Der Landtag und der provisorische Vollzugsausschuss gratulieren Fürst Johann II. zum 60jährigen Regierungsjubiläum


Teils maschinenschriftliches, teils gedrucktes Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung, nicht gez. [1]

12.11.1918

Um ½ 10 Uhr vormittags eröffnet Vizepräsident Fritz Walser die Sitzung und führt aus:

Geehrte Herren! 

Am heutigen Tage sind 60 Jahre verflossen, seit Se. Durchlaucht unser allgeliebter Fürst und Landesvater [Johann II.] die Regierung unseres teuren Vaterlandes übernommen hat. Es gibt wohl kein Liechtensteiner, der heute nicht dem Herrgott danken wird, dass er unsern Fürsten diesen Jubiläumstag erleben liess und ihn bittet, er wolle denselben noch ungezählte Jahre in vollstem Wohlbefinden erhalten. Wir alle wissen, was wir an Seiner Durchlaucht, unserem edlen, erhabenen Fürsten, unserem Vater und Wohltäter, besitzen, was wir ihm und seinem erlauchten Hause verdanken. Aus Anlass dieses Jubelfestes ersuche ich deshalb die Herren, ein dreifaches, donnerndes Hoch auf unsern Fürsten auszubringen. Seine Durchlaucht Fürst Johann II. lebe hoch! 

Ferner beantrage ich, an unsern Landesfürsten nachstehendes Telegramm zu richten:

„Der Landtag und die provisorische Regierung des Fürstentums Liechtenstein bitten Euere Durchlaucht anlässlich des 60- jährigen Regierungsjubiläums ihre und des Landes ehrerbietigste dankerfüllte Glückwünsche huldvollst entgegenzunehmen und versichern Euer Durchlaucht ehrfurchtsvoll ihrer unwandelbaren treuen Anhänglichkeit. 

Im Auftrage: Walser, Landtags-Vizepräsident, Dr. [Martin] Ritter, Vorsitzender des Vollzugsausschlusses." [2]

Wie den Herren schon bekannt sein dürfte, haben infolge der bei der letzten Landtagsverhandlung gefassten Beschlüsse die vom Fürsten ernannten drei Abgeordneten ihre Mandate niedergelegt und obliegt mir also durch den Abgang des Präsidenten als Vizepräsident vorübergehend den Vorsitz zu führen. [3]

Bevor wir zur Behandlung unserer Tagesordnung eingehen, erlauben Sie mir kurz einige Worte:

 Der 7. November 1918 wird als historischer Tag in der politischen Entwicklung Liechtensteins verzeichnet werden. [4] Es ist der Tag, an welchem der Einfluss des Volkes auf die Bestellung seiner eigenen Regierung in die Tat umgesetzt wurde. [5] Dass diese Umwandlung in ruhiger und würdiger Form auf ganz gesetzlichem Wege eingeleitet werden konnte, haben wir insbesondere auch der Einsicht unseres bisherigen Landesverwesers [Leopold von Imhof] zu verdanken, welcher den Geist der Neuzeit vollkommen erfasst und unter Zurücksetzung seiner Zustimmung zu dieser Umwandlung gegeben hat. Durch diese Zustimmung ist also die erforderliche Abänderung der Staatsgrundgesetze auf ganz legalem Wege eingeleitet. [6]

Durch diese einsichtige taktvolle Haltung hat unser bisheriger Landesverweser im Interesse einer ruhigen Entwicklung des Landes gehandelt und uns zu Dank verpflichtet. Er hat dabei – es mögen dieses viele bezweifeln – ebenso auch im Interesse unseres Landesfürsten gehandelt.

Dass es sich am 7. November um das Prinzip und nicht um persönliches Misstrauen gehandelt hat, ist aus der Verhandlung am letzten Donnerstag zu ersehen.

Dass auch gegenüber den neubestellten Mitgliedern der Regierung [7] das persönliche Moment weniger in das Gewicht fällt, dürfte der Umstand sein, dass von nun an die Mitglieder der Regierung eben auch jede Wahlperiode neu gewählt werden müssen. Wenn von letzterem Punkte bisher auch nicht gesprochen wurde, nehme ich als selbstverständlich an, dass in Ausführung der demokratischen Idee diese Bestimmung bei der gesetzlichen Neuordnung aufgenommen wird. Für persönliche Machtgelüste ist also hier kein geeignetes Feld mehr. Die beabsichtigte Reform lässt sich kurz in die Worte zusammenfassen: Einführung der Demokratie im Rahmen der Monarchie.

Ich begrüsse den Vorsitzenden unserer neuen Regierung und erwarte sowohl von ihm als den beiden andern Mitgliedern der Regierung, dass sie das ihnen anvertraute Amt auf Grund der Gesetze und in Vollziehung der Beschlüsse des Landtages nach ihrem besten Wissen und Gewissen ausführen werden. Es wartet den Herren kein leichtes Amt, denn Arbeit gibt es für sie in Hülle und Fülle. Wir kennen heute noch für den Vorsitzenden unserer Regierung keinen richtigen Titel. Der Name Landesverweser wird für denselben bei der Neuordnung nicht mehr in Betracht kommen. Ich möchte heute schon die Anregung machen, dass der Landtag den Wunsch ausdrückt, es möchte bei der erforderlichen Umarbeitung der Staatsgrundgesetze für den Leiter unserer Regierung der historische, schon bei unsern Vorfahren wohlklingend Name „Landammann" [8] zur Anwendung kommen.

In den drei Namen: Landvogt, Landesverweser, Landammann wäre dann schon die politische Entwicklung ausgedrückt. [9]

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[1] LI LA LTA 1918/S04/2. Die gedruckten Teile dieses Protokolls sind den O.N., Nr. 47, 16.11.1918, S. 2 („Landtagssitzung vom 12. Nov. 1918") entnommen. Im Landtagsprotokoll wurde vermerkt, dass die Tribünen „mit Zuschauern dicht gefüllt" waren. Vgl. L.Vo., Nr. 46, 15.11.1918, S. 3 („Landtagssitzung vom 12. November (Einges.)").
[2] Mit Schreiben vom 30.11.1918 brachte der vormalige Landesverweser Leopold von Imhof im Auftrag des Fürsten dem Landtag den „herzlichsten Dank" zum Ausdruck (LI LA LTA 1918/L14).
[3] Albert Schädler, Landtagspräsident und fürstlicher Abgeordneter hatte am Ende der Landtagssitzung vom 7.11.1918 sein Mandat niedergelegt – ebenso wie die zwei anderen fürstlichen Abgeordneten Johann Baptist Büchel und Johann Wohlwend.
[4] In der Landtagssitzung vom 7.11.1918 hatte Landesverweser Imhof seinen Rücktritt erklärt. Ferner war ein provisorischer Vollzugsausschuss unter dem Vorsitz von Martin Ritter gewählt worden (LI PA Quaderer, Nachlass Wilhelm Beck, handschriftliches Protokoll).
[5] Vgl. dazu die Debatte über die Einführung des parlamentarischen Regierungssystems in der öffentlichen Landtagssitzung vom 14.10.1918 (LI LA LTA 1918/S04/2) sowie den Antrag von Wilhelm Beck und Konsorten vom 24.10.1918 auf Bestellung der beiden Landräte in der liechtensteinischen Regierung im Einvernehmen mit dem Landtag (LI LA LTA 1918/L03).
[6] Dagegen sprach der Redakteur des „Liechtensteiner Volksblattes", Eugen Nipp, von einem „Staatsreich", von „Verfassungsbruch" und von einer „schweren Verletzung des Verfassungseides" (L.Vo., Nr. 46, 15.11.1918, S. 2 („An alle Liechtensteiner!")).
[7] Neben Martin Ritter waren am 7.11.1918 vom Landtag Wilhelm Beck und Emil Batliner in den Vollzugsausschuss gewählt worden. Letzterer lehnte jedoch die Wahl ab. An seiner Stelle wurde in der öffentlichen Landtagssitzung vom 12.11.1918 Franz Josef Marxer gewählt (LI LA LTA 1918/S04/2).
[8] Vgl. Art. 60 des von Wilhelm Beck ausgearbeiteten und im Juni 1920 publizierten Verfassungsentwurfes (O.N., Nr. 50, 23.6.1920, S. 1-2, („Verfassungs-Entwurf des Fürstentums Liechtenstein")).
[9] Vgl. auch das am 12.11.1918 von Martin Ritter im öffentlichen Landtag vorgelegte "Regierungsprogramm" (LI LA LTA 1918/S04/2).