Die liechtensteinische Textilindustrie ersucht die Regierung um Unterstützung bei der Kohlenversorgung aus dem Ausland


Handschriftliches Schreiben der Firma Jenny Spoerry & Cie an die Regierung [1]

27.10.1919, Vaduz

An hohe Fürstlich Liechtenstein'sche Regierung, Vaduz

Nach langer Zeit Stillstand unserer Betriebe infolge des Krieges beabsichtigen Weberei Mühleholz [2] u. wir die Arbeit wieder aufzunehmen, um den Arbeitern jenen Verdienst zu ermöglichen, dass sie imstande sind, ihre in dieser furchtbar schweren Zeit so teueren Lebensmitteln zu beschaffen u. sich ernähren zu können.

Rohstoffe wären erhältlich u. ein Teil davon bereits eingetroffen.

Der Winter steht vor der Tür u. damit auch die Beheizungsfrage. Kohle muss von auswärts bezogen werden u. die Industrie ist ohne Beihilfe der hohen Regierung ausserstande, Kohle zu beschaffen.

Hier ist notwendig, dass beide Teile sich unterstützen u. die hohe Regierung wird dasselbe Interesse an der Arbeit der unvermögenden Klasse bekunden wie die Firmen selbst.

Wir gestatten uns gerne, auf unsere persönliche Aussprache Bezug zu nehmen u. bitten die hohe Regierung raschestens bei jener Stelle, welche uns Kohle liefern könnte, die Bedingungen zum baldigen Bezuge einholen zu wollen, um urteilen zu können, ob das Land u. die Industrie imstande ist, diese erfüllen zu können.

Sollten diese Bedingungen zu hart sein, wäre wohl die Schliessung sämtlicher Betriebe von selbst gegeben, ebenso damit jene Lieferung unserer fertigen Produkte in Bekleidungsstoffen an die Bevölkerung des Landes.

Wir bitten eine hohe Regierung, den Ernst dieser Angelegenheit zu bemessen u. eine wohlwollende Mithilfe uns zu gewähren.

Nötig ist zu wissen der Preis der Kohle, die Marke, ob unten angeführtes Quantum erhältlich, in welcher Währung die Regulierung erfolgen muss u. ob rasch ein Teil geliefert werden kann. [3]

Kohlen-Quantum:
Weberei Mühleholz, 8 Wagon
Jenny Spörry u. Cie Vaduz, Triesen 40 Wagon

Hochachtungsvoll

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[1] LI LA RE 1919/5304 ad 3800. Eingangsstempel der Regierung vom 28.10.1919. Abschrift des Dokumentes unter LI LA V 003/0763 (Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien: Blge Z. 430/1). Gemäss Aktenvermerk von Landesverweser Prinz Karl von Liechtenstein vom 31.10.1919 wurde der Fabrikdirektor von Jenny, Spoerry & Cie, Armin Arbenz, eingeladen, ehestens schriftliche Vorschläge für die von den Fabriken zu leistenden Kompensationen zu erstatten (LI LA RE 1919/5304 ad 3800).  – Zur Problematik der Kohlenversorgung des Fürstentums vgl. etwa auch das Schreiben der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien an den deutschen Geschäftsträger in Wien, Wilhelm von Stolberg-Wernigerode, vom 14.8.1919 (LI LA V 003/0638 (Aktenzeichen der Gesandtschaft: 225/2)). 
[2] Es handelte sich um den Betrieb der Firma Adolf Schwab in der Nachfolge der im Januar 1918 gelöschten Firma der Gebrüder Rosenthal AG. 1923 wurde auch dieser Betrieb aufgelöst.
[3] Armin Arbenz liess die Regierung am 3.11.1919 wissen, dass Jenny, Spoerry & Cie als Kompensationsobjekt für die benötigte Kohle Baumwolltücher verschiedenster Qualität offeriere. Der Preis betrage 14 Schweizerfranken per Kilogramm ab der Bahnstation Schaan-Vaduz und man sei eventuell auch einverstanden, die Kohle gleichfalls in Franken zu verrechnen. Die Kohlennot sei gross und der ganze Kompensationsverkehr nützte nur dann etwas, wenn ca. 10 Waggons Kohle spätestens bis zum Neujahr 1920 einträfen. Die weiteren 30 Waggons könnten dann auf die Monate Januar bis September 1920 verteilt werden (LI LA RE 1919/5425 ad 3800). Eine diesbezügliche Mitteilung seitens der Regierung am 6.11.1919 erging als Grundlage für die Weiterführung der Verhandlungen über den Kohlenbezug an die liechtensteinische Gesandtschaft in Wien (ebd. revers). Mit Schreiben an die Gesandtschaft vom 9.11.1919 erklärte die Regierung die Kohlenbezüge für die öffentlichen Gebäude wie für die hiesigen Fabriken als sehr dringlich, da beiden Seiten die Gefahr drohe, dass der Betrieb in Bälde eingestellt werden müsse, was die schwersten Folgen haben könnte. Es solle daher alles getan werden, um die eheste Kohlenlieferung zu erreichen und zwar 10 Waggons für die öffentlichen Gebäude und mindestens 10 Waggons als erste Rate für die Fabriken (LI LA RE 1919/5967 ad 3800). Die Deutsche Viehverkehrsgesellschaft für Böhmen in Prag teilte dem Kohleninspektorat in Karlsbad mit Schreiben vom 15.11.1919 mit, dass aufgrund des Erlasses des tschechoslowakischen Landwirtschaftsministeriums vom 14.11. aus der Kohlenkompensation für Vorarlberg 10 Waggons für das Fürstentum Liechtenstein disponiert worden seien. Das Kohleninspektorat wurde ersucht, die Sendung an das liechtensteinische Ernährungsamt zu "intradieren" (Abschrift vom 15.11.1919 zuhanden der liechtensteinischen Gesandtschaft unter LI LA V 003/0763 (Aktenzeichen der Gesandtschaft: 430/2)). Vgl. auch das Schreiben des Kohlengrosshändlers Gustav Steiner in Prag an den liechtensteinischen Gesandten Prinz Eduard von Liechtenstein vom 28.11.1919 in der Sache (ebd. (Aktenzeichen der Gesandtschaft: 430/5)). Das "Liechtensteiner Volksblatt" meldete am 6.2.1920, dass kürzlich Kohle und Hafer in Liechtenstein angelangt und grössere Mengen im Anrollen seien. "Die Tätigkeit der Wiener Gesandtschaft war also von Erfolg gekrönt" (L.Vo., Nr. 11, 6.2.1920, S. 2 ("Kohle und Hafer")).