Der fürstliche Kabinettsdirektor Josef Martin erstattet Vorschläge für die Errichtung einer liechtensteinischen Gesandtschaft in Prag


Maschinenschriftliche Denkschrift, gez. von Kabinettsdirektor Josef Martin [1]

 

30.12.1921, Vaduz 

Memorandum betreffend Errichtung einer diplomatischen Vertretung des Fürstentums in Prag

Die Frage der Errichtung einer diplomatischen Vertretung des Fürstentumes in Prag wurde auf Grund des Berichtes des Herrn Justizrates Dr. [Victor] Kaplan (Justizreferat: Reservat vom 30. November l.J.) [2] und des vom Herrn Legationsrat Dr. [Emil] Beck und dem genannten Herrn Justizrat unterm 3. August d.J. in dieser Sache niedergelegten Memorandums geprüft [3] und mit den in Betracht fallenden Persönlichkeiten des Fürstentumes besprochen. [4] Auf Grund dessen wurde Folgendes festgestellt: 

In Prag wäre die Errichtung einer diplomatischen Interessenvertretung des Fürstentums unter Akkreditierung des Herrn Legationsrates Dr. Beck als Geschäftsträger (Chargé d'Affaires) anzustreben, welcher seinen Wohnsitz in Bern beibehalten würde. [5] Aufgabe dieser Gesandtschaft wäre die Aufrechterhaltung und Pflege der diplomatischen Beziehungen des Fürstentumes zur Cechoslovakischen Republik sowie die Besorgung aller konsularischen Geschäfte.  

Zum Stellvertreter des Herrn Legationsrates Dr. Beck wird Herr Justizrat Dr. Kaplan bestellt, ohne dass eine Akkreditierung desselben erforderlich erscheint.

Derselbe hätte auf jeweilige Weisung des Ersteren diplomatische Verrichtungen, sowie Unterfertigung von bezüglichen schriftlichen Eingaben u.s.w. in Vertretung zu besorgen. Sollte es sich um dringende diplomatische Angelegenheiten handeln, bei welchen die Einholung einer Weisung beim bevollmächtigten Geschäftsträger eine zu grosse Verzögerung in sich schliessen würde, so kann im Wege der Kabinettskanzlei die Zustimmung Seiner Durchlaucht des regierenden Fürsten [Johann II.] vom Herrn Justizrate direkt eingeholt werden. Der bevollmächtigte Geschäftsträger muss aber stets unmittelbar über die Angelegenheit informiert werden. 

Die Durchführung der konsularischen Agenden (Ausstellung von Pässen, Passvisa, Ein- und Ausfuhrbewilligungen, kommerzielle Angelegenheiten u.s.w.) wird dem Herrn Stellvertreter, unbeschadet eventueller ihm vom Geschäftsträger zukommender Weisungen, überhaupt übertragen. Die Fertigung für diese erfolgt ebenfalls „in Vertretung des fürstlich liechtensteinischen Geschäftsträgers in der C.S.R.". Damit Herr Legationsrat Dr. Beck über diese Tätigkeit informiert bleibt, sendet ihm Herr Justizrat Dr. Kaplan allmonatlich einen bezüglichen Ausweis über dieselbe ein.

Vorgang über die Errichtung der Gesandtschaft 

Die fürstl. Regierung in Vaduz fragt mit Verbalnote beim Ministerium des Äussern in Prag an, ob eine Akkreditierung des vorgenannten Legationsrates genehm erscheint und zustimmendenfalls, wann der Genannte das Akkreditiv (lettre de créance) persönlich überreichen könne. 

Der Zeitpunkt für letzteres müsste im Einvernehmen mit dem Geschäftsträger vom Justizrat Dr. Kaplan in geeigneter Form in Prag derart erbeten werden, dass an dem der Überreichung der lettre de créance folgenden Tage er vom Herrn Präsidenten der Cechoslovakischen Republik [Thomas Masaryk] empfangen würde. 

Nach erfolgter Akkreditierung durch das Ministerium des Äusseren gibt der Geschäftsträger diesem mit Verbalnote die Bestellung des Herrn Justizrates Dr. Kaplan als seinen Stellvertreter bekannt. 

Herr Legationsrat Dr. Beck hat die vom Herr Justizrate ausgearbeiteten Entwürfe [6] übernommen und wird an Hand derselben die Ausfertigung der vorstehend genannten Eingaben veranlassen. Über die erfolgte Absendung der erstgenannten Verbalnote durch die fürstl. Regierung wird die Kabinettskanzlei, auch behufs Verständigung des Herrn Justizrates Dr. Kaplan, durch Übersendung einer Abschrift in Kenntnis gesetzt. Bei Übersendung dieser Abschrift wird vom Legationsrat Dr. Beck mitgeteilt werden, welche Zeit demselben mit Rücksicht auf die berufliche Stellung in Bern für eine Prager Reise passend erscheint. 

 

Die Entscheidung einer Titelfrage für Herrn Justizrat Dr. Kaplan wäre mit Rücksicht auf die noch nicht erfolgte Akkreditierung des Geschäftsträgers [7] der Konsequenzen wegen, welche im Momente in Betracht gezogen werden müssen, auf einen spätern Zeitpunkt zu verlegen. [8]

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[1] LI LA V 002/0048 (Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern: 1562a). Weiteres – leicht abweichendes – Exemplar unter LI LA V 002/0048 sowie unter LI LA SF 01/1922/002. Eingangsstempel der Gesandtschaft in Bern vom 31.12.1921.
[2] Dokument nicht aufgefunden.
[3] Vgl. LI LA SF 01/1921/138.
[4] Regierungschef Josef Ospelt dazu hatte laut Schreiben vom 23.8.1921 an Kabinettsdirektor Josef Martin die Stellungnahme von Landtagspräsident Friedrich Walser und von Landtagsvizepräsident Wilhelm Beck eingeholt (LI LA SF 01/1921/138). In der Regierungssitzung vom 29.8.1921 wurde die Angelegenheit zur genehmigenden Kenntnis genommen (ebd. revers).
[5] Vgl. in diesem Zusammenhang das Schreiben von Kabinettsdirektor Martin an Geschäftsträger Beck vom 2.5.1921 betreffend die diesbezüglichen Anregungen des tschechoslowakischen Aussenministers Edvard Beneš (LI LA V 002/0048 (Aktenzeichen der fürstlichen Kabinettskanzlei: Ad Präs. Nr. 104)). Als Honorar für die nach Prag auszuführenden Reisen im Fall der Akkreditierung in Prag war ein zusätzliches Jahresgehalt von 1000 Franken vorgesehen. Diese Regelung sollte zunächst provisorisch für ein Jahr gelten und sollte danach endgültig geregelt werden. Beim genannten Honorar wären Aktionen grösseren Umfanges im Interesse des fürstlichen Privatbesitzes in der Tschechoslowakei nicht einbezogen gewesen (vgl. den Amtsvermerk von Kabinettsdirektor Martin vom 30.12.1921 in Vaduz (LI LA V 002/0048 (Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern: 1562a))).
[6] Vgl. die undatierten Entwürfe für 2 französische Verbalnoten des liechtensteinischen Regierungschefs an den tschechoslowakischen Aussenminister betreffend die Akkreditierung von Emil Beck als chargé d'affaires bzw. betreffend die Akkreditierung von Victor Kaplan als chargé d'affaires ad interim in Prag (LI LA V 002/0048 (Aktenzeichen der Gesandtschaft in Bern vom 31.12.1921: 1562a)).
[7] Handschriftlich hinzugefügt: „des Geschäftsträgers".
[8] Wie Regierungschef Josef Ospelt dem liechtensteinischen Geschäftsträger Beck in Bern mit Schreiben vom 12.1.1922 mitteilte, stimmte die Regierung an der Sitzung vom 10.1.1922 den Ausführungen des Memorandums im Grundsatz zu (LI LA V 002/0048 (Aktenzeichen der Regierung: Zl. 2/Präs. Aktenzeichen der Gesandtschaft in Bern: 39a/22)). Kaplan sollte jedoch bei der Verfolgung dringender diplomatischer Angelegenheiten gleichzeitig mit dem Bericht an den Fürsten im Sinne von Art. 8 der Verfassung vom 5.10.1921, LGBl. 1921 Nr. 15, auch einen solchen an die liechtensteinische Regierung erstatten, welche dann ihrerseits im Bedarfsfalle die entsprechenden Anträge zu stellen hätte. Mit Schreiben vom 12.1.1922 aus Feldsberg orientierte Kabinettsdirektor Martin Geschäftsträger Beck darüber, dass Fürst Johann II. und Prinz Franz sen. dem Memorandum „vollinhaltlich zuzustimmen geruhten". Kaplan wurde in diesem Zusammenhang laut Martin eine etwas abweichende Fassung des Memorandums übergeben. Beck wurde nun ersucht, ehestens die Ausführung einer Verbalnote, welche die liechtensteinische Regierung an das tschechoslowakische Aussenministerium richten sollte, zu veranlassen (LI LA V 002/0048 (Aktenzeichen der fürstlichen Kabinettskanzlei: Präs. No. 12. Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern, wo das Schreiben am 16.1.1922 einging: 43/22)). In diesem Sinne übermittelte Geschäftsträger Beck der liechtensteinischen Regierung am 3.2.1922 Entwürfe zu den für die Akkreditierung notwendigen 3 Dokumenten. Die erste Verbalnote an das Aussenministerium in Prag sollte dabei am 10. des Monats von Vaduz abgehen. (LI LA V 002/0048 (Aktenzeichen der Gesandtschaft in Bern: 135/22)). Die genannten Entwürfe wurden von Beck am 3.2.1922 auch der fürstlichen Kabinettskanzlei in Wien zugesandt (LI LA V 002/0048 (Aktenzeichen der Gesandtschaft in Bern: 136/22)). Die Verbalnote der liechtensteinischen Regierung an das tschechoslowakische Aussenministerium vom Februar 1922 blieb unbeantwortet (vgl. das Schreiben von Kabinettsdirektor Martin an Geschäftsträger Beck in Bern vom 24.7.1923 (LI LA V 002/0048 (Aktenzeichen der Kabinettskanzlei: Präs. No. 55/5. Aktenzeichen der Gesandtschaft in Bern: 873))).