Neujahrsbrief 1870/1871, Jos. Rheinberger berichtet seinen Eltern von seiner Beförderung zum Inspektor für Orgel, Klavier und Theorie an der königl. Musikschule sowie von den Kriegsentwicklungen


Brief von Jos. Rheinberger an seine Eltern

 

München, den 30.12.70.

Theuerste Eltern!

Bei dem gegenwärtigen Jahreswechsel drängt es mich, Ihnen in meinem und Fannys Namen die herzlichsten Glückwünsche auszusprechen, und den Himmel anzuflehen, uns die lieben Eltern noch recht lange in voller Gesundheit zu erhalten. Dass wir recht oft Ihrer gedenken, wissen Sie - und wenn auch der briefliche Verkehr mit Vaduz mehr durch meine Frau und Maly aufrecht erhalten wird, so kommt dies ja aufs Nämliche heraus, indem Familienbriefe doch Gemeingut der Familie sind. Wie Maly schrieb, sind Sie theuerster Vater! unwohl gewesen - Gott sei Dank, dass es nur vorübergehend war; es wird wohl der etwas hart auftretende Winter Schuld gewesen sein. -

Mit Neujahr haben wir an der Kgl. Musikschule eine Änderung eingeführt; dieselbe ist in zwei Departements eingetheilt: die Orgel-, Klavier- und Theorie-Klassen sind mir, die Orchester- und Gesangsklassen dem Hofkapellmeister Wüllner unterstellt, womit auch für mich eine Gehaltserhöhung von 200 fl verbunden ist. Von der Aufführung meiner Oper und des Requiems werden Maly und David berichtet haben. -

Der Krieg drückt sehr auf alle Verhältnisse; man will ihn eben gründlich führen und thut recht daran, denn schliesslich werden die Franzosen doch genug bekommen. Eben sind wieder 8000 handfeste Bayern nach Frankreich abgezogen und werden noch immer welche ausgehoben. Wenn unser Ländchen im Verhältnis wie Deutschland im Krieg betheiligt wäre, so müssten wir gegen 200 Mann im Felde haben [1], deswegen ist es am Ende für uns besser, wenn wir erst später an Deutschland fallen, denn früher oder später muss und wird das doch sein. -

Ist Peter in seinem Brückenbau [2] schon weit voran? Der lieben Mutter ein spezielles gutes Neujahr!

Mit den herzlichsten Grüssen und Glückwünschen an Alle Ihr dankergebener Sohn
Josef Rheinberger.

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[1] 1868 war das Liechtensteinische Militärkontingent aufgelöst worden.
[2] Nach der Auflösung des Militärs erhielt Rheinbergers Bruder Peter die Stelle eines Landestechnikers. Nach der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolgten Rheinregulierung wurden erste Strassenbrücken erstellt.