Der Abgeordnete Wilhelm Beck fordert im Landtag die Einführung des parlamentarischen Regierungssystems


Maschinenschriftliches Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung mit handschriftlichen Korrekturen bzw. Ergänzungen, gez. Landtagspräsident Albert Schädler und Landtagssekretäre Wilhelm Beck und Johann Wohlwend [1]

14.10.1918

Dr. [Wilhelm] Beck: Er möchte auch einige Worte zur Eröffnung des Landtages vorbringen. Es gehe ein demokratischer Zug durch die Welt, der auch vor den Schranken unseres Landes nicht halt mache. Bereits haben wir in diesem Geiste ein direktes & gleiches Wahlrecht erhalten. [2] Als Krönung dazu gehöre nun auch eine demokratische oder wie es heute heisse parlamentarische Regierung. Unsere Verfassung von 1862 sei ziemlich demokratisch ausgestaltet. Sie unterscheide in ihren verschiedenen Bestimmungen genau die Aufgaben der Regierung als Kollegium & jene des Regierungs-Chefs. [3] Auf Grund der Verfassungsbestimmungen sei dann auch im gleichen Geiste eine Amtsinstruktion über die Organisation der Behörden in den 60er Jahren erlassen worden. [4] 1871 sei dann diese Verordnung, die die Kompetenzen der Behörden genau auseinanderhalte & auch z.T. eine Trennung der Justiz & der Verwaltung kenne, durch eine äusserst dürftige Amtsinstruktion abgeändert worden & merkwürdigerweise habe diese die Trennung von Verwaltung & Rechtspflege erst einführen wollen. [5] In der letzteren Instruktion, wie nicht minder in der früheren, werden ebenfalls im Sinne der Verfassung die Aufgaben des Chefs der Regierung & der Regierung als Kollegium deutlich unterschieden. Es heisst dort, in der Regel seien die Reg.-Geschäfte kollegialiter zu beraten & zu beschliessen & der Reg. Chef habe nur die laufenden Geschäfte zu besorgen. [6] Bei uns habe sich schon vor dem jetzigen Hrn Landesverweser [Leopold von Imhof] der Usus eingeschlichen, dass der Landesverweser alles besorge & die Herren Landräte tatsächlich nichts oder äusserst wenig an der Landesverwaltung mitwirken. Das passive Verhalten will aber die Verfassung & will auch die erwähnte Amtsinstruktion nicht, sondern sie verlangen in der Regel ein aktives Mitwirken der Landräte an der gesamten Landesverwaltung. Mit allen diesen Ausführungen beabsichtigt Redner, wie er ausdrücklich betont, absolut keinen Vorwurf zu machen, denn es sei gerade umgekehrt notwendig, dass das Volk, die Regierung & der Landtag zusammenwirken & alles nur zum Wohle des Landes & Volkes & für diese unternehmen. Gegen ein solches Vorhaben könne aber niemand ernstlich eine Einwendung erheben. Während das Landgericht an den vorhandenen Gesetzen bei Ausübung seiner Amtstätigkeit seine Schranken habe & sich nur an das Gesetz zu halten habe, bestehe umgekehrt für die Regierung ein grosses Gebiet des freien Ermessens, das wir mit der minutiösesten Gesetzgebung nicht in Artikel & Paragraphen schlagen können. Gerade die Verwaltungstätigkeit greift aber in mancher Hinsicht viel schärfer & tiefer in das Privatleben ein. Hier ist daher die Mitwirkung von Landräten aus dem Volke bei Ausübung der verwaltungsrechtlichen Tätigkeit einfach eine gebieterische Notwendigkeit, vor der wir uns die Augen nicht verschliessen lassen dürfen. Die Regierungssachen sollten durch das Kollegium beraten & beschlossen werden & die beiden Landräte hätte nach Ansicht des Redners der Landtag aus der Mitte der wahlfähigen Bevölkerung zu wählen. Die Regierung selber sollte vollkommen auf den Boden des Parlamentarismus gestellt werden, dies alles selbstredend in einer für unsere kleinen Verhältnisse angemessenen Weise. Durch das kollegiale Behandeln der Regierungsgeschäfte werde einmal jene persönliche Note, die man jetzt oft wahrnehme, abgeschwächt & sodann fänden die Stimmungen & Wünsche des Volkes den entsprechenden Ausdruck in der Verwaltungsbehörde des Landes.

Viele im Saale bewundern Deutschland wegen seiner gewaltigen Leistungen. Dieses Deutschland hat sich in jüngster Zeit unter den Erfahrungen des Krieges auf den Boden einer parlamentarischen Regierung gestellt. Wenn aber das vorbildliche Land es getan hat, dann dürfen wir ihm auch nachfolgen. Jenes Deutschland hat sich nicht gescheut z. B. einen ehemaligen Lehrer aus dem Seminar in Saulgau, den Sohn eines einfachen Landbriefträgers, nämlich Hrn [Matthias] Erzberger, zu seinem Minister zu erwählen & das gleiche Land hat sich wieder nicht gescheut, einen ehemaligen Buchdruckergesellen, nämlich Hrn [Philipp] Scheidemann zu einem Minister aufzustellen & nun haben wir dort sogar Sozialdemokraten als Exzellenzen! Das ist eine dem Zeitgeiste entsprechende Regierung. Wenn auch die deutschen Kriegsgötter versagten, so hat doch die innere Erkenntnis im deutschen Volke, dass es eine anders aufgebaute Regierung notwendig habe, nicht versagt. Eine Regierung, die sich heute neben & über das Volk stellen wollte, hat ihren Beruf verloren. 

Auch wir müssen im Frieden & einträchtig nach einem volkstümlichen Ausbau der Regierung trachten. Gegen diesen fortschrittlichen Ausbau unserer obersten Landesverwaltungsbehörde werde glaublich niemand Einspruch erheben & es werde, wie Redner annehme, sowohl der Landesfürst [Johann II.] als auch seine Regierung im Prinzipe einverstanden sein. Redner verlangt als Ergänzung des demokratischen Wahlrechts noch eine parlamentarische Regierung. Nach dem eingelebten Usus & nach der Verfassung werde die Einführung einer parlamentarischen Regierung eine Verfassungsänderung rufen. Er hoffe hiezu allseitige & einträchtige Unterstützung zu finden, denn es müsse doch jeder Abgeordnete einsehen, dass es sich einzig & allein um einen Ausbau der Verfassung für & im Interesse des Landes & Volkes handle. Wenn auch die Wege hiezu manchmal verschieden begangen werden, darüber seien wir uns doch alle einig, dass jeder von uns den gleichen Endzweck verfolge.

Der Redner & einige Abgeordnete werden im Verlaufe der Session einen formulierten Antrag auf Einführung einer parlamentarischen Regierung im Landtage zur Verhandlung einbringen [7] & er hoffe auf eine allseitige kräftige Unterstützung. Gleichzeitig werde auch dem Landtag ein Antrag zugehen, wonach die Verfassung in dem Sinne abzuändern sei, dass der Landtag zu zwei jährlichen ordentlichen Sitzungen einberufen werden solle. Der heutige Zustand sei geradezu ein unwürdiger. Denn wir müssen z. B. in den jetzigen Sitzungen die Landesrechnung von 1917 behandeln. [8] Wir können nun im Einzelnen Kritik üben wie wir wollen, dadurch ändern wir an den vollendeten Tatsachen, die 1917 vor sich gegangen, absolut nichts. Eine Direktive oder ein Wunsch für ihr zukünftiges Handeln können wir der Regierung & den übrigen Verwaltungsbehörden nicht mehr geben. Welchen Wert hat dann aber unsere Kritik, wenn wir erst für das Jahr 1919 die Nutzanwendungen aus den Bemängelungen der Rechnung von 1917 ziehen können?

Das ist einfach mit kurzen Worten ein unhaltbarer Zustand, für dessen Abschaffung alle im Interesse des Landes Arbeitenden besorgt sein müssen.

Redner lädt den Hrn Regierungskommissär [Leopold von Imhof] ein, mitzuhelfen, damit die erwähnten Wünsche des Volkes auch verwirklicht werden können & betont nochmals, dass er mit seinen Ausführungen gar keine Absichten gegen den Hrn Reg.-Kommissär hege, noch dass sie eine Spitze gegen ihn enthalten. - Es sei vom Burgfrieden die Rede gewesen. Der Redner & wie er annehme, alle Abgeordneten seien zu friedlicher Arbeit im Interesse des Volkes bereit. Aber dann müssen sie auch andererseits ein ernstliches Begreifen ihrer Volkswünsche & Postulate & ein Entgegenkommen ihrerseits erwarten. Die Abgeordneten der Volkspartei haben in den letzten Wahlen ein grosses Zutrauensvotum vom Volke erhalten & daher müssten ihnen die Wünsche des Volkes, dessen Vertreter sie auch seien, eine Herzensangelegenheit sein. In diesem Sinne seien sie bereit, den Burgfrieden wahren zu helfen. Dabei werden sie berechtigte Kritik üben, aber keine Überkritik.

Redner wisse dafür, dass er zum Sekretär gewählt worden sei, [9] keinen Dank. Die Herren, die ihn gewählt hätten, würden sich aber einer grossen Täuschung hingeben, wenn sie ihn durch die Wahl & ihre Folgen hätten mundtot machen wollen. Erst recht werde er sein Mandat im Landtage zur Zufriedenheit seiner Richtung ausüben, dessen versichere er sie schon heute. Es wäre sehr zu begrüssen, wenn wir aber in der nächsten Zeit einträchtig & friedlich an die Lösung der angeregten Postulate gehen würden. Er & seine Kollegen entbieten Sr Durchlaucht ebenfalls die besten Wünsche zu seinem 60jährigen Regierungsjubiläum, das wir demnächst in bescheidenem Rahmen begehen werden. [10]

Der Präsident [Albert Schädler] bemerkt, er müsse es dem Landtag überlassen, über die nicht geschäftsordnungsmässige Rede eine Debatte zu eröffnen oder nicht.

Der Herr Reg.-Kommissär möchte auf die lange Rede des Hrn DR. Beck nur kurz seine Stellung begründen. Nach § 28 der Verfassung obliege die Organisation der Staatsbehörden dem Landesfürsten allein. [11] Es bedeutet daher der Antrag des Dr. Beck einen Eingriff in die Rechte der Krone, der ihm unangebracht erscheine. Er sehe weder die innere noch die äussere Berechtigung der Anregung ein. Es sei nicht Sache des Hrn Dr. Beck, sich über die Zurücksetzung der Landräte zu beklagen, wenn diese keinen Anlass gefühlt haben, dass sie den Entschlüssen der Regierung beigezogen werden. Übrigens waren die Landräte zugleich Notstandskommissionsmitglieder & Mitglieder anderer Kommissionen & sie haben an den Regierungsgeschäften auf diese Weise Anteil nehmen können. Er weise daher den Vorwurf der Zurücksetzung zurück. – Ausserdem seien in der Regel nach der Amtsinstruktion die wichtigern Sachen in der Sitzung der Regierung zum Vortrage gebracht. Nun werden ja die wichtigeren Angelegenheiten in der Notstandskommission gemeinsam behandelt. Dringende Entschlüsse aber habe er allein gefasst & er glaube nicht, dass das Land dabei schlecht gefahren sei. Er könne doch nicht, wenn er in Wien unten bei den Amtsstellen herumgehe, jedesmal die telegraphische Zustimmung der Landräte einholen. Er sei befugt, in der Regel von dieser Bestimmung Abstand zu nehmen. Die Amtsinstruktion mit ihrer Bestimmung über die kollegiale Regierung sei übrigens auf patriarchalische Verhältnisse aufgebaut & passe nicht mehr in unsere Zeit.

[Emil] Risch: Die Landräte seien die reinste Dekorationsfigur. Er bedaure es, dass der Reg. Kommissär uns in dieser Weise abzukanzeln suche. Wir seien keine Schulbuben mehr & wissen schon, was dem Volks- & Landesinteresse frommt. Wir wollen eine parlamentarische Regierung & wenn Se Durchlaucht richtig informiert sei, dann werde der Landesfürst diesem zeitgemässen Wunsche des Volkes auch sicher entgegenkommen. [12]

Risch: Er glaube nicht, dass die Landräte jedesmal zu den Sitzungen einberufen werden. Gerade er habe es erfahren müssen, dass die Landräte ihre Rechte wenig mehr kannten. Landrat [Lorenz] Kind sel. sei zu ihm gekommen wegen Viehankaufs. Er habe damals gerade die Verordnung wegen Abschaffung des Galtviehs [13] gelesen gehabt u. er habe sie damals so verstanden, wie sie dann nachträglich praktisch gehandhabt worden sei. Zu seiner Beruhigung habe er immerhin noch den Hrn Landrat, von dem er annehmen musste, dass er als Mitglied der Regierung die Sache besser verstehe als er, um seine Meinung gefragt & besonders darüber, ob die Verordnung auch rückwirkend sei. Hr Kind sel. habe ihm gesagt, die Verordnung sei nicht rückwirkend & er müsse demnach sein Stück Vieh nicht verkaufen. Diesen Rat eines Mitgliedes der Regierung habe er denn auch befolgt, aber er sei dann bei der Regierung schön hineingefallen. Er sei  K 2000 gestraft worden, welcher Betrag auf K 200 herabgesetzt worden sei. [14] Der Herr Reg. Chef habe ihm auf seine Vorstellungen betr. Hrn Kind entgegnet, was Kind gesagt habe, könne jeder Bauer sagen. Soviel haben nun unsere Landräte zu bedeuten. Er habe daher seine Ansicht gründlich geändert & er sei aus Überzeugung dafür, dass die Landräte mehr Einfluss erhalten sollen & dass bei uns eine parlamentarische Regierung eingeführt werden müsse, um diesem Zustande abzuhelfen. In so wichtigen Angelegenheiten solle nicht ein Einziger einen so ausschlaggebenden Einfluss ausüben können.

Dr. Beck unterstützt den Vorredner & führt aus, gerade der Fall Risch zeige die geringe Bedeutung der jetzigen Einrichtung der Landräte & ihre dringende Reformbedürftigkeit. Die Landräte erwecken nach dem ausgeführten Sachverhalt den Eindruck von Dekorationsfiguren. Er bedaure es, dass der Hr Chef uns so abzukanzeln versuche, als ob wir nur Schüler wären. Das können wir uns in keinem Falle mehr gefallen lassen & er lade den Hrn Reg. Chef zum wiederholten Male ein, die Angelegenheit mit uns in Ruhe u. in gegenseitigem Entgegenkommen zu behandeln, denn auch wir wollen lieber Burgfrieden als ewigen Hader. Wir wollen aber eine parlamentarische Regierung & von diesem Standpunkte, den auch das Volk in seiner überwiegenden Mehrheit teilt, lassen wir uns nicht mehr abbringen. Wir werden alle gesetzlich zulässigen Mittel versuchen & wenn nötig, auf diesem oder jenem Wege diesen Wunsch des Volkes sogar vor den Thron bringen. Viele & auch Redner ist fest überzeugt, dass der Landesfürst, wenn er einmal den Volkswunsch kennt, ihn auch zum Segen des Landes & Volkes erfüllen werde. Wenn aber seine Durchlaucht richtig informiert sein wird, dann dürfen wir die besten Hoffnungen hegen.

Wer heute nicht auf dem Boden des Parlamentarismus steht, der hat nach Ansicht des Redners geschlafen & habe den grossen berechtigten Zug der Zeit verkannt & dem sei leider auch nicht zu helfen. Das Herumstreiten mit Paragraphen habe keinen Sinn. Der Hauptgrund sei, dass die Regierung nach den wahren Intentionen des Volkes geführt werde & dann werde sie auch im Sinne des Landesfürsten geführt. Redner weist auch darauf hin, dass das Verwaltungsverfahren bei uns dringend einer Reform bedarf [15] & dass jetzt in den Rekursentscheidungen nur eine sehr mangelhafte Begründung enthalten ist, so dass sich der Beschwerdeführer keine richtige Vorstellung über seinen unbegründeten Rekurs machen kann. Das Vertrauen sei denn auch sehr gering. Gerade bei Behandlung der tief ins Volksleben wie in die praktische Sphäre des Einzelnen eingreifenden Verwaltungspflege wäre die Mitwirkung von Männern aus dem Volke sehr notwendig. Dass der Vertreter gerade bei jedem Geschäfte die telegraphische Einwilligung der andern Regierungsmitglieder einholen müsse, das verlangt niemand. Es ist selbstverständliche Voraussetzung, dass dem ausreisenden Vertreter Instruktionen mitgegeben werden, die vorher vom Kollegium beraten & gutgeheissen worden sind. Dieser Einwand ist also vollständig hinfällig. Dass der Chef alles & die Landräte nichts zu sagen haben in der Landesverwaltung, wenn wir von der Mitwirkung in einigen Kommissionen absehen, zeigt der von Hrn Risch angeführte Fall schlagend. Der Stein ist nun im Rollen & hoffen wir auf eine beiderseits befriedigende Lösung. Ob schliesslich, um einen weiteren Einwand zu streifen, meine Rede programmatisch ist oder nicht, bleibt sich gleichgiltig. Aber mit gleichen Gründen könnte man fragen, ob die Rede des Hrn Präsidenten ebenfalls ins Programm passe. Aber wir wollen ja nicht streiten, sondern in gegenseitigem Einverständnisse arbeiten. Das ist des Redners Wunsch.

Der Reg.-Kommissär weist den Vorwurf, als ob er Se. Durchlaucht falsch informiere, zurück. Es sei ebenso unwahr, dass in den Entscheiden der Regierung fast keine Begründungen enthalten seien (Zwischenruf Dr. Beck: Es ist leider Wahrheit!). Der Fall Risch sei für ihn peinlich & scheine ihm eher gegen als für eine überragende Bedeutung der Landräte zu sei. Bekanntlich seien V. betr. Einschränkung der Galtviehhaltung erlassen worden. Was allen Leuten in der V. klar war, sei nur dem Hrn Risch nicht klar gewesen. Risch sei gestraft worden, weil er sich über die V. hinweggesetzt habe.

Risch: Er habe die V. so verstanden, wie sie dann nachher auch ausgelegt worden sei. Wachter [16] & Kind sel. hätten sie dagegen anders verstanden. Er sei dann gestraft worden & andere nicht. Für ihn sei es doch ein wichtiger Grund gewesen, wenn er sich an die Auslegung von Hrn Kind sel. gehalten habe. Er habe gedacht, die V. sei nicht rückwirkend & nun sei sie aber doch rückwirkend gewesen. Mit der Beschlagnahme seines Gehaltes für die Bezahlung der Busse sei er nicht einverstanden. Dazu sei seiner Ansicht nach die Regierung auch nicht berechtigt.

Reg.-Kommissär: Auf weitere Ausführungen in dieser Sache wolle er nicht mehr eingehen. Dagegen habe er die Busse vom Gehalt abgezogen, weil Risch nach Umfluss von drei Monaten die Busse nicht bezahlt habe. Er hätte Risch auch exequieren können, habe aber den anständigern Weg gewählt & habe den Strafbetrag einfach von Gehalte abziehen lassen. Wenn Risch es wünsche, könne er ihm den abgezogenen Betrag auszahlen lassen & dann werde er die politische Exekution einleiten.

Dr. Beck bemerkt, man werde gelegentlich der Beratung des Notstandskommissionsberichtes noch auf diese Angelegenheit allenfalls zurückkommen.

Der Präsident führt aus, wenn Dr. Beck zu uns habe in Minne reden wollen, dann hätte er sein Anfangsrede nicht halten sollen, denn sie enthielt Vorwürfe. Wir seien nun von der Tagesordnung abgekommen. Die Rede hätte besser später gehalten werden sollen. Wenn wir jedes Jahr mit Verfassungsänderungen kommen, treiben wir ein gefährliches Spiel. Wir könnten dann selber noch verändert werden. Redner erinnert auch daran, dass ihm Hr Landesverweser [Karl Haus] von Hausen & sein Vater sel. [Karl Schädler] gesagt hätten, wir hätten in unserer Verfassung ein Kleinod, das wir hüten sollen. Was solle schliesslich unser Fürst denken, wenn wir ein Grundgesetz ändern wollen. Es seien z.T. blendende Gründe angeführt worden. Es seien zwei eingreifende Verfassungsänderungen vorgeschlagen.

Dr. Beck protestiert dagegen, dass er, wie der Vorredner ausführe, gegen jemand habe persönlich werden wollen. Ausdrücklich habe er den Wunsch hervorgehoben, dass wir die Angelegenheit einträchtig durchführen & nur sachlich bleiben wollen. Er & andere seien jetzt noch dazu bereit. Von grundstürzender Änderung der Verfassung könne absolut keine Rede sein. In Deutschland habe man die parlamentarische Regierung sogar vor der Verfassungsänderung eingeführt & erst nachträglich einige wenige Bestimmungen der Reichsverfassung abgeändert rsp. ändere man sie gegenwärtig ab. Redner weist auch darauf hin, dass nach dem Sinne & Geiste unserer Verfassung sehr wohl eine parlamentarische Regierung ohne ihre Änderung eingeführt werden könne. Niemand wolle auch die monarchische Spitze abbiegen. Redner ersucht, ihm nicht andere Ansichten zu unterschieben. [17]

Es wird nun in die Behandlung der Gegenstände der Tagesordnung eingegangen.

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[1] LI LA LTA 1918/S04/2. Das Protokoll wurde abgedruckt in: O.N., Nr. 43 und Beilage zu Nr. 43, 19.10.1918, S. 2-4 ("Landtagsprotokoll v. 14. Okt.1918"); L.Vo., Beilage zu Nr. 44, 1.11.1918, S. 5-6 ("Genehmigtes Landtagsprotokoll vom 14. Oktober 1918"). Vgl. auch L.Vo., Nr. 42, 18.10.1918, S. 1 ("Glossen zum Landtag").
[2] Im März 1918 waren die Landtagsabgeordneten erstmals nicht mehr über Wahlmänner, sondern vom Volk direkt gewählt worden. Vgl. das Gesetz vom 21.1.1918 betreffend die Abänderung der Landtagswahlordnung, LGBl. 1918 Nr. 4.
[3] Vgl. die §§ 28 ff. der Verfassung vom 26.9.1862 (LI LA SgRV 1862).
[4] Vgl. die §§ 35 ff. der Amts-Instruktion für die Staatsbehörden des Fürstenthums Liechtenstein vom 26.9.1862 (LI LA SgRV 1862).
[5] Fürstliche Verordnung vom 30.5.1871 über die Trennung der Justizpflege von der Administration mit Amtsinstruktion für die Landesbehörden des Fürstentums Liechtenstein (insbesondere die §§ 2-16), LGBl 1871 Nr. 1.
[6] Nach § 11 Abs. 1 der genannten Amtsinstruktion von 1871 waren der Regierung, die aus dem Landesverweser, 2 Landräten und einem Sekretär bestand, alle Geschäfte zugewiesen, welche sich auf die Ausübung der landesherrlichen Regierungsrechte, auf die Landesverfassung und die Gesetzgebung bezogen.
[7] Vgl. den Antrag von Wilhelm Beck, Albert Wolfinger, Emil Risch und Josef Gassner an der Landtag vom 24.10.1918 (LI LA LTA 1918/L03).
[8] Die Landesrechnung von 1917 wurde vom Landtag am 14. und 18.10.1918 behandelt bzw. genehmigt (Protokolle der öffentlichen Landtagssitzungen unter LI LA LTA 1918/S04/2).
[9] Wilhelm Beck war in der Eröffnungssitzung des Landtags vom 3.10.1918 zum Landtagssekretär gewählt worden (Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung unter LI LA LTA 1918/S04/2).
[10] Vgl. das vom Landtag und der "provisorischen Regierung" (Vollzugsausschuss) am 12.11.1918 verabschiedete Glückwunschtelegramm an Fürst Johann II. anlässlich seines 60-jährigen Regierungsjubiläums (Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung unter LI LA LTA 1918/S04/2).
[11] Laut § 28 der Verfassung von 1862 wurde die Organisation der Staatsbehörden im Verordnungswege durch den Landesfürsten normiert, wobei die oberste Verwaltungsbehörde ihren Amtssitz im Fürstentum haben musste.
[12] Dieser Absatz ist im Protokoll durchgestrichen.
[13] Ziff. II der Verordnung vom 10.9.1917 betreffend weitere Notstandsmassnahmen, LGBl. 1917 Nr. 9, bestimmte, dass "künftighin" auf eine Milchkuh nicht mehr als 2 Stück Galtvieh gehalten werden durften, um eine ausreichende Versorgung des Milchviehs mit Futtermitteln zu sichern. Galtvieh allein durfte nicht gehalten werden. Die notwendige Minderung oder Auflassung des Galtviehstandes war grundsätzlich bis 1.11.1917 durchzuführen. Die Ausserachtlassung dieser Vorschrift unterlag einer Geldstrafe von 1000 Kronen für jedes Stück überzähliges Galtvieh.
[14] Vgl. dazu LI LA RE 1918/001 (in Verstoss).
[15] Die Reform des liechtensteinischen Verwaltungsverfahrens erfolgte mit dem Gesetz vom 21.4.1922 über die Landesverwaltungspflege, LGBl. 1922 Nr. 24.
[16] Person konnte nicht identifiziert werden.
[17] Vgl. in weiterer Folge das Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung vom 24.10.1918, in welcher der erwähnte Antrag von Wilhelm Beck und Konsorten vom selben Tag, wonach die Bestellung der beiden Landräte und ihrer Stellvertreter nur im ausdrücklichen Einvernehmen mit dem Landtag erfolgen sollte, an die Finanzkommission des Landtags überwiesen wurde (LI LA LTA 1918/S04/2).