Die fürstliche Hofkanzlei erachtet sich für das österreichische Auslieferungsersuchen betreffend den Deserteur Josef Sigismund Lorenzi als unzuständig


Maschinenschriftliches Schreiben der fürstlichen Hofkanzlei, gez. Hermann von Hampe, an die Regierung [1]

10.1.1916, Wien

Der mit dem ämtlichen Berichte vom 4. d.M. Zahl 4538/Reg. Jahrgang 1915 zur Entscheidung anher vorgelegte Akt [2] betreffend das Ersuchen des k. u. k. Gerichtes des Militärkommandos Innsbruck um Auslieferung des österreichischen Deserteurs Guiseppe Lorenzi [Josef Sigismund Lorenzi] wird in der Anlage ./. [3] mit dem Beifügen zurückgestellt, dass sich die gefertigte fürstliche Hofkanzlei zu einer Verfügung in dieser Angelegenheit nicht für kompetent erachtet.

Die definitive Entscheidung über das vorliegende Auslieferungsbegehren fällt nach der auch von den Mitgliedern des fürstlichen Appellationsgerichtes und der fürstlichen Rekursinstanz geteilten Ansicht der fürstlichen Hofkanzlei in die Kompetenz der fürstlichen Regierung, [4] nachdem ihr insbesondere alle Geschäfte zugewiesen sind, die auf die Ausübung der landesherrlichen Regierungsrechte und auf die Landesverfassung sich zu beziehen. [5]

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[1] LI LA RE 1916/0207 (Aktenzeichen No. 245). Prägestempel der fürstlichen Hofkanzlei sowie des fürstlichen Appellationsgerichtes. Gemäss Eingangsstempel am 14.1.1916 bei der Regierung eingelangt. Zeitgenössischer Hinweis auf den Bezugsakt LI LA RE 1915/4538. Abschrift unter LI LA RE 1916/0006.
[2] Vgl. das Schreiben von Landesverweser Leopold von Imhof an die Hofkanzlei vom 4.1.1916. In diesem teilte Imhof den Standpunkt des F.L. Landgerichtes, wonach sich das österreichische Auslieferungsbegehren nicht mehr zu Recht auf die zwischen den Staaten des Deutschen Bundes geschlossene Bundeskartellkonvention vom 10.2.1831 stütze (Schreiben des F.L. Landgerichtes an die Regierung vom 31.12.1915 (LI LA RE 1915/4538)).
[3] Liegt nicht bei.
[4] Handschriftliche Randnotiz von Landesverweser Imhof: „Kaum zutreffend. Staatsverträge schliesst nicht die fürstliche Regierung ab – sie hat sie daher auch nicht authentisch zu interpretieren." Es folgt die Randnotiz: „N.B. Auszug für die Präsidialakten". Ein diesbezügliches Schriftstück fehlt jedoch in den Präsidialakten für 1916 (LI LA SF 01/1916).
[5] Landesverweser Imhof teilte dem k.u.k. Gericht des Militärkommandos Innsbruck in der Folge mit, das vor etwa 6 Wochen ein Mann nach Ruggell gekommen sei, der mit dem gesuchten Giuseppe Sigismondo Lorenzi identisch sein dürfte. Dieser halte sich aber hierlands nicht mehr auf. Es entfalle daher für die liechtensteinische Regierung gegenwärtig der Anlass, zu der eingangs erwähnten Frage – nämlich zur Zulässigkeit des österreichischen Auslieferungsbegehrens – Stellung zu nehmen. Die österreichischen Bezugsakten wurden retourniert (Konzeptschreiben, vermutlich vom 15.1.1916, unter LI LA RE 1916/0207).