Das Schweizerische Politische Departement hat "grosse Bedenken" gegen die Übernahme der liechtensteinischen Interessenvertretung in Prag in den Angelegenheiten der tschechoslowakischen Bodenreform


Maschinenschriftliche Abschrift eines Schreibens des liechtensteinischen Geschäftsträgers in Bern, Emil Beck, nicht gez., an den Leiter der fürstlichen Kabinettskanzlei in Wien, Josef Martin [1]

4.4.1921, Bern

Interessenvertretung in Prag

Hochgeehrter Herr Kabinettsrat!

Ich besitze Ihr Schreiben vom 14. März betr. die Übernahme der Vertretung der Interessen Seiner Durchlaucht des regierenden Fürsten [Johann II.] und Seiner Durchlaucht des Prinzen Alois [von Liechtenstein] bei der bevorstehenden Bodenreform in der Tschechoslowakei durch die Schweiz [2] und bestätige mein Telegramm vom 18. März lautend: "[Gerold F.] Déteindre [3] nach Prag zurückgekehrt. Übernahme der Vertretung wahrscheinlich. Instruktionen Regierung fehlen". [4]

Sofort nach Empfang Ihres Schreibens suchte ich mich, mit Konsul Déteindre in Verbindung zu setzen, um mit ihm die event. Übernahme der Interessenvertretung im einzelnen zu besprechen. Wie ich dann erfuhr, war Herr Déteindre bereits wieder nach Prag zurückgereist. Herr Déteindre ist, wie es scheint, selbst Grundbesitzer in der Tschechoslowakei und wird die Interessen der schweizerischen Grundbesitzer selbst vertreten.

Meine Anfrage, ob das Politische Departement zur Übernahme dieser speziellen Interessenvertretung in Prag bereit sei, schien dem Vertreter des Departements, Herrn Dr. [Peter Anton] Feldscher unbedenklich zu sein. Er behielt jedoch den definitiven Entscheid dem Abteilungschef [5], Herrn Minister [Paul] Dinichert, vor. Dieser hatte nun allerdings grosse Bedenken, die Interessenvertretung nur für diesen besonderen Fall zu übernehmen. Die Schweiz habe bisher die Übernahme der Vertretung eines Staates gegenüber einem andern für einen besonderen Fall regelmässig abgelehnt. Eine solche spezielle Vertretung sei unter Staaten überhaupt nicht üblich, es müsste daher mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass die tschechoslowakische Regierung eine solche Vertretung ungern sehen würde.

Etwas anderes wäre es hingegen, wenn dem Politischen Departement die allgemeine und regelmässige Vertretung in der Tschechoslowakei, wie in andern Ländern, übertragen würde. Nachdem die Schweiz die Vertretung in allen anderen Ländern, wo das Fürstentum keine eigene Vertretung besitzt, übernommen hat, könnte dieses Vorgehen keine Bedenken erwecken. Allerdings wäre es dem Departement für diesen Fall erwünscht zu erfahren, aus welchen Gründen die seinerzeit in Aussicht genommene eigene Vertretung in Prag [6] unterblieben ist, damit nicht der schweizerischen Regierung aus diesen Gründen Schwierigkeiten erwachsen. [7]

Das Politische Departement wäre bereit, die Anfrage bei der tschechoslowakischen Regierung sofort zu besorgen. Der Vertretung der Interessen Seiner Durchlaucht des regierenden Fürsten und Seiner Durchlaucht des Prinzen Alois würde dann kein Hindernis mehr entgegenstehen.

Ich gewärtige gerne Ihre baldige Mitteilungen im Gegenstand und verbleibe mit dem Ausdruck besonderer Hochachtung. [8]

Der fürstliche Geschäftsträger

P.S. Eine frühere Berichterstattung war leider nicht möglich, weil der letzte Kurier ausgefallen ist und ich dieses Schreiben nicht der Post übergeben wollte.

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[1] LI LA V 002/0048 (Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern: 371/21). Stempel der Gesandtschaft vom 5.4.1921. Bezugnahme auf das Aktenzeichen Präs. 84/4 [richtig: 48/4] der fürstlichen Kabinettskanzlei in Wien.
[2] Vgl. das "streng vertrauliche" Schreiben der fürstlichen Kabinettskanzlei in Wien an den liechtensteinischen Geschäftsträger in Bern, Emil Beck, vom 14.3.1921 (LI LA V 002/0048 (Aktenzeichen der Kabinettskanzlei: Präs. 48/4)). Darin erhielt Beck den Auftrag, bei der Schweizer Regierung die Interessenvertretung für Fürst Johann II. und Prinz Alois durch das Schweizer Generalkonsulat in Prag in den Angelegenheiten der tschechoslowakischen Bodenreform zu erreichen. Vgl. die diesbezügliche Note der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern an das Schweizerische Politische Departement vom 22.3.1921 (LI LA V 002/0048 (Aktenzeichen der Berner Gesandtschaft: 312/21)).
[3] 1921-1927 Schweizer Honorar-Generalkonsul in Prag.
[4] Kopie des Telegrammes unter LI LA V 002/0048 (Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern: 290/21).
[5] Abteilung für Auswärtiges im Politischen Departement.
[6] Vgl. hiezu etwa den Bericht des liechtensteinischen Gesandten in Wien, Prinz Eduard von Liechtenstein, vom 14.5.1919 über diesbezügliche Verhandlungen mit tschechoslowakischen Regierungsstellen (LI LA V 003/0043/06 (Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien: 8/2)); ferner den Bericht von Prinz Eduard zuhanden von Landesverweser Prinz Karl von Liechtenstein vom 10.10.1919 betreffend diesbezügliche Verhandlungen mit dem tschechoslowakischen Aussenminister Edvard Beneš (LI LA RE 1919/0105; LI LA V 003/0065)).
[7] Vgl. hiezu das Schreiben von Prinz Eduard an die liechtensteinische Regierung vom 30./31.10.1919 (LI LA RE 1919/5402 ad 0589 (Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien: 397/2)): Demnach war nach Erachten von Prinz Eduard die Schaffung einer liechtensteinischen Gesandtschaft in Prag ohne Einfluss der französischen Regierung kaum durchführbar. Das Haupthindernis sah Prinz Eduard in einer ausserordentlich starken Gegenströmung in der tschechoslowakischen sozialdemokratischen Partei.
[8] Mit Schreiben vom 14.4.1921 ersuchte der fürstliche Kabinettsdirektor Josef Martin im Auftrag des Fürsten die liechtensteinische Regierung darum, Geschäftsträger Beck in Bern unverzüglich anzuweisen, die schweizerische Regierung zu ersuchen, die allgemeine und regelmässige Vertretung der liechtensteinischen Interessen in der Tschechoslowakei – so wie auch in anderen Ländern – übernehmen zu wollen. Fürst Johann II. habe wohl anfangs in einzelnen Staaten eine eigene liechtensteinische Vertretung ins Auge gefasst, habe sich aber später, und zwar der eigenen Überzeugung folgend und dem Wunsche des Landes Rechnung tragend, entschlossen, überall eine Vertretung des Fürstentums durch die Schweiz anzustreben. Aus diesem Grunde sei auch die Frage der seinerzeit in Aussicht genommenen eigenen Vertretung in Prag nicht zur Erledigung gelangt (LI LA V 002/0048 (Aktenzeichen der fürstlichen Kabinettskanzlei: Präs. Nr. 104)). Vgl. weiters die diesbezügliche Note der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern an das Politische Departement vom 20.4.1921 (LI LA V 002/0048 (Aktenzeichen der Berner Gesandtschaft: 473/21)).