Das „Liechtensteiner Volksblatt“ streicht die Eignung von Josef Peer für das Amt des Landesverwesers heraus


Artikel im „Liechtensteiner Volksblatt" [1]

10.4.1920

Zur Landesverweser-Frage

Der Schriftleiter [Wilhelm Beck] der „O.N." fand es für geraten, eine Sache, die ihm vorläufig im Vertrauen von einer „massgebenden Persönlichkeit" mitgeteilt wurde, in die Öffentlichkeit zu bringen, wohl bevor diese Sache spruchreif war. Es ist die Landesverweser-Frage. [2] In Anbetracht der Wichtigkeit der Frage und in der Erwägung, dass uns jetzt weniger als je Streit nottut, sondern Taten, sind wir nicht Willens, auf den vom Zaune gebrochenen Streit einzugehen, sondern fühlen uns den Mitbürgern zu folgenden aufklärenden Feststellungen verpflichtet:

Nach Erkundigungen, die wir eingezogen, ist die Behauptung unwahr, dass Präsident [Fritz] Walser erklärt habe, „alles" sei einverstanden bis auf einige Unzufriedene. Wahr ist allerdings, dass die gesamte Bürgerpartei und ein Grossteil der Volkspartei (von letzterer auch Delegierte!) der Ansicht sind, dass wir gegenwärtig keinen Liechtensteiner haben, der als Nachfolger des jetzigen Herrn Landesverwesers Prinz Karl in Betracht kommen könnte und dem Herrn [Josef] Peer ebenbürtig wäre. Es freut uns, konstatieren zu können, dass auch Herr Dr. Beck in seinem geharnischten Artikel gegen die Person des Herrn Dr. Peer nichts vorbringen kann. Es scheint mehr auf eine „Freundlichkeit" gegen diejenigen hinauszulaufen, die Herrn Dr. Peer beim Fürsten [Johann II.] vorgeschlagen haben. Wer Herrn Dr. Peer vorgeschlagen hat, ist aber unserer Meinung nach doch Nebensache. Die Hauptsache ist, dass der Nachfolger unseres verehrten jetzigen Hrn. Landesverwesers ebenfalls ein tüchtiger Mann ist. Dass dies Herr Dr. Peer ist, wird niemand in Abrede stellen. Denn der Namen Dr. Peer hatte im ganzen Lande schon längst einen guten Klang, war auch hochangesehen in Vorarlberg. Dr. Peer ist unserem Ländchen längst freundlich gesinnt, ist in Liechtenstein aufgewachsen [3] (als der Sohn eines Zolleinnehmers) und kennt unsere Verhältnisse sehr gut. Er hatte auch Gelegenheit, sich als Bürgermeister von Feldkirch [4] im Verwaltungsdienst zu bewähren. Wir sind überzeugt, dass Herr Dr. Peer als Landesverweser den Anschauungen und Gefühlen der Liechtensteiner und des Fürstenhauses stets unparteiisch Rechnung tragen würde. Das ganze Land könnte es nur begrüssen, in der Person Dr. Peer’s einen des jetzigen Landesverwesers würdigen Nachfolger zu erhalten.

Als die Frage der Nachfolgerschaft des Hrn. Landesverwesers in Wien zur Sprache kam, teilte Dr. [Eugen] Nipp aufgrund von Informationen und Anregungen vonseiten des Herrn Landtagspräsidenten Walser S. Durchlaucht dem regierenden Fürsten und auch S. Durchlaucht Prinz Franz senior mit, dass unter obwaltenden Umständen als Nachfolger des jetzigen Herrn Landesverwesers Herr Dr. Peer zu empfehlen wäre. In Vaduz ersuchte Dr. Nipp dann, dass Herr Peer vorerst als Vertreter in der Valutaregulierung, der Verfassungs- und Steuerreform nach Vaduz käme, um dann später die Nachfolgerschaft S. Durchlaucht des Prinzen Karl anzutreten.

Wir hielten es für angezeigt, eine vorläufige Vertrauenssache auch als solche zu behandeln, um dann, wenn die Sache spruchreif wäre, die Mitbürger aufzuklären.

Herr Dr. Peer möge sich nicht abhalten lassen, durch Auslassungen, die ja nicht gegen seine Person gerichtet sind, seine bewährten Kräfte in den Dienst des Landes und des Fürsten zu stellen. Der Grossteil der Liechtensteiner wird ihm dankbar sein. [5]

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[1] L.Vo., Nr. 29, 10.4.1920, S. 1. Der Artikel wurde vermutlich von Eugen Nipp verfasst. Es handelt sich um eine Replik zu einem Artikel in den „Oberrheinischen Nachrichten": O.N., Nr. 28, 7.4.1920, S. 1 („Liechtenstein – den fremden Beamten").
[2] Am 1.4.1920 fanden Sondierungsgespräche in Vaduz betreffend die die Bestellung von Peer zum liechtensteinischen Landesverweser statt (vgl. das Schreiben von Prinz Eduard an Landesverweser Prinz Karl vom 6.4.1920 (LI LA SF 01/1920/062)). Auch Wilhelm Beck war daran beteiligt.
[3] Sein Vater gleichen Namens war 1870 als österreichischer Zollwachebeamter nach Schaan versetzt worden, wo Josef Peer jun. bis 1874 die Volksschule besuchte.
[4] 1901-1909.
[5] Vgl. weiters O.N., Nr. 30, 14.4.1920, S. 1-2 („Zur Landesverweser-Frage") und L.Vo., Nr. 31, 17.4.1920, S. 1-2 („Liechtenstein den Demagogen?").