Anlässlich seines Ausscheidens als Dirigent wird Josef Rheinbergers des Oratorienvereins in der Vereinschronik geehrt.


Vereinschronik des Oratorienvereins, 1877

"Dass der Oratorienverein die 1864 durch Perfalls Ausscheiden hereingebrochene Krisis glücklich überwand, ist im Wesentlichen das persönliche Verdienst seines neuen Dirigenten, Joseph Rheinberger gewesen. Dieser ausgezeichnete Musiker war schon in jugendlichen Jahren unmittelbar nach Gründung des Vereins mit dem Letzteren in Beziehung getreten, .und hatte seitdem den Dirigenten durch Übernahme der Klavierbegleitung in den Übungen und Aufführungen in der dankenswerthesten Weise unterstützt. Seit dem Jahre 1859 überdiess zum Ersatz-Dirigenten des Vereins gewählt, hatte er bei vorübergehender Verhinderung des Baron Perfall Gelegenheit gehabt, diesen in der Leitung des zweiten Concerts für 1863/64 zu vertreten. Der Erfolg des Direktionsdebuts war ein derartiger, dass der Wunsch, so bewährten Händen das Schicksal des Vereins dauernd anvertrauen zu können, als selbstverständlich erscheinen musste. Es erfolgte denn auch nach Wiedereröffnung der Proben im neuen Vereinsjahre die definitive Wahl Rheinbergers und zwar durch einstimmigen Beschluss der Generalversammlung. Das erste Concert, in welchem der neugewählte Dirigent sich den ausserordentlichen Mitgliedern präsentirte, fand am 5. Dezember 1864 statt. Es zeichnete sich durch ein besonders anziehendes Programm aus und erhielt in der Presse das schwerwiegende Lob, dass es 'zu den schönsten Leistungen des Vereins' gehörte. Hiemit war der gedeihliche Fortbestand des Unternehmens auch in der Öffentlichkeit zur Anerkennung gebracht.

Die zwölf Jahre, in welchem der neue Dirigent seines Amtes waltete, waren in der That Jahre fortwährender erfreulicher Entfaltung. Sie sind durch wenige bemerkenswerthe äussere Ereignisse bezeichnet. Ihr reicher Inhalt ist in den Concertprogrammen niedergelegt und diese beweisen, dass die Personaländerung den künstlerischen Charakter des Vereins nicht tangirt hat, sondern dass derselbe fortfuhr, nach wie vor seinen Schwerpunkt in der Pflege der klassischen Oratoriumsmusik zu finden, ohne eine angemessene Rücksichtnahme auf die zeitgenössischen Compositionen aus dem Auge zu verlieren.

Im April 1867 war dem Vereine die Freude beschieden, seinen Dirigenten zum Hochzeitsfeste beglückwünschen zu können. Es geschah dieses mit um so grösserer Wärme, als auch die Gemahlin desselben zu den verdientesten und verehrtesten Vereinsmitgliedern gehört, die in früherer Zeit manche Aufführung durch ihren künstlerisch gediegenen, poesievollen Sologesang (unter dem Namen v. Hoffnaass) verschönt hatte. Professor Rheinberger erwiderte die Festgabe des Vereins durch Dedikation seiner schönsten Chorlieder op. 2.

Eine hartnäckige Erkrankung nöthigte im Frühjahr 1870 den Dirigenten, dem Vereine fern zu bleiben und schliesslich die Leitung interimistisch dem gewählten Ersatz- Dirigenten, Professor Heinrich Schönchen, abzutreten, welcher am 23. Mai den Chor zum erstenmale in einem Concerte dirigirte und hiebei das Oratorium "Samson" von Händel mit Begleitung des Orchesters unter bestem Erfolge zur Aufführung brachte. Das statutenmässige dritte Concert dieses Jahres musste wegen vorgerückter Zeit unterbleiben.

 

Das Jahr 1871 verzeichnete, abgesehen von einer Revision der Statuten, den nicht unwichtigen Beschluss, den Vereins- Concerten künftig eine grössere Publizität zu verleihen. Mit fast ängstlicher Sorgfalt war anfänglich das nicht zum Kreise der ausserordentlichen Mitglieder gehörende Publikum von den Aufführungen ferne gehalten worden. Die Generalversammlung vom 18. November 1854 hatte festgesetzt, dass nur ausnahmsweise fremden Musikfreunden auf speziellen Antrag eines ordentlichen Vereinsmitgliedes und durch Beschluss der Vorstandschaft die Erlaubniss zum Besuche einer Produktion ertheilt werden dürfe. Später war das Antragsrecht auf die ausserordentlichen Mitglieder ausgedehnt worden. Eine so strenge Zurückhaltung konnte bei der zweifellosen künstlerischen Erstarkung des Vereins und nach jahrelanger Gewöhnung der Mitglieder an ein Auftreten im Concertsaale nicht mehr zeitgemäss erscheinen. Es wurde daher beschlossen, den Zutritt Fremder zu den Vereinsproduktionen künftig von der Erfüllung bestimmter Formalitäten unabhängig zu stellen. Diese Massregel bewährte sich in der Praxis auf's Trefflichste. Sie trug die Wirksamkeit des Vereins in weitere bis dahin von ihr unberührt gebliebene Kreise, und steigerte die Zahl der Zuhörer in dem Masse, dass bei Aufführung besonders beliebter Tonwerke die gewohnten Räumlichkeiten oftmals kaum mehr ausreichend schienen, ohne dass jedoch der durch die Organisation bestimmte Charakter des Vereins, welcher die Concertirenden zunächst auf ein, verhältnissmässig geringen Schwankungen unterliegendes, Stammpublikum anweist, hiedurch beeinträchtigt worden wäre. Immer noch konnte der Gesammtverein sich als eine innerlich verbundene Gesellschaft betrachten; nur hatte die Gesellschaft aufgehört, sich in ungastlich abgeschlossenen Räumen zu bewegen. Zu den Kriterien des unverändert fortdauernden Gesellschaftcharakters ist in erster Linie das Bestreben des Vereins zu zählen, die zur Aufführung gewählten Werke möglichst auch in ihren Solopartien durch Vereinsmitglieder zu besetzen. Es ist zwar aus den verflossenen 25 Jahren eine stattliche Reihe hervorragender Berufs- Sänger und Sängerinnen zu verzeichnen, welche nicht verschmäht haben, ihr künstlerisches Vermögen mit den Leistungen eines Dilettantenkreises zu vereinen. Auch weitberühmte Namen finden sich darunter, wie z.B. Caroline v. Mangstl, die Ehepaare Diez und Vogl, die Damen Wekerlin, Förster und N.C. Serger. Allein das Auftreten so auserlesender Künstler bildet doch nur die Ausnahme, und der Mehrzahl nach konnten die Solopartien auch in Tonstücken, welche ungewöhnliche Anforderungen an die Gesangsbildung stellen, Mitgliedern des Vereins selbst anvertraut werden, ein Umstand, auf den der Letztere mit berechtigtem Stolze zurückblickt.

In einer Richtung war der Verein naturgemäss gänzlich auf die Cooperation fremder Kräfte angewiesen, nämlich so oft die Verwendung von Orchester-Massen nothwendig wurde. Hiebei ist es für das schon seit Baron Perfalls Zeiten eingebürgerte ernste Streben, den Aufführungen die möglichste Vollkommenheit zu verleihen, bezeichnend, dass die Vereinsleitung sich niemals um die Mitwirkung eines andern als des besten Orchesters in München beworben hat. Da nun fast alle auf den Programmen verzeichneten Oratorien und grösseren Werke, mit dem vollen orchestralen Schmucke versehen, vorgeführt wurden, kam es, dass zwischen dem Oratorien-Vereine und einem grossen Theile der hiesigen Hoftheatermusik sich dauernde Beziehungen entspannen, die den betheiligten Künstlern gerechten Anspruch auf die dankbare Anerkennung des Vereins erworben haben.

Im Zusammenhange hiemit darf eine grundsätzliche Bereicherung, welche die Concertprogramme durch den zweiten Dirigenten des Vereins, Professor Rheinberger, erfahren haben, nicht unberührt bleiben.

In der ersten Direktionsperiode war es unausgesprochen für selbstverständlich gehalten worden, dass die Concerte sich ausschliesslich auf Chorleitungen zu beschränken hätten, und dass Solisten nur in dem Masse, als die aufzuführenden grösseren Chorwerke es erheischten, herangezogen werden sollten. Nur dreimal im Laufe von 10 Jahren wurde hievon eine Ausnahme gemacht, indem verehrte Gäste Einzelgesänge, die des choralen Hintergrundes entbehrten, zu Gehör brachten. Instrumentale Soli waren gänzlich ausgeschlossen. Auch in der zweiten Direktionsperiode traten anfänglich Solonummern nur äusserst spärlich in den Programmen auf, und erst dem laufenden Jahrzehnt war die häufigere Ausschmückung der Letzteren mit solchen vorbehalten.

Nach vielen Jahren ruhigen Gedeihens und genussreicher Arbeit sollte dem Vereine schliesslich auch ein tief schmerzliches Ereigniss nicht erspart bleiben.

Das sichere Gefühl dauernden Verbundenseins mit dem treubewährten Dirigenten gerieth Anfangs des Jahres 1877 zum ersten Male in's Schwanken, als eine auswärtige grosse Musiklehranstalt sich um die Ehre bewarb, Joseph Rheinberger an ihre Spitze stellen zu können. Der Oratorien-Verein, der wenige Jahre vorher das zehnjährige Wirken seines Dirigenten voll freudiger, dankerfüllter Antheilnahme gefeiert hatte, musste durch die während längerer Zeit sich hinziehenden Verhandlungen auf das lebhafteste erregt werden. Um so grösser war die Befriedigung, als es den Bemühungen der betheiligten Faktoren gelang, den drohenden Verlust abzuwenden. Der heimathlichen Kunstpflege blieb der treffliche Meister erhalten; die Vereinsgenossen sollten ihn nur noch eine kurze Frist hindurch den Ihren nennen können.

Im Herbste desselben Jahres entsagte Rheinberger, zum k. Hofkapellmeister ernannte, der ferneren Leitung des Vereins, dem er volle 23 Jahre hindurch, zuerst am Klavier, dann vom Dirigentenpulte aus, mit stets gleichbleibender Aufopferung seine besten Kräfte gewidmet hatte. Die mit dem neuen Amte verbundenen Obliegenheiten liefen alle Bestrebungen, den gefassten Entschluss zu erschüttern, als aussichtslos erscheinen, und so sah sich der Chor angesichts eines eben beginnenden neuen Vereinsjahrs nicht blos des gewohnten Freundes und Leiters, sondern überhaupt jeder musikalischen Führung beraubt. Das Kritische der Lage wurde noch erhöht durch den zeitlich mit dem Verluste des Dirigenten zusammenfallenden Austritt einer Anzahl besonders geschätzter und zum Theil um die administrative Leitung des Vereins hochverdienter Mitglieder.

Ein energisches Handeln war dringend Gebot. Dass es dem Vereine in wenigen, mühevollen Wochen gelang, sich aus sich selbst heraus neu zu constituieren, ist ein vollgültiges Zeichen seiner gesunden Lebenskraft. Durch einstimmige Wahl wurde in der Generalversammlung vom 26. Oktober 1877 die Vorstandschaft completirt und an die Spitze des musikalischen Theils der Geschäfte ein dem Vereine schon seit den Tagen seiner Gründung befreundeter Künstler, Max Zenger, der Componist des „Kain“ berufen.“

______________