Rheinberger bedankt sich für ein Bild von Henriette Huber.


München, 2. 9. 00.

Sehr verehrte Freundin!

Wenn ich sage, dass mir Ihr lieber Brief mit dem vorzüglichen, sprechenden Bilde die grösste Freude gemacht, so klingt dies trocken und redensartlich - es ist aber wörtlich zu nehmen, wie Alles, was ich Ihnen schreibe. Was Ersteren betrifft, so wissen Sie vielleicht selbst nicht, welch ausgezeichneten Styl Sie schreiben - bei so grosser Jugend diese Einfachheit, Sicherheit und Tiefe des Ausdrucks - das ist zum Verwundern! Es mag vielleicht die Beschäftigung mit engl. Literatur dazu beigetragen haben, vor allem aber doch der angeborene ernste Sinn, den man sonst bei jungen Damen selten findet. (Ich hatte in meiner Berufsstellung an d. k. Musikakademie in so vielen Jahren Gelegenheit viel Hunderte von Mädchen aller Stände und Nationen zu beobachten; auch die drei Jahre, welche ich mit Partien-Einstudieren beim Theater vergeudete, schärften wenigstens meine Menschenkenntniss - getraue mir also ein Urtheil zu haben!) Die Beschäftigung mit Kunstgeschichte ist schön, - es ist dies auch eines meiner Steckenpferde; meine l. Frau, die hierin wie in Sprachen ein ungewöhnliches Wissen hatte, führte mich ein. Auch in's Englische; für letztere Bemühung versprach ich ihr einst auf Weihnachten ein schönes Armband. Das erhielt sie auch, aber in einem Zettel eingewickelt mit der Inschrift: I am an idle fellow, and I prefer to write "musiknoten". Dabei blieb es.-

Die allerneuste engl. Literatur ist mir fremd; Ben Hur von Wallace[1] war das letzte gute Buch derselben, das ich las. -

Ihr liebes Bild finde ich ganz so, wie ich es gewünscht - es wird in kein Album eingesargt, sondern ziert meinen Schreibtisch; herzlichen Dank für Brief und Porträt. -

Sie meinen, wer im Besitz eines Kunsttalentes sei, könne nie ganz unglücklich werden. Allerdings liegt ein grosser Trost darin, aber wie ich glaube: nur bei religiöser Gemüthsunterlage, denn auch die Kunst wechselt, altert, ja sogar deren Prinzipien. Es muss aber der Künstler ein unwandelbares Fundament haben, auf dem sich wie die Zweige eines Baumes sein Können frei entfalten mag. Wohl sagt der moderne Künstler mit Vorliebe: "Die Kunst ist meine Religion" - ein wohlfeiler Bettelspruch, der übersetzt heisst: "Ich bin mein eigener Herrgott". Aber alle unsere grössten Meister Palestrina, Bach, Händel, Haydn, Mozart, Weber waren tief religiöse Naturen; von Beethoven stammt das schöne Wort: "Über Religion und Musik soll man nicht streiten" - darüber liesse sich noch Viel sagen - und Manches in Ihrem Briefe kann ich erst das nächste Mal beantworten. (Ich bin unter meinen Bekannten durch die Kürze meiner Briefe berüchtigt - Sie sehen, wie ich mir untreu geworden!) Sie schreiben so wahr: das Beste kann nicht ausgesprochen werden. Dafür haben wir die Musik; und wenn ich Sie in Musik setze, so müssen Sie es eben leiden! Gott befohlen! In treuer Verehrung und Freundschaft

Ihr herzlich ergebener
Jos. Rheinberger

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[1] Ben Hur von Wallace = Historischer Roman von Lewis Wallace (1827-1905), erschienen 1880.