Fürst Johann II. erlässt ein Organisationsstatut für die Kabinettskanzlei


Gedrucktes Statut, gez. Kabinettsrat Josef Martin [1]

4.11.1920, Feldsberg

Organisationstatut für die Kabinettskanzlei des regierenden Fürsten von Liechtenstein

Die Kabinettskanzlei [2] führt die Bezeichnung "Kabinettskanzlei des regierenden Fürsten von Liechtenstein" und ist Seiner Durchlaucht [Johann II.] direkt unterstellt. Ihr Standort ist der jeweilige Aufenthaltsort des Fürsten, soferne dieser nicht bekannt sein sollte, beziehungsweise Seine Durchlaucht in Wien weilen, lautet die Dienstadresse: "Wien, I. Minoritenplatz 4."

Die Kabinettskanzlei leitet den gesamten Dienst um die Höchste Person Seiner Durchlaucht nach speziellen Anordnungen des Fürsten.

Sie ist das Organ, das die der persönlichen Entscheidung Seiner Durchlaucht vorbehaltenen Anordnungen sowie die unmittelbar von Höchstdemselben ausgehenden Kundgebungen zu verfassen und auszufertigen berufen ist. Indem die Kabinettskanzlei ferner durch Entgegennahme der an den Fürsten gerichteten Eingaben und durch die Hinausgabe der Höchsten Entschliessungen den Verkehr zwischen Seiner Durchlaucht und den fürstlichen Behörden, Ämtern und Stellen vermittelt, vertritt sie in dieser Beziehung die Höchste Person des Fürsten nach aussen.

Seine Durchlaucht finden sich deshalb bestimmt, anzuordnen, dass die Regierungs- und diplomatischen Vertretungsbehörden, ferner die Zentralämter [3] im schriftlichen Verkehr mit der Kabinettskanzlei jene Formen wahren, wie sie zwischen gleichgeordneten Stellen üblich sind. Soweit die übrigen Stellen und Ämter mit der Kabinettskanzlei in unmittelbaren Verkehr treten, haben sie die gegenüber übergeordneten Stellen gebräuchlichen Formen des schriftlichen Verkehres zu beobachten und anzuwenden.

Im besonderen umfasst der Wirkungskreis der Kabinettskanzlei:

1. Übernahme der gesamten, unter der Adresse Seiner Durchlaucht einlaufenden Briefpost und Behandlung derselben nach Höchstdessen Weisungen;

2. Unterbreitung der zur persönlichen Kenntnisnahme des Fürsten bestimmten Eingaben von fürstlichen Behörden, Ämtern und Stellen, beziehungsweise von Privatpersonen. Die Kabinettskanzlei vermittelt den schriftlichen Verkehr, soferne derselbe nach den bestehenden Normativbestimmungen direkt zu erfolgen hat, zwischen Seiner Durchlaucht und den fürstlichen Amtsstellen und umgekehrt. Im jeweiligen Aufenthaltsorte des Fürsten anwesende Amtsvorstände können Seiner Durchlaucht persönlich vortragen, doch haben sie hierüber tunlichst vorher, stets aber nach erfolgtem Vortrage dem Vorstande der Kabinettskanzlei Mitteilung zu machen, bei Unterbreitung von schriftlichen Eingaben dieselben von ihm vidieren zu lassen. Die Kabinettskanzlei ist berechtigt, in besonderen Fällen über Höchsten Auftrag Seiner Durchlaucht den fürstlichen Behörden, Ämtern und Stellen direkt Aufträge zu erteilen;

3. Ausfertigung, Ausgabe und Evidenzführung der Höchsten Entschliessungen (Resolutionen);

4. Vermittlung der Audienzen;

5. Überwachung der gesamten Haushofverwaltung. Der Vorstand der Kabinettskanzlei fertigt auch mit Genehmigungskraft vorbehaltlich der normalmässigen Revision durch die Buchhaltung die bezüglichen Rechnungen, Ausgabsdokumente, Anweisungen etc.

Bei der Kabinettskanzlei ist ausser dem Vorstande ein Sekretär (Kabinettssekretär), welcher den Vorstand bei dessen Abwesenheit zu vertreten hat, und das erforderliche Kanzleipersonale eingeteilt.

Die Hilfsämter der Zentralkanzlei in Wien (Kanzleidirektion, Expedit und Registratur) fungieren als solche auch für die Kabinettskanzlei.

Die Ausgaben für die Kabinettskanzlei einschliesslich jener für den Personalstand werden bei der fürstlichen Hauptkassa in Wien angewiesen. Dieselben belasten das Konto "Kabinettskanzlei", die bezüglichen Kassadokumente werden vorbehaltlich der normalmässigen Revision durch die Buchhaltung vom Vorstande der Kabinettskanzlei mit Genehmigungskraft gefertigt.

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[1] LI LA SF 01/1920/174 (Aktenzeichen der fürstlichen Kabinettskanzlei: Präs Nr. 797). Weitere Exemplare ebd. Im – dem Organisationsstatut vorangestellten – fürstlichen Einführungserlass wurde vermerkt, dass das Statut für die fürstlichen Behörden, Ämter und Stellen in allen betroffenen Angelegenheiten als Norm zu gelten habe. Das Statut wurde der Regierung in Vaduz mit Begleitschreiben des Kabinettsrates Josef Martin vom 6.11.1920 zugeleitet (ebd.).
[2] Die Errichtung einer "Fürst Liechtenstein'schen Kabinettskanzlei" war von Fürst Johann II. bereits am 30.11.1919 angeordnet worden.  
[3] Vgl. in diesem Zusammenhang die Richtlinien für die Reorganisation der Zentralbehörden vom 23.11.1920 (LI LA SF 01/1920/174 (Aktenzeichen der Kabinettskanzlei: Präs No. 823)).