Die „Oberrheinischen Nachrichten“ wenden sich gegen die Bestellung eines Ausländers, namentlich von Josef Peer, zum Landesverweser


Artikel in den „Oberrheinischen Nachrichten" [1]

 

7.4.1920

Liechtenstein – den fremden Beamten

 

Mit Bestimmtheit erfahren wir folgendes: Herr Landtagspräsident Fritz Walser habe sich dahin geäussert, dass man nun in der Person des Herrn Dr. J. [Josef] Peer, früher Rechtsanwalt in Feldkirch [2] und jetzt Richter am Verwaltungsgerichtshof [3] in Wien tätig, demnächst einen Landesverweser gefunden hätte. [4] „Alles" sei, so lautet die Äusserung, mit dieser Nomination einverstanden, bis auf einige Unzufriedene, die die Unordnung wollen.

 

Uns dünkt es eigentümlich, dass man von Schaaner Persönlichkeiten alles zuerst erfahren und dem Volke als Neuigkeit auftischen kann. Bei diesem Umstande haben wir kein Interesse mehr, hinter dem Berge zu halten. Uns ist von einer massgebenden Persönlichkeit über diese Sache folgendes berichtet worden: Der Landesfürst [Johann II.] sei von Dr. [Eugen] Nipp in Vaduz und Dr. [Otto] Walser, Wien, auf die Person des Herrn Dr. Peer als zukünftigen Landesverweser aufmerksam gemacht worden. Auch der Herr Landtagspräsident Walser sei in die Sache eingeweiht worden. Zur Durchführung der Währungsreform, der Verfassung usw. solle Herr Dr. Peer ins Land versetzt und unter irgend einem Titel hier die Geschäfte des Landesverwesers [Prinz Karl], der in Urlaub gehe, besorgen. Vorerst solle Dr. Peer einige Zeit im Lande amten und dann sehe man, wie es mit seiner definitiven Anstellung stehe. Dr. Peer soll zu diesem Zwecke auf 1 Jahr als Richter am Verwaltungsgerichtshof beurlaubt werden. Soviel einstweilen von unsern Kenntnissen.

Das Ganze entpuppt sich wieder einmal als ein Stücklein, das wohl in die Zeiten einer allmächtigen Hofkamarilla passen würde. Also auf Empfehlung einiger hoffähiger Bürgerparteiler [Fortschrittliche Bürgerpartei] sollen wir einen Ausländer als Landesverweser erhalten und dabei werden einige Herren in die Sache eingeweiht und behauptet, „alles" sei einverstanden und das ganze Volk soll Ja und Amen sagen. Es braucht wirklich eine starke Dosis zu diesem Stücklein. Einem Angehörigen der Volkspartei sagt man es im letzten Momente, damit der Schein auch noch gewahrt ist. Unglaublich ist dieses ganze Manöver, ein echtes Stücklein für den Absolutismus und polizeistaatliche Verwaltungskünste. Die Volkspartei scheint manchen Herren nur so Luft zu sein und das muss gut ins Gedächtnis eingeprägt werden. Wir ersuchen die Herren in Wien in unzweideutiger Art und Weise zur Kenntnis zu nehmen, dass wir mit dem Ins-Land-schicken von Regierungsherren nicht mehr einverstanden sind. Wir sind keine Kolonie für Wiener Herren und kein Tummelplatz für Wiener Regierungskünste. Liechtenstein ist lange genug von Ausländern regiert worden – schon mehr als zweihundert Jahre laut der Geschichte. Zur Besetzung der Regierung wird die Volkspartei Stellung nehmen und auch etwas mitzureden haben. Was würden die Feldkircher sagen, wenn wir ihnen den Bürgermeister, die Vorarlberger, wenn wir ihnen den Landeshauptmann stellen würden?

Gegen Herrn Dr. Peer als liebenswürdigen Gesellschafter und gescheiten Mann schreiben wir nicht und wir möchten nicht am geringsten persönlich werden. Gekämpft wird aber gegen das System, gegen das Überwuchern des Ausländertums in unserm Beamtenwesen. Bei dieser Gelegenheit fragen wir an, wann und wo denn der Justizvertrag mit Deutschösterreich abgeschlossen und in Gesetzesform – denn nur an Gesetze ist der Bürger in diesen Sachen gebunden – kund gemacht worden ist. [5] Ohne Gesetze auch kein Gericht und schon gar nicht ein mehrheitlich mit Ausländern besetztes Gericht. Wo wird in dieser Sache Ordnung geschaffen?

Ist es bei diesen und ähnlichen Erscheinungen ein Wunder, dass die Unzufriedenheit und das Misstrauen wächst und jeder politische Glaube im Volke untergaben wird? Die an der gegenwärtigen Regierung nicht beteiligte Volkspartei hat keine Verantwortung nach irgend einer Richtung zu tragen. Wie stellt sich nun diese Regierung zu obigem Falle?

Wir ersuchen nun zu diesem neuesten Fall in der liechtenstein. Verfassungskrise um vollen und klaren Aufschluss. Wir glauben annehmen zu dürfen, dass man sich in Vaduz und Wien über die Stimmung in der Volkspartei nicht dem leisesten Zweifel hingeben darf.

Liechtenstein den Liechtensteinern! [6]

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[1] O.N., Nr. 28, 7.4.1920, S. 1. Verfasser des Artikels ist vermutlich Wilhelm Beck.
[2] 1894 Eröffnung einer Rechtsanwaltskanzlei in Feldkirch.
[3] 1917 Bestellung zum Richter am österreichischen Verwaltungsgerichtshof.
[4] Am 1.4.1920 hatte Prinz Eduard in Vaduz Sondierungsgespräche hinsichtlich der Ernennung von Josef Peer zum liechtensteinischen Landesverweser geführt. Vgl. hiezu das Schreiben von Prinz Eduard an Landesverweser Prinz Karl vom 6.4.1920 (LI LA SF 01/1920/062).
[5] Am 19.1.1884 hatte Österreich mit Liechtenstein einen Staatsvertrag über die Justizverwaltung im Fürstentum abgeschlossen (LGBl. 1884 Nr. 8). Die Weitergeltung dieses Vertrages nach dem 1. Weltkrieg war jedoch problematisch, da sich Deutschösterreich bzw. die Republik Österreich mit Ausnahme der im Staatsvertrag von Saint-Germain-en-Laye vom 10.9.1919 übernommenen Verpflichtungen nicht als Rechtsnachfolgerin der österreichischen Monarchie betrachtete. Grundsätzlich sei Österreich als neue juristische Person durch Verträge, welche die österreichische Monarchie mit anderen Staaten abgeschlossen habe, nicht gebunden. Trotzdem habe Österreich zunächst diejenigen Verträge, welche das juristische Gebiet betreffen, weiter eingehalten. Aus prinzipiellen Gründen wünschte sich Österreich aber, diese Verträge neu abzuschliessen bzw. durch Notenaustausch zu erneuern (Zirkularnote des österreichischen Bundesministeriums vom 6.9.1921 u.a. an die liechtensteinische Gesandtschaft in Wien (LI LA V 003/0353)). Die liechtensteinische Regierung ersuchte die Gesandtschaft am 7.10.1921 dahin zu wirken, dass Bestand des Justizvertrages von 1884 seitens Österreichs stillschweigend „noch kürzere Zeit (einige Monate)" anerkannt werde. Eine diesbezügliche Note der liechtensteinischen Gesandtschaft erging am 18.10.1921 an das österreichische Aussenministerium (LI LA ebd.). Eine entsprechende Kundmachung im liechtensteinischen Landesgesetzblatt bzw. im österreichischen Bundesgesetzblatt erfolgte nicht.
[6] Eine Replik zu diesem Artikel findet sich in L.Vo., Nr. 29, 10.4.1920, S. 1 („Zur Landesverweser-Frage").