Die Christlich-soziale Volkspartei erlässt eine Entschliessung in der Peer- bzw. Landesverweserfrage


Maschinenschriftliche Erklärung der Christlich-sozialen Volkspartei zuhanden des Fürsten Johann II. und der Regierung, nicht gez. [1]

25.4.1920, Vaduz

Entschliessung.

Nach Anhörung von Referaten und gewalteter Diskussion über die Landesverweserfrage [2] beschliessen die heute am 25. IV. 1920 in Vaduz, Triesenberg & Balzers versammelten Bürger:

1./ Der Protestresolution der Versammlung in Triesen vom 18. IV. 20 [3] und dem Protesttelegramm [4] an Se. Durchlaucht den Landesfürsten wird vollinhaltlich zugestimmt und gleichzeitig die bestimmte Erwartung ausgesprochen, dass auch ein Inländer als Regierungschef bestellt werde. 

2./ Die Versammlung erklärt unzweideutig und feierlichst, dass sie nur mehr einer aus einheimischen Bürgern bestellten kollegial. Regierung anerkennen und ihr Vertrauen entgegen bringen kann. Wir versammelte Bürger halten unser Volk fähig, das Land zum Einverständnis mit dem Fürsten zu regieren. 

3./ Die versammelten Bürger erklären in gleicher Weise, dass sie einer solchen Regierung ihre volle Unterstützung zur Stützung und Wahrung der Autorität angedeihen lassen werden. Wir protestieren gegen den Vorwurf, dass wir keine Autorität anerkennen und keine Ordnung wollen.

4./ Diese Entschliessung ist zur Kenntnis des Landesfürsten und der jetzigen Regierung zu bringen. 

5./ Die Gegenpartei [5] wird eingeladen, Inländer als Kandidaten für den Posten der Gesamtregierung zu nominieren und die Bestellung der Regierung nach Aussprache mit der Volkspartei gemeinsam zu veranlassen. Die versammelten Bürger sind der Überzeugung, dass bei gegenseitig gutem Willen eine das gemeinsame Vertrauen des Volkes besitzende Regierung aus Inländern bestellt werden kann. [6]

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[1] LI LA SF 01/1920/072. Die Entschliessung sowie die Triesner Protestresolution vom 18.4.1920 wurde der Regierung von Anton Walser-Kirchthaler, dem Obmann der Volkspartei, mit Schreiben vom 26.4.1920 übermittelt (LI LA SF 01/1920/072). Der Text der Entschliessung bzw. der Entschliessungen wurde publiziert in O.N., Nr. 34, 28.4.1920, S. 2 („Keine Furcht, aber fester Wille").
[2] Das Fürstenhaus und die Fortschrittliche Bürgerpartei betrieben die Bestellung von Josef Peer, seit 1917 Richter am österreichischen Verwaltungsgerichtshof, zum liechtensteinischen Landesverweser. Vgl. die diesbezüglichen Sondierungsgespräche von Prinz Eduard in Vaduz am 1.4.1920 (Schreiben von Prinz Eduard an Landesverweser Prinz Karl vom 6.4.1920 (LI LA SF 01/1920/062). Aufgrund einer Indiskretion wurde dieser Plan publik und es entbrannte ein heftiger Streit zwischen den Parteien bzw. zwischen den Landeszeitungen: z.B. O.N., Nr. 28, 7.4.1920, S. 1 („Liechtenstein – den fremden Beamten") oder L.Vo., Nr. 29, 10.4.1920, S. 1 („Zur Landesverweser-Frage"). Am 11.4.1920 sprach die Fortschrittliche Bürgerpartei Josef Peer als etwaigem zukünftigen Landesverweser das volle Vertrauen aus (LI LA SF 01/1920/068).
[3] LI LA SF 01/1920/072.
[4] Telegramm bzw. Depesche von Anton Walser-Kirchthaler, Obmann der Volkspartei, an Fürst Johann II. in Feldsberg vom 26.4.1920, wonach die versammelten Bürger aus Vaduz, Triesenberg und Balzers ebenso wie die Triesner feierlich gegen die Besetzung der Regierung durch Ausländer protestierten (LI LA V 003/1190 (Aktenzeichen 353/2)).
[5] Fortschrittliche Bürgerpartei.
[6] Zum weiteren Verlauf der Angelegenheit siehe die Kundmachung der Regierung vom 30.4.1920 (LI LA SF 01/1920/074): Dieser zufolge sah sich Fürst Johann II. nicht in der Lage, dem obgenannten, von Anton Walser-Kirchthaler unterzeichneten Telegramm sowie der in Triesen am 18.4.1920 beschlossenen Protestresolution weiter einzutreten, da sich diese inhaltlich als Versuch eines Eingriffes in das dem Fürsten nach § 27 der Verfassung vom 26.9.1862 zustehende Recht der Ernennung der Staatsdiener erweise. Weiters wurde auf das durch die nach den §§ 20 und 42 der Verfassung gewährleistete Petitionsrecht an den Landtag hingewiesen.