Eine Deputation der Volkspartei unterbreitet Fürst Johann II. ihre Wünsche zur Verfassungsrevision


Handschriftliche Eingabe, gez. Anton Walser, Arnold Gassner, Johann Beck [1] und Josef Vogt, an Fürst Johann II. [2]

20.6.1919, o.O.

Durchlauchtigster Landesfürst!

Die bevollmächtigte Depatation der liechtensteinischen Volkspartei erlaubt sich Eurer Durchlaucht in nachstehendem die heute schon mündlich vorgetragenen Wünsche und Bitten auch noch schriftlich zu unterbreiten:

  1. Die Depatation stellt zunächst fest, dass die Volkspartei und ihre Führer am Fürstenhause festhalten; die Partei besteht aber unbedingt auf Ausschaltung aller, die guten Beziehungen zwischen Fürst und Volk schädigenden Zwischenglieder.
  2. Wir bitten um eheste Revision der Verfassung in demokratischem Geiste, so dass das Band zwischen Fürst und Volk gerade dadurch inniger, im Sinne eines Volksfürstentumes geschlungen werde.
  3. Wir hegen die Hoffnung, dass die Beamtenstellen, vor allem auch die des Regierungschefs, mit Landesbürgern parlamentarisch besetzt und dass die Gerichts- und Verwaltungsinstanzen ins Land verlegt werden. [3]
  4. Wir wünschen, dass die neue Strömung in gerechtem Verhältnisse zu Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung zugelassen werde. Insbesondere bitten wir um allerhöchste Ernennung des von uns bereits vorgeschlagenen Kandidaten als fürstlichen Abgeordneten. [4]
  5. Die Volkspartei ersucht Eure Durchlaucht, ihre Bestrebungen, den Verkehr und die Schulen zeitgemäss auszubauen, ganz besonders unterstützen zu wollen, damit unsere Arbeiter ihr Brot in der Heimat verdienen können.

Wir geben uns um so mehr der angenehmen Hoffnung hin, dass die angeführten Wünsche und Bitten erfüllt werden, als die Volkspartei die Hälfte des liechtensteinischen Volkes vertritt und eine Monarchie in Zentraleuropa um so sicherer Bestand hat, wenn sie im Sinne der zeitgemässen Postulate der Volkspartei ausgebaut wird und wenn sich die liechtensteinischen Vertreter an der Friedenskonferenz in Paris [5] auf einen modernen Standpunkt stellen können.    

Euer Durchlaucht ganz ergenbste [6]

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[1] Nicht sicher identifiziert, vermutlich Johann Gerold Beck.
[2] LI LA RE 1919/2998 ad 71. Stenographische Bemerkung auf der letzten Seite. Die Eingabe wurde zusammen mit einem Bericht über den Besuch des Fürsten im Lande in den "Oberrheinischen Nachrichten" abgedruckt: ON, Nr. 46, 25.6.1919, S. 1-2 ("Dem Landesfürsten zum Abschied"). Johann II. weilte vom 4.6. bis zum 23.6.1919 in Liechtenstein. Am 18.6. und am 20.6.1919 sprach die Volkspartei mit je einer Delegation beim Fürsten vor. Die Volkspartei war der Auffassung, dass der Landesfürst zu wenig bzw. zu einseitig Aufklärung über die Wünsche des Volkes erhalten habe. Am 20.6.1919 brachte die Deputation der Volkspartei mit dem gegenständlichen Dokument ihre bereits mündlich vorgetragenen Wünsche und Bitten schriftlich vor.
[3] Gegen die Entscheidungen der Regierung stand das Rechtsmittel der Berufung, ab 1871 an die politische Rekursinstanz in Wien, offen. In Justizangelegenheiten fungierte das fürstliche Appellationsgericht in Wien als 2. Instanz und das k.k. Appellationsgericht für Tirol und Vorarlberg in Innsbruck bzw. das spätere Oberlandesgericht ebd. als 3. Instanz (kaiserliche Entschliessung vom 9.12.1817, Hofdekret vom 13.2.1818, JGS Nr. 1418, sowie Art. I des Staatsvertrages vom 19. Januar 1884 bezüglich der Justizverwaltung im Fürstentum Liechtenstein, LGBl. 1884 Nr. 8 bzw. öst. RGBl. 1884 Nr. 124). Die letzte Entscheidung durch das OLG Innsbruck – in einer Strafsache – erging am 26.7.1922.
[4] Dr. Albert Schädler hatte im April 1919 sein Mandat niedergelegt. An seiner Stelle wurde Gustav Schädler (VP) zum fürstlichen Abgeordneten ernannt.
[5] Das Fürstentum Liechtenstein wurde zu den Friedensverhandlungen in den Pariser Vororten nicht zugelassen.
[6] Dorsalvermerk vom 25.6.1919, gez. "FL" (Franz von Liechtenstein?): "Durch die am 20. d.M. stattgehabte Audienz bei Sr. Durchlaucht dem reg. Fürsten erledigt." - Die angestrebte Verfassungsreform entwickelte sich auch nach dem Besuch des Fürsten im Lande vorerst nicht weiter.