Kaiserliche Empfehlung auf dem Reichstag betreffend die Aufnahme des Hauses Liechtenstein in den Reichsfürstenrat.


Littera D1.[1]

Kayserliches commissionsdecret.

Die römisch kayserliche mayestät[2], unser allergnädigster herr, seynd von dero kayserlichen geheimben rath und obrist hoffmeistern, auch rittern des Guldenen Fluses[3], der herrn fürsten / Anton Florian von Lichtenstein[4], fürstlichen gnaden, allerunterthänigst erbetten worden, und haben sich nicht nur in ansehen ihres nunmehro bey 100 jahren her in dem reichsfürstenstand erhobenen uhralten hauses und desselben bey dem Teutschen Kayserthumb[5], dem Heiligen Römischen Reich[6], und ihrer kayserlichen mayestät hochlöblichen ertzhaus[7] erworbener manigfäl-tiger und stadlicher verdienste, sondern auch in allergnädigster beherzigung seiner fürstlichen gnaden aigener dero in Gott ruhenden herren vatters[8] und herren bruders[9] kayserlichen mayestät, mayestät, hochseelig gedächtnus, wie auch ermelten Römischen Reich geleister hochansehent-licher dienste ruhmwürdigst vertrettener, fürnehmbster pottschafften, commissionen und grossen verrichtungen, in sonderheit aber ihrer kayserlichen mayestät eigener allerhöchsten persohn von jugend an als dero obrist hoffmeister in allen bedienungen, schwären reysen, feldzügen und anderen / zum gemeinen bessten angediehenen bemühungen, erwisenen ohnermüdten eyffers und angewendeter ungemeiner vernunfft und treue, allergnädigst bewegen lassen, seine fürstliche gnaden zu erlangung sitz und stimme in dem Reichsfürstenrath[10] für sich und dero erben und übriges haus allen vorschub zu thuen, mehr allerhöchst ernandt ihrer kayserlichen mayestät würckhlicher geheimber rath, und bey noch fürwehrender allgemeiner reichsversamblung gevollmächtigter höchst ansehentlicher principal commissarius[11], der hochwürdigst, hochgebohrne fürst und herr, herr Johann Philipp, der heyligen Römischen Kürchen titel Sancti Sylvestri[12] priester, cardinal von Lamberg[13], Germaniæ protector[14], bischoff und des Heyligen Römischen Reichs fürst zu Passau[15], etc., habendem alhiesigen hochlöblichen Reichsdirectorio[16] solche anzeüge, sovil förder und nachdruckhsamber thuen wollen, damit dasselbe solch seiner fürstlichen gnaden angelegenheit / den anwesenden der churfürsten, fürsten und stände fürtrefflichen räthen, pottschafften und gesandten auf gewöhnliche weise vorstellen und benebens seines vermögenden orths alle beytragen möge, damit ob angeführte hoche und beständige verdienste in billichmässige betrachtung gezogen, mithin hoch ernant seine fürstliche gnaden sambt dero erben und haus in dem Reichsfürstenrath würckhlich eingenohmen und darinen zu ihren sitz und stimme umb so ungehinderter angewisen werden mögen, als dieselbe all dasjenige worzu sich andere kayserliche obrist hoffmeister in gleichen fählen erkläret und verbunden haben, ebenfahls erbiethen, und wollen höchst ernant ihro hochfürstliche eminenz solches mehr wohlbesagtem Reichsdirectorio angelegensten fleißes in fürstlich genaigten willen recomendirt haben, womit sie demselben ohne das wohlbeygethan verbleiben.

Signatum[17] Regenspurg[18], den 19. April 1712.

L.S.[19] Johann Philipp etc., cardinal von Lamberg, bischoff und fürst zu Passau.

 


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[1]Beilage (Urkunde) D1.

[2]Karl VI. Franz Josef Wenzel Balthasar Johann Anton Ignaz aus dem Haus Habsburg (1. Oktober 1685–20. Oktober 1740) war von 1711 bis 1740 Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, Erzherzog von Österreich sowie Souverän der übrigen habsburgischen Erblande. Als Karl III. (ungarisch III. Károly) war er König von Ungarn und Kroatien, als Karl II. (tschechisch Karel II.) König von Böhmen, als Karl III. (spanisch Carlos III.) designierter König von Spanien sowie durch den Frieden von Utrecht von 1713 bis 1720 als Karl III. (italienisch Carlo III.) auch König von Sardinien. Vgl. Max Braubach, Karl VI.; in: Neue Deutsche Biographie (NDB) 11 (1977), S. 211–218.

[3]Der Orden vom Goldenen Vlies (Flüss) ist ein von Herzog Philipp III. von Burgund 1430 begründeter Ritterorden.

[4] Anton Florian von Liechtenstein (1656–1721) regierte als 5. Fürst von 1718 bis 1721. Vgl. Evelin Oberhammer, Anton Florian; in: NDB 14 (1985), S. 511–512; Gustav Wilhelm, Stammtafel des Fürstlichen Hauses von und zu Liechtenstein, Vaduz 1985, Tafel 6;Constant von Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich, Bd. 15, Leon – Lomeni, L. C. Zamarski, Wien 1866, S. 118–119 und Stammtafel II.

[5]Identisch mit dem Heiligen Römischen Reich ohne Reichsitalien.

[6] Heiliges Römisches Reich war die offizielle Bezeichnung für den kaiserlichen Herrschaftsbereich vom Mittelalter bis zum Jahre 1806. Der Name des Reiches leitet sich vom Anspruch der mittelalterlichen Herrscher ab, die Tradition des antiken Römischen Reiches fortzusetzen und die Herrschaft als Gottes Heiligen Willen im christlichen Sinne zu legitimieren. Zur Unterscheidung vom 1871 gegründeten Deutschen Reich wird es auch als das Alte Reich bezeichnet. Vgl. Klaus Herbers, Helmut Neuhaus, Das Heilige Römische Reich – Schauplätze einer tausendjährigen Geschichte (843–1806). Böhlau-Verlag, Köln-Weimar 2005.

[7]Haus Habsburg.

[8]Leopold I. (9. Juni 16405. Mai 1705) aus dem Hause Habsburg, war von 1658 bis 1705 Kaiser des Heiligen Römischen Reichs sowie König von Ungarn (ab 1655), Böhmen (ab 1656), Kroatien und Slawonien (ab 1657). Vgl. Kerry R. J. Tattersall, Leopold I., Wien 2003.

[9]Joseph I. (1678–1711) aus dem Hause Habsburg war von 1705 bis 1711 Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, König von Böhmen, Kroatien und Ungarn. Vgl. Charles W. Ingrao, Josef I.. Styria, Graz 1982.

[10] Der Reichsfürstenrat war seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bis zum Ende des Heiligen Römischen Reichs 1806 die Bezeichnung für das Kollegium der geistlichen und weltlichen Reichsfürsten auf dem Reichstag. Vgl. Axel Gotthard, Das Alte Reich. 1495–1806. 4. durchgesehene und bibliographisch ergänzte Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2009, S. 21–22.

[11]Ein Prinzipalkommissar war der offiziell beauftragte Vertreter des Kaisers auf den Reichstagen und anderen Versammlungen des Heiligen Römischen Reichs. Vgl. Barbara Stollberg-Rilinger, Des Kaisers alte Kleider: Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des Alten Reichs, München 2012, S.255.

[12] San Silvestro in Capite in Rom (I).

[13]Johann Philipp Graf von Lamberg (16511712) war Kardinal und ab 1699 kaiserlicher Prinzipalkommissar. Vgl. Franz Niedermayer, Johann Philipp von Lamberg, Fürstbischof von Passau (1651–1712), Reich, Landesfürstentum und Kirche im Zeitalter des Barock, Passau 1938.

[14]Germaniæ protector“: Beschützer der deutschsprachigen Länder des Heiligen Römischen Reichs.

[15]Passau, Stadt und geistliches Reichsterritorium (D).

[16]Das Reichsdirektorium unterstand dem Erzbischof von Mainz und leitete die Sitzungen des Reichstags im Heiligen Römischen Reich.

[17]Unterzeichnet.

[18]Regensburg, Stadt (D).

[19]Loco Sigilli: Ort des Siegels.