Landesverweser Leopold vom Imhof kündigt im Landtag eine Regierungsvorlage betreffend die Einführung des direkten und geheimen Wahlrechts an


Maschinenschriftliche Abschrift des Protokolls der Eröffnungssitzung des Landtages, gez. Landtagspräsident Albert Schädler und Landtagsabgeordneter Wilhelm Beck [1]

30.10.1917

Anwesend 14 Abgeordnete und der Regierungsvertreter Baron [Leopold] von Imhof, welcher die erschienenen Abgeordneten begrüsst und das fürstliche Eröffnungsdekret [2]  dem Alterspräsidenten [Meinrad] Ospelt überreicht. Dieser verliest es. Es wird nun zu den Bureauwahlen geschritten. Als Vertrauensmann fungiert [Franz Josef] Marxer und als Sekretär Dr. Beck. Es werden gewählt als Präsident Dr. Schädler mit 12, als Vizepräsident Ospelt mit 9, als Sekretäre [Alfons] Feger und [Johann] Wohlwend mit je 11 Stimmen. Der Regierungskommissär bemerkt, dass er ermächtigt sei, sofort die Genehmhaltung der Wahlen auszusprechen. Der Landtag sei daher eröffnet. Er erlaube sich, noch einige Worte an die Herren zu richten. Neben Erledigung der alljährlich wiederkehrenden Geschäfte wie Prüfung der Landesrechnung, Budgetberatung usw. sei notwendig, den Landesangestellten Teuerungszulagen zu gewähren. Die zu Beginn des Jahres 1915 beschlossene Gehaltsregulierung [3] habe ihre Wirkung verfehlt. Das gleiche Schicksal wäre wohl bei Gewährung von Teuerungszulagen eingetreten. Er erwarte, dass kein Abgeordneter sich der Notwendigkeit der Gewährung von Teuerungszulagen verschliessen werde.

Für die Geistlichen werde sich heuer dem Lande ebenfalls Gelegenheit bieten, ihnen aufzubessern. Ferner sollen die Diäten usw. für die Abgeordneten und andere Funktionäre des Landes erhöht werden. Nicht zu vergessen seien auch die vielgeplagten Vorsteher, deren Bezüge ebenfalls erhöht werden müssten. Das ganze Programm stehe überhaupt im Zeichen der Not der Zeit.

Zum Schlusse möchte er noch eine Anregung machen, wofür er schon zum Voraus die landesfürstliche Zustimmung erwirkt habe, nämlich dass die Herren Abgeordneten am Schlusse ihrer Tätigkeit ein dauerndes Denkmal setzen durch Umgestaltung des Landtagswahlrechtes in ein direktes und geheimes. Es scheine ihm, wenn er die Stimmung der Bevölkerung richtig verstanden habe, dass das System der Wahlmänner fallen gelassen werden müsse und an dessen Stelle eben das direkte und geheime Wahlrecht zu treten habe.

„Helfen Sie diesen Wunsch erfüllen und schliessen Sie Ihre verfassungsmässige Tätigkeit damit ab, dass Sie dem Lande ein zeitgemässes Wahlrecht schaffen!“

Dr. Schädler übernimmt nun den Vorsitz und lässt die Fünferkommission wählen: Gewählt sind Dr. Schädler, [Emil] Batliner, Ospelt, Marxer und Dr. Beck. Der Präsident regt an, dass die Arbeiten des Landtages etwas zusammenhängend durchgeführt werden sollen, damit die Abgeordneten nicht den Faden verlieren. Daher beantrage er, so rasch als möglich Sitzungen in Aussicht zu nehmen.

[Wendelin] Kindle frägt an, wie es sich denn mit der Viehzentrale [4] verhalte, und warum es nicht vorwärts gehe, das Volk werde ungeduldig. –

Dr. Schädler: Durch die Regierungsverordnung sei man ja unterrichtet. Wegen der Sperre zwischen Liechtenstein und Österreich habe sich die Sache hinausgezogen. Wir können das vollste Vertrauen in die Zentrale setzen. Die Zentrale sei eine notwendige Sache, besser wäre es gewesen, wenn sie schon vor 1 oder 2 Jahren eingeführt worden wäre. Der Regierungs-Chef erwidert, die Hauptsache, dass es nicht vom Fleck gehe, sei der Umstand, dass die Bauern sehr zurückhaltend seien. Man habe der Zentrale das Leben sauer machen wollen. Er sehe nicht ein, warum die enormen Gewinne nur dem Zwischenhandel zufallen sollen. – Dr. Beck gratuliert dem Regierungskommissär, dass er den Antrag auf Einführung des geheimen und direkten Wahlrechtes gestellt und zum voraus schon die Zustimmung des Landesfürsten [Johann II.] erwirkt habe. Es sei – die Abgeordneten mögen sich dies nur selbst gestehen – beschämend genug für den Landtag, dass dieser Antrag nicht aus seiner Mitte gekommen sei, denn er betreffe ja das Recht des Volkes, dessen Vertreter wir seien. Aber schliesslich sei es ja so auch recht und er beglückwünsche den Herrn Regierungskommissär zu seinem Antrage!

Dr. Schädler: Er sei auch für das direkte und geheime Landtagswahlrecht. Aber er möchte dem alten Wahlrecht keinen Vorwurf machen. Es sei das Wahlmänner-Wahlrecht nicht mit dem Klassenwahlrecht, wie es in Preussen bestehe, zu verwechseln. Das Gemeindewahlrecht [5] stand schon von Anfang an auf der Höhe. Er müsse die früheren Abgeordneten, welche die Verfassung [6] mitschaffen halfen, gegen die Vorwürfe in Schutz nehmen.

Dr. Beck: Was die Bemerkung des Vorredners betreffe, dass das Wahlmänner-Wahlrecht nicht veraltet sei und dass bei Einführung der Verfassung damit ein Fortschritt gemacht wurde, so möchte er nur daran erinnern, dass der Landammann im Oberlande wie im Unterland vom Anfang des 16. Jahrhunderts bis zum Jahre 1809 direkt vom Volke gewählt wurde. Mehr als 200 Jahre hätten wir das direkte Wahlrecht gehabt. Von 1809 [7] bis 1862 haben die ständischen Vertreter bestanden und 1862 habe man das direkte Wahlrecht erhalten. Wie gross der Fortschritt gegenüber der Landammannverfassung sei, leuchte jedem ein. – Aber es habe ja niemand das indirekte Wahlrecht noch die Abgeordneten welche es halfen einführen, angegriffen, noch habe jemand ein Vorwurf gemacht werden wollen. Die Hauptsache sei nun, dass es geändert werde. – Der Regierungsvertreter möchte sich gegen den Vorwurf wehren, dass er von einem total veralteten Wahlrecht und ähnlich gesprochen habe. Er habe nur gesagt, dass es in mancher Beziehung veraltet sei, was auch richtig sei. Zur Zeit der Einführung der Verfassung (1862) habe man das Wahlmänner-Wahlsystem als das alleinseligmachende angesehen. Schon damals habe man aber das gleiche Wahlrecht eingeführt. Die guten Sachen von damals sollen ja unverändert fortbestehen; geändert werden sollen hingegen die der heutigen Zeit nicht mehr entsprechenden Bestimmungen, vor allem die sogenannte Vormünderwahl, wie man die Wahlmännerwahl  nenne. Er habe den Antrag jetzt schon eingebracht, damit der nächste Landtag aus modernen Wahlen hervorgehen möge. Daher sollte das Gesetz jetzt geschaffen werden, sonst würde es zu lange gehen, bis wir es praktisch anwenden könnten. – Dr. Schädler will nicht gegen die Neuerung sein. Er halte es sogar für einen Fortschritt. Er habe aber nur die alten Abgeordneten in Schutz nehmen wollen!  Verschiedene deutsche Bundesstaaten hätten sich sogar um unsere Verfassung interessiert. In rechtlicher Beziehung seien wir mit der Einführung des Polizeistaates (1809) am weitesten zurückgekommen. Damals habe es gar keine Freiheit gegeben. –

Dr. Beck: Weder der Herr Landesverweser noch er haben die Verfassung angreifen, noch irgend jemand einen Vorwurf machen wollen. Wenn aber der Vorredner die jetzige Verfassung so hervorstreiche; so verweise er nur auf das Urteil eines der berühmtesten deutschen Staats- und Völkerrechtslehrers im verflossenen Jahrhundert, auf die Ausführungen I.C. [Johann Caspar] Bluntschli's in seinem Staatswörterbuch [8] über unsere Verfassung. Er glaube nicht, dass dieser Staatsrechtslehrer leichterdings unsere Verfassung scharf kritisiert habe. Wenn er sich auch nicht voll seinem Urteile anschliesse, so möchte er doch bemerken, dass Bluntschli sicher auch seine Gründe hatte. Übrigens wollen wir das Verfassungsgebäude ausbauen und dagegen sei doch nichts einzuwenden. Die nächsten Wahlen sollen direkt und geheim erfolgen und wenn auch alle heutigen Abgeordneten nicht mehr gewählt werden, so sei es doch besser, wenn das neue komme und es sei ja kein Abgeordneter unersetzlich. Auch die Nachkommenden werden ihre Aufgaben lösen.

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[1] LI LA LTA 1917/S04/2. Durchgestrichenes Aktenzeichen: z.Z. 4432/Reg. 1917. Protokoll abgedruckt in: O.N., Nr. 44, 3.11.1917, S. 1-2 („Erste Landtags-Sitzung vom 30.10.1917“). Die undatierte Regierungsvorlage betreffend die Abänderung der Landtagswahlordnung findet sich unter LI LA LTA 1917/S04/1. Vgl. den Bericht der Landtagskommission (Referent Wilhelm Beck) hiezu in der Tagesordnung des Landtagspräsidiums für die auf den 27.12.1917 anberaumte Landtagssitzung (LI LA LTA 1917/L01). Der Gesetzentwurf wurde in den öffentlichen Landtagssitzungen vom 27.12. und 31.12.1917 behandelt und mit Änderungen genehmigt (vgl. LI LA LTA 1917/S04/2). Vgl. das Gesetz vom 21.1.1918 betreffend die Abänderung der Landtagswahlordnung, LGBl. 1918 Nr. 4.    
[2] Vgl. das fürstliche Einberufungsdekret vom 11.10.1917 (LI LA LTA 1917/S04/1).
[3] Vgl. das Gesetz vom 14.2.1916 betreffend die Rechtsverhältnisse der Beamten, Diener und Landweibel, LGBl. 1916 Nr. 7, sowie etwa den einschlägigen Bericht der Finanzkommission an den Landtag vom 27.1.1915 (LI LA LTA 1915/S03).
[4] Vgl. die in der Verordnung vom 10.9.1917 betreffend weitere Notstandsmassnahmen, LGBl. 1917 Nr. 9, genannte Viehverwertungsstelle.
[5] Vgl. das Gemeindegesetz vom 24.5.1864, LGBl. 1864 Nr. 4. 
[6] Vgl. die liechtensteinische Verfassung vom 26.9.1862 (LI LA SgRV 1862/5).
[7] Vgl. die landständische Verfassung vom 9.11.1818 (LI LA SgRV 1818).
[8] Vgl. Johann Caspar Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht (Stuttgart 1885); ders., Lehre vom modernen Staat (Stuttgart 1886).