Die Schweiz teilt die Bedingungen für die Versorgung Liechtensteins mit Lebensmitteln mit


Maschinenschriftliches Schreiben des eidgenössischen Ernährungsamtes, gez. Direktor Eduard von Goumoëns, an Major Emil Stingelin, schweizerischer Kommissär zur Versorgung Vorarlbergs und Liechtensteins, in Bregenz [1]

3.1.1919, Bern

Untenstehend finden Sie die Bedingungen, unter denen wir vorläufig eine Versorgungs-Aktion für das Fürstentum Lichtenstein durchführen können. Wir senden Ihnen diese Zustellung in 3 Exemplaren mit unserer Unterschrift. 1 Exemplar ist uns mit ausdrücklicher Annahmebestätigung der zuständigen Behörde des Fürstentums Lichtensteins zu retournieren; eines ist für Sie und eines für Lichtenstein bestimmt.

Betrifft Hülfsaktion für Lichtenstein [2]

  1. Die Schweiz ist durch die Entente ermächtigt worden, bis auf weiteres dem Fürstentum Lichtenstein mit Lebensmittel auszuhelfen, unter der Bedingung, dass diese Waren im Lande Lichtenstein [3] consumiert werden. Der schweiz. Bundesrat hat hierzu diese Zustimmung erklärt. [4]
  2. Die Schweiz liefert bis auf Weiteres:
    Mehl entsprechend der Schweiz Mittelration [5]
    Reis entsprechend der Schweiz Mittelration [6]
    Fett auf Basis von 350 gr. per Monat (Butter und Fett darf keinenfalls zusammen 500 gr. per Monat überschreiten)
    Andere Waren nach Convenienz. (Chokolade, Julienne etc.)
    Diese Waren werden nach Schaan instradiert und dort abgenommen.
  3. Das Quantum wird auf Basis von 8400 Einwohnern berechnet davon 2400 Selbstversorger. Die Schweiz behält sich die sofortige Revisionsaufnahme der Bevölkerungszahl und der Eigenproduktion vor. Keinesfalls dürfen die in Vorarlberg [7] zur Verteilung kommenden Lebensmittel höhere Rationen ergeben als in der Schweiz oder ohne ausdrückliche Bewilligung aus dem Lande Lichtenstein exportiert werden.
  4. Die Schweiz wird den ganzen diese Lieferungen betreffenden Verkehr durch ihren Kommissär für die Verpflegung von Vorarlberg und Lichtenstein vermitteln, welcher gegenüber dem Landesrat [8] in jeder Beziehung als einzig competenter Vertreter der Schweiz funktioniert.
    Der Schweiz. Kommissär ist dem Eidg. Ernährungsamt unterstellt.
  5. Die Lieferungen erfolgen nach Möglichkeit derart, dass das Fürstentum Lichtenstein stets für mindestens 8 Tage im Voraus mit denen von der Schweiz zu liefernden Lebensmitteln versehen ist. Die Versorgung wird gegen Mitte Januar beginnen.
  6. Die Preise für die Lebensmittel berechnet die Schweiz auf Basis ihrer letzten Einheitspreisen ohne Gewinn, ohne Verlust franko Schweizergrenze. Keinesfalls können billigere Preise als in der Schweiz selbst zur Anwendung kommen.
  7. Die Bezahlung erfolgt bei convenierender Qualität durch Waren (Holz, Heu etc.), welche zu denen in der Schweiz geltenden Preise franko Schweizergrenze übernommen wird, oder aber durch Geld, woraus der schweizerische Kommissär seiner Regierung Spezialabkommen vorlegen wird.
    Die Bezahlung ist nach Präsentierung der Faktura fällig.
    Der schweizerische Kommissär wird zur Deckung der Verwaltungskosten 2 % Kommission auf den Schweizer-Fakturen in Rechnung stellen. Was davon nicht verwendet werden muss, wird bei der Schlussabrechnung rückerstattet.
  8. Der schweizerische Bundesrat ist jederzeit und ohne Grundangabe berechtigt, die Lebensmittellieferung ganz einzustellen oder zu reduzieren.
    Ersteres würde besonders erfolgen:
    a) falls im Fürstentum Lichtenstein Unruhen ausbrechen.
    b) wenn von den durch die Schweiz gelieferten Waren aus dem Fürstentum Lichtenstein weiter spediert werden.
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[1] LI LA SF 13/1919/0144 ad 1. Kürzel: M/K. Eingangsstempel der Regierung vom 9.1.1919. Auf der Rückseite des Schreibens maschinenschriftlicher Vermerk von Landesverweser Prinz Karl von Liechtenstein vom 24.1.1919: "Die hiernach zu treffenden Vorkehrungen in der Landesnotstandskommission beschlossen, und den Vertrag in den Zeitungen veröffentlicht. Je eine Abschrift des Vertrages ist für den Ernährungskommissär [Franz Josef] Schlegel und für den h.ä. [hierämtlichen] Handgebrauch anzufertigen." Stingelin legte der Regierung den Vertrag am 9.1.1919 zur Unterzeichnung vor (LI LA RE 1919/ad 270, Bericht Prinz Karl an Johann II., o.D.). Zur Sitzung der Landesnotstandskommission vgl. L.Vo., Nr. 6, 22.1.1919, S. 1 ("Über die Sitzung der Landesnotstandskommission"); O.N., Nr. 4, 25.1.1919, S. 2 ("Landesnotstandskommission"). Der Vertrag wurde veröffentlicht in L.Vo., Nr. 4, 15.1.1919, S. 1, und O.N., Nr. 3, 18.1.1919, S. 2 ("Bedingungen des Eidgenössischen Ernährungsamtes über die Belieferung des Fürstentums mit Lebensmitteln"). David Strub fertigte am 27.1.1919 Abschriften des Dokuments an.
[2] Die Bedingungen entsprechen den für Vorarlberg festgesetzten Bedingungen.
[3] Handschriftlich (wohl durch den Absender) korrigiert aus: Vorarlberg.
[4] DDS, Bd. 7a., Nr. 18.
[5] Handschriftlich (wohl durch eine liechtensteinische Stelle) ergänzt: "200gr".
[6] Handschriftlich (wohl durch eine liechtensteinische Stelle) ergänzt: "30gr".
[7] Handschriftlich (wohl durch eine liechtensteinische Stelle) "in Vorarlberg" in Klammern gesetzt und am Rand angemerkt: "Liechtenstein".
[8] Handschriftlich (wohl durch eine liechtensteinische Stelle) "dem Landesrat" in Klammern gesetzt und am Randangemerkt: "die Regierung".