Rheinberger erzählt u.A. von seiner Jugend im Theater...


München, den 3. 2. 01

Meine sehr verehrte, Freundin!

Es ist nach meiner Meinung nicht recht, mit Vorliebe einen Brief dissonierend abzuschliessen; es widerstrebt dies sogar dem natürlichen musikalischen Gesetze und dies sollte eine hohe Gebieterin berücksichtigen, wenn sie einen Brief an einen Musiker schreibt, was ja hie und da vorkommt! Der Musiker empfindet die Dissonanz doppelt, einmal als Fachmann und dann als Mensch, der er ja auch ist. Kann man aber aus irgend einem Grunde die Dissonanzen nicht umgehen, so setzt man sie besser zu Anfang oder in die Mitte des Briefes, nur nicht als Schluss, denn der Schlussakkord pflegt noch lange nachzuhallen und auszutönen, wenn das Stück gut war. 0 wie schade, dass sie nicht musikalischer sind, (vielleicht sind Sie's und verstellen sich nur gut) ich hätte Ihnen dann noch Vieles darüber zu schreiben. - Bei dem Wort "verstellen" fällt mir eine lustige Anekdote ein, die mir der vor ein paar Jahren in Berlin verstorbene Klaviervirtuose Jul. Schulhoff[1] (auch ein Kreuther) erzählte. Er kam als junger Virtuose nach Paris, um sich als Klavierlehrer niederzulassen, doch reichte seine Kenntniss der französischen Sprache, besonders in Beziehung der musikalisch-technischen Ausdrücke, die beim Anfangsunterricht sehr nöthig sind, nicht aus. Da kam er auf den Einfall, als scheinbarer Anfänger bei einer renommierten älteren Klavierlehrerin Unterricht zu nehmen, und stellte sich hiebei möglichst ungeschickt. Aber schon nach wenig Stunden entwickelte sich seine Fertigkeit so, dass der arglosen Lehrerin fast unheimlich wurde. Sie prahlte überall mit ihrem jungen böhmischen Schüler, der durch ihre Methode befähigt wurde, schon nach 6 Wochen (!) so viel zu leisten, wie ein Anderer in 6 Jahren, und dem die schwierigsten Konzerte zur Spielerei waren. Aber als ihr Stolz auf's Höchste gestiegen war, kam der "Betrug" zufällig auf - sie war tief gedemüthigt, und hat Schulhoff diesen Schabernack nie verziehen. ---

 

den 4. 2. Abends.

Gestern war ich nach langer Zeit wieder einmal im Residenztheater. Nicht Abends, (so gut wird's mir nicht), sondern Mittags in der Hauptprobe der kom. Oper: "Die Opernprobe" von Lortzing - sein letztes Werk, das von unseren jungen Akademikern natürlich mit Enthusiasmus dargestellt wurde. Es interessierte mich ungemein; während ich so in der Loge sass, und der lieben Jugend zusah und zuhörte, gedachte ich mit Wehmuth der Zeit (1864-67) wo ich auch voll Jugendmuth und Begeisterung in diesen Räumen wirthschaftete und was alles seit jener Zeit bis heute dazwischen liegt - ich kam mir schon gestorben vor und diese harmlose, heitere Musik machte mich melancholisch. Ich gedachte des armen Lortzing, der genau vor 50 Jahren an dieser Oper arbeitete, in Berlin im Elende verkam und gerade noch vor der ersten Aufführung derselben starb. Zur Entschädigung soll er aber jetzt ein Monument kriegen! - na, da kann er ja zufrieden sein, denn wenn er keines bekäme, würde er vielleicht noch schneller vergessen! Dieses Schnellvergessenwerden ist übrigens nicht allein Künstlerlos - das passiert fast allen Menschen, selbst solchen, die Generationen lang obenauf schwimmen. Wenn es kein Jenseits gäbe, wäre es nicht der Mühe werth - aber eine Ausgleichung muss vorhanden sein - wie arm wären sonst die Ärmsten und die, welche ihr Leben lang nur von der Hoffnung einer besseren Zukunft leben? Wie sieht sich das Alles mit dreimal zwanzig Jahren an im Vergleich zum Blüthenalter der "lieben Jugend" zu welcher Gottlob meine edle Gebieterin gehört! Ja, jetzt mögen sie schmollen oder nicht: zur Entschädigung für die entschwundene Jugend wird man dafür gescheidter; und somit findet auch hier ein gewisser Austausch statt. -

 

6. 2. Abends.

In meinem vorletzten Brief frug ich bescheidentlich, ob Sie in Trafoi (14. 8. 00.) wohl eine Ahnung davon hatten, welche Freude mir durch Ihr von dort entsandtes Postkärtchen geworden. Sie nannten das "arg offenherzig" - ich verstehe das nicht; vielleicht wollten Sie schreiben, "arg neugierig" - dann fühle ich mich getroffen; denn, da ich mich für Alles, was meine hohe Gebieterin betrifft, interessiere, so wären Sie wohl berechtigt, mich "arg neugierig" zu schelten. Offenherzig glaube ich zwar auch zu sein, (jedenfalls den von mir hochgeschätzten Persönlichkeiten gegenüber), jedoch treibe ich es hierin nicht bis zum "Argen".

Sollte der heutige Brief kürzer als gewöhnlich ausfallen, so bitte ich, auch nichts Arges darüber zu muthmassen: ich musste endlich mit vielen Briefschulden aufräumen; auch der Tod meiner Schwägerin gab zu manchem Schreiben Veranlassung, ebenso viele meiner häuslichen Angelegenheiten, die mich zwar nicht hinderten, Ihrer in gleich treuer Freundschaft eingedenk zu sein, wohl aber dem gewohnten Plauderstündchen im Wege waren und noch sind. Auch ist aus dem Nachlass von Miez noch gar Vieles unerledigt, denn was mich nicht gerade auf die "Nägel brannte", verschob ich immer wieder auf gelegenere Zeit, die aber niemals kam. Wie vollkommen wäre doch der Mensch, der niemals etwas verschiebt, Alles sofort erledigt und sich dadurch eine Menge von Verdriesslichkeiten und Vorwürfen erspart! und immer stärker wird mein Gefühl, aufräumen zu müssen - da man ja nicht wissen kann, ob man so bald wieder dazu kommt! Und wie widrig ist der Gedanke, in welch unberufene Hände hunderte Dinge, die Einem lieb sind, kommen können - das ist eine sehr melancholische Seite des Alleinsein's - hier könnte ich mit mehr Recht als Manche sagen, ich komme mir "grenzenlos" verlassen vor! -

 

den 8. 2. 01.

Treulich kam Ihr lieber Brief, für den ich Ihnen herzlich danke, - der mir wieder für acht Tage Sonne in meine düstere Einsamkeit bringt und mich für so Vieles entschädigen muss und auch wirklich entschädigt. Meine theure Freundin, Sie sehen ich bin unverbesserlich. Kaum setze ich mich zu ein paar Zeilen für Sie, so ist mein Herz voll zum Überfliessen; warum hat mir das Schicksal dies angethan? Aber auch Sie sind in einem Punkte unverbesserlich: nicht einmal einfach und unbefangen konnten Sie in meine dargebotene Hand einschlagen - nein - es musste noch verklausuliert werden! Seien Sie froh, Sie Trotzkopf, dass ich jetzt gut aufgelegt bin - das von Ihnen verlangte Regenwetter wird Ihnen nicht geschenkt; es kommt auf dem rot paginierten Blatte! (Unter uns: es ist schon 8 Tage alt!) Wohl haben Sie Recht, dass ich über den Brief Ihrer verehrten Frau Mutter erst erschrak, drei Möglichkeiten schossen mir zugleich durch den Kopf: 1.) H. H. ist krank. 2.) H. H. ist Braut. 3.) Es wird gewünscht, dass der briefliche Verkehr aufhöre. Glücklicherweise hatte sich meine lebhafte Fantasie getäuscht - nichts von alldem stand in den freundschaftlichen Zeilen, die ich sofort beantworte. Nun werden Sie aber wissen wollen, was in dem Briefe stand. Wenn die verehrte Schreiberin will, dass Sie es wissen, so wird sie es ohne Zweifel Ihnen nicht vorenthalten - jedenfalls ist es nichts, was Ihnen irgendwie unangenehm sein könnte; das ist ja selbstverständlich. Mit den freundlichen Worten ... "und so reiche ich Ihnen denn die Hand und sage, so Gott will, auf ein freundliches Wiedersehen im Sommer, im lieben, alten Kreuth" ... schliesst der Brief. Ich bitte Sie, der verehrten gnädigen Frau nochmals meinen herzlichsten Dank für ihre so gütigen Zeilen in meinem Namen auszusprechen. Wie sehr ich das auch wünsche, wissen Sie - Sie haben mich gefragt, wie es mit meiner Gesundheit stehe - leider nicht gut. Ihr Wunsch, ich möchte einmal Ihre Behausung in Berlin sehen, wird nie in Erfüllung gehen. Ich wollte vor einigen Jahren auf Einladung des Prof. Blumner[2] (Singakademie) zur Aufführung meiner Legende Christoforus nach Berlin kommen; allein, ich laborierte damals an bedenklichem Bluthusten und musste abschreiben.

Mit der Beantwortung Ihres vorletzten Briefes bin ich noch nicht fertig; ich nehme Ihre Schreiben vor und beantworte dann Punkt für Punkt - wenn ich Sie tadle, so bitte ich Sie, mich auch nicht zu schonen - ich achte Sie so hoch, dass ich nur ein Vertrauenszeichen darin sehe, wenn Sie Alles, was Sie bewegt, mir ungeniert sagen. Finden Sie es unpassend, wenn ich Ihnen sage, dass mir das oder jenes in Ihren Briefen oft Kummer macht? Ich habe ja eigentlich kein Recht dazu - ich bin Ihnen ja leiblich gar nicht verwandt, bin kein Onkel, nicht einmal ein entfernter Vetter - von Zeit zu Zeit ein lästiger Warner ohne allen Einfluss (ich bin Ihnen gegenüber sehr feinfühlig und täusche mich selten) und das macht mich oft recht traurig! Nun ich zum Schluss komme, bitte ich Sie nochmals nicht zu vergessen, Ihrer hochverehrten Frau Mutter meinen ergebensten Gruss und Dank für ihre Mittheilungen zu sagen, mit dem Wunsche, dass sie sich baldigst von dem Unfall erholen möge. Auf Kreuth will ich hoffen - es wäre ja sonst zu arg. Gott befohlen, liebe theure Freundin!

mit herzlichstem Grusse

Ihr Jos. Rheinberger

 

N. S. Soll das von Ihnen gewünschte Regenwetter wirklich kommen?

Tu l'as voulu!

______________

[1] Klaviervirtuose Jul(ius) Schulhoff= (1825-1898), wurde in Paris von Frederic Chopin gefördert.

[2] Blumner=Martin Blumner (1827-1901), Dirigent der Berliner Singakademie und Komponist.
einer Legende Christophorus=op. 120, komp. 1880 auf einen Text von Fanny von Hoffnaass.