Verordnung betreffend Einführung der §§ 531 bis 824 des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (Erbrechtpatent)


Verordnung betreffend Einführung der Teile VIII bis XV des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (§§ 531 bis 824) [1]

vom 6. April 1846

Wir Alois Joseph, von Gottes Gnaden souverainer Fürst und Regierer des Hauses von und zu Liechtenstein von Nikolsburg, Herzog von Troppau und Jägerndorf, Graf zu Rietberg, Ritter des goldenen Vliesses, Grosskreuz des königlich Hannoveranischen Guelphen-Ordens etc. etc. etc.

In Erwägung, dass die über das Erbrecht bestehenden Bestimmungen des in allen seinen übrigen Theilen in Unserem Fürstenthume bereits mit dem Patente ddo. Wien den 18. Februar 1812 rezipirten österreichischen allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches der Natur dieser Verhältnisse und der allgemeinen Rechtssicherheit zusagender und vollkommener angemessen sind, haben Wir die bisher in Gesetzeskraft gestandene Erbfolge- und Verlassenschafts-Abhandlungsordnung ddo. Wien den 1. Jänner 1809, vom 1. Jänner 1847 an ausser Wirksamkeit zu setzen beschlossen und verordnen dagegen wie folgt:

§ 1.

Die Hauptstücke VIII bis einschlüssig XV des zweiten Theiles des österreichischen allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches werden hiermit nachträglich rezipirt und haben die darin vorkommenden in den §§ 531 bis inschlüssig 824 enthaltenen Bestimmungen von dem Erbrechte; von der Erklärung des letzten Willens überhaupt und den Testamenten insbesondere; von Nacherben und Fideikomissen [!], von Vermächtnissen; von der Einschränkung und Aufhebung des letzten Willens; von der gesetzlichen Erbfolgem; von dem Pflichttheile und der Anrechnung in den Pflicht- oder Erbtheil; und von der Besitznehmung der Erbschaft vom 1. Jänner 1847 an nebst den im § 2 nachfolgenden einzelnen Paragraphen theils abändernden, theils näher bestimmenden Anordnungen als alleiniges und allgemein verbindliches Gesetz zu gelten, indem alle diesen gesetzlichen Bestimmungen entgegenstehende Gewohnheiten oder älteren Anordnungen hiermit ausdrücklich aufgehoben und ausser Kraft gesetzt werden.

§ 2.

Insbesondere finden Wir zu nachstehenden einzelnen Paragraphen der rezipirten Bestimmungen des österreichischen bürgerlichen Gesetzbuches noch zu verordnen:

a) Zum § 539 – Geistliche Gemeinden können ohne landesfürstliche Bewilligung, deren Mitglieder aber überhaupt weder in einem Testamente zu Erben oder Legataren eingesetzt werden, noch auf einem Pflichttheil oder eine Intestaterbfolge der Verwandten des Professen Anspruch machen; alle Anordnungen zu Gunsten dieser Gemeinden oder ihrer Mitglieder sind ungiltig und wirkungslos, und letztere können für sich nur beim Eintritte in die Gemeinde eine Ausstattung von 1600 fl. R. W. oder ein Vitalitium von 300 fl. R. W. erwerben.

b) Zum § 544 – Das Erbrecht und die Verlassenschaften der unbefugt Ausgewanderten sind nach den Vorschriften des Auswanderungspatentes vom 15. Jänner 1843, §10 c. d. dann §§ 11 bis 15 zu beurtheilen und zu behandeln und werden diese Vorschriften auch rücksichtlich der Deserteure für wirksam erklärt.

c) Der § 591 wird dahin textirt: Die Mitglieder eines geistlichen Ordens, Jünglinge unter achtzehn Jahren, Frauenpersonen, Sinnlose, Blinde, Taube oder Stumme; dann diejenigen, welche die Sprache des Erblassers nicht verstehen, können bei letzten Anordnungen nicht Zeugen seyn.

d) Der § 600 hat zu lauten: Die Militärtestamente geniessen keine Begünstigung, und sind nach den allgemein gültigen Vorschriften zu beurtheilen und zu behandeln.

e) Zum § 601 wird ferner noch bestimmt:

1. Die Befugniss, eine vorhandene letztwillige Anordnung oder Schenkung zu bestreiten, steht nur den gesetzlichen Erben zu; das Oberamt hat daher von Amtswegen nicht weiter einzuschreiten, als damit, soweit unter den gesetzlichen Erben solche Personen sind, denen die Gesetze die eigene Verwaltung ihres Vermögens nicht eingeräumt oder wieder abgenommen haben, ein Vertreter zugegeben, und durch selben allenfalls die Giltigkeit des Testamentes oder der Schenkung im ordentlichen Rechtswege wider die in selbem berufenen Erben oder Beschenkten bestritten werde.

2. Jede dem Oberamte vorgelegte letztwillige Anordnung muss von Amtswegen kundgemacht, und darf sohin nicht von Amtswegen verworfen werden. Die gerichtliche Vernehmung der Testamentszeugen ist nur auf Anlangen der Parteien zu veranlassen; jedoch sind bei mündlichen Testamenten die Zeugen des letzten Willens von Amtswegen vorzuladen, und ist entweder ihre Aufzeichnung abzufordern, oder in deren Ermanglung ihre Angabe des letzten Willens ohne deren Beeidigung zu Protokoll zu nehmen.

f) Zum § 646 wird verordnet: Jede letzte Willenserklärung, wodurch einer Stiftung, Kirche, Schule, geistlichen Gemeinde, öffentlichen Anstalt oder den Armen eine Erbschaft oder ein Vermächtniss zufällt oder wodurch überhaupt eine zur Beförderung frommer oder gemeinnütziger Zwecke dienliche Verfügung getroffen wird, ist von dem Oberamt unter Anschluss einer getreuen Testamentsabschrift der Hofkanzlei anzuzeigen. – Vor gänzlicher Sicherstellung solcher Vermächtnisse darf die Verlassenschaft nicht eingeantwortet werden; doch kann die Ausfertigung der Stiftsbriefe auch nach der Einantwortung erfolgen.

g) Zum § 700 – Dieser findet auf letztwillige Verfügungen keine Anwendung, wodurch der Erblasser seiner Ehegattin den Genuss der ganzen Erbschaft oder eines relativen Theiles derselben, oder endlich eines Legates mit der Beschränkung auf die Dauer ihres Witwenstandes zuwendet, und eben so wenig auf diejenigen, wodurch er auf die gleiche Art für eine dritte Person bis zu dem Zeitpunkte sorgt, wo dieselbe in den ehelichen Stand tritt.

h) Zum § 760 – Die erblosen Verlassenschaften werden von dem Aerar eingezogen.

i) Zum § 761 – Bei der Erbfolge in eine Bauernansässigkeit, wenn der Erblasser diese nicht einem Kinde namentlich zugedacht hätte, ist dieselbe bei der Erbschaftstheilung zwischen zwei oder mehreren Kindern allezeit dem ältesten Sohne, wenn er zur Besorgung der Wirtschaft tauglich ist, sonst aber dem nach dem Alter ihm nächsten, und im Abgange eines Sohnes der ältesten Tochter zuzuwenden.

Sollte der männliche Erbe einer solchen Ansässigkeit ohne letztwillige Verfügung darüber und ohne eheliche Nachkommenschaft sterben, und Geschwister hinterlassen, so hat die Ansässigkeit nach den oben aufgestellten Grundsätzen dem ältesten tauglichen Bruder, sonst aber und in Abgang eines weiteren zur Wirtschaftsführung geeigneten Bruders der ältesten Schwester zuzufallen; vorausgesetzt, dass nicht etwa die Ehegattin des Erblassers durch Ehevertrag zur Nachfolge in der Ansässigkeit berufen wäre.

Im Falle des Ablebens eines im Miteigenthume einer Ansässigkeit bestellt gewesenen Ehegatten haben die Bestimmungen der §§ 4 und 6 des Patentes vom 27. September 1839 einzutreten.

Die Anordnung der angeführten §§ 4 und 6 hat nach demselben Patente § 4 auch in dem Falle Platz zu greifen, wenn aus zwei oder mehreren gemeinschaftlichen Miteigenthümern einer bestifteten Realität einer oder der andere mit Tod abgehen sollte. In solchen Fällen ist aber immer darauf zu sehen, dass die vorhandenen Miteigenthümer den fällig gewordenen Antheil nach einer gerichtlichen Schätzung übernehmen oder ihre Antheile den Erben des fälligen Theiles überlassen.

Für sich bestehende einzelne, sogenannte walzende oder Freigründe können einzeln, jedoch jedes derlei Grundstück für sich ungetheilt, an ein oder den anderen Erben vergeben werden, und der Uebernehmer ist schuldig, die Miterben auf ihr Verlangen nach einer gerichtlichen Schätzung hinauszuzahlen.

Die Verlassenschaften geistlicher Personen sind nach den allgemeinen Bestimmungen zu behandeln.

k) Zum § 763 – Wahlkinder gehören auch unter die Kinder, denen nach § 763 der Pflichttheil gebührt.

i) Zum § 784 – Die Verordnung vom 31. August 1844: dass der Notherbe keinen Anspruch auf verhältnissmässige Antheile an einzelnen, zur Verlassenschaft gehörigen beweglichen und unbeweglichen Sachen, sondern nur auf den nach gerichtlicher Schätzung berechneten Werth seines Erbtheiles habe, bleibt in Wirksamkeit.

§ 3.

Haben Wir unter Einem ein allgemeine Instrukzion über die gerichtliche Behandlung der Verlassenschaften für das Oberamt, so wie, theils zur Beschleunigung der Amtshandlungen, theils um Unseren Unterthanen Kosten zu ersparen, eine Instrukzion für die Ortsvorsteher über einige von ihnen im Namen Unseres Oberamtes zu besorgenden Geschäfte zu erlassen befunden, welche sogleich in Wirksamkeit zu treten haben.

§ 4.

Alle vor dem 1. Jänner 1847 errichteten letztwilligen Anordnungen, so wie alle aus dem Erbrechte entspringenden Privatverhältnisse, wenn sie erst gegenwärtig in Verhandlung kommen, sind, selbst wenn der Tod des Erblassers erst nach dem 1. Jänner 1847 erfolgte, nicht nur in Hinsicht auf die Giltigkeit der äusseren Form, sondern auch in Hinsicht auf ihren Inhalt nach der aufgehobenen, zur Zeit ihrer Errichtung bestandenen Erbfolge- und Verlassenschafts-Ordnung vom 1. Jänner 1809 zu beurtheilen.

§ 5.

Dieses Gesetz ist nach Vorschrift der Verordnung vom 31. März 1844 gehörig kundzumachen, und sind in den zur Publikation abzuhaltenden Gemeindeversammlungen auch die hiemit rezipirten Paragraphe des öterreichischen bürgerlichen Gesetzbuches vollinhaltlich vorzulesen

Gegeben zu Wien am 6. April 1846

Alois

Joseph Freiherr von Buschmann, dirigirender Hofrath

Maximilian Kraupa, Wirtschaftsrath.

Nach Seiner Durchlaucht höchst eigenem Befehle:

Franz Strak, Sekretär

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[1] LI LA Sg RV 1846. Auch abgedruckt in ASW. Kein Originaltitel. Druck. - Erbrechtspatent Nr. 3877. Mit der Verordnung wurde die Erbfolge- und Verlassenschaftsabhandlung vom 1. Januar 1809 aufgehoben.