Verordnung betr. die Amtsgewalt des Regierungsamtes und der Vorsteher


Verordnung
[betr. die Amtsgewalt des fürstlichen Regierungsamtes und der Vorsteher bei der Vollstreckung von Verfügungen oder Erkenntnissen]
[1]

vom 9. Dezember 1858

Mit Hinweisung auf das höchste Patent vom 29. August 1832 haben Se. Durchlaucht bezüglich der Amtsgewalt des fürstl. Regierungsamtes in Vollstreckung von Verfügungen oder Erkenntnissen, und in Wahrung des Amtsansehens folgend Weiteres zu verordnen gefunden:

§ 1

Die im Artikel 8 und den folgenden des obigen Patents zur Eintreibung von Schuldigkeiten bewilligte summarische Execution wird auch auf die liquiden Bezüge der von der Staatsverwaltung auf Kosten der Gemeinden angestellten Gemeindebeamten, Beiträge für Kirchen, Pfarren und Schulen, Schul- und Armenfondsgelder u. d. gl. ausgedehnt, und sind diese Leistungen über Anordnung der Behörde durch deren eigene Organe, oder in ihrem Namen und Auftrage durch die Organe der Gemeinden einzuheben. Dasselbe gilt von den bisher der Einbringung im politischen Wege zugewiesenen Naturalleistungen für Kirchen, Pfarren und Schulen insoweit das Bezugsrecht unbestritten oder im Falle der Bestreitung der Berechtigte im Besitze geschützt ist.

§ 2

Geldleistungen, welche nach dem Gesetze oder nach einem von dem Regierungsamte genehmigten Gemeindebeschlusse zu einem Gemeindezwecke statt zu finden haben und nicht in Steuern bestehen, sind nach fruchtloser mit Freilassung eines Termines  von 8 Tagen gemachter Einmahnung ebenfalls im summarischen Executionszuge derart einzutreiben, dass durch die Gemeindevorsteher die Pfändung und nöthigen Falls die Tansferirung von beweglichen Gütern bis zur Deckung des Rückstandes und der Executionskosten, und nach fruchtlosem Verlauf von weiteren 8 Tagen mit amtlicher Bewilligung die öffentliche Feilbietung der gepfändeten und geschätzten Gegenstände vorgenommen werde.

Reichen die Kräfte und Mittel der Gemeinde-Vorstände zur Durchführung der Execution nicht aus, so steht ihnen zu, sich um Beistandsleistung an das Regierungsamt zu wenden.

§ 3

Wenn das Gesetz, die Anordnung des fürstlichen Regierungsamtes, eine zu Recht bestehende Übung oder der von dem Regierungsamte genehmigte Beschluss einer Gemeinde die Verpflichtung zu einer Arbeits- oder Naturalleistung ausspricht und dieser Verpflichtung über Aufforderung der mit der Vollziehung beauftragten Behörde oder Gemeindevorsteher entweder gar nicht oder nicht vollständig oder nicht zur gehörigen Zeit nachgekommen wird, so ist die mangelnde Leistung auf Gefahr und Kosten der Verpflichteten bewerkstelligen zu lassen und der gemachte Aufwand, ohne dass gegen den von der Behörde richtig zustellenden Betrag der Aufrechnung eine Einwendung zulässig ist, von den Säumigen nach dem § 2 dieser Verordnung enthaltenen Bestimmungen einzubringen.

§ 4

Ist eine Leistung in der Art erforderlich, dass sie wegen Gefahr am Verzuge oder wegen ihrer eigenthümlichen Beschaffenheit durch dritte Personen, wenn auch auf Kosten der Verpflichteten, sich nicht bewerkstelligen lässt, so sind die Verpflichteten unmittelbar zur Leistung zu verhalten.

§ 5

Ist im Wirkungskreise des Regierungsamtes ein Verbot erlassen worden, solches mag sich auf eine einzelne Handlung oder auf eine bestimmte Gattung von Handlungen beziehen, so sind zur Durchsetzung dieser Vorschrift unmittelbar gegen diejenigen, welche das Verbot zu übertreten suchen oder in dessen Nichtbeachtung verharren, die zum Zwecke führenden Vollzugs- und Executionsmittel in Anwendung zu bringen und die für den Fall der Übertretung oder Widersetzlichkeit bestimmte oder in Ermanglung einer ausdrücklichen besondern Strafsanktion die im nachfolgenden § 9 festgesetzte Strafe zu verhängen.

Übertretungen oder Ausserachtlassungen solcher Verbote unterliegen, wenn dafür nicht ausdrücklich eine besondere Strafsanktion festgesetzt ist, der im § 9 bestimmten Strafe.

§ 6

Bei Vollziehung der erlassenen regierungsämtlichen Anordnungen und Verbote und bei den eingeleiteten Executionsführungen ist das Regierungsamt ermächtiget, seinen Anordnungen durch Aufbietung der Militärassistenz zureichenden Nachdruck zu geben.

§ 7

Die landesfürstlichen Behörden sind berechtiget, die in dem Amtsgebiete befindlichen Personen, deren Erscheinen in einer Amtshandlung nöthig ist, vorzuladen.

In den Fällen, in welchen es nicht zulässig ist, dass Vorgeladene sich durch einen beglaubigten Bevollmächtigten vertreten lassen, ist in der Vorladung ausdrücklich zu bemerken, dass das persönliche Erscheinen erforderlich sei.

Wer nicht durch Krankheit, Gebrechlichkeit oder sonstige gegründete Hindernisse vom Erscheinen abgehalten zu sein nachweiset, hat die Verpflichtung der Vorladung Folge zu leisten und die verlangten Auskünfte zu geben.

Erscheint ein Vorgeladener nicht, so wird er in der Regel neuerlich durch das Regierungsamt vorgeladen, unter Androhung einer Geldbusse von Einem bis einschliesslich zwanzig Gulden R. W. und der Erlassung oder Erwirkung eines Vorführungsbefehls für den Fall der Nichterscheinung. Bleibt der Vorgeladene ungeachtet der nachgewiesenen Vorladung ohne gültige Entschuldigungs-Ursache vorzubringen, dennoch aus, so kann wider ihn die Geldbusse verhängt und erforderlichen Falls der Vorführungsbefehl ausgefertiget werden.

Ausnahmsweise kann in dringenden Fällen schon in der ersten Vorladung unter ausdrücklicher Hinweisung auf die Dringlichkeit des Erscheinens die sonstige Erlassung eines Vorführungsbefehls in Aussicht gestellt werden, wonach es gestattet ist, die Vorführung gleich nach dem ersten, nicht durch gültige Entschuldigungsgründe gerechtfertigten Ausbleiben eines Vorgeladenen zu veranlassen. Ist die Vorladung durch das Regierungsamt erfolgt, so wird der Vorführungsbefehl von ihm selbst ausgefertiget. Die anderweitigen fürstlichen Ämter, so wie die Gemeindevorsteher aber haben die Erlassung eines Vorführungsbefehls gegen einen von ihnen fruchtlos Vorgeladenen unter Nachweisung der Nothwendigkeit des Erscheinens und der gehörig geschehenen Vorladung bei dem Regierungsamte nachzusuchen.

Der Vorführungsbefehl wird entweder durch einen Polizeisoldaten oder nöthigen Falls durch Militärassistenz vollstreckt.

Durch vorstehende Bestimmungen werden die sonstigen Folgen, welche nach dem Gesetze mit dem Nichterscheinen der Vorgeladenen verbunden sind, nicht aufgehoben, es mag die Vorladung der betreffenden Person entweder unmittelbar zugekommen oder durch Einschaltung in öffentliche Blätter oder Anschlag an öffentlichen Orten erfolgt sein. Ebenso werden dadurch jene Fälle nicht berührt, wo Jemand nach gesetzlicher Vorschrift ohne Vorladung sogleich vor eine Behörde zu stellen oder festzunehmen ist.

§ 8

Die Gemeindevorsteher haben bei Vermeidung der in den bestehenden Vorschriften angedrohten nachtheiligen Folgen den an sie ergehenden Aufträgen der Landesbehörden pünktlich und genau nachzukommen und vor denselben, wenn sie vorgerufen werden, zu erscheinen.

Diese Behörden haben ihrerseits die Gemeinde-Vorsteher in der Durchführung der von ihnen in Vollziehung bestehender Gesetze oder besonderer Aufträge der Behörden getroffenen Verfügungen mit allem Nachdrucke zu unterstützen.

§ 9

Jedes polizeiwidrige Verhalten an öffentlichen Versammlungsorten, namentlich in Ballsälen, Theatern, Wirths- und Kaffeehäusern, Postwagen u. d. g., wodurch die Ordnung und der Anstand verletzt, das Vergnügen des Publicums gestört oder sonst Ärgerniss gegeben wird, ferner jede demonstrative Handlung, wodurch Gehässigkeit gegen die Regierung oder Geringschätzung ihrer Anordnungen ausgedrückt werden soll, wird unvorgreiflich der etwa eintretenden strafgerichtlichen Behandlung mit einer Ordnungsbusse von Einem bis einschliesslich Vierzig Gulden R. W. oder von sechsstündiger bis zehntägiger  Anhaltung geahndet, je nachdem die eine oder die andere Busse nach Umständen angemessener oder wirksamer erscheint.

Bei den im § 15 des Strafgesetzes II. Thls. erwähnten Personen, jedoch nur dann, wenn sie ihren guten Ruf  schon verloren haben, unter den dort bestimmten Beschränkungen, kann statt der Anhaltung oder in Verschärfung derselben auch körperliche Züchtigung in Anwendung kommen.

In Hinsicht der zu verhängenden Strafe ist jedoch von dem Grundsatze auszugehen, dass die Strafe nie höher als der kleinste Grad jener Strafe zu bemessen sei, welche nach dem allgemeinen Strafgesetze hätte verhängt werden müssen, wenn die in Frage stehende Handlung die Eigenschaft einer Übertretung im Sinne des Strafgesetzbuches gehabt hätte.

Hiedurch wird der Art. Siebentens des Pat[ents] vom 29. Aug. 1832 aufgehoben.

§ 10

So wie den politischen und polizeilichen Organen unter strenger Vorantwortlichkeit  in ämtlichen Verkehre mit Jedermann ein anständiges Benehmen zur Pflicht gemacht ist, ebenso ist auch denselben bei ihren Amtshandlungen von Jedermann mit Achtung zu begegnen.

Wer sich daher

a)         gegen einen Beamten in Ausübung gesetzlicher Amtshandlungen oder gegen Wachen und obrigkeitliche Diener, welche an öffentlichen Orten oder in Privatwohnungen ämtliche Aufträge zu vollziehen haben, ungestüm und beleidigend benimmt, und ungeachtet vorausgegangener Ermahnung in einem, den ämtlichen Charakter verletzenden Betragen beharrt, wer sich

b)         gegen einen Gemeindevorsteher bei Vollziehung eines Auftrages, welcher ihm nach dem Gesetze oder Kraft einer besondern Weisung einer Behörde zu vollziehen obliegt, beharrlich ein ungestümes und beleidigendes Verfahren zu Schulden kommen lässt, oder wer

c)         in einer von ihm selbst oder über seinen Auftrag von einem dritten verfassten Eingabe an eine Behörde sich einer dieselbe beleidigende Schreibart bedient oder eine solche Eingabe für einen Dritten verfasst, verfällt der im § 9 festgesetzten Strafbehandlung.

§ 11

Der Tathbestand ist auf die möglichst einfache Art zu erheben.

In Fällen des § 10 litt. a) und b) kann die mit Berufung auf den Diensteid abgegebene Äusserung des Beamten oder Dieners sowie die gleichartige Aussage des Gemeindevorstehers, insoferne dieselbe nicht durch irgend einen Umstand zweifelhaft gemacht wird, zum rechtlichen Beweise als hinreichend angesehen werden.

§ 12

Die Handhabung der Strafgewalt bezüglich der im § 9 und 10 bezeichneten Handlungen steht dem Regierungsamte zu, welches auch das Straferkenntnis zu schöpfen hat.

Ist die Beleidigung in einer schriftlichen Eingabe geschehen und gegen die Behörde im Ganzen oder gegen die Person des Vorstehers gerichtet, so ist der Gegenstand zur weiteren Verfügung der fürstl. Hofkanzlei anzuzeigen.

§ 13

Beschwerden gegen die in Gemässheit dieser Verordnung erlassenen Verfügungen oder Disziplinar-Erkenntnisse sind an die fürstliche Hofkanzlei zu richten.

Eine solche Berufung hat jedoch in Fällen des § 10 a, falls nicht durch das Regierungsamt auf die Strafe körperlicher Züchtigung erkannt worden ist, keine die Vollstreckung der Verfügung oder des Erkenntnisses hemmende Kraft und bildet für die höhere Behörde nur insoweit einen Gegenstand der Verhandlung, als jeder Beamte für die Gesetzmässigkeit seiner Amtshandlungen verantwortlich ist.

Gegen Straferkenntnisse, die in den Fällen des § 9, so wie nach § 10 lit. b und c gefällt werden, oder wobei in den Fällen des § 10 lit. a auf körperliche Züchtigung erkannt worden ist, findet die Berufung an die höhere Stelle und zwar mit aufschiebender Wirkung statt, jedoch muss dieselbe binnen 3 Tagen angemeldet und binnen der folgenden acht Tage bei dem Regierungsamte eingereicht werden, was das Regierungsamt in seinem Straferkenntnisse ausdrücklich zu bedeuten hat.

Wien, am 9. Dezember 1858

Franz Zimerman, dirigirender Hofrath

L. S.

Von der hochfürstlichen Hofkanzlei

Rudolph Nechansky, Justizrath

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[1] LI LA SgRV 1858/02. Druck. Registraturvermekr: Nr.10073