Der Gewerkschaftsverband der deutschösterreichischen Postangestellten wendet sich neuerlich mit einer Streikdrohung an die liechtensteinische Regierung


Handschriftliche Eingabe der Ortsgruppe Feldkirch des Gewerkschaftsverbandes der Postangestellten Deutschösterreichs, gez. Obmann Basil Büchel, an die liechtensteinische Regierung [1] 

14.5.1920, Feldkirch

An die hohe fürstlich liechtensteinische Regierung in Vaduz

Entschliessung

Da der morgige Tag, der 15. Mai 20, als der Richtag unserer, vom 3 Mai 1920, gestellten Forderungen [2] zu gelten hat, wurden von Seite der Postangestellten Liechtensteins folgende Beschlüsse gefasst.

1.) Die Angestelltenschaft bleibt auf den am 3. Mai 1920 gefassten Beschlüsse wegen Gewährung von Frankenzulagen vollkommen bestehen und erklärt sich, falls dieselben nicht vollwertig bewilligt werden, ab 15. März 1920 [3] abends 6 Uhr als im Streike befindlich. [4]

2.) Nimmt die Regierung Anstoss an einer weiteren Auszahlung der Kronengehälter, werden sich die Postangestellten Liechtensteins, im Wege der Postgewerkschaft, für bereit finden, in dieser Angelegenheit, mit der fstl. Regierung in Verhandlungen zu treten. Jedoch wird bemerkt, dass diese Angelegenheit die Frankenzulage in keiner Weise berühren darf.

Falls es durch eine Nichtbewilligung unserer Forderungen (15. Mai 1920) zum Streike kommt, wird die Angelegenheit erst als geregelt angesehen bezw. die Arbeit wieder aufgenommenen wenn 1.) sämmtliche Forderungen vollwertig bewilligt sind. 2.) Wenn von Seite der fürstlichen Regierung die schriftliche Erklärung gegeben wird, dass während und nach dem Streike keine wie immer geartete Massregelung, sei es welcher Art es wolle, gegen die Postangestellten in Liechtenstein vorgenommen werde. [5]

Jedwede schriftlich gehaltenen Antworten sind zu richten an einen der Postbeamten in Vaduz. [6]

Für die Postangestellten Liechtensteins

Obmann der Postgewerkschaft Feldkirch

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[1] LI LA SF 03/1920/2239 ad 2078. Stempel der Ortsgruppe Feldkirch des Gewerkschaftsverbandes der Postangestellten Deutschösterreichs. Eingangsstempel der Regierung vom 15.5.1920. Vermerk von Regierungssekretär Josef Ospelt vom 15.5.1920, wonach sich die Angelegenheit mit Zl. 2230 20 erledige (vgl. LI LA SF 03/1920/2230 ad 2078).
[2] Vgl. die Eingabe der Ortsgruppe Feldkirch des genannten Gewerkschaftsverbandes an die liechtensteinische Regierung vom 4.5.1920 (LI LA SF 03/1920/2078).
[3] Hier müsste es 15. Mai 1920 heissen.
[4] Am Abend des 15.5.1920 (Samstag) erklärte sich die Gewerkschaft mit Telegramm an die Regierung „als im Streike befindlich" (LI LA SF 03/1920/2250 ad 2078).
[5] Nachdem die Postangestellten am Vormittag des 17.5.1920 (Montag) ihre Bereitwilligkeit zur sofortigen Wiederaufnahme des Dienstes erklärt hatten, sah die Regierung bzw. Landesverweser Prinz Karl von Liechtenstein gemäss Kundmachung vom 18.5. „für diesmal unter strenger Verwarnung der Beteiligten“ von einer weiteren Verfolgung der Angelegenheit ab. Ähnliche Vorkommnisse dürften sich aber unter keinen Umständen wiederholen. „Künftighin würde gegen streikende Postbedienstete unnachsichtlich mit sofortiger Dienstentlassung vorgegangen“ (LI LA SF 03/1920/2250 ad 2078).
[6] In der öffentlichen Sitzung vom 22.5.1920 beschloss der Landtag u.a. die Auszahlung der Gehälter der Postbediensteten durch die Landeskasse in Franken und gleichzeitig deren Gleichstellung mit den liechtensteinischen Beamten und Amtsdienern. Die Anweisung der Kronenbezüge durch die Postdirektion Innsbruck war hingegen einzustellen (Schreiben des Landtagspräsidiums an die Regierung vom 22.5.1920 unter LI LA SF 03/1920/2487 ad 2078 (Aktenzeichen: Z. 23/Landtag); LI LA LTA 1920/S04). Vgl. auch: Die Postgewerkschaft. Fachblatt des Gewerkschaftsverbandes der Postangestellten Deutschösterreichs, Doppelfolge 13/14, 15.7.1920, S. 5 („Streik der Post- und Telegraphenbediensteten im Fürstentum Liechtenstein“). Zu letzterem Zeitungsartikel siehe das kritische Schreiben der liechtensteinischen Regierung an die Postdirektion in Innsbruck vom 11.8.1920 (LI LA SF 03/1920/3666 ad 2087).