellos vor - alle Welt ausser ihr ekelt mich an - und nun das Eis unseres Verkehrs gebrochen ist, fühle ich erst den ganzen Umfang meines Unglücks! Bei ihr allein sind meine Lebenstage. - Ich hatte schon viele Menschen lieb aber ich liebte ausser ihr noch Niemanden und werde nicht wieder lieben können, ich fühl es täglich - stündlich. Kein Leben - kein Athem ausser ihr - wenn ich an den Sommer denke fast mich ein wahres Entsetzen - und doch sind jene wenigen Wochen Trennung mir nur ein ganz kleines Bild der immerwährenden Trennung. Ich kann sie nicht mehr fliehen - ich kann nicht - es ist zu spät - zweifle nicht an meinem Willen, an meinen besten Vorsätzen - mein Geist ist vollkommen klar, aber eine Energie gebrochen. Wie viel besser war C. - wenn Du ihm auch gleich grollen musstest. Manchmal ist mir, als sei ich ruhiger geworden - Täuschung! Bemitleide mich nicht - nur das nicht - behandle mich lieber hart. Wie gerne wollte ich dir was Andres schreiben - aber gegen Alles, was nicht auf sie Bezug hat sträubt sich die Feder - ihr Bild schwebt immer vor mir - alles Andre in den Hintergrund drängend - bald in Trauer, bald in Freude gekleidet - ihr Auge sieht auf mich - strafend und belohnend - du sprichst stundenlang mit mir und hast doch keine Ahnung davon, denn du weisst aber siehst mich nicht unglücklich! Du willst, dass ich dir schreibe, kann dir diess unzusammenhängende Geschreibsel Freude machen? ich kann es nicht glauben - ein Tonstück darf auch nicht immer aus Moll gehen - hat doch der Maler auch in Nachtbildern Licht und Schatten, nur meine Brief e sind Schatten allein. Ich fühls, dass ich deiner nicht mehr wert bin - Niemand ist deiner werth; das ist mein kleiner egoistischer Trost. Fort mit den schwarzen Bildern, morgen ist Sonntag! Ein paar Stündchen ungetrübten Glücks! Also dein liebes, trautes Haus willst du verlassen - weisst du auch dass dort ein Stück Himmel ist? Doch wo du auch wandelst, wird ein Stück Himmel sein! Glaube nicht, dass ich dir schmeichle - das habe ich nie gethan und werde es nie thun - aber so wie ich erkennt doch Niemand! - Heute sah ich dich flüchtig, "wie froh bin ich, dass Sie hier bleiben." Das war ein Sonnenblick, ich war den ganzen Nachmittag froher. - Könnte ich einmal einen ganzen Tag ungestört mit ihr verleben - aber ich quäle dich mit immerwährenden Wünschen - es muss sein Ende finden. Auf Freitag freue ich mich wie ein Kind, ich werde nicht schroff sein, wenn du mich nicht dazu verleitest - gewiss nicht. Hast du die Zeichnung schon fertig, ich bin nicht wenig neugierig darauf. Das wird nach und nach noch ein Album von Zeichnungen die ausser uns Niemand so innig versteht, so ein bischen Lebensgeschichte von uns. Die Zeichnungen sollen mir gehören, aber du darfst sie mir nicht schenken, nur wenn ich nach langer Zeit einmal fortkäme nähme ich sie mit - nicht zur Erinnerung sondern als Teilchen von dir selbst. Und nun endige ich wieder ruhiger - du schläfst wohl schon und ich gedenke von dir zu träumen, ob es dir recht ist oder nicht, denn

[Notenbeispiel 10]

Schlafe wohl! es blühe dir der Friede, den ich nicht finden kann. ---

 

Lichtmessabend [32] 46 [sic] [1864]

Wohl verstand ich den Sinn deines Märchens, ich danke dir für deine zarte Aufmerksamkeit, deren Werth mir durch die herzige kleine Zeichnung unendlich erhöht wurde. Wie sehr bedurfte ich nicht einiger Züge deiner Hand in dieser düsteren Melancholie, welche mich heute den ganzen Tag umstrickt hielt. Ach, ich glaube nie so tieftraurig, so recht von Herzen traurig gewesen zu sein als an dem heutigen beschäftigungslosen Nachmittage. -
Warum warst du nicht in der Kirche, wie du versprochen? ich war so unruhig - nein unglücklich! ich glaubte du seiest krank oder mir böse - und quälte mich ab, des Letzteren Grund zu finden. Ich sehe wohl, dass ich mich geirrt. Du warst wieder so eigen heute, - so ruhig, so himmlisch heiter, als ob nie ein Wölkchen den Horizont deines Gemüthes betrübt hätte und mir wurde so innig wohl, dass ich gewünscht hätte länger verweilen zu können. Ich fürchtete schon die endlos leeren Nachmittagsstunden. Erst versuchte ich mit einem alten Bekannten Schach zu spielen, aber zum erstenmale kamen mir die Figuren bedeutungslos - hölzern vor. Dann ging ich zwei Stunden lang in der Neuen Strasse spazieren, in der Hoffnung, dich vielleicht von Ferne zu sehen - vergeblich! Ich war so eigen weich gestimmt vom Morgenbesuche her - die ganze Natur schien zu athmen und zu flüstern: Nun muss sich alles alles wenden... oder - enden - warum hat Uhland nicht so geschrieben? Er war eben kein Heine, ist mir aber lieber. Dass man die Dichter erst verstehen lernt, (Prosa) wenn es einem bis an den Kragen geht. Mir wollten die Worte nicht entschwinden - dazu die tausenden von Menschen, die mir alle nicht eine Minute des Glückes geben könnten und die alle froher schienen als ich es war. Was sind mir alle die Unzähligen gegen Eine? O Anna [33], du wirst tief und treu geliebt und doch kann dir diess keine Befriedigung sein - mit einem Wehe denke ich an die Zeit, wo ich dir es nicht mehr sagen kann - wo dir die Erinnerung daran vielleicht unlieb sein wird! - Halt - lass mich erst ausreden, ich will dir nicht Unrecht, nicht wehe thun: ist es möglich, dass ohne meine Schuld eine solche Zeit kommen kann? - Ja ! Denn sonst wäre es undenkbar, dass mich ein so bestimmtes Ahnen irgend eines unnennbaren Seelenschmerzes hätte erfassen können, denn das Unmögliche kann man nicht ahnen. Ich fühle mich so verlassen und vereinsamt in der lustwandelnden Menge ! Und doch singt der Dichter:

Nun armes Herze sei nicht bang [34]

Nun muss sich Alles wenden!

Er hat nicht für mich gesungen! Nur für mich sind seine Worte Unwahrheit, jede Änderung ist mir schrecklich! - Es thut mir wehe, wenn ich klage, dein Märchen sagt es mir: also darf ich dir auch nicht mehr von meiner Liebe zu ihr mitheilen? Es ist ja auch eine Klage! Wilist du so strenge gegen mich sein? Du meinst es gut mit mir - aber du kannst mich nicht mehr heilen, nicht mehr, - es ist zu spät! Ich fühle es in allen Nerven. Und wenn du dich von mir wendest, so zehre ich von der Erinnerung und liebe noch dein Bild, bis es mit meinen Gedanken auslöscht! Genug - zu viel für heute, ich gehe nun zur Ruhe - lese nochmals ihre theuren theuren Schriftzüge, sehe nochmals das herzige Bildchen und dann die Augen zu - aber Gutenacht sage ich erst, wenn meine irren Gedanken zum Traum sich wandeln.

 

6.2.

Mittwoch war ich abends nicht zu Hause, Donnerstag unwohl, Freitag - endlich! Welche Qual für mich den ganzen Abend ihr nahe zu sein ohne ihr ein unbelauschtes Wörtchen sagen zu können! Und doch war ich der Hausfrau dankbar, mir ein Plätzchen neben dir angewiesen zu haben - und nicht einmal danken durfte ich ihr. Wie schön und wahr sangst du die Lieder - du fühlst und singst aus jedem heraus was nur uns gehört - und dabei muss man so kühl scheinen - auch am Heimwege konnte ich wohl mit Ihnen sprechen aber nicht mit dir plaudern und in solchem Falle bin ich lieber gleich ganz still. Du warst gestern nicht zufrieden mit mir - oder habe ich mich getäuscht? Ich kann mich nicht mehr ändern - wenn ich kühl scheinen soll, werde ich nur zu leicht schroff - wo warst du Lichtmessnachmittag? Ich hatte so unendliche Sehnsucht nach dir wie noch nie. Jeden Augenblick möchte ich wissen wo du bist, wie du bist, was du sprichst und denkst. Wenn ich mich nur zerstreuen könnte - aber es ist nicht möglich - ich kann an nichts dauerndes Interesse finden. Wie unendlich glücklich wäre ich ... nichts mehr - das ewige Klagen!

 

7.2.46 [sic] Abends

Wir sprachen an dem heutigen glücklichen Nachmittage so wenig - durch meine Schuld - und nun fühle ich die lebhafteste Reue - ich glaube zu kalt geschienen zu haben, während es mir im Herzen glühte. Wie unendlich war mein Verlangen, an ihre Brust zu sinken, ihr zu sagen, wie so lieb, so theuer, so unsäglich theuer sie mir ist - Anna! Vergeblich! Ein Nimbus umgibt sie - ich muss ihn achten - muss ! welch hartes Wort! ich weiss dass sie unendlich gut gegen mich ist, gut wie gegen Niemand sonst, aber ich dachte, oder denke oder muss vielmehr denken, dass sie meine Liebe doch nur erträgt und das macht mich scheu! und nun sitze ich einsam da und gäbe mein Herzblut dafür wenn sie auch bei mir wäre, damit ich ihr sagen könnte, was ich ihr so oft schon geschrieben. 0 war sie da könnte ich in ihr himmlisches Augenblicke - an ihrem Herzen ruhen und nicht mehr aufwachen zu diesem Leben immer ewig ungestillter Sehnsucht -
ist es mein guter Geist, der mich in ihrer Gegenwart so zurückhaltend macht? Du zürnest ihm - mit Unrecht! Wenn er weicht bin ich ihr - sie mir - verloren! Wie oft schwebte es mir heute auf der Zunge ihr zu sagen: ich liebe dich! Ihre Lippen zu küssen - ich vermochte es, mich zu zügeln - sei mir nicht böse - ich könnte mich desswegen jetzt hassen. Ich soll nicht glücklich, soll Tantalus sein. Ich schreibe dir nur mehr von meiner Liebe - alles Andere ist mir zu gleichgültig - dir ist mein Athemzug, der erste und letzte des Tags - sei also nicht kleinlich irgend einen Zweifel in mich zu setzen. Du schriebst wiederholt, dass sie dir zu alt erscheine, aber ich liebe nicht ihre Schönheit, ich liebe sie selbst. Schönheit allein halt nicht sieben Jahre gefangen, nicht ein Jahr. Die Spiegelgläser der A. verachte ich also herzlich. Im schönen Leib die schöne Seele singt der Dichter und der hat Recht! Wenn ich bedenke, was du über den Lichtmessnachmittag schriebst, so muss ich wohl an die Macht der Sympathie glauben. Wie fühlte ich mich noch so voll Sehnen nach dir - so voll Traurigkeit und - fast möchte ich sagen, Lebensüberdruss! Es war wie ein bohrender, nagender Schmerz am Herzen der sich durch alle Nerven fortpflanzte - ein unsäglicher Schmerz, wie ich ihn noch nie fühlte! -
1/2 11. - Jetzt erst, nachdem Mali zur Ruhe, konnte ich deine Zeilen beendigen. Du bist so seltsam leidenschaftlich, dass du mir oft bange machst - du stellst Fragen an mich, welche mich in Verlegenheit bringen müften, wenn ich dir meine Liebe zu ihr nicht schon langst rückhaltslos eingestanden hätte. Verstehe mich nicht falsch - ich habe für all deine Fragen keine andre Antwort als meine unbegrenzte Liebe, über deren Ausgang ich mir nicht den Kopf zerbrechen will. Ich liebe sie, weil es meine Bestimmung so ist, nicht eines äusseren Umstandes willen; ich habe so lange als möglich meine Liebe zu bekämpfen gesucht - wie du weisst - vergeblich und nun glaubst du, mich zu verlieren - warum denn? Du kennst mein treues Herz zuwenig. Das Einzige, was mich beunruhigt ist, dass die ihrigen ihr unsern Verkehr entgelten lassen könnten, ware diess der Fall, so sollte mir kein Opfer zu gross sein ihre Seelenruhe herzustellen. –

 

Montag Abend

Ich bin nur so fröhlich und glücklich weil ich sie unvermuthet sprechen konnte; sieh - mit so wenigem bin ich zufrieden, aber - nur für einen Tag - länger nicht, denn dann kehrt das alte Sehnen mit neuer Kraft wieder - ihr Name lebt mir im Herzen, tönt mir im Ohr, schwebt mir auf der Zunge - sie ist Alles und ausser ihr ist nichts. Als ich meinen Freund zum letzten Mal sah, auf dem Gottesacker, dachte ich, was wohl meine Empfindungen sein würden, wenn mein Liebstes so dort liegen würde? Ein eisiges Entsetzen fasste mich - ich konnte nicht mehr hinsehen, ich weiss, sie nähme mich mit, sie liesse mich nicht zurück. Ach, am Faschingsmontag solchen Gedanken nachhängen - aber glaube darum nicht, dass ich ernster als gewöhnlich sei - denke ich doch so oft daran im Tode ganz ihr anzugehören - es liegt mir manchmal eine süsse, tiefe Beruhigung darin, dass ich halbe Tage lang mich aus diesem Fantasietaumel nicht wecken lasse. - Bist du jetzt auch in der - Strasse? Könnte ich dich wieder zurückbegleiten. - Du erwähntest letzthin meiner ersten Anwesenheit in ihrem Hause; ich erinnere mich so herzlich gerne daran! Sie war mir eine so ganz neue Erscheinung! Was waren alle Mädchen und Frauen dagegen, die ich bis dahin kennen gelernt? Sie hielt mich gefangen mit dem ersten Blick, dem ersten Wort. Sieh, liegt nicht darin schon die Bestätigung, dass ich sie lieben musste? Es war mir, als hätte ich sie längst geahnt, als wäre sie eine jener Gestalten von denen man als Kind schon so gerne geträumt und welche man sich so gerne als Schutzgeist fürs Leben wünscht. Hätte ich sie seit jener Zeit nicht mehr gesehen, so würde ich sic doch im besten Plätzchen meines Herzens verwahrt haben und mit der innigsten Verehrung ihrer, als eines höhern Wesens gedenken; so tief war der erste Eindruck, den sic auf mich gemacht, sag hast du das damals schon bemerkt? Jeden Abend vor dem Einschlafen hielt ich in Gedanken ihre Züge fest um ja nicht von ihr getrennt zu sei. Das ging die ersten Tage ganz gut - dann aber gelang es mir nicht mehr so gut, ihr Bud mir so klar zu vergegenwärtigcn - die Umrisse ihres Gesichtes wurden unklarer - nur in Momenten, worin ich nicht daran dachte, stand ihr Bild wieder in klaren Umrissen vor mir - wenn ich es festhalten wollte, verschwand es allmählich. Ich war in Verzweiflung, denn ich hatte keine Aussicht sic so bald wieder zu sehen - unendlich oft ging ich .da an lhrem Hause vorüber - wie weh war mir als Tag für Tag cm ganzer, langer Sommer verging, ohne das ich sic wiedergesehen! und als ich sic dann wieder zum erstenmale im ... sah, fühlte ich mein Erröthen, mein Herz klopfen. Sic war meine Heilige, ja - lächle nur, sic war es doch, und sic muss sich verchren lassen, ob Du willst oder nicht - warum ist sic sie und nicht wie Andere! Anna! Wie oft nannte ich Deinen Namen im Stillen - wie viele tausendmal! - Du forderst mich so häufig auf - ja bittest mich, ihretwegen nicht unglücklich zu sein. Sic ist mein Alles, mein Glück und mein Segen - ich bin nicht unglücklich, so lange ich ihr etwas bin; wird sic kälter gegen mich, dann, ja dann bin ich unglücklich - würde auch nicht mehr meines Lebens froh, selbst wenn sic sich dann wieder zu mir kehrte - man kann verzeihen, aber nicht vergessen. - Du sagst, ich hatte letzthin Dein Ölbild [35] so oft betrachtet. Ich hab es nie für wahr gehalten. Der Maler malte wohl die Conturen, aber Dich ahnte er nicht - Du hast nie so ausgesehen. "Der Sommer soll uns nichts anhaben können", wie gut bist Du gegen mich - ja, Du weisst wie schwer sich der Contrast der vollendeten Natur, wie sie sich an einem schönen Sommerabend zeigt, mit dem zerrissnen, sehnenden Herzen sichtbar macht! Doch will ich mich inzwischen auf mein Plätzchen im Garten freuen - dort will ich Alles um mich her vergessen, kein gestern und kein morgen soll mich zerstörend mahnen - nur Du sollst meine ganze Welt sein und ihr Auge mein Himmel - ! Du schreibst von einem Ausbruch der Ungeduld und zeigst Dich im verlauf desselben so lieb und reuig, dass es mich wohl eben so ergreift, wie den, dem die Reue galt. Ob ich ähnliche Ausbrüche ertrüge? ich weiss es nicht, ich weiss nur, dass Du mir weher thun könntest als alle Welt zusammen - eben weil Du mir mehr bist. "Wenn es Dich quält, dass ich Dir schreibe" - das bist nicht Du - nein - was bleibt mir, wenn Du mir nicht mehr schreibst? Die Erinnerung an vergangene, schönere Tage - das wäre bitter, well ich es nicht verdiente - und da soll man nicht zanken!

[Notenbeispiel 11] Gute Nacht, Einzige, morgen mehr!

 

Mittwoch Abend 5 Uhr

Gestern konnte ich leider nicht dazu kommen diese Zeilen fortzusetzen, denn der Abend gehörte nicht mir sondern der Thorheit, kam erst um 2 Uhr nach Hause und trage heute den wohlverdienten Lohn meines Tanzens, ein heftiges Kopfweh herum. Geschieht mir vollständig recht... Wie sehnlich dachte ich gestern Abend Deiner! Wie gerne hätte ich Dir noch über so vieles Deinen Brief betreffend geschrieben, aber die Kürze der Zeit und ofte Störung hindern mich daran. Noch klingen mir die Lieder im Ohr - Du verstehst mich. Finde mich nicht anmassend, wenn ich Dir sage, dass ich erst damals den tragischen Ton derselben so recht empfand - das kam durch Deinen Vortrag. Bin ich im Schaffen nicht einseitig, ich glaube ein heiterer Ge- danke würde mir nicht so wohl gelingen, wäre Dir auch fremder ... Lebewohl und glücklich, Du verstehst es mehr als ich, heute noch sehe ich Dich! Möge der treue Uhland diese Zeilen sicher geleiten! –

 

Dienstag 17.2. Abends

Wie finde ich Worte ihr zu schildern, was ich bei Lesung lhres Briefes fühlte. Wie gerne wäre ich vorgestern nochmals zu ihr geeilt, um mich ihr zu Füssen zu werfen - ihr für ihre so innige Herzenstheilnahme zu danken, welche mich so selig, doch nicht froh macht. Sie ist so unendlich gut gegen mich - ich habe dies schon geschrieben und möchte ihrs ohne Aufhören wieder sagen! aber - ich fühl es, dass diess mein unsägliches Glück zu schön, zu theuer ist, als das ich die Kraft fühlte, es zu fesseln. Sieh, ich zittre vor dem Augenblicke, wo es mir zum erstenmal unzweifelhaft ein wird, dass sie nur um ein Atom kühler gegen mich sei als früher. Glaube nicht, dass ich zu schwarz sehe; sie ist mein Glück, mein Alles - wenn ich sie verliere - Gott, ich darf nicht daran denken, wenn ich sie verliere, bin ich ohne Freude, ohne Freund - Alles ist todt und leer ohne sie - und doch muss ich bleiben, wo ich bin, wenn sie mir nicht augenblicklich verloren sein soll - fühlst Du nun, was ich beim Durchlesen ihrer Zeilen fühlen musste?
Könnte ich doch alles, was sie unglücklich macht, auf mich nehmen und sie wahrhaft glücklich wissen; ich wollte nicht klagen, auf mir ruht ohnedem kein Segen. Wieder bin ich um eine schöne Hoffnung ärmer und um eine Erfahrung reicher. -
(Meine Schöpfung!) Seit zwei Tagen kann ich keine Musik mehr hören, ohne dass es mir geradezu weh thut - hoffentlich ist dieses Gefühl eines krankhaften Überdrusses nur vorübergehend und hoffentlich schäme ich mich in acht Tagen dieser Anwandlung von Kleinmuth. Ich hatte Mali verboten Dir im Concerte etwas davon zu sagen, um Dir die Sinfonie nicht zu verderben, ich ging nur Deinetwegen hin und kam Dir wohl lächerlich zerstreut vor - nicht wahr? ich werde mich bessern. Ich war heut sehr ergriffen, Dich so plötzlich zu sehen, dass ich, glaube ich, nicht drei zusammenhängende Worte sprechen konnte. Verzeih mir, sei Du mir, nicht böse! -
Wie unaussprechlich glücklich machten mich A's letzte Zeilen, aber ich war durch dieselben so weich gestimmt, dass ich gleich hätte gestorben sein mögen - in ihrem Arm!

Anna!
Glaubst Du, dass ich sie liebe! Zweifle nie daran! Du wilist, dass ich Dir schreibe - kann Dir der todte, kalte Buchstabe Freude machen - er kann Dir ja nicht den tausendsten Teil meiner Liebe sagen - ich fühls und darum bin ich so traurig - und diese Traurigkeit, dieses selig verlorene Bangen schleicht sich in meine Lieder Meine Liebe kann ihr kein volles Glück schaffen, aber volles Unglück, dazu ist sie stark genug! Und sie macht mich dafür so selig - ich war es neulich, aber konnte es Dir nicht sagen. Wenn mich A nicht kennengelernt hätte, so würde sie sich doch des vollen Lebens freuen - würde nicht so ernst blicken und wäre nicht so schroff, wie Du mir schon oft geklagt. Hätte ich nicht besser gethan mein Leid allein zu tragen, wie schon so viele Jahre bisher. Ach, es war nicht mehr möglich - glaube es mir - es hätte mich getötet. Und wenn auch - sie hätte mich vielleicht doch im Andenken ein bischen lieb behalten - nicht wahr? Sie hätte doch geahnt, dass ich sie so recht treu im Herzen getragen und das hätte ihr wieder stille Freude gewährt - doch wozu diese Träumereien - verzeih - es ist mir, als lagen sie schon in der pochenden Frühlingsluft - in jenem Äther von unendlichem Weh und unendlicher Wonne, welcher alljährlich wiederkehrt, um uns das Andenken derer, die uns so theuer sind, so frisch einzuprägen. Das soll mir nichts anhaben - ich brauche den Frühling nicht, mich Deiner stündlich zu erinnern, Anna! ich kenne nur eine Jahreszeit - die der Liebe zu Dir! Da ist Sonne, Athem und Leben - aber auch der ferne dunkle Wolkensaum am abendlichen Himmel, der für das unumwölkte Glück des kommenden Tages bangen lässt! Anna!
Ich sehe diesen Abend - vielleicht ist es mir gegönnt ihr diese Zeilen geben zu können, sie sollen nicht mehr als ihr sagen dass ich in jeder Gemüthsstimmung ihrer gedenke - dass nichts mich beugen kann, wenn ich weiss, dass ich ihr noch etwas gelte. Könnte ich Dir das jetzt mündlich sagen, nur sagen:

[Notenbeispiel 12]

was Du schon so lange weisst - Es ist schon spät! Ich eile zu schliessen - Schlafe wohl! Ich küsse ihre theuren Augen.

 

Freitag 19.2. n.d. Kränzchen

Bist Du nun unzufrieden mit mir? Du warst nur gezwungen heiter - oder tauschte ich mich? O könnte ich Dir nur einmal recht sagen wie es mir zu Muthe ist in Deiner Gesellschaft! Ich dachte mir heute Abend: wenn nun alle fort wären und wir allein im Saal - ich würde zu ihren Füssen knien, den Kopf in ihrem Schoss geborgen und wähnen im Himmel zu sein - sie würde mich nicht von sich stossen - ich schloss die Augen mich zu täuschen - aber das Geplauder der Andern kam ja nicht zum. Stillstand - nicht einmal einen süssen Blick konnte ich ihr stehlen - stehlen, leider das richtige Wort. - Bin ich nicht wie ein Dieb? Aber heute war ich doch brav - nicht? Voll Selbstverläugnung - ich sprach ja (wie zwang ich mich dazu) mit den Andern wie mit Dir - o das that mir weh! Ich lache und scherze und das Herz blutet mir Deinetwegen. Du kannst Dich aber auch sehr gut verstellen - wenigstens thatest Du einigemale verzweifelt gleichgültig - ich dachte mir: es hat ja nichts zu bedeuten - und siehe - doch schmerzt es! Wie kommt das? Doch nur daher weil die Liebe egoistisch ist - wenn sie mir gehörte würde ich sie mit Argusaugen bewachen - Niemand dürfte ihr zu nahe, aber auch nicht nahe treten - ihr allein gehörte meine unendliche Liebe - aber von dem Augenblicke an, wo sich nur ein Schatten des Überdrusses an ihr zeigte würde sich meine Liebe in Hass kehren und keine Macht der Welt brächte mehr den Himmel zurück. Keine mehr! Du könntest mich nicht tyrannisiren oder auch nur zum Scherz quälen - Ich hätte gar kein Verständniss dazu. - Du hast einen kleinen Fehler: Du bist etwas zu schwärmerisch, zur Träumerei geneigt - ein Fehler, den ich noch in höherm Grade besässe, wenn ich nicht gezwungen wäre, das Leben von seinen nüchternen Seiten zu erfassen - ich tadle es ,an Dir nicht, aber Andre - ich weiss, dass es bei Dir Naturell ist, das Dich hoch über all das Gewöhnliche und Gemeine hebt, das liebe ich an Dir. Schläfst Du schon? Könnte ich doch jetzt ihre Augen küssen - leise aber innig - verstohlen und heiss! O Wünschen und Sehnen ohne Ende!
Gute Nacht! -

 

Sonntag 21.2. Abend

Wir sind eigentlich wie die Kinder und freuen uns des Augenblicks, vergessend der schmerzvollen Vergangenheit, vergessend der wenigstens ungewissen Zukunft. Wie wohl und warm wird mir ums Herz, wenn ich bemerke, dass meine Gegenwart zu Deinem Glücke beiträgt. Glaube mir das: Du sahst heute glücklich und befriedigt aus und das machte mich froh, ich war aber auch brav - ja es gehört Heroismus dazu - Gott weiss es, aber ich will nicht mit Klagen Dir das Herz schwer machen - nein - ich will mich Deiner freuen und dem gütigen Geschick danken in Dir die verwandte, theure Seele gefunden zu haben, die auf dem Pf ad des Menschen nur manchmal blüht - sag - ist es denn so Unrecht dass ich das erkannte und mich nicht länger verschloss! Kann es Unrecht sein? Warum bist Du denn so geschaffen, Anna, dass ich Dich mehr als Alles lieben muss, warum musste mich gerade im entscheidenden Momente der Strahl Deines Blickes bis ins innerste Mark treffen? Wars nur Zufall? Siehst Du, ich quäle mich viel mit Fragen und suche mich unablässig zu beruhigen und fühle mich auch heute ruhiger als seit langem. "Sage mir immer, dass Du mich liebst", das schrieb sie mir einmal - es ist mir Trost - aber was sagt das Reden und Schreiben? Sie weiss trotzdem nicht wie unendlich theuer sie mir ist - sie ahnt es nicht einmal. O wie ärmlich ist Schrift und Wort, wenn man mit dem Herzbluthe Überzeugen möchte! wie nichtiger Tand Alles das, was Andre Vergnügungen nennen, wenn Ich dagegen einen Blick, ein Lächeln von ihr erhielt. Mit Bangen denke ich oft daran sterben zu müssen, ohne in Dein Auge blicken zu können! Nicht wahr, Du nennst das nicht Phantasterei, Du lachst mich desswegen nicht aus?!

 

Montag Abend 11 Uhr.

Heute sah ich Dich nur flüchtig um 4 Uhr. Warst Du im Concert? Während mich das Spiel der Pianistin wahrhaft befriedigte, empörte ich mich über das Lied von Esser [36] usw. Es thut mir wohl mit Mephisto das Concertlokal verlassen zu können. Lache nur über meinen puritanischen Eifer aber schiebe ihm keine unrechten Beweggründe unter. Werde ich Dich morgen (Dienstt.) sehen? Und wenn ich Dich sehe im besten Falle ein paar unbedeutende Worte wechseln - so vergeht Tag um Tag und ich fühle mich krank im Sehnen nach ihr - Anna, hätte ich Dich doch wenigstens gestern so recht innig küssen dürfen und Dir herzlichst gesagt, dass ich Dich von ganzer Seele liebe! Ich habe dies ja noch nie gesagt, nur geschrieben und das bekommst Du immer erst einige Tage später und könntest glauben ich hätte mich inzwischen geändert. O wäre ich bei Dir!!! -
An was denkst Du jetzt? Schläfst Du schon? Gute Nacht Du Fee meiner Träume und meines Wachens! - Gute, gute Nacht! -

 

Donnerstag Abend.

Was war das gestern für ein drolliger Brief ohne Worte - so ein harmloser Scherz ist für meinen kindischen Sinn ein wahres Fest! Wir waren vorgestern aber auch gehörig lustig (Dienstag) wie gerne wäre ich langer geblieben - dort in dem reizenden Winkel, den Buck Dir zugewandt! aber es konnte nicht sein, denn wir sind uns eben in den Augen der Welt fremd und ich war so brav, dass A's Donnern ganz umsonst war - aber ich wurde mir nach und nach selbst zur Last - machte mir innerlich die bittersten Vorwürfe und fühlte mich beim Nachhausegehen wieder so recht einsam und - warum diess ewige Klagen?-
Ach wie lange ists noch bis Sonntag - und dann kann ich wahrscheinlich nur auf kurze Zeit kommen um mich wieder acht Tage lang krampfhaft nach ihr zu sehnen. Doch - Du hast so viel Geduld und Nachsicht mir mir, dass Du Dich mir zu Lieb selbst täuschest - ist es nicht so? Denke recht nach! Du zeigtest Dich mir heute so unerwartet - ich kann mich jetzt recht unbefangen stellen obschon mir das Herz laut pocht wenn ich Dich zufällig sehe. Hätte ich doch wenigstens ein Viertelstündchen mit Dir gehen können - aber dann hätte ich mich noch schwerer getrennt - und so oft ich mich von Dir trenne ist es mir, als wäre es fürs Leben. Aber ist es denn nicht so? …

Da sitze ich eine halbe Stunde und schreibe kein Wort und tausend Gedanken drängen sich, alle bewegen sich um sie, Anna! ich mag sie lieber nicht schreiben - Du würdest mich darum nur zanken müssen und das würdest Du nicht gerne thun. Wie gerne hätte ich gestern nach dem... meine Bekannten abgestreift um einige Schritte mit Dir gehen zu können, aber es liess sich nicht machen, ich war darüber sehr unglücklich, denn ich bildete mir ein Du hättest mir einige Zeilen zu geben, es war nicht so. Zu Hause angekommen nahm ich auf geradewohl einen Deiner letzten Briefe um ihn noch vor Augenschliessen zu lesen - so mache ichs längst schon alle Abende, sonst kann ich gar nicht ruhen. Ich kann und darf Dir nicht über Alles, was Du mir schon schriebst, antworten - zürne mir darum nicht - es ist doch jedes Wort in meinem Herzen, das weiss Du. Schreibst Du jetzt vielleicht? O wüsste ich das! Ich kann leider nicht viel schreiben. -
Wenn ich nur bald wieder arbeiten könnte. Zum Glück hatte ich jetzt auch fast keine Zeit dazu - unter Tags schon gar nicht und Abends bin ich fast nie mehr zu Hause - vor lauter - Vergnügen. - Ich verkehre wenig mit den Meinen - das besorgt Maly, und so kann ich mich um so mehr Dir ergeben, Du mein Alles! Du bist die Heimath meines Herzens - von Dir aus gehen meine Gedanken und zu Dir kehren sie wieder zurück. Ich glaube, dass das was ich für sie fühle mehr als Liebe ist und dass nur kein Wort dafür existirt - oder ist es nur Liebe allein? Ich weiss es nicht - lieben Andre auch so - ich weiss es nicht - es ist gleichgültig - nicht wahr?
Wo ging Anna heute Nachmittag hin? Ich möchte jeden ihrer Schritte wissen, nicht aus Neugierde, nur um immer in Gedanken bei ihr sein zu können. Oft, wenn ich Abends nach Hause gehe, mache ich grosse Umwege, nur um noch an ihrer Wohnung vorüber zu kommen und wenn ich dann Licht bei ihr sehe, bin ich viel ruhiger als wenn es dunkel ist - warum - weiss ich nicht - das ist nun schon seit vielen Jahren so, früher sah ich oft (Sommers) wochenlang kein Licht und glaubte dann Du seist nicht hier und das that mir dann immer so weh, jetzt bin ich doch besser unterrichtet und das ist doch Etwas. Jetzt geht gar mein Lampchen aus und ich könnte noch wenigstens 6 Zeilen plaudern. Gute Nacht! Habe mich immer noch ein wenig lieb (nur nicht gar zu wenig) morgen sehe ich Dich kaum - vielleicht Samstag. Nicht wahr? Schlafe wohl, ich sehe Deine lieben Augen recht wohl in Gedanken! -

Samstag 27.2.

So spät es auch heute schon ist, so kann ich doch keine Ruhe finden, ehe ich noch mit Dir etwas gesprochen. Der Gedanke an sie beschäftigte mich wieder den ganzen Tag und liess mir keine Ruhe, ich wäre ganz unglücklich gewesen, wenn ich sie nicht wenigstens im Concerte auf einen Augenblick gesehen hätte. Ich bin wieder so unruhig wie je, ich weiss nicht was noch werden mag, welche Wolke sich über mir zusammenzieht - hoffentlich ist dies beengende Gefühl nur vorübergehend. Dazu morgen kein voller Sonntag! - Ich werde so geizig mit jeder Minute, die uns gehört - hoffentlich liegt darin nicht eine bange Ahnung! Heute Abend im Concert waren wir wieder recht getrennt - und doch war mir bei dem Adagio zumuthe als hätte ich beide Arme um ihren Hals geschlungen und sähe in die unnennbare Tiefe ihrer Augen - Du weisst Dich gegen mich anders - Anna! Ich fühle das ohne Dir einen Vorwurf daraus zu machen - es ist ja so natürlich! aber ich kann von meinem Weg nicht abgehen - Dir zu lieb! Thue ich Dir unrecht? Hast Du nicht schon leise Reue darüber empfunden mir so viel Vertrauen geschenkt zu haben - so ganz im geheimen und setztest ein wenig Heroismus darin Dir nicht merken zu lassen? Verzeih ich weiss nicht, was ich thue - verzeihe mir, Du Engel! ich will Dich nicht kränken! Dich nicht - eher sterben! weiss ich doch in welch schwieriger Stellung Du mir gegenüber bist! Ware es nicht besser, wenn ich Dir das Alles nicht schriebe? Aber so siehst Du daraus meine Offenherzigkeit, kein Fältchen meines Herzens soll Dir verborgen sein. Anna! Nochmais, verzeihe mit - Du weisst eben nicht wie nahe der Liebe die Zweifel wohnen. - Es ist schon so spät - ich kann noch nicht ruhen! Werde ich je ruhen können? nur an ihrem Herzen ist Ruhe - so glaube ich - und dieser Glaube ist mein Schatz! Raube ihn mir, wenn Du kannst - noch bist Du nicht stark genug dazu! -
Habe ich Dich heute Abend nicht recht trocken gegrüsst? Es war nur den Umstehenden zum Trotz und Dir zulieb - im innersten Herzen war es ganz anders - doch - das ist Dir nicht fremd. Wie wirst Du morgen gegen mich sein, ich kann es kaum erwarten sie zu sehen. Ist es Dir noch immer lieb wenn ich Dir sage, dass ich sie aus tiefstem Herzen liebe? O, dass ich so gar nichts zu ihrem Glücke beitragen kann! Ich bin ihr doch recht wenig. Morgen sehe ich sie nur auf kurze Zeit und mich dann wieder volle acht Tage, widerwärtige Tage gedulden - wie soll das werden wenn sich meine Unruhe inzwischen nicht legt? O mein Freund, es war bitterste Wahrheit als ich Dir schrieb, auf mir ruhe kein Segen - möge es Dir nie zum Unheil gedeihen. Ich kann mich heute nicht von Dir trennen, Du bist mir zu theuer, zu lieb. Und da schlägt Stunde um Stunde und doch bin ich noch so weit von Dir! ich muss endlich schliessen. Machen Dich diese Zeilen nicht ein wenig verdriesslich - ungehalten auf mich? Das sollen sie nicht - Du sollst nur daraus ersehen wie tief Du mir ins Herz gewachsen - es ist mir, als könnte ich Dir das nicht oft genug sagen - als käme eine Zeit wo mein Mund stumm ware - dass ich heute doch gar nicht froh - (und fertig) werden kann! Sei mir nicht böse darüber, mein Freund, sei mir lieber recht gut - ja - zanke mich auch, wenn ichs verdiene - ich habe Dich desswegen nicht weniger lieb! Lebewohl! -

 

Sonntag Abend 8 Uhr 28.2.

Während ich hier schon wieder einige Zeilen an Dich beginne bist Du vielleicht noch beschäftigt die Dir übergebenen zu lesen, fast ist es gut, dass Du mir heute nichts mitgabst, denn das Herz ist mir zum Zerspringen voll, ich glaube wie noch nie zuvor! Du bist wohl recht unglücklich! ach Du sagtest es heute selbst - Du sagtest es mir! und doch weilt Du, dass bei mir kein Trost zu holen ist wenn Du ihn nicht darin findest, Dich von einem treuen Herzen geliebt zu wissen. Das ist wohl hart - aber doch etwas: Du wirst geliebt - ich schreibe es Dir oft, damit Du nicht meiner erzwungenen Ruhe glaubst, die uns ja allein unsern Verkehr für die Zukunft ermöglicht. Ich bitte Dich, lies das alles aufmerksam und Du wirst nicht mehr der Meinung verfallen, dass ich Dich nicht mehr möge. Ich habe Dir das Wort verziehen aber es traf mich mit Dolchesschärfe! Und warum schliesst erst Du einen solchen Schluss aus einem flüchtigen Grusse, der Dir zu lieb möglichst flüchtig sein musste! warum bist Du so hart gegen mich? Hab ich es irgendwie verdient? Doch Du wirst mir noch Gerechtigkeit widerfahren lassen - vielleicht reut Dich jenes Wort jetzt schon, indem Du meine letzten Zeilen durchfliegst - Du Cäsar - den ich mehr als mein Leben liebe - ach ich sah Dich unglücklich - und ich kann Dich nicht glücklich machen! ich muss ihr gegenüber, auch unter vier Augen ruhiger bleiben als ich eigentlich bin - es muss sein - zürne mir darum nicht - es ist ja Deinetwegen, so lange mir diese Stärke bleibt, sind wir uns unverloren - aber ich will mich nicht besser machen als ich bin - heute war ich wankend - Du warst so muthlos und niedergeschlagen, und bist dazu geboren den Kopf hoch zu tragen! Oder existirt ein Grund Deiner Niedergeschlagenheit, den ich nicht kenne? - oder nicht kennen darf? Sage mir das, ich verdiene Dein Vertrauen. Und wenn Du mir nicht vertrauen willst, so musst Du es haben, dass ich mir meine Gründe Deiner Traurigkeit selber mache und diese sind, so glaube ich wenigstens, dass ich Dir die Herzen der Deinigen entfremdete und Du unter den Folgen der Entfremdung leidest - sieh - das muss ich dann glauben, so weh mirs aus thut! O dass ich Gewissheit hätte, dass dem nicht so sei - ich könnte dann auch ruhiger und glücklicher sein. Du glaubst wohl, dass mich die allerlei äusseren Vorkommnisse und Verdriesslichkeiten deprimirten - glaube das nicht - das Alles wird mehr als aufgewogen durch das Bewusstsein dass ich Dir etwas gelte - dann bin ich glücklich - glaube es mir nur.

 

Den 1.3. So

Unruhig der gestrige Abend, so ruhig der heutige. Man muss sich eben die Contraste gefallen lassen. Dein Billet konnte ich erst im Concerte lesen, es hat mir Unruhe gemacht, bis ich Dich heute, wenn auch nur flüchtig, doch Gottlob wohl sah. Ich kam erst um 2 Uhr nach Hause und da ich ein solches Leben nicht gewohnt bin und früh aufstehen musste, so versteht sich ein leidiges Kopfweh von selbst; - wenn ich nur bald wieder arbeiten könnte - es geht aber noch nicht - hoffentlich bald! Ich komme mir so überflüssig vor, wenn ich nicht arbeiten kann, denn leben zu können um zu leben wäre nicht der Mühe werth. Zu aller Melancholie kommt noch der trübe Himmel - doch das wird und muss anders werden. Was thut wohl Anna heut Abend. Säss ich doch am heimlichen Balkon und könnte sie beobachten ohne dass sie von mir wüsste - o das wäre ein Hochgenuss, wie traurig muss es dort werden, wenn sie nicht mehr dort ist! Um sie schwebt ein eigener Zauber, den ausser mir Niemand versteht, und das ist recht sonst wäre sie mir nicht so lieb. Und nun gute Nacht, ich bin heute so müd - lebewohl! -

 

3.3.

Gestern Abend war Mephisto da - Du hattest Recht, er ist ein Mephisto, denn er negirt Alles - aber von Zeit zu Zeit seh ich den Alten gern. Mir ists als hätte ich Dich eine Ewigkeit nicht gesprochen und hätte Dir unendlich viel zu sagen - und doch - wärst Du da, so könnte ich nicht drei zusammenhängende Worte reden. Ach was, reden... Nun kann ich doch bald wieder manchen Abend allein sein; ich bin nicht so traurig, wenn ich stumm und einsam, als wenn ich in Gesellschaft heiter zu sein scheine. Das fühlte ich Montags recht lebhaft obschon ich ganz ausgelassen heiter war. - Wie wird es morgen sein? Weisst Du, mein Freund, was mich letzten Montag fast bis zu Thränen rührte? Der berühmte Sänger? Ach nein! Das Adagio in dem Mozart Doppelviolinconcert [37]. Das ist Musik der Verklarung in Vollendung - daran klebt nichts irdisches mehr - wie leider nur zu sehr am übrigen Programm (bin ich nicht recht bös?) Diese Schönheit hat Niemand empfunden im ganzen Saale, wo wie ich - das ist aber auch durchaus nicht nothwendig. Ein Jeder sucht sich sein Bestes heraus und verwahrt es im Herzen - heimlich oder nicht. Es ist eigen, man hört oft eine Masse Musik - ist gleichgültig dabei - nun kommt eine Stelle, welche unwiderstehlich packt - so erinnere ich mich vor etwa zwölf Jahren die Vestalin [38] gehört zu haben, ich blieb kalt bis zu der Stelle, die Oberpriesterin singt (ungefähr):

[Notenbeispiel 13]

Das traf mich ins Innerste, hier ist jede Note pures Gold - warum noch Text darunter? Ich konnte diese himmlische Cantilene nie mehr vergessen! Solcher Art ist jenes Andante von Mozart. Hat es auch auf Dich Eindruck gemacht? Nein - ich weiss es. Heute versuchte ich wieder zu arbeiten - es rückt langsam vorwärts, es wird ein eigen Stück [39], das Dir wahrscheinlich nicht besonders gefallen wird und darum wird es besser sein, wenn ich es Dir nicht zeige, denn wenn Du darüber den Kopf schüttelst so würde es mir nicht mehr lieb sein und wenn Du es lobtest ohne dass es Dir gefiele, so würde ich es gleich merken. Zürne mir wegen meiner Grillen nicht - ich bin einmal so - unverbesserlich, leider! Heute sah ich Anna am Fenster - ich kann es nur vermuthen dass sie es ist - leider. Morgen wirst Du hoffentlich heiter sein - oder nicht? Wie lebtest Du die Zeit her? Hast Du geschrieben, gezeichnet, gesungen? ich möchte Alles von Dir wissen - von Stunde zu Stunde - von Tag zu Tag - ohne dass Du eine Ahnung davon hättest. Gelt? ich möchte es gut haben - aber es sind ja nur Wünsche!! Gute Nacht! -

 

Samstag Abend

Während ich hier sitze und diese Zeilen beende, siehst Du Dich vielleicht im Concertsaale nach mir um und Dein scharfes Auge sieht mich nicht. So wird es vielleicht noch öfter kommen- wie oft erging es mir schon so, ohne dass Du es ahntest! -
Als ich Dich heute Abend so unvermuthet sah, war ich sehr ergriffen - ich war wie im Traum und doch war es so natürlich - ich sah Dir noch lange nach. Dann ging ich über die grosse Brücke, erinnerte mich so lebhaft an den Lichtmesstag und fühlte im Scheiden der Sonne das Nahen des Frühlings - hoffentlich eines bessern, als der letzte war.
Man hofft doch immer - es geht darin dem Menschen wie der zarten Pflanze - so oft sie niedergetreten wird, erhebt sie sich wieder, nur immer weniger hoch bis sic ihre Spannkraft verliert und verdorrt. Warum dieses Jagen und Toben in der kurzen Spanne Zeit? wie kleinlich scheint uns morgen, was uns heute durch scheinbare Grösse imponirte oder gar beunruhigte - o! man muss es dahin bringen, Alles von oben zu betrachten und rücksichtslos den eignen Weg zu gehen - quer durch Wahn und Vorurtheil, seinem Stern blindlings glaubend. Wohin gerathe ich? das wollte ich Dir nicht schreiben, als ich begann, gewiss nicht. - Nicht wahr, wenn das so fort geht, wirst Du bald finden dass ich ein grämlicher und langweiliger Mensch bin? es wäre mir ein Leichtes mich zu verstellen und das Gegentheil davon zu sein, nur Dir gegenüber nicht. So lange Du gegen mich wahr bist, werde ich stets Dich als mein erstes Ich betrachten - und nun sage noch einmal, Du glaubtest, dass ich Dich nicht. mehr möge - ein schöner Glaube! Aber glücklicherweise glaubst Du selbst nicht daran, ich weiss es. Genug hiervon. Kann ich so von Dir scheiden? Kann ich Dir einen Trost geben? Nein! wohl aber den guten Rath nie zu vorschnell im Urtheil zu sein; das kann uns viel Leid ersparen, das wir uns wissentlich nicht vergrössern wollen. Und nun blicke mich an mit Deinem grossen Auge, ob ich Dir nicht treu bin? So, jetzt sag ich nichts mehr, als dass ich getröstet bin im Vertrauen auf Dich und mein Glück nur in Deinem Glücke und Deiner Ruhe finde. Lebewohl!!! -

 

Donnerstag, 10.3.46 (meint 1864)

In der Stille des grossen Trauertages (Tod König Maximilians II. von Bayern) endlich kam ich dazu an die Beantwortung Deiner letzten, mir unschätzbaren theuren Zeilen denken zu können. Mögen die Ereignisse noch so gross und erschütternd sein, dass sich Niemand ihrem Einfluss gänzlich entziehen kann - nichts kann so tiefe Wirkung äussern dass ich nicht stündlich Deiner gedächte - und so sei mir nun der traute Abend willkommen, der mich in Gedanken wieder näher zu Dir führt und mich ungestört mit Dir plaudern lässt. Beginne ich gleich mit dem Festtage unserer gleichgestimmten Seelen. Sag warum warst Du da so eigen? Du baust vielleicht nur zu sehr auf meine Stärke, der ich so sehr misstrauen muss! Und doch erfüllt es mich mit seligem Entzücken wenn ich das kleinste Zeichen Deiner Zuneigung gewahre; darum wirst Du auch begreifen dass mich Deine letzten Zeilen bis aufs innerste ergriffen, indem jedes Wort mir Beweis Deiner innigen, herzlichen Theilnahme war! Anna hat Zaubermacht über mein Herz - Du kennst also die Gefahr an welcher ich scheitern muss oder welche ich besiegen werde - je nachdem sie jemand übt. Dir gegenüber bin ich nicht Egoist - gewiss nicht - darum hat sich mir das, was Du mir über die Schwierigkeit Deiner Lage, Deiner Konflikte schriebst, aufs tiefste .eingeprägt, ihre Ruhe sei mir heilig vor Allen, Deine Achtung mein höchstes Gut. Wie gerne hätte ich Dich Montags im Concert gesprochen - ich hatte nicht den Muth dazu - und Dienstag! Ich kam nicht gerne, wusste ich ja doch, dass ich die weite Kluft, welche uns trennt, aufs Neue empfinden würde -
ach, es war auch so! Es kam mir wie ein Hohn des Schicksals vor, wenn ich es eben vergangenen Tags gedachte. ein Heer von ungeordneten Gedanken tobte in meinem Innern als ich nach Hause ging und Ruhe suchte (vergeblich!) O Du ahnst es nicht, was es heisst sie zu lieben! Stille - ich weiI nicht wies noch kommen mag - aber das weiss ich, dass ich nach ihr Niemand mehr lieben werde. Gestern habe ich Dir etwas geschrieben - es geht leider aus Moll, wie mein ganzes Leben bisher auch, aber Du sollst mich daran erkennen - Du wirst es... dass mir jeder Ton davon im Herzen - ich weiss es - und wenn es uns auch nicht froh machen wird, so werden wir uns darin doch wieder näher fühlen. Wenn es Dir nun nicht gefiele - aber - Du wirst von mir nichts Frohes erwarten - genug wenn es innig und warm empfunden ist - und von Dir erfühlt - und das ist in diesem Liede der Fall. Für heute genug, Du Engel meiner Träume - schlafe wohl, hätte ich doch Gewissheit dass Du jetzt ein wenig an mich denkst, ich würde ruhiger sein! -

 

Freitag

Zufällig bleibe ich heute Abend zu Hause - was kann ich besseres thun als den Faden von gestern aufzunehmen? Ich sah Dich heute nicht und doch blieb ich den ganzen Nachmittag bis halb sechs Uhr zu Hause und wartete vergeblich. Du kamst erst als ich fort war - wie oft schon sehnte ich mich umsonst nach Dir - aber vielleicht ist es gut, dass ich Dich nicht zu oft sehe - Nachmittag hatte ich frei und arbeitete fleissig - wenn so um drei Uhr die Sonne in mein Stübchen blickt, wird es freundlich in meinem Innern und Melodien und Gedanken quellen nur so hervor; ich wusste mich ungestört und hoffte Dich zu sehen - was konnte meinem Glücke fehlen? Ach, Du kamst nicht! Ich wäre gewiss brav gewesen. Du erinnertest doch letzthin an Felicitas. Sie ist hier, doch sah ich sie seit Herbst nicht mehr, sie muss sich in Gedanken an mich genirt fühlen und wenn ich es recht bedenke nicht ganz ohne Ursache, aber ich habe längst von Herzen verziehen und bin ihr sogar dankbar für das Gute ihres Einflusses auf mich, ohne dessen mehr zu gedenken was mir schädlich war und was ich damals nicht fassen konnte. Sie hatte mich leidenschaftlich lieb, jetzt begreife ich das allerdings nicht mehr, aber damals fühlte ich es. Ob sie wohl hie und da noch an jene verfehlte aber glückliche Zeit denkt? Es liegt mir eben nicht viel daran, aber wissen möchte ich es doch! nun sind es schon dreizehn Jahre! und seit zwölfen kein Wort mehr gesprochen! Wie gut erinnere ich mich auch des Abends als wir gemeinschaftlich eine neue Oper hörten, des Spasses, den es uns machte als ein Herr sich uns zur Begleitung aufdrangen wollte und ich ihm ernsthaft versicherte: Mama und ich fänden den Weg schon allein - der zog ganz verblüfft seinen Hut und empfahl sich und schämte sich nicht wenig der Mama eines dreizehnjährigen Buben den Hof gemacht zu haben - freilich die Mama sah ganz jung aus, wir wollten uns auch im Nachhausegehn halb todt lachen! Das ist nun vorbei - die Mama ist wirklich Mama und ich wünsche nur da sie ihre Buben so lieb hat als sie mich hatte und darin beständiger sei - und so wird es ihr an Glück nicht fehlen, meine Gedanken aber verirren sich nur mehr selten zu ihr - ich. habe besseres zu denken - weisst Du wohl was? Gewiss! Vorerst denke ich daran, dass erst übermorgen Sonntag ist und ich sie bis dahin entbehren muss und dass ich ihr ja auch noch gar nicht gesagt habe, wie lieb sie mir ist! Als ob man so was sagen könnte! Wenn Du es meinen Worten nicht glaubst, so glaube es meinen Arbeiten, die lügen Dich gewiss nicht an. Nicht wahr?! -

 

Samstag Abend

Es ist endlich Zeit, dass es bald Sonntag wird; auch heute sehe ich sie nicht? In mir stürmt es und tobt wie aussen in der unheimlichen Nacht, mein Sehnen nach ihr wird zur Krankheit, wenn ich sie nicht bald sehe! Heute war ich wieder fast den ganzen Nachmittag zu 1-lause; meine Arbeit rückt bedeutend vor - ich bin schon im Schlusssatze [40] - Wieder ein unseliges Werk mehr und...

H.v.L. [41] hat mir wirklich sehr gefallen - es ist aber auch wirklich ein schöner Stoff, poetisch, voll Contraste und dehnbar. Es freut mich sehr von L., dass er sich durch Dich zur Wahl dieses Stoffes bereden liess, heize ihm nur tüchtig ein, dass er es nicht unvollendet lässt - Du setztest es schon durch, sonst wäre L. kein Dichter! Ich bin Annas wegen immer so unruhig, wenn ich sie einen Tag lang nicht sehe; ich glaube dann immer, es müsste etwas vorgefallen sein, das sie von mir wegführte, das ist albern von mir, nicht wahr. Sollte sie sich einst von mir zurückziehen, so bitte sie, es ja nicht in einem Frühling zu thun, denn da würde es mich doppelt schmerzen, es darf dies nicht wehe thun, dass ich Dir so etwas schreibe - ich meine ich müsste dirs sagen und doch ist es so überflüssig. Sei nicht böse, ich bitte Dich darum! Aber sieh, Du machst Dir meinetwegen so viele Vorwürfe, die in Deinen Brief en immer wieder kehren, dass ich endlich wohl auf den Gedanken kommen muss, dass Du einmal in einer heroischen Stunde den Entschluss fassest mich zu meiden. Du würdest aber dadurch nichts an mir gut machen, nein, Du nähmest mir eben einfach Alles, was ich liebe, und woran mein Herz mit aller Leidenschaft und Zärtlichkeit hängt. Ja, wenn es zu Deinem Glücke dient dann thue diesen Schritt je eher, desto besser, ohne Zaudern und Zagen und ohne zu befürchten je eine Klage von mir zu vernehmen, aber sagen musst Du es mir auf einmal, nicht nach und nach erkalten - o das ertrüge ich nicht. Wärst Du jetzt da so würde ich Dir das Alles und noch vielmehr mündlich sagen und wenn Du etwas entgegnen wolltest, Dich ... so, dass Du gar nicht zu Worte kämst. Wie gut, dass Du nicht da bist, O Nein!! - Was Du mir in Deinem letzten Briefe über Deine Kirchhofsgedanken schriebst, traf mich ins Innerste, und doch wollte ich nicht, dass Du sie mir vorenthalten hättest. Es ist edel von Dir mir so viel Vertrauen zu schenken. Ich habe keine Worte als Entgegnung - ich möchte Dir zu Füssen fallen, meinen Kopf in Deinen Schoss legen und mich ausweinen für mein ganzes Leben. Du kannst mich am ehesten verstehen. Du weisst, dass ich nicht schwach bin - aber Dich zu meiden bin ich jetzt nicht stark genug. Jetzt nicht! Ich weit, es wäre edler von mir, wenn ich zu Dir sagen würde: Meine Liebe enthält ein grosses Unrecht, um sie zu bekämpfen ist es nothwendig, dass wir uns meiden - Das Alles sehe ich ein - aber ich bin nicht stark genug es durchzuführen - ich will ja nur Dich von Zeit zu Zeit sehen, nur in der Woche zwei Stunden in Deiner Nähe weilen - mach Dir also darüber keine Vorwürfe! -
Du schriebst mir einiges über ... Mag sie ahnen und glauben, was sie will - Du darfst ihr mit keinem Wort verrathen, dass Du herzliche Theilnahme für mich hast. Ich achte sie sehr - auch desswegen, weil Du sie hochhältst - aber unser Vertrauen muss ganz unser bleiben ohne alle Ausnahme. Doch, das weisst Du ja ohne meine Mahnung. - Wenn ich in Deinen Zeilen weiter lese, so möchte ich Dir Abbitte thun für jedes heftige Wort, das ich Dir je geschrieben. Du bist engelsgut gegen mich, weit mehr als ich es verdiene! Aber je mehr ich Deinen wahren Werth kennen lerne, desto mehr muss mir davor bangen, Dich einmal verlieren zu können. Jetzt ist es elf Uhr! Brennt Dein Lämpchen auch noch? Oder bist Du heute Abend nicht zu Hause? Bekomme ich morgen keinen Brief? Wenn ich an Deinen letzten, umfangreichen denke bin ich ganz beschämt, aber Du weisst, .dass mir so wenig Zeit zum Schreiben übrig bleibt. Schlafe wohl und sei morgen so herzlich gegen mich wie immer, dann bin ich glücklich - lebewohl - ich seh Dich fast deutlich vor mir mit Deinen dunklen sprechenden Augen! Lebwohl! -

 

22.3.46

Nach längerer Unterbrechung nehme ich den Faden meiner so unbedeutenden Mittheilungen auf - und zwar so wohl auf Deinen Wunsch als auch meiner Neigung zu genügen. Es war durchaus nicht kleinliche Vergeltungssucht, die mich letzte Woche vom Schreiben zurückhielt - auch gerade nicht Mangel an Zeit - nein - ich war nur besorgt Dir schon so Viel - zu viel - mitgetheilt zu haben. Ich kann und darf nicht voraussetzen, dass ein Briefchen von mir Dir so viel Glück und Freude gewahre, als umgekehrt, ja ich fühle, dass das sogar unmöglich ist - ohne im mindesten zu verkennen, wie sehr Du Antheil an meinem Seelenleben nimmst. Vergeblich wäre es für mich zu versichen, Dir ein Bild meiner Gemüthsbewegung zu geben - welche Feder könnte es auch schildern, das wehmuthsvolle, unnennbare Glück, das ich letzten an ihrer Seite empfand. Deine Mittheilung über ihren Gesundheitszustand hat mich aufs innerste beunruhigt - o! dass Du glücklich warst, ganz und voll glücklich, wie nur ich es Dir wünschen kann.--
Dass ich nie dazu beigetragen hätte, Dir einen traurigen Augenblick zu verursachen! Ach! Ich bin nicht frei von dieser Schuld, wenn ich es recht bedenke. Ich hätte besser und männlicher gehandelt, Dir meine Liebe nicht zu gestehen, wäre es auch mein Tod gewesen - doch - wie es nun ist, sei es mein Bestreben wo möglich Deine herzliche Zuneigung und um jeden Preis Deine Achtung zu erhalten: das klingt wie Worte - ein Blick würde Dir es besser sagen können. Du lächelst - glaubst Du dass ich mir zu viel zutraue? nur zu sehr kannst Du Recht haben. Du fühltest Dich mir so unendlich überlegen, als Du mich neulich an jene Stelle meines Briefes mahntest, wo ich mein Geschick in Deine Hände legte - es war von mir so gut und aufrichtig gemeint - aber meine frühere Energie habe ich nicht mehr. Mein Freund! Du kannst mich verstehen! Nicht wahr? Du bist so gut, so vertrauensvoll gegen mich - sei auch immer gerecht und verliere nie die Schwierigkeit meiner Lage aus den Augen, wie ichs ja bei Dir auch mache. So, nun zeige Dein Antlitz fröhlich – ich kann ihm treu und frei entgegenschaun - möge es so bleiben! Gute Nacht - Du mein Alles.

 

26.3. Nachmittag.

ist das eine ernste Zeit! alles schaut so trüb und kühl, als ob die Charwoche so recht in Fleisch und Blut übergegangen wäre. Doch Du bist Dir treu geblieben - Du bist nicht wandelbar wie die Andern, das sah ich wieder bei Deinem, leider so kurzen Besuche heute Mittag! Ich beneide den kleinen Bruder, der nun immer um Dich sein kann - der so treuherzig zu Dir aufblickt und Dich gewiss von Herzen lieb hat und Dich verehrt. Wie Du aber auch mit ihm umspringen kannst, das ist gar zu hübsch - ich konnte mich nicht satt sehen. -
Es war mir wie eine kleine Beruhigung als mir meine Leute von zu Hause geschrieben, dass sie meinen Weggang von München sehr ungern gesehen hätten. Gewiss ist es so besser, denn was hätte ich ihretwegen gelitten, bis sich die Wogen der Erinnerung an meine einzige Herzensneigung nur in etwas geebnet und beruhigt. Mein Freund! wäre es mir möglich gewesen sie zu vergessen - sie? Es ist mir als wäre ihr Name mir mit unvergänglicher Schrift ins Herz gegraben - als wäre sie eins und untrennbar mit ihm. Obschon ich Dich heute Mittag schon gesehen ging ich Abends doch gegen mein früheres Vorhaben auf den Chor um noch einmal (oder öfter) in ihr Auge blicken zu können. Der herrliche Gesang stimmte mich so ernst - aber kein höherer Friede, keine Gottesruhe senkte sich auf mich nieder - es kämpft und tobt in mir mit aller Macht der jugendlichen Leidenschaft, die ihre Zeit erst erfüllt haben muss um sich legen zu können, - ich bin zu vernünftig, als dass ich meinem Herzen eine doch unmögliche und unnatürliche Ruhe (denn diese wäre Stillstand) aufzuzwingen versuchen wollte - alles, was ich thue, ist, so viel als möglich die Einsamkeit zu suchen, wenn ich nicht bei ihr sein kann. Ich suche längst nicht mehr sie zu meiden, oder gar zu vergessen - nein, mein Herz möge dies auskämpfen - möge sich ihrer belebenden Nähe erfreuen und ihre Abwesenheit betrauern - bin ich Dir nicht unbegreiflich? Du bist mirs auch, aber die ungelösten Räthsel reizen immer wieder von Neuem - und mir ist es immer als wenn in Deinem Auge dergleichen wären - ich sehe immer wieder hin und hoffe Losung zu finden und werde immer wirrer, es verhält sich genau so, wie mit dem grossen Räthsel des Jenseits. Ein unwiderstehlicher Drang zwingt uns die Möglichkeit einer Lösung zu finden - vergeblich - wir werden nur verwirrter dadurch und sind genöthigt einzugestehen, dass die grösste Einfalt auch die grösste Weisheit vereint. Glücklich, wer sich damit zufrieden geben kann. Du fragtest mich letzthin, was ich mir wohl gedacht als Du mir vor Jahren den Vorschlag gemacht ihr Lehrer zu werden. Nun, ich gestehe, dass mir siedend heiss dabei wurde und ich mich einen Augenblick für den glücklichsten Menschen hielt - dass Ich dann wieder den Entschluss fasste abzulehnen um meine Ruhe nicht zu gefährden - dass Ich in lauter Unentschlossenheit eine schlaflose Nacht zubrachte und mir endlich vornahm mich in Eisen zu zwingen - dass mir, als wir zum erstenmale allein waren, ganz unheimlich wohl und wehe wurde - dass ich im Geheimen eine abgöttische Verehrung für sie hegte und dass sie mir ganz arglos ohne Wissen und Willen das Herz raubte (ist es noch nicht genug? nun denn!) dass sie dasselbe noch immer besitzt und gar kein Absehen ist wann sie es mir zurückgeben will! Ja, das hat sie gethan, lache mich aber desswegen nicht aus, sonst bin ich Dir böse - so - und nun lachst Du noch meiner Drohung! "Warte noch ein bischen damit" - schriebst Du mir einst - Du kanntest mich eben besser als ich selbst. Und nun schlafe wohl! Könnte ich ihr das sagen!! Mein Licht, mein Leben! Ich küsse Deine lieben Hände, auch den linken kleinen Finger der meine gute rechte Hand so übermüthig gerne kratzt - schlafe wohl und werde nicht krank - sonst wäre ich unglücklich. Ich kann mich nicht trennen - was kann ich Dir noch mehr sagen, als dass ich Dich von Herzen liebe!

 

29. 3. 64

Endlich wieder Samstag Abend. Zweimal sah ich Dich heute, aber nur flüchtig. Es war eine Zeit, wo mir das nicht nur genügt hätte - nein, wo ich darüber selig gewesen wäre - ach, es ist heute nicht mehr so - man wird nicht genügsamer und wird sich zum eigenen Feind. Nichts lernt man leichter als zu wünschen - man wird damit vertraut, was gestern noch Kühnheit war ist es heute nicht mehr und wird übermorgen überwunden sein - o glücklich der, welcher dieses Wünschen in sich begraben kann, ohne sich darum Tag für Tag alter und müder zu fühlen. Es wird Dir peinlich meinen Gedanken zu folgen - darum hinweg.
Das Stabat [42] habe ich heute begonnen. Es verspricht gut zu werden. Da Ich Sinn für das Pathetische habe, so wundert es mich, dass ich nicht eher auf diesen Text verfiel. Glückt das Stabat, so mache ich mich an ein grosses Requiem [43] – mein altes Verlangen. - Wirst Du mir morgen ein Briefchen mitgeben? Ich scheue mich so, sie zu ermuntern - bin aber so glücklich, wenn sie mir einige Zeilen schreibt. So ein Briefchen muss mit dann Ersatz für ihre Gegenwart sein, muss mir zum Herzen plaudern und Freud und Leid über mich ergiessen! O wie lange dauert es diessmal, bis ich wieder drei Worte ungestört mit Dir sprechen kann - will denn die Zeit gar nicht vorübergehen - und wie nur so träg die Stunde schleicht. -
Immer und immer muss ich des kommenden Sturms gedenken. Da werde ich gestraft sein für jeden Augenblick der Seligkeit, weiche mir das verflossene Jahr geboten. Aber wie Dir Deine Mutter Deine Klage um P. verwies, so wirst Du auch mir diese immer wiederkehrende Klage verweisen. Seis darum, ich kann allein klagen und trauern. Nein, sei nicht böse - ich will Dein mildes und ruhiges, nicht Dein ernstes Antlitz sehen. Traurigkeit an andern schmerzt mich - darin bin ich schwach! Zum Beweis will ich Dir erzählen, wie es mir mit meinen strengen Vorsätzen bei Felicia erging. Einmal wurde ich bei Felicia hässlich verleumdet, ich armer Bui, der ich war, hatte gar keine Ahnung, ging wie sonst morgens in ihr Zimmer und wollte ihr die Hand bieten, sie nahm sie nicht und sah trotzig weg, ich frug ganz treuherzig: bist Du mir böse? "Nennen Sie mich nicht mehr Du". - Nun, was ist vorgefallen? Keine Antwort. Ich werde Sie mit keinem Worte mehr belästigen, sprachs und ging fort; ich war wohl recht traurig, aber auch zu stolz, mir es anmerken zu lassen. Wir vermieden es allein zu sein und sprachen keinen Blick mehr zusammen, wie so oft früher. Nun traf es sich nach etwa acht Tagen, dass wir im gemeinschaftlichen Wohnzimmer allein gelassen wurden und es voraussichtlich länger geblieben wären. Ich schrieb am Fenster, aber nach einer grabesstillen Viertelstunde wurde mir doch ein wenig unheimlich und wollte darum auf mein Zimmer gehen. Wie ich mich der Türe nähere, steht Felicia schweigend auf und stellt sich vor die Türe und halt sich mit beiden Händen das Gesicht zu; ich gehe auf meinen Platz zurück, versuche aber nach einiger Zeit wieder mich zu entfernen, sie macht es wie zuvor. Ich sagte: lassen Sie mich ungestört fortgehen - sie sprach nichts, aber versperrte die Türe und da ich ihr Gesicht nicht sehen konnte, glaubte ich sie wolle mit mir scherzen und ward ernstlich böse; ich zog ihr die Hände vom Gesicht weg und war tief betroffen als ich sah, dass sie ganz verweint war. Sie schloss mich Widerstrebenden in die Arme und liess mich nicht eher frei, bis der Herzensbund aufs neue geschlossen und Alles verziehen war, und ich guter Kerl erfuhr nicht einmal den grundlosen Grund der frühern harten Behandlung und war wieder von Herzen froh. War das nicht eine gefährliche Erziehung für mich? es rächte sich auch an mir. - Verzeihe das lange, uninteressante Geplauder. - Denke ich doch umsomehr an Dich, die Du so hoch über allen Felicias stehst! Brennt jetzt (um 1/2 10) das Lämpchen in Deinem Zimmer noch? Es hilft eben nichts, ich muss mich doch bis morgen gedulden. Lebwohl bis dahin und erhalte mir Dein treues Gedenken! Mein Freund! -

 

Ostertag 46 [1864]

Deine flüchtigen Zeilen beängstigen mich nicht wenig. Ich muss den verschlossenen Brief wieder öffnen um noch einige Worte beizufugen - es beruhigt mich in etwas wenn ich Dir schreibe - aber ach, Dir gibt es keine Linderung! ich ging gegen Abend an Deinem Fenster vorüber - die verhängnisvollen Vorhänge sind niedergelassen, und obwohl Sonntag, kann ich Dich nicht sehen - Dich nicht sprechen - Dir nicht einmal sagen wie sehr mein Herz um Dich besorgt ist! Gestern Abend schrieb ich noch sorglos: werde nur nicht krank -
freute mich kindlich Dich heute sehen zu können, wie nun, wenn es morgen nicht besser wäre? Ich bitte Dich um Gotteswillen thue Alles, was zur Erhaltung Deiner Gesundheit dient. Sollte es Dir schädlich sein, dass ich komme, so will ich lieber entbehren, ja Dich wochenlang nicht sehen, nur werde nicht ernstlich krank.
Nachmittags ging ich ganz trübselig spazieren und konnte keine Ruhe finden - wie könnte Ich ruhen, wenn Du leidest! Wie gerne hätte ich bei Dir angefragt, wie Du Dich befindest, aber eine leicht erklärliche Scheu hielt mich zurück.
Ob ich morgen komme? - Wenn ich Dich nur sehen kann: ich fühle erst so recht, wie Du mir ans Herz gewachsen bist. Nun läuten die Glocken das Ave - hörst Du es auch und denkst vielleicht wie hart es mir sein müsse Dich zu entbehren? Vielleicht schläfst Du jetzt und vergissest alle Sorge und Krankheit in freundlichen Träumen. Könnte ich doch beitragen zu Deiner Gesundheit, wie gerne würde ich es thun! Doch, das weisst Du längst.
(Etwas später) Vergeblich versuchte ich etwas zu lesen oder zu arbeiten, ich bin zu unruhig über das kleine Billet, das Du mir heute gesendet. Du lachst vielleicht meiner Angst. Könnte ichs doch auch! Die Zeit schleicht so langsam - von einer Viertelstunde zur andern ist es endlos lang, dass mir die Entfernung von morgen fast unerreichbar scheint. Wenn Du nur morgen gesund und heiter bist - ich will es hoff en mit meinen heissesten Wünschen für Dein Wohlergehen. Gute Nacht. -

Ich kann kein Ende finden - es ist zwar erst neun Uhr, aber mir kommt es vor, als wäre es schon elf. Wurdest Du heute bald nach der Kirche krank? Wenn von meinem Stübchen nach Deinem Zimmer ein Telegraf ginge, so würde ich von Viertelstunde zu Vierteistunde bei Dir anfragen - aber ach ich habe nur den Gedankentelegrafen, der keine Antwort zurückbringt. Und wenn Du morgen nicht besser bist und ich Dich nicht sehen kann so ist es mir auch nicht möglich ihr diese Zeilen zukommen zu lassen und sie weiss dann nicht, wie sehr ich theilnehme an ihrem Leiden! Jetzt mag ich auch nicht mehr weiterschreiben - denn ich schreibe mich nur noch in grössere Angst. Lebwohl Du mein Leben, mein Alles! -

 

Dienstag 14.6.46 Abend

Mir ist, als müsste ich endlich mein langes Stillschweigen unterbrechen - jeder Deiner stummen Blicke mahnt mich nur zu sehr daran - oder irre ich mich? Du ängstigtest Dich heute Nachmittag mich nicht gesehen zu haben - habe ich es recht gemacht, indem ich Abends vorüber ging? O hätte ich zu Dir hinauffliegen können um Dir zu sagen, wie mir ums Herz war und noch ist! wie ich wachend von Dir träume Nacht und Tag. Die Kränzchen sind vorüber - sind in unsrer Erinnerung und werden nicht mehr wieder kehren! Ich kann der trüben Ahnungen nicht los werden - es war eben zu schön - das Zusammensein mit Dir, Einzige! Ach, da sitze ich und schreibe die dürftigen Worte, während meine Seele ganz von Dir erfüllt ist! ist mir doch, als fühlte ich einen Dolch im Herzen, wenn ich der Trennung gedenke, die heute oder morgen doch sein muss - Dir zu Lieb sein muss. Deine entzündeten Augen, Deine resignirte Stimmung vorgestern bewegten mich bis ins Innerste - soll ich Deine Gesundheit, die mir so unendlich theuer ist, untergraben? Du liebst mich - welch eine schmerzliche und doch himmlisch süsse Genugthuung für mich - mag mein Herz unter fremdem Himmel unter fremden Menschen noch so Vieles erleben - es ist doch reich durch Dich! Wohl dachte ich in halb wahnsinnigen Stunden an die Möglichkeit eines Glückes - so fern und verlockend, dass mir die Sinne schwinden sollten - aber jeder achtungswerthe Mensch muss auf dem Posten ausharren, für den er da ist, ein karger Trost, aber doch ein Bewusstsein!

Während ich das Alles schreibe, liegt Dein letztes Portrait vor mir und glühend heiss wallt es mir durch die Adern, wenn ich den Gedanken einer Trennung fasse. Deine süssen Augen nicht mehr zu sehen - Deine lebenswarme Stimme nicht mehr zu hören - ist es nicht mehr als ich zu tragen vermag - Anna!

 

Mittwoch Abend

Du warst da. Du kennst nun meine Kämpfe - aber glaube mir, wenn ich von Dir dann Abschied genommen, so wirst auch Du erst fühlen, welch treuen und herzensguten Freund Du an mir gehabt - Du wirst Dich oft meiner erinnern - ohne alle Bitterkeit! Ach! heute zeigtest Du Dich etwas verstimmt gegen mich, als wenn ich Dir ein Unrecht zugefügt - die Hand aufs Herz: habe ich das gethan? ist meine Abreise von hier nicht der höchste Beweis von Liebe, den ich Ärmster Dir geben kann? ich kann nicht mehr - Gott segne Dich! -

 

Donnerstag früh.

Nur einige Worte. Ich konnte kaum ein wenig schlummern, der Kopf brannte - seit halb 3 Uhr bin ich wieder wach, in meiner gehetzten und aufgeregten Phantasie jagten alles Bilder unsrer gemeinschaftlich verlebten, seligen Tage und Stunden durcheinander, ich kam zu keinem klaren Gedanken - aber ich fühlte das ungeheure Weh, das in der endlichen Trennung von dem Theuersten liegt. Ich werde nie wieder lieben können und die Erinnerung an unsre glücklichen sieben Jahre wird uns (wenn der erste Schmerz verebbt) rein und ungetrübt wie Gold bleiben. Durch meine Entfernung wird meine Liebe zu Dir nicht begraben, sie wird neu geschützt vor selbst verschuldeter Gefahr. Das ist Wahrheit! ist es aber ein Trost!? Ich habe eben Deine theuren Zeilen beendet - wie ist doch Alles, was von Dir kommt, Rede, Gesang, Geschriebenes oder Darstellendes so lebenskräftig - Du verstündest es, mir Thränen in die Augen zu zaubern! Dein Schmerz ist heftig - das ist besser, als wenn er sich In sich kehrte. Thue Dir darum mir gegenüber keinen Zwang an. Trösten aber kann Ich Dich nicht - nein - jetzt nicht. Du hast zwar gestern meine Bitte wegen eines Briefwunsches fast mit Hohn von Dir gewiesen, daraus erkannte ich, dass Du nicht ohne Trübung an mich denkst. Glaube nicht, dass ich in einem Briefwechsel Ersatz für einen persönlichen Verkehr finde - wir können uns nie mehr fremd werden und eben desswegen wird ein fleissiger Briefwechsel ganz natürlich und nicht ohne einige Befriedigung für uns sein. Überlege Dirs doch, ich bitte. Du klagst heftig in Deinem Tagebuch, ich aber bin so deprimirt, so apathisch, dass ich kaum klagen kann! Und doch ist meine Seele kräftig genug, sich nicht ganz darnieder drücken zu lassen. Es wird uns beiden doch eine grosse, neubelebende Freude sein, wenn wir uns vielleicht schon nach einem Jahre wiedersehen, im ersten Viertelstündchen des langersehnten Wiedersehens vielleicht ein bischen Befangenheit - dann aber der alte, herzliche Ton. Du hast in einer ergreifenden Stelle Deines Tagebuchs [44] Dich voll Resignation an Deine Pflicht erinnert - mir verdunkelten sich die Augen im Lesen und doch hätte ich mich vor Dir niederwerfen mögen. Ja! Gottlob. Ich kann Dich eben so sehr achten, als ich Dich lieben kann und muss - wir können uns voll ins Auge sehen wenn wir scheiden, würde diess ohne Trennung immer der Fall gewesen sein? -
Klage nicht ob der dunklen Gegenwart. Du hast im Leben trotz Allem doch weit mehr Lichtpunkte gesehen als ich - es muss und wird Dir im Hinblick auf Dein reiches Leben doch gelingen die Heiterkeit des Geistes zu bewahren. Zudem hast Du Dich ja längst mit dem Gedanken der Trennung, wenn nicht vertraut, doch bekannt gemacht - was ich nicht that, der ich nur dem Augenblicke lebte - ach ich kann Dich doch nicht trösten - bald überläuft es mich siedend, dann wieder eisig - werde ich denn niemals glücklich sein können?!
Fast scheint es als könne der Künstler in dem Sonnenschein des Lebens nicht gedeihen in dem der Mensch gedeiht. Du sagtest, dass all meine Schöpfungen klagen. Wahr! sie sind mir ein Reich des Schmerzes und der Wonne, alle von Dir ausgegangen und zu Dir zurückgekehrt, verkörpert und belebt durch Deinen Athem, alle sagen zu Dir "liebe mich, ich bin ja nur Deinetwegen da" - ist's nicht so? Und nun noch Eines. Wie kann ich Dir jemals genügend danken für Deine vieljährige, hingebende und felsenfeste Freundschaft - für Dein Wohlwollen - ich weiss wohl, dass Freundschaft und Liebe sich nicht danken lässt, sie stürbe darob, sie lässt sich nur erwidern, sage, ists nicht so?
Wie grell heute Regen mit Sonnenschein wechselt! Einen ewigen Sonnenschein vertrüge man nicht - ein ewig ausdauernder Sturm kommt nicht vor - es muss sichs uns demnach ertragen lassen, so schwer es auch wird. Ich will nicht die Plattheit begehen Dir zu sagen, was der Welt so geläufig ist, suche Dich zu zerstreuen - nein - wenn man vom Schmerz gepackt ist, muss man mit ihm ringen, und im Vertrauen auf das Wort: ich will, muss man siegen. Doch warum schon jetzt diess Ängsten vor dem Abschied? ist ja doch noch Zeit vor uns! Wer hätte das Alles vor sieben Jahren glauben mögen? Oder damals am 23. Juli -8, wo wir vom L. so sorglos in die weite Welt hinaus blickten?! Wie wird es in weitern sieben Jahren sein? Die Zahl sieben wird ominös für mich - in 7 Jahren entschied ich mich für die künstlerische Laufbahn, nachdem ich lange geschwankt - ob ich nicht - geistlich werden sollte - in diesem Falle hätten wir uns wahrscheinlich im Leben nie begegnet. Es ist so doch besser! Darf ich Dir diese Zeilen heute geben? Wirst Du vielleicht daraus einige Beruhigung schöpfen? Ich bitte Dich, lasse die Deinigen Deinen Gram nicht fühlen, es würde das Übel nur schlimmer machen. Ich gehe heute sehr beklommenen Herzens zu Dir, habe ich doch nur an die Sonntage einiges Anrecht, sie werden Dir in der Erinnerung geweiht bleiben! War es mit Deiner Drohung Italien betreffend - Ernst? ich schliesse fast daraus, dass Du mich nicht mehr sehen wolltest. Ja keine übereilten Entschlüsse ! - Bleibe mir so herzlich ergeben, wie Du es immer warst, - das wird mir ein grosser Trost sein! Lebewohl!
Ich kann nicht schliessen und kann nie Worte finden, die meinem Herzen genügten, Lebewohl und bleibe mir gut! –

 

Montag 10.10.46 [1864]

Du mein einziger Freund! Ich kann nicht Ruhe finden heute, wenn ich nicht erst mir Dir ein wenig geplaudert habe; zwar hat sich, (damit Du dich nicht etwa beunruhigst) durchaus nichts ereignet, was mir die Feder in die Hand gedruckt hätte - nein, ich will nur ein wenig plaudern mit Dir meinem einzigen Freund, plaudern, wovon das Herz voll ist. Wovon? Weisst Du es?
In dem Masse, in welchem mir die Welt täglich schaler und verachtungswürdiger erscheint, steigt Dein Werth in mir, durch Dich allein ist mir das Dasein nicht nur erträglich - ach nur zu sehr wünschenswerth - und so taumle ich durch das Leben unempfindlich geworden gegen Alles, was nicht Du bist und nicht Dich betrifft. Wie selig war ich gestern, wärest Du es auch gewesen, statt unzufrieden mit mir zu sein! Sieh, ich muss nur selbst um den höchsten Preis die Möglichkeit wahren, Dich wenigstens alle Wochen einmal sehen zu können - und Du zürntest mir gestern darum ein wenig. Ich selbst hätte mich beim Nachhausegehen hassen mögen und hätte die Welt darum gegeben wieder umkehren zu dürfen. Warum soll ich gerade Dich nicht lieben unter Hunderten? ist das so sehr Unrecht? ist es nicht vielmehr Bestimmung - und wenn wir denn an Bestimmung glauben sollen: soll mir allein das höchste Glück nicht bestimmt sein? O diese Gedanken beschäftigen mich täglich und weisen unwandelbar immer auf Dich! Ich bitte Dich um Alles, lies daraus keinen Vorwurf heraus und vergesse niemals, dass ich Deiner nur mit der freudigsten Dankbarkeit gedenke und dass die höchste Freude ernst ist. Du glaubst (oder sagst es wenigstens) mich unglücklich gemacht zu haben, könntest Du in mein Herz blicken, wie schnell würdest Du das Gegentheil glauben! Das und Ähnliches wollte ich Dir gestern schon schreiben, aber ich war so aufgeregt, dass mir der Kopf schwindelte - ich ging bald zur Ruhe und schlummerte mit Deinem Namen auf den Lippen ein. Heute bin ich nun ruhiger und schrieb viel Noten, um mich zu zerstreuen. Wie gerne höre ich Dich von jener Zeit reden als ich Dich noch nicht kannte - und doch thut es mir so eigenthümlich weh - denn ich gönne es Niemand, Dich schon vor mir gekannt zu haben, da Dich doch Niemand so recht verstanden und begriffen haben kann. Doch das ist vorbei und geht Aridere mehr an als mich, aber Gegenwart und Zukunft muss mir gehören, sonst ertrüge ich das Leben nicht. Kannst Du so fühlen, wie ich? ich fürchte immer, dass Du höher stehst und Dich zu meiner Lebensanschauung nur herunter lässest, und das thut mir web. Du sollst nicht besser sein, als ich, sonst wäre ich ja Deiner nicht werth. Es wird auch so sein, denn ich empfinde noch immer jene eigenthümliche (fast möchte ich sagen, heilige) Schüchternheit des Gefühls vor Dir, wie damals, als Du mir so unnahbar warst. Und so lange Du mir jenes ungelöste Räthsel bist, werde ich nach jedem vollen Blick in Dein Auge mich als bessern Menschen fühlen. Aber ach - es kann nicht für immer so bleiben, ich ahne es wohl - ob früher oder später, mein Urtheil stand In Deinem Auge geschrieben und ich habe es gelesen. Du mein einziger Freund! Lasse mich Dich so nennen, so lange ich es noch darf! Du bist so unendlich gut, dass ich Dir niemals Leid bereiten kann unter welcher Form es auch sei - lasse mich lieber unglücklich sein, wenn es zu Deinem Glück ist. - Du hast mir meine letzte Krankhelt zu einem angenehmen Traum gemacht - könnte ich das je vergessen? Du hast mich getröstet und ermuthigt, Du machtest mir jeden kommenden Tag zum ersehnten, well er Dich brachte, denn Alles andere trat vor Dir zurück - Du warst mir ein Engel - aber - ich liebe diesen Engel und Engel sollen nur verehrt und nicht geliebt werden, sonst werden sie aus dem Paradies gestürzt. Aber so weit bin ich noch nicht - bin nur in meinem bescheidenen Stübchen und kann nur jeden siebten Tag ein wenig ins Paradies, wo ich für immer sein möchte!!

 

11.10 Abends.

Heute Mittag sah ich Dich flüchtig - gerne hätte ich noch ein paar Worte mit Dir gesprochen aber Du schienst sehr in Elle zu sein. Ich muss mich eben wieder einige Tage gedulden - einige Tage - so verfliessen eben die schönsten Tage, Wochen und Monde ungenossen und verloren für immer. O wärst Du jetzt da! aber Du bist eben nicht da und kommst auch nicht und ich kann nicht zu Dir kommen und so ist eben wieder ein Tag verloren!
Als ich letzthin das Kästchen wieder sah, worin ich vor den Ferien Deine letztjährigen Briefe verschlossen und für alle Fälle vorsorglich darauf geschrieben hatte: "ungeöffnet zu verbrennen" war ich meinem Schöpfer doppelt dankbar, dass es dieser Vorsicht nicht bedurfte. Früher dachte ich: "O dürfte ich schreiben" - und jetzt: "ach, wenn es nur nicht erst des Schreibens bedürfte" - ich bin eben nie zufrieden - nie - ausser Sonntagnachmittag ein wenig. -
Wirst Du mir, um mir die Pein der langen Woche ein bischen zu kürzen, einige Zeilen schreiben? Gleichviel, was es ist - wenn ich dann Deine theuren Schriftzüge sehe, weiss ich doch, dass Du während des Schreibens an mich gedacht haben musst und das thut mir so wohl. Bin ich nicht ein wenig kindisch? Gewiss nur Dir gegenüber. Das nächste Mal musst Du mir alle letztjährigen Lieder singen - das heisst ich bitte Dich darum. Maly kam heute wieder erst um sechs Uhr heim - wäre Ich an ihrer statt gewesen - aber was hilft alles Wünschen? Was thust Du Abends so ganz allein! Denkst Du da auch an mich? und all mein Sehnen trägt mich nicht hin zu Dir -
Montag soll der Oratorienverein beginnen - auch das noch zu meiner vielen Beschäftigung - aber er gewährt mir doch die Möglichkeit Deiner Nähe [46]. Auch die Kränzchen will ich unter dieser Bedingung gerne wieder aufnehmen - leider ist der Weg nach Hause auch wieder abgekürzt - o es wird nicht mehr so wie es war! -
Heute Abend lernte ich den vielgeliebten Johannes Brahms [46] kennen. Ich hatte ihn mir bedeutender vorgestellt, zwar ist sein Profil sehr schön und fein geschnitten, im Übrigen ist er mir ein verzogener (Verzeihung) Damenliebling. Schwind [47] war auch da - ein prächtiger, unverwüstlicher Naturkopf, ferner war da ein Herr von S. von dem ich früher nie etwas gehört und welcher das Privilegium hat, berühmten Leuten nachzulaufen, wofür er nach seiner Verabschiedung mit einer Hammelscotelette verglichen wurde - ein wahrhaft lächerliches Mannsbild. Doch lassen wir die Fremden.
Nun ist es halb 11Uhr. Schläfst Du schon? Soll ich Dir morgen diese Zeilen durch die Post senden? Warum denn nicht? -
Ich hätte noch so viel Dir zu sagen, nicht zu schreiben. Das Wort ist warm und die Tinte kalt und Gesprochenes kann eher verziehen werden als Geschriebenes, also Geduld bis nächsten Sonntag. Hast Du Dich in die neue Wohnung schon gefunden? ach - die frühere war eben gar so gemüthlich - was konnte es heimischeres geben als Dein Zimmer und erst die dort waltende Fee?

Schlafe wohl, Du mein einziger Freund! und behalt mich für immer ein wenig lieb. Nicht wahr

[Notenbeispiel 14]

______________

[1] Landstadt = Feldkirch (Vorarlberg)
[2] ... zwei ihrer Lieder = Die beiden Lieder scheinen verloren, sofern sie nicht identisch sind mit den "Drei Liedern aus Goethes 'Wilhelm Meister' für Mezzosopran" (JWV 67). Die Autographe dieser Vertonungen (Mbs 4741 und 4694) sind allerdings datiert 1.5.1856 bezw. 7.3.1857. Auf dem Autograph des 3. Liedes findet sich eine Notiz: "Vom Componisten erhalten. Mit ihm gesungen. 10.6.57. Fanny".
[3]... mein väterlicher Freund = Prof. Emil Schafhäutl
[4] Vgl. Jos. Rheinberger schildert in einer schwülstig-romantisch verklärten "Lebensbeichte" sein ebenso inniges wie unschuldiges Verhältnis zu seiner Jugendliebe Felicia (Oktober 1852 bis Sommer 1853). 1852-1853, in: Wanger/Irmen, Bd. 1, S. 92-98.
[5] Meine kleine Schwester = Amalie
[6] Josef und Bertha = Bruder und Tochter Fannys, die beide früh verstarben.
[7] Maestro = Josef Rheinberger
[8] ... drei Lieder = Franz Schubert "Ihr Bild" ("Schwanengesang" Nr. 9); Felix Mendelssohn "Auf Flügeln des Gesanges" op. 34 Nr. 2 und "Suleika" op. 34 Nr. 4.
[9] Wie wird es mit M. gehen? = Vermutlich Rh's Schwester Maly, die lungenkrank war.
[10] ... das hübsche Bild = Es scheint sich hier um eine Verwechslung zu handein. Mozart weilte vom 23.9.1777 bis Mitte Januar 1779 in Paris. Die Oper "Don Giovanni" entstand 1787. Vielleicht handelt es sich um das Oelgemälde "Mozart beim Prinzen Conti im Temple" von M. B.Ollivier.
[11] Kaulbach = Wilhelm von Kaulbach (1805 - 1874). Bedeutender Maler der deutschen Romantik. Er lebte von 1826 bis zu seinem Tod in München.
[12]... ein reizendes Bildchen = 1857 hatte Rh. ein Oratorium "Jephtas Opfer" (JWV 61) geschrieben.
[13] Leonhard = Emil Leonhard, Rh's Klavierlehrer
[14] Freund = Fanny
[15] Abend bei S. = Stieler. Rh. war mit dem Dichter Carl Stieler befreundet. (Vgl. Brief an Henri ette Hecker vom 3.10.1900.)
[16] Guterle = Süssigkeit (mundartlich)
[17] ... Schwester von F.v.P. = Frau von Pacher, deren Kinder Rh. unterrichtete.
[18] Josef = Josef von Hoffnaass (vgl. Anm. 6)
[19] ... meine Lieder = eine grosse Zahl der Jugendwërke Rh's entstand während den Sommerferien in Vaduz
[20] Der arme Bui = Joseph Geiger (gest. 1864 an Tuberkulose).
[21] .. .meine Bertha lebte = Fannys einzige Tochter Bertha Iphigenie starb am 26. Mai 1853.
[22] Kaulbachs Carton = vermutlich Kaulbachs Gemälde "Zeitalter der Reformation". (Das Bild wurde 1945 in Antwerpen zerstört.)
[23] Ottiliens Text = Ottilie Stieler ist die Textdichterin von Rh's Lied "Träumen im Winter" op. 26 Nr. 4.
[24] heimlich = heimelig
[25] Kloster Suben = ehemaliges Augustiner-Chorherrenstift in Ober-Oesterreich. Von 1855 bis 1865 war in seinen Gebäuden eine Haftanstalt für Frauen untergebracht.
[26] Aeolodicon = Harmonium
[27] ... sein Fugenwerk = "Sechs Tonstücke in fugierter Form für Pianoforte" op. 39 (1. Folge), komponiert im April und Mai 1862.
[28] Behind the claud's... = Hinter den Wolken scheint noch die Sonne, Sei ruhig, trauriges Herz und lasse das Grollen. Leide und sei stark!
[29] ... auf einem Keller = in einer Bierhalle.
[30] G = Gabriel (erster Taufname Rh's.)
[31] Lavater Johann Caspar Lavater (1741 bis 1801). Zürcher Dichter und Begründer der physiognomischen Forschung.
[32] Lichtmessabend = 2. Februar
[33] Anna = Fanny (?)
[34] "Nun armes Herze... " = aus: "Frühlingsglaube" von Ludwig Uhland.
[35] ... Dein Oelbild = Fannys Jugendbildnis, signiert "Füssli", ohne Jahr. Das Portrait befindet sich im Besitz der Familie Rheinberger in Vaduz.
[36] ... Lied von Esser = Heinrich Esser (1818 bis 1872), Dirigent und Komponist.
[37] Mozart Doppelviolinconcert = Es handelt sich entweder um das Concertone in C für zwei Soloviolinen und Orchester Ky 186 E (=190) oder um die Konzertante Sinfonie für Violine, Viola und Orchester Ky 320 d (=364). Mit "Adagio" ist der langsame Satz (Andantino grazioso, bezw. Andante) gemeint.
[38] Vestalin = "Die Vestalin", Oper von Gasparo Spontini (1774 - 1851).
[39] ... ein eigen Stück = Vermutlich das Lied "Letzter Wunsch" aus dem Zyklus "Liebesleben" op. 55, komponiert am 9.3.1864.
[40] ...im Schlusssatze = Finale alla Tarantella aus der 1. Klaviersonate ("Sinfonische Sonate") in C-dur, op. 47, komponiert 9. - 30.März 1864.
[41] H.v.L. = Hermann von Lingg (1820 bis 1905), Epiker und Lyriker, dv Münchner Kreis um Heyse und Geibel zugehörig.
[42] Das Stabat = Stabat mater op. 16 für Soli, Chor und kleines Orchester, komponiert im April 1864.
[43] ... ein grosses Requiem = Rh's Requiem für Soli, Chor und Orchester, op. 60, entstand in einer 1. Fassung im Oktober 1865. In dieser Fassung fehlen die Solopartien. Das Werk wurde 1869 vollständig umgearbeitet und erschien 1872 zum "Gedächtnis der im Deutschen Kriege 1870 -1871 gefallenen Helden".
[44] Tagebuchs = Fannys Tagebücher wurden nach ihrem Tode auf ihren eigenen Wunsch mit anderen persönlichen Aufzeichnungen vernichtet.
[45] ... die Möglichkeit Deiner Nähe = Fanny sang im Chor des Oratorienvereins mit.
[46] ... vielgeliebten Johannes Brahms = Johannes Brahms verkehrte in München im Hause Rheinberger. Rh. widñiete ihm die "Zwei Klaviervorträge" op. 45, Brahms dirigierte Rh's Vorspiel zur Oper "Die sieben Raben" am 25.1.1874 in Wien.
[47] Schwind = Moritz von Schwind (1804 bis 1871). Maler der Romantik, lebte von 1847 an grösstenteils in München.

Notenbeispiele:

1) Wolfgang Amadeus Mozart - Le nozze di Figaro, 1,6
2) In ihren Memoiren zitiert Fanny dieses Menuett zweimal: a) in d-moll und b) in g-moll.
3) Möglicherweise JWV 122, Nr. 2 "Vor Liebe".
4) Etwas abgeändert "Die Wasserrose", JWV 131 Nr. 1, aus "Fünf Lieder für Mezzosopran und Klavier", komponiert am 3.2.1861.
5) Jugendwerk Rheinbergers
6) Es scheint, dass Rh. über dieses Thema improvisiert hat. Die Fuge der 3. Orgelsonate in G-dur, op. 88 ("Pastoral-Sonate") weist ein ähnliches Thema auf.
7) Ludwig van Beethoven - Symphonie Nr. 6 "Pastorale", 2. Satz. Das Thema ist um einen halben Takt verschoben.
8) Wolfgang Amadeus Mozart - "Don Giovanni" 1,12: "Staro qui come agnellina le botte ad aspettar."
9) Vgl. 1)
10) Jugendwerk Rheinbergers
11) Jugendwerk Rheinbergers
12) Bedeutet wohl: "Ich liebe dich.'"
13) Zitat (nicht korrekt) aus der Oper "Die Vestalin" von Gaspard Spontini
14) Jugendwerk Rheinbergers.