Am Karsamstag schreibt Fanny an Peter Rheinberger und seine Frau in Vaduz.


München, den 16. April 1892

Mein lieber Schwager und Schwägerin!

Lange haben wir von Euch nichts mehr gehört, aber innigen Antheil genommen an dem grossen Brand in Sevelen,[1] der euch gewiss recht erschreckt hat.

Nun sind für andere Menschen die Osterferien; Curt hängt aber so an seinem Berufe, dass er die Charwoche "tapfer" durchmacht!

Eine grosse Anstrengung zwar. Jetzt hat er noch Ostersamstag, dann die Ritterfeste des Georgs Ritter-Ordens in Uniform zu dirigiren. Dann endlich kommt eine kleine Pause. Egon kommt selten. Doch habe ich ihn vorgestern aufgesucht, nicht getroffen, aber gehört, dass er fleissig sei. Gestern habe ich ihn begegnet und übermorgen hoffe ich ihn zu Tisch zu sehen, wenn meine drohende Halsentzündung nicht ausbricht. Diese - mit Gelenkschmerzen in Verbindung tretende Krankheit flösst mir immer einen gelinden Schrecken ein. Meine Gedanken gehen dann weiter ... was aus Curt wird, wenn einmal die grosse "Änderung" im Leben eintritt?! Man muss in Allem auf Gott vertrauen und ich denke, dass dann doch eine der Nichten ihm vielleicht helfen wird. Freilich ist er sehr ernst und lässt sich wenig einreden; aber der gute Wille wird dann schon das mangelnde Können oder Verstehen ersetzen.

Gegenwärtig quält mich eine gewisse Bangigkeit und EntschlusslosigkeIt, eine mangelnde Energie, die sonst meinem Wesen nicht eigen war. Es hängt diess wohl mit den Nerven zusammen, die doch schon viel mitgemacht haben. Wie geht es Euch Allen? Sind die Mädchen vergnügt? ist auch Herr Landesverweser gegenwärtig in Vaduz? Gewiss hat Deine liebe Frau wieder enorm viel gethan für die Sevelener. Sie ist ja so gut und aufopferungsfähig. Gestern ist die Mutter von General von Schelborn nach langen Leiden gestorben! Sie war 85 Jahr alt.

Curt hat Dir einmal geschrieben, hast Du seinen Brief erhalten? Leider habe ich jetzt am linken Auqe eine Schwäche, welche mir andauernde Beschäftigung verbietet. Ich glaube, dass dieser eigenthümliche Druck mit dem Gehirn zusammenhängt; wenigstens habe ich rückwärts am Kopf oft recht stechende Schmerzen.

Mag sein, dass es eine schleichende Influenza ist. Die Mädchen werden doch hie und da für ihre Tante beten!! Ein Bildhauer sagte mir, dass Egon eine ausgezeichnete Stylkenntniss der Gotik habe.Er ist überhaupt lieb und in seiner Selbstständigkeit sehr originell.

Das herrliche Frühlingswetter muss in Vaduz bezaubernd gewesen sein. Unser "Montfort"[2] liegt mit Beschreibung und Photographie des Schlosses Vaduz gegenwärtig in Partitur auf der grossen Wiener Musikausstellung. Es ist diess ein musikalisch-poetisches Denkmal unserer geliebten Heimath. Wäre es nur nicht so weit weg von München - so nah wie Starnberg ... welch ein Trost, welche Freude.

Addio - Ihr Lieben Alle! Es grüsst Euch innig

Eure Fanny.

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[1] Sevelen = Dorf auf der Vaduz gegenüberliegenden Schweizer Seite des Rheins. - Am 25. März 1892 brannten nachmittags 38 Wohnhäuser, die Kirche und 38 Scheunen und Ställe bei heftigem Föhn nieder.
[2] Unser "Montfort" = op. 145, s.S. 17 und Anhang