Josef Ospelt erläutert im "Liechtensteiner Volksblatt" die Gründe für seinen Rücktritt als Regierungschef


Artikel von Alt-Regierungschef Josef Ospelt, gez. ders., im "Liechtensteiner Volksblatt" [1]

17.5.1922 (10.5.1922, Vaduz)

Die "O.N." beschäftigen sich in ihren Nummern 34 [2] und 36 [3] in einer Art und Weise mit mir bezw. meinem Rücktritte vom Posten des Regierungschefs, [4] die verschiedene Vorwürfe gegen mich in sich schliesst. Ich lehne es ab, auf alle Einzelheiten einzugehen und sehe mich derzeit nur zu folgenden Feststellungen veranlasst:

Es ist richtig, dass ich aus Gesundheitsrücksichten meine Demission gab; es ist aber auch richtig, dass meine Gesundheit durch die beruflichen Anstrengungen des nun hinter mir liegenden Jahres in Mitleidenschaft gezogen wurde.

Neben diesen Tatsachen bleibt aber auch jene bestehen, dass andere Gründe mir meinen Entschluss erleichterten.

Von dem Gesetze über die Verwaltungspflege [5] habe ich nie das ganze Manuskript in Händen gehabt. In gedrucktem Zustande bekam ich es einige Tage vor der Landtagseröffnung in die Hand, also zu einer Zeit, wo ich ohnehin stark in Anspruch genommen war. Vor meiner Abreise in den ordnungsmässig erwirkten Urlaub [6] (von dem ich den Herrn Regierungschefstellvertreter [Alfons Feger] und den Herrn Landtagspräsidenten [Wilhelm Beck] frühzeitig mündlich in Kenntnis setzte und auf den ich in meiner Antwort an den Landtag auf die Vertrauenskundgebung [7] hinwies), habe ich dem Verfasser dieses Gesetzentwurfes Herrn Dr. W. Beck erklärt, dass ich diesen Entwurf in meinem Urlaube studieren werde, so bald ich mich einigermassen erholt habe, was ich tatsächlich machte. Gerade als ich mitten im Studium dieses die Führung der Regierungsgeschäfte äusserst stark beeinflussenden Gesetzes war, erfuhr ich auf privatem Wege, dass der Entwurf bereits von der Finanzkommission behandelt werde, [8] worauf ich sofort am 5. April brieflich durch den Herrn Regierungschefstellvertreter dem Herrn Landtagspräsidenten die Hoffnung aussprach, man möge Verwaltungspraktiker hören und auch mir Gelegenheit zur Aussprache geben. [9] Dessen ungeachtet wurde das 134 Druckseiten umfassende Gesetz vom Landtage am 11. April in einer Sitzung und ohne Lesung beschlossen [10] und mir dadurch die Gelegenheit zur Stellungnahme abgeschnitten. Es ist sicher, dass kaum irgendsonst in der Welt ein Gesetz von dieser Bedeutung und diesem Umfange mit solcher Eile und ohne einlässliche Mitwirkung von Fachleuten beschlossen würde.

Während man in Nr. 34 der "O.N." annimmt, dass die Gehaltsfrage [11] keinen entscheidenden Einfluss auf meine Demission ausgeübt habe, ist man in Nr. 36 des gleichen Blattes gerade der gegenteiligen Meinung. Wären in diesem Belange die zuständigen Stellen an mich herangetreten, so wäre sicher eine beide Teile befriedigende Vereinbarung zustande gekommen (die Finanzlage unseres Staates ist mir wohl hinlänglich bekannt). Statt dessen wurde ich ohne jedes Wort der Einladung zur Stellungnahme einfach in Kenntnis gesetzt, welche Beschlüsse Regierung und Finanzkommission gefasst haben. Das Urteil über ein solches Vorgehen überlasse ich jedem objektiv Denkenden.

Die in den angeführten Nummern der "O.N." enthaltenen Vorwürfe der Unordnung und der Rückstände stehen in einem merkwürdigen Verhältnisse zu der mir gegenüber gerade von heute massgebenden Herren oft und oft wiederholten Beteuerung, dass man allgemein anerkenne, wie ich viel arbeite und wie gerade ich mich mit Erfolg bemüht habe, im Amtsbetriebe Ordnung zu halten; das ganze gegen mich beliebte Vorgehen lässt die einstimmige Vertrauenskundgebung vom 3. März in einem eigenartigen Lichte erscheinen. Es ist mir peinlich, diese Dinge feststellen zu müssen, aber es scheint nun einmal nicht anders zu gehen.

Bezeichnend ist auch die Art und Weise, wie man mit den Zeitungsäusserungen über mich auch jene gegen meinen Bruder [Alois Ospelt], der im guten Glauben gehandelt hat, verbindet. [12]

Bei mir scheint sich nur zu wiederholen, was im gleichen Blatte gegen den seligen Kabinettsrat [Karl] v. In der Maur, den nun ebenfalls verewigten Baron [Leopold von] Imhof und gegen Hofrat Dr. [Josef] Peer beliebt wurde, eine Tatsache, die jedenfalls auch für meinen Nachfolger gute Aussichten eröffnet.

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[1] L.Vo., Nr. 39, 17.5.1922, S. 1.
[2] O.N., Nr. 34, 3.5.1922, S. 2 ("Solls beginnen").
[3] O.N., Nr. 36, 10.5.1922, S. 1f. ("Landeskalender").
[4] Ospelt hatte am 24.4.1922 Fürst Johann II. ersucht, ihn vom Posten des Regierungschefs zu entheben. Der Landtag nahm die Demission am 26.4.1922 zur Kenntnis (LI LA LTP 1922/039; LI LA SF 01/1922/052, Regierung an Kabinettskanzlei, 26.4.1922), der Fürst genehmigte das Demissionsgesuch am 27.4.1922 (LI LA SF 01/1922/051, Johann II. an Ospelt, 27.4.1922).
[5] Gesetz vom 21.4.1922 über die allgemeine Landesverwaltungspflege (die Verwaltungsbehörden und ihre Hilfsorgane, das Verfahren in Verwaltungssachen, das Verwaltungszwangs- und Verwaltungsstrafverfahren), LGBl. 1922 Nr. 24.
[6] Ospelt hatte wenige Tage nach seiner Wahl zum Regierungschef am 2.3.1922 (LI LA LTP 1922/002) einen zweimonatigen Urlaub "aus Gesundheitsrücksichten" angetreten (LI LA SF 01/1922/041, Kabinettsdirektor Josef Martin an Ospelt, 5.3.1922).
[7] Der Landtag hatte Ospelt am 2.3.1922 das Vertrauen ausgesprochen und ihn zum Regierungschef gewählt (LI LA LTP 1922/002).
[8] Vgl. LI LA LTA 1922/S03, Protokoll der Sitzungen der Finanzkommission vom 29.3., 30.3 und 1.4.1922.
[9] Nicht aufgefunden.
[10] LI LA LTP 1922/019.
[11] Die Finanzkommission hatte am 16.3.1922 entschieden, dass das Gehalt des Regierungschefs künftig zur Gänze vom Lande zu übernehmen sei und hatte gleichzeitig eine deutliche Kürzung des bisher 10'000 Fr. betragenden Gehalts beschlossen (LI LA LTA 1922/S03, Protokoll der Sitzung der Finanzkommission vom 16.3.1922). Nachdem Fürst und Regierung diesen Beschlüssen zugestimmt hatten, setzte der Landtag am 4.7.1922 das Gehalt des Regierungschef auf 6500 Fr. fest (LI LA LTP 1922/105).
[12] Die "Oberrheinischen Nachrichten" hatten publik gemacht, dass ein Landesangestellter namens "A. O." einen Zirkularerlass der Regierung, der die Beamten zur Einhaltung der Amtsstunden anhielt, mit der Bemerkung versehen hatte, er nehme den Inhalt nicht zur Kenntnis (O.N., Nr. 31, 22.4.1922, S. 3 ("Zur Abbaufrage")). Der Landtag hatte deswegen Alois Ospelt am 11.4.1922 keine Teuerungszulage bewilligt (LI LA LTP 1922/024). Zudem wurde eine Disziplinaruntersuchung eingeleitet, die ergab, dass Ospelt auf diese Weise dagegen protestieren wollte, dass ihm der Erlass nicht auf dem üblichen Weg, d.h. durch seinen Vorgesetzten, Landrichter Julius Thurnher, zugestellt worden war (LI LA RE 1922/1785; vgl. auch L.Vo., Nr. 34, 29.4.1922, S. 1 ("Erklärung")).