Ergänzungen zum Protokoll der "Schlossabmachungen"


Stenographische Notizen, ungez. [1]

o.D. (ca. 16.9.1920)

Ergänzungen zum Protokoll

  1. Kabinettsrat [Josef] Martin setzte ihm [Wilhelm Beck] auseinander, dass der Fürst [Johann II.] und seine Umgebung wenn erst möglich zu einem friedlichen Ausgleiche die Hand bieten wolle. Dr. Beck klärte in verschiedenen Sachen auf, machte auf den Ernst der Situation mit Rücksicht auf die Verschleppungen und unwahren Versprechungen aufmerksam.
  2. Kabinettsrat Martin befrug Dr. Beck, auf welchem Wege man am besten zu einer Verständigung gelangen könne. Dr. Beck schlug nach langem Hin- und Herraten dem Herrn Kabinettsrat Martin vor, dass die Forderung des Volkes nach einer Motion und neuen Verfassung und Verwaltung, wie sie ungefähr die Volkspartei aufgestellt habe, in einer Proklamation des Fürsten an das Volk als fürstlicher Wille zu einer Verständigung kundgetan werde. Einmal würde eine Kundgebung einen vorzüglichen Eindruck nicht nur im Inlande sondern auch im Auslande bewirken und sodann würde vor allem das Liechtensteiner Volk selbst sehen, dass es der alte Fürst mit ihm gut meine und der Kernpunkt des Streites tatsächlich mehr auf einzelnen Persönlichkeiten liege. Kabinettsrat Martin wiederholte mehrmals und eindringlich, dass er nur infolge seines Unfalles nicht im Frühjahr herkommen könne (siehe Beilage) [2], dass er sonst gleich die Sache an die Hand genommen habe. Die Auskostung der Verfassung sei unumgänglich notwendig. Er sagte, man staune in Wien und begreife es heute gar nicht, dass man im September 1918 nicht auf die wenigen gerechten Forderungen eingetreten sei [3] und man habe es selbst verschuldet, wenn heute die Volkspartei und viele andere viel mehr verlangen. Das Volk hätte ganz recht.
    Dr. Beck referierte kurz über die Ziele und Wünsche der Volksbewegung, die vor allem wie bereits erwähnt in der demokratischen Auskostung der Verfassung, Verwaltung und Justiz gipfle; in der Verlegung aller Instanzen ins Land, Unabhängigmachung des Landes von auswärtigen Staaten und Beamten eines fremden Landes. Dr. Beck referierte über die verschiedenen Versprechungen des Prinzen Eduard, des Prinzen Karl, über die Unterhandlungen mit Prinz Johannes, [4] der mit den Milizen [?] später gedroht habe, über die Stellung des Landtagspräsidenten und seine schwankende Haltung, usw. und beleuchtete in diesem Zusammenhang die Stellung zur Peerfrage. Das Volk wolle unter diesen Umständen nichts von Dr. [Josef] Peer wissen und man solle sich im Fürstenhaus darüber klar sein, dass die republikanische Bewegung um sich greife und wenn nur auf diesem Wege weiter gegangen werde, so würden auch jene Leute, die sich bisher als loyal und zurückhaltend gezeigt hatten, in andere Stapfen und das Fürstenhaus in schwierige Bahnen gelenkt werden. Kabinettsrat Martin sagte, im Fürstenhaus und er selbst wisse sehr wohl, dass es höchste Zeit sei einzugreifen, wenns nicht schon zu weit gediehen sei. Man habe unbegreifliche Fehler begangen und diese müssten unter allen Umständen gutgemacht werden.
    Schliesslich ersuchte Kabinettsrat Martin Herrn Dr. Beck, ihm vertraulich und rein persönlich, das heisst nicht so, dass etwa damit die Volkspartei in irgend einer Weise engagiert, einen Entwurf zu einer Proklamation des Fürsten ans Volk zu entwerfen.
    Dr. Beck wies besonders darauf hin, dass er es doch für unmöglich halte, dass Dr. Peer eine so eminente Kraft sei, es gebe ja auch andere Zeugen in der Schweiz, warum sollte nicht von diesen einer beigezogen werden. Dr. Beck machte darauf aufmerksam, dass ein schweizerischer Fachmann als Berater zur liechtensteinischen Regierung beigezogen werden können solle. Kabinettsrat Martin gab zu verstehen, dass der Fürst immer noch an Dr. Peer festhalte und er ersuchte Dr. Beck dem fürstlichen Wunsche nachzukommen, wornach Dr. Beck und Peer miteinander eine unverbindliche Aussprache haben sollen.
  3. Dr. Peer wies beständig und unter theatralischen Gesten, auf seine von ihm in Österreich besitzende Stellung als Richter im Verwaltungsgerichtshof hin. Er sei einer der höchsten Beamten und wolle diese sehr schöne und vornehme Stellung unter keinen Umständen aufgeben, denn es brauche gar viel bis einer Verwaltungsrichter sei. Das wäre schlecht vereinbar mit einer Stelle als Sekretär in Vaduz.
  4. Hierzu ist noch erläuternd hinzuzufügen:
    Sehr stark war er für die Abschaffung der fürstlichen Abgeordneten. Wie die Ernennung von 3 fürstlichen Abgeordneten, könne ja der Volkswille umgangen und die Stimmung im Landtage entsprechend hergestellt werden. Diese Institution passe nicht mehr in die heutige Zeit und sei für Missbräuche sehr geeignet.
    Satisfaktion an die Volkspartei: Es war lange über die schimpfliche Kundmachung in den beiden Landeszeitungen, die mit Zustimmung des Landtagspräsidenten erfolgte, gesprochen und Peer hielt sie geradezu für ungeheuerlich. [5] Es sei klar, dass sich eine Partei ein solches Vorgehen unmöglich könne gefallen lassen und es müsse für die verschiedenen Umgehungen der Volkspartei und ihre Behandlung Genugtuung erteilt werden. Dafür würde er schon sorgen. In der Peerfrage habe man die Partei in verderblicher Weise umgangen; und auch er sei nicht richtig auf dem Laufenden gehalten worden. Das meiste habe er aus den Zeitungen erfahren können. Prinz Eduard habe eben wie schon bemerkt die Sache als bereits erledigt hingestellt, was sich als unrichtig erwies.
    Vertrauenswürdigkeit der Beamten: Als selbstverständlich betrachtet Dr. Peer, dass ein Regierungsmitglied, das das Vertrauen des Landtages nicht mehr besitze, zurücktrete; denn eine solche vertrauensunwürdige Regierung könne auch nicht im Interesse des Volkes weilen.
    Bürgerpartei: Dr. Peer betonte mehrmals, wenn einem der Herrgott gut wolle, so gebe er einem ungeschickt arbeitende Gegner. Die Volkspartei habe Männer, die man sich günstiger nicht wählen könne. Er verurteilt das Vorgehen der Bürgerpartei, die ja auch fortschrittlich sein wolle, im Grunde aber eben eine rückwärtsstrebende Fortschrittspartei sei, das heisst eine reaktionäre Gesellschaft. Die Postulate der Volkspartei anerkannte er immer als zeitgemäss und mässig, und notwendig.
    Zustimmend äusserte sich auch Dr. Peer dazu, dass die gesamte Verwaltung nach den Grundsätzen des Rechtsstaates geführt und unter Kontrolle gestellt werden müsse.
  5. Es wurde immer wiederum betont, dass die Unterhandlung nicht im Sinne der Partei, sondern nur von den 3 persönlich geführt werde. Speziell wies darauf der Herr Obmann [Anton] Walser-Kirchthaler in Vaduz hin.
  6. Man hatte nämlich ausgemacht, dass die Verhandlung vorläufig als strenge vertraulich betrachtet werde; solange bis die 3 Unterhändler nicht erklären können, dass eine Aussicht auf Einigung vorhanden sei, solange solle und werde Gegnern der demokratischen Bewegung nichts gesagt werden.
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[1] LI PA VU, Schlossabmachungen, Nr. 6. Ebd. eine Transkription. Ediert in: Die Schlossabmachungen vom September 1920. Studien und Quellen zur politischen Geschichte des Fürstentums Liechtenstein im frühen 20. Jahrhundert, hrsg. von der Vaterländischen Union, Vaduz 1996, S. 183–186. Das Dokument stammt aus dem Nachlass von Gustav Schädler und wurde von dessen Söhnen dem Parteiarchiv der Vaterländischen Union übergeben. Es handelt sich um Ergänzungen zum Protokoll der Schlossabmachungen (LI PA VU, Schlossabmachungen, Nr. 5).
[2] Beilage fehlt.
[3] Angesprochen ist wohl der Antrag der Landtagsabgeordneten Wilhelm Beck, Albert Wolfinger, Emil Risch und Josef Gassner, wonach die Regierung künftig nur im Einvernehmen mit dem Landtag geführt werden solle (LI LA LTA 1918/L03, Antrag, 24.10.1918).
[4] Prinz Johannes hatte im Mai 1920 in Vaduz mit Vertretern beider Parteien über die Berufung von Josef Peer zum Landesverweser verhandelt, vgl. LI LA SF 01/1920/090, Protokoll der Besprechung vom 21.5.1920; LI LA SF 01/1920/214, Botschaft des Fürsten an die Teilnehmer der Besprechung vom 21.5.1920; LI PA VU, Schlossabmachungen, Nr. 3, Volkspartei an Prinz Johannes, 23.5.1920, ediert in: Schlossabmachungen (wie Anm. 1), S. 165–168.
[5] Angesprochen ist die Reaktion des Fürsten auf die Protestresolution der Volksparteiversammlung vom 18.4.1920 in Triesen, die "feierlichen Protest" gegen die "neuerliche Berufung eines Ausländers als Landesverweser" erhob (LI LA SF 01/1920/072; veröffentlicht in O.N., Nr. 32, 21.4.1920, S. 1 ("Zur Landesverwesermache")). Der Fürst liess, einem Vorschlag von Josef Peer folgend, antworten, er könne die Protestresolution nicht zur Kenntnis nehmen, da diese "befremdend" und ein Eingriff in die fürstlichen Rechte sei (LI LA SF 01/1920/074, Gesandtschaft Wien an Prinz Karl, 27.4.1920; LI LA V 003/1189, Entwurf Peer, 26.4.1920). Prinz Karl teilte dies im Auftrag des Fürsten dem Volksparteiobmann Anton Walser sowie dem Landtagspräsidenten Friedrich Walser mit und liess eine entsprechende amtliche Kundmachung in den Landeszeitungen publizieren (L.Vo., Nr. 35, 1.5.1920, S. 4; O.N., Nr. 35, 1.5.1920, S. 4).