Eduard von Liechtenstein drängt Landesverweser Karl von Liechtenstein, dass die Regierung beim Fürsten die Niederschlagung des Strafverfahrens gegen Andreas Vogt wegen dessen Ausruf "Nieder die Regierung, hoch die Republik" beantragen soll


Maschinenschriftlicher Bericht des Gesandten in Wien, Eduard von Liechtenstein, gez. ders., an Landesverweser Karl von Liechtenstein [1]

28.2.1920, Wien

Euere Durchlaucht!

Anlässlich ihrer Anwesenheit in Wien kamen die Herren Dr. [Wilhelm] Beck und Dr. [Martin] Ritter mehrfach auf die zwischen Euer Durchlaucht und mir bereits in Vaduz besprochene Angelegenheit des [Andreas] Vogt in Balzers zurück, gegen den wegen des Aufrufes "Hoch die Republik" die Anklage erhoben worden ist. Sie wiesen nachdrücklichst darauf hin, dass es bei der gegenwärtigen Stimmung der Bevölkerung einen ausserordentlich ungünstigen Eindruck machen würde, wenn Vogt wegen einer Äusserung, die allgemein nicht als Ausfluss einer revolutionären Gesinnung, sondern lediglich als eine in der Erregung gefallene Unbedachtsamkeit aufgefasst wird, unter Anklage eines Verbrechens vor Gericht käme. Sie fürchten, dass dies nicht nur eine grosse Erbitterung hervorrufen würde, sondern eventuell sogar zu Sympathiebezeugungen für den Angeklagten, die, wenn sie sich selbst in gewissen Grenzen halten, doch die innerpolitische Situation des Landes äusserst ungünstig beeinflussen würden, unter Umständen aber auch Formen annehmen könnten, welche die fürstliche Regierung und die Person Euer Durchlaucht in die peinlichste, vielleicht sogar verhängnisvollste Situation bringen würden. - Die Herren erklärten, dass durch eine Abolierung der Anklage durch Seine Durchlaucht den Fürsten [Johann II.] nicht nur alle diese, sehr wahrscheinlichen Folgen vermieden, sondern ausserdem ein sehr günstiger Eindruck im Volke hervorgerufen würde, da dieser Akt die väterliche Milde und Güte des Landesherrn ins helle Licht setzen müsste.

Ich habe über diese Angelegenheit schon seinerzeit nach meiner Rückkehr von Vaduz zunächst mit Sr. Durchlaucht dem Prinzen Franz. sen. [von Liechtenstein], sowie dann auch mit dem Fürsten selbst gesprochen, welche beide dem Gedanken an eine Abolierung durchaus sympatisch gegenüberstehen. Die Abolierung scheint auch deshalb günstiger, weil eine Begnadigung nach erfolgter Verurteilung bei der mit Gewissheit vorauszusehenden Stellungnahme eines Teiles der Bevölkerung leicht den Charakter des Erzwungenen erhalten und dadurch den Eindruck erwecken könnte, dass es sich nicht um einen Akt der Gnade, sondern der Furcht, um ein Zurückweichen nach missglückten Versuche, energisch aufzutreten, handle. Um die Spontanität und das Gnadenweise der Abolierung entsprechend zu betonen, scheint es auch opportun, nicht erst abzuwarten, bis 1 oder 2 Abgeordnete mit einem diesbezüglichen Ersuchen an Euere Durchlaucht herantreten, namentlich, da ein solcher Schritt leicht den Eindruck hervorrufen könnte, dass es sich bei dem inkriminierten Rufe nicht um eine vereinzelte, nicht im Bewusstsein ihrer Tragweite gefallene Äusserung, sondern um eine Bewegung in Volke handle, der die betreffenden Abgeordneten, zumindest nicht feindlich gegenüberstehen; daher würde auch in diesem Falle die hohe Entschliessung Seiner Durchlaucht leicht als ein Akt der Schwäche missdeutet werden können.

Um allen diesen Unzukömmlichkeiten auszuweichen und die Aufbauschung einer nach allgemeiner Anschauung belanglosen Episode zu einer unter Umständen gefährlichen Krise zu vermeiden, gestatte ich mir entsprechend den Intentionen des Fürsten Euer Durchlaucht nahezulegen, Euere Durchlaucht wollen Hochdenselben den Antrag unterbreiten, die Abolierung der gegen Vogt schwebenden Strafsache anzuordnen. Seine Durchlaucht der Fürst, welchem ich gestern neuerlich im Gegenstande berichtet habe, würde einem solchen Antrag gerne zustimmen, sobald er von der fürstlichen Regierung gestellt wird. Ich würde jedenfalls empfehlen, die Sache in der Regierungssitzung vertraulich vorzubringen und habe Dr. Beck nahegelegt, den seinerzeit beabsichtigten Schritt, bei Euer Durchlaucht im Gegenstande zu intervenieren, zunächst zu unterlassen.

Der fürstliche Gesandte:

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[1] LI LA SF 1/1920/035. Aktenzeichen bei der Gesandtschaft Wien: Zahl 198/1–20. Andreas Vogt hatte in der Landtagssitzung vom 25.11.1919 aus dem Zuschauerraum gerufen: "Nieder mit der Regierung, hoch die Republik!" Landtagspräsident Fritz Walser erstattete darauf Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. Auf Drängen von Prinz Eduard wie auch von Martin Ritter und Wilhelm Beck beantragte die Regierung am 5.3.1920 die Abolition des Verfahrens. Der Fürst kam dem Antrag am 8.3.1920 gerne nach.