Fürst Johann II. ruft das Landtagspräsidium und die liechtensteinischen Parteien dazu auf, in der Landesverweserfrage zum Wohl des Vaterlandes zusammenzustehen


Botschaft von Fürst Johann II. an die Teilnehmer der Konferenz vom 21.5.1920, verlesen von Prinz Johannes [1] 

o.D. (vor dem 21.5.1920), vermutlich Wien 

Hochverehrtes Landtagspräsidium, meine sehr geehrten Herren!

Zu den Sorgen um das Wohl seines Landes, welche das Herz unseres hochverehrten Landesfürsten beständig erfüllen, hat sich in letzter Zeit auch noch die betrübende Kunde gestellt, dass gerade jetzt, wo zur Beseitigung der schweren Schäden, unter denen das Land leidet und zur Anbahnung einer besseren, glücklichen Zukunft mehr denn je ein einmütiges Zusammenarbeiten Aller zu gebieterischer Notwendigkeit geworden ist, Uneinigkeit und Zwietracht im Lande die Oberhand zu gewinnen und eine Lösung der grossen und lebenswichtigen, vor uns stehenden Aufgeben in bedenklichen Masse zu erschweren, wenn nicht zu verhindern drohen.

Seine Durchlaucht, mein hochverehrter Herr Oheim, hat mich daher beauftragt, als sein persönlicher Abgesandter mit der besonderen Aufgabe vor Ihnen zu erscheinen, Sie vor allem zu bitten, nur das Wohl Ihres Landes im Auge zu behalten und in diesen schweren Zeiten alles auszuschalten, was einem gedeihlichen Zusammenarbeiten zur Lösung der Ihrer harrenden Aufgaben hinderlich sein könnte.

Als unerlässliche Voraussetzung für ein einmütiges Zusammenarbeiten erscheint vor allem volle Klarheit über die zu ihrer Erreichung in Anwendung zu bringenden Mittel.

Das Ziel liegt uns Allen klar vor Augen: Es handelt sich darum, möglichst bald und dauernd der schweren Not zu steuern, die das Land in allen Belangen seines wirtschaftlichen Lebens bedrückt.

Nicht im gleichen Masse scheint Klarheit im Lande zu walten über die zur Erreichung dieses Zieles einzuschlagenden Wege und wenn auch Seine Durchlaucht, unser allverehrter Fürst, voll davon überzeugt ist, dass beide Parteien [2] im Lande vom besten Willen beseelt sind, dem Wohle des Landes dienen, so ist doch betrüblicherweise die Tatsache in Erscheinung getreten, dass die Ansichten über die hiezu in Anwendung zu bringenden Mittel derzeit noch weit auseinanderzugehen scheinen und dass insbesondere ebenso schwere wie bedauerliche Missverständnisse in Bezug auf dasjenige vorwalten, was Seine Durchlaucht, der regierende Fürst zur Erreichung der anstehenden Ziele vorzukehren beabsichtigt hat.

Zum Teil mögen diese Missverständnisse wohl darauf zurückzuführen sein, dass die Absichten Seiner Durchlaucht des Fürsten im Einzelnen dem Lande bisher noch nicht in einer jeden Zweifel und jedes Missverständnis ausschliessenden Weise zur Kenntnis gebracht wurden.

Im Interesse einer gedeihlichen Lösung der beiden dringendsten, gegenwärtig das Volk beschäftigenden Fragen, jener der Verfassungsreform und der Regelung der Valuta, hielt es seine Durchlaucht für angezeigt, seiner Regierung provisorisch die Mitwirkung einer wertvollen Kraft zu sichern, die Seine Durchlaucht in der Person des Hofrates Dr. Josef Peer gefunden zu haben glaubt, eines Mannes, der zufolge seiner Abstammung, Erziehung und langjährigen Beschäftigung im Nachbarlande auch mit den Verhältnissen im Fürstentume vertraut ist und andererseits durch sein späteres Wirken am Verwaltungsgerichtshofe Gelegenheit hatte, seine Kenntnisse auf dem Gebiete des Verfassungs- und Verwaltungsrechte zu erweitern und zu vertiefen. 

Dr. Peer wäre dazu ausersehen, bei Lösung der schwebenden Fragen nach besten Kräften erspriesslich mitzuwirken und - seinem Range entsprechend - bei der Beurlaubung oder sonstiger Abwesenheit Seiner Durchlaucht des Landesverwesers [Prinz Karl] diesen zu vertreten. [3]

Ich ersuche Sie nun, meine sehr geehrten Herren, nur die hohen Interessen des Landes ins Auge fassend, Zwietracht und Streit in diesen Zeiten der Not und Gefahr aus dem politischen Leben möglichst auszuschalten und in alter Alemanentreue zum Wohle des Vaterlandes zusammenzustehen als

ein einig Volk von Brüdern!

Sehr geehrte Herren! Ich gewärtige Ihre Antwort auf diese Botschaft unseres allgeliebten Landesherrn und glaube jetzt schon der Erwartung Ausdruck geben zu dürfen, dass sie geeignet sein wird die schweren Sorgen um das Gedeihen und die Zukunft seines vielgeliebten Landes und Volkes, die gegenwärtig unserem durchlauchtigsten Landesfürsten bedrücken, zu zerstreuen!

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[1] LI LA SF 01/1920/214 (VII). Prinz Johannes wurde von Fürst Johann II. am 18.5.1920 „in bestimmter Mission" nach Vaduz entsandt: Er wurde ermächtigt, in der Angelegenheit der Berufung von Josef Peer in die Regierung und der Beilegung der damit im Zusammenhang stehenden Differenzen die ihm zweckdienlichen Verfügungen und zwar „als im höchsten Auftrage des Fürsten" zu veranlassen (Schreiben des Fürsten an Prinz Johannes sowie Schreiben der Kabinettskanzlei an die Regierung vom 18.5.1920 (LI LA SF 01/1920/088, Aktenzeichen 385)). Am 21.5.1920 kamen dann auf Einladung von Prinz Johannes die massgebenden liechtensteinischen Politiker in Vaduz zu einer Besprechung in der Peerfrage zusammen. Vor der eigentlichen Aussprache wurde die vorliegende Botschaft verlesen (vgl. die diesbezügliche Niederschrift von Regierungssekretär Josef Ospelt (LI LA SF 01/1920/090)).
[2] Fortschrittliche Bürgerpartei und Christlich-soziale Volkspartei.
[3] Am 18.5.1920 war Josef Peer von Fürst Johann II. für die Dauer der Beurlaubung von Prinz Karl mit der Stellvertretung in den Funktionen eines Landesverwesers betraut worden (Schreiben von Fürst Johann II. an Landesverweser Prinz Karl (LI LA SF 01/1920/214 (III)). Die Ernennung wurde jedoch vorerst nicht wirksam. Gemäss Schreiben der Kabinettskanzlei an Landesverweser Prinz Karl vom 10.6.1920 hatte bis auf weiteres der „vorläufig von diesem seinen Posten noch nicht zu enthebende Regierungssekretär Josef Ospelt" die Regierungsgeschäfte zu besorgen; gleichzeitig wurde Landesverweser Prinz Karl beurlaubt (LI LA SF 01/1920/093).